Aber, wie heißt es doch so schön: Erstens kommt es anders - zweitens als man denkt

Die Vorbereitung für das erste Lauf-Halbjahr 08 lief alles andere als optimal. Eine Woche katastrophales Wetter in Wien mit Sturmböen, etwas später eine lästige Bronchitis, die echtes Tempotraining verhinderte

In Wahrheit aber alles Kleinigkeiten! Denn in der Woche vor Ostern starb meine Mutter. Ich war in den darauf folgenden zehn Tagen nur zwei mal laufen - nach jeweils knapp drei Kilometern musste ich umkehren, da mein ganzer Körper weh tat. Ich stand eine Zeit lang physisch völlig neben mir.
Trotzdem bin ich, mit etwas zeitlichem Abstand, mit Gudrun, meinen Laufsachen - und vor allem mit einem großen Vorrat an Vorfreude auf den Lauf und auf einer Wiedersehen mit einem fröhlichen Haufen Foris - nach Berlin geflogen.
Die Bestzeitenjagd hatte ich mir rechtzeitig abgeschminkt; dafür sollte der Laufspaß, garniert mit einer Zeit knapp unter 1.45, im Vordergrund stehen.
Am Freitag, nach dem Abholen meiner Startnummer, fuhren wir mit der U-Bahn zum Kurfürstendamm. Wir nahmen uns vor, die Gedächtniskirche zu besuchen, deren Bilder mich schon als Bub faszinierten. Einer der Gründe dafür war für mich immer, dass Deutschland die Heimat meiner Mutter war und mich die Geschehnisse und die Geschichte des Landes daher schon immer interessierten.
Obwohl ich inzwischen einige Male in Berlin war, fand ich nie die Zeit für eine Besichtigung der Gedächtniskirche. Als ich am Samstag dann mit Gudrun in dem Raum unter dem schwer beschädigten Turm stand, konnte ich meine Tränen plötzlich nicht mehr zurückhalten.
Mag sein, das Alles passt nicht hier her. Aber es war für mich der Anlass, diesen Halbmarathon in Gedanken an meine Mutter zu laufen.
Der Samstag verging mit einem Besuch der Dali-Ausstellung am Kudamm und entspanntem Sightseeing wie im Flug. Am Abend ließen wir es uns beim Fori-Treffen im Restaurant Lafil am Kollwitzplatz gutgehen. Die Freude über bekannte und auch neue Gesichter war groß.
Sonntag morgens waren wir um 09.30 beim vereinbarten Treff im Café Balzac. Die Zeit bis zum Start verging wie im Flug und ich machte mich mit meinem Coach Gudrun auf in Richtung Startblock B.
Ich brauchte etwa drei Minuten, um nach dem Startschuss über die Startmatte zu kommen. Ich drückte den Start-Knopf meiner Beurer PM80 und ließ mich - vorbei am ollen Fritz und über die Prachtstraße Unter den Linden - von der Menge in Richtung des Brandenburger Tores treiben.
Ohne gescheites Tempotraining in den Beinen hatte ich überhaupt keine Lust, meine Energie sinnlos zu verpulvern. Ich freute mich dafür umso mehr, dass ich km 1 auch ohne riskante Überholmanöver in 5.10 erreichte. Was mich noch mehr freute: Meine neue Beurer-Pulsuhr erwies sich als äußerst präziser Partner. Bis km 8 stimmte die Kilometermessung überhaupt auf den Meter genau, danach gab es ganz leichte Abweichungen nach oben. Im Ziel zeigte die Uhr nur 40 Meter mehr an

Ab km 1 hielt ich meine Zeiten mit einer Schwankungsbreite von maximal zwei bis drei Sekunden Differenz auf 5 Minuten. Wunderbar

Bei km 8 lag ich plötzlich 14 Sekunden hinter meinem 5-Minuten-pro-Kilometer-Plan. Kein Wunder: Ich war kurz in einem Pulk von Läufern hängen geblieben und musste mich erst einmal durchkämpfen, um wieder freie Bahn zu haben. Dafür ging es dann in einer der Straßen leicht bergab und beim nächsten km hatte ich bereits wieder sechs Sekunden aufgeholt.
Am Kurfürstendamm war besonders in der Nähe der U-Bahn Stationen viel Publikum. Die tolle Stimmung spornte an und sukzessive holte ich mir noch die eine oder andere Sekunde wieder zurück.
An der Gedächtniskirche hielt ich zumindest im Geist etwas inne. Mir fiel dabei sogar wieder ein, dass Gudrun und ich meiner Mutter im Vorjahr von hier eine Karte geschickt hatten.
Die nächsten Kilometer spulte ich stoisch mein Tempo herunter und freute mich still, dass es mir dabei gut ging.
Bei km 16 lief ich auf einen Teilnehmer mit einem Laufshirt des LC Parndorf auf.
Parndorf liegt im Burgenland, in der Nähe des Neusiedler Sees und ist hauptsächlich durch ein riesiges Designer-Outlet bekannt. Dabei ist die Gemeinde auch sonst ganz nett und hat mehr verdient, als unter dem bloßen Gesichtspunkt des Konsums besucht zu werden.
Klaus, so hieß der Laufkumpel, war nicht zufrieden mit seiner Tagesform und hatte sich eine Zeit von unter 1.45 bereits abgeschminkt. Er lag laut seiner Rechnung bereits eine Minute über der Soll-Zeit. Ich wunderte mich ein bisschen über die deutliche Differenz zu meinen Berechnungen, denn - abgesehen von den noch nicht einkalkulierten 97,5 Metern - hatte ich nur noch 2 Sekunden Rückstand.
Wir unterhielten uns ein bisschen, während Klaus versuchte, kurze Zeit mit mir mitzuhalten. Wir verabschiedeten uns aber bald wieder und ich setzte mich langsam ab.
Bei km 17 merkte ich, dass ich mein Pulver noch nicht verschossen hatte. Ich begann langsam, aber stetig, mein Tempo zu erhöhen und Kilometerzeiten um 4.50 zu laufen

Ich war überzeugt, dass mich schließlich auch die 97,5 Meter nicht mehr kratzen würden und beim Check-Point Charly hatte ich das Tempo auf gut 13,5 km/h erhöht. Das Rote Rathaus im Sicht legte ich noch etwas nach und ließ beim Zielsprint noch eine Reihe von Teilnehmern hinter mir.
Endzeit: 1.44.32 (Rang: 3.498)
Ich weiß, fast zehn Minuten über meiner PB. Aber ich bin trotzdem vollkommen zufrieden. Vor allem auch deshalb, weil ich nicht am letzten Zacken gelaufen bin und mir einen wirklich schönen negativen Split erarbeitet habe.
Im Ziel verzog ich mich rasch in Richtung Duschen und Umkleide. Im heißen Wasserdampf glaubte ich zuerst an eine Sinnestäuschung - duschte doch eine selbtsbewusste Dame unter all den Herren (ich glaub, ich probier das nächstes Jahr mal umgekehrt in den Damenduschen

Gudrun wartete schon beim Cafe Wiedemann auf mich und dann marschierten wir schnurstracks zur Schleusenbrücke, wo schon Kathrin(chen) und Stefanie (Rennschnecke) auf uns warteten.
Im Maredo am Rathausplatz ließen wir uns dann gemeinsam mit Bianca (Pitti), Tess und Jan (Steilküste) und Holgii das Bier und die Hähnchenflügel schmecken.
Den Montag ließen wir gemächlich am Postdamer Platz, beim Brandenbuger Tor und Unter den Linden ausklingen, ehe wir uns auf den Rückflug machten.
Gratulation übrigens an alle (auch an Janina und ihren stillen, aber sehr netten Freund, an PapaBaer, an Jürgen und auch an jene, deren Namen ich verschwitzt habe) - egal ob eine neue PB rausgeschaut hat oder nicht.
Berlin sieht uns auch im nächsten Jahr wieder: Schon deshalb, weil Gudrun und Bianca vereinbart haben, das Projekt HM gemeinsam anzugehen.
Und auch darum, weil es einfach schön ist, in Berlin zu laufen

Liebe Grüße
Wolfgang