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von Zwangsläufer
Hallo Apfeltasche,
mir ist es wichtig, beim Laufen gut auszusehen. Demententsprechend hat meine Vorbereitungja schon ein bisschen Projektcharakter:
1 Jahr vor dem Wettkampf: Das Projekt "Gut aussehen bis zum Schluss" wird aufgesetzt, ein griffiger Projektname wie z.B. ARMAGEDDON oder DOOMSDAY wird definiert. Das Projekt wird in die Teilprojekte Fashion, Style und Body gesplittet, die entsprechenden Teilprojektleiter, der CFO (Chief Fashion Officer), der CSO (Chief Style Officer) und der CBO (Chief Body Officer) werden festgelegt, zusätzlich noch ein Logistikleiter (CLO).
50 Wochen vor dem Wettkampf: Der Veranstaltungsort wird ausgewählt, gerne ein Dorffestlauf mit familiärem Charakter, die Strecke sollte nicht länger als 5 km sein. Das Risk-Management-Team prüft 100 potentielle Veranstaltungsorte in Hinblick auf die Gefahren Erdbeben, Sturm, Überflutung und Seuchen. Eventuelle politische Probleme im Umfeld des Veranstaltungsortes werden auf diplomatischem oder finanziellem Wege gelöst. Die Zulu-Zeit wird festgelegt, Zulu = Geplanter Wettkampfstart + 30 Minuten. Start des Aufbaus der Projektkontrollzentren in Frankfurt, Seattle und Shanghai.
Zulu – 40 Wochen: Dem Veranstalter wird ein Kontrakt zugeschickt, speziell die Gestaltung des Zielbereiches wird bis ins letzte Detail festgelegt. Schlüsselpositionen des Veranstaltungsteams werden mit eigenen Leuten besetzt. Als Projektsprache wird Englisch gewählt.
Zulu – 39 Wochen: Start der Englischkurse für das Veranstaltungsteam.
Zulu – 38 Wochen: Start der Projektmanagementkurse für das Veranstaltungsteam. Beginn der Straßenbauarbeiten rund um das Veranstaltungsgelände (der Veranstaltungsort wird 4spurig an das bestehende Autobahnnetz angebunden). Start der Chip-Produktion im Werk Bangalore.
Zulu – 35 Wochen: Start Aufbau Pilot-Server für die Hochgeschwindigkeits-Wettersimulationsrechner mit den Chips aus Bangalore. Abschuss und Positionierung des projekteigenen Wettersatelliten. Start der Casting-Shows für die Teilnehmer und Zuschauer der Veranstaltung in 35 Ländern.
Zulu – 30 Wochen: Basierend auf den Daten der Wettersimulationsrechner werden die Farbmischungen für Laufhose und Laufhemd, Laufstrümpfe und Schuhe produziert. Das Blau des Himmels und die Farbgestaltung meiner Laufkleidung und des Zielbereiches sollten perfekt auf einander abgestimmt sein. Die Trend-Scouts liefern dem CFO aus 130 Ländern die neuesten Fashion-Trends.
Zulu – 25 Wochen: Ich übergebe meine Geschäfte meinem Sekretariat, so dass ich mich ab jetzt komplett auf den Lauf konzentrieren kann. Rund um die Uhr werde ich ab jetzt von meinen Mental-Trainern betreut. Hauptaufgabe: Eine positive Grundstimmung schaffen. Alle größeren Operationen werden jetzt durchgeführt, Fett wird abgesaugt und matte Stellen im Gesicht geliftet. Botox lehne ich allerdings grundsätzlich ab.
Zulu – 20 Wochen: Beginn der Arbeit mit dem Move Instructor (berichtet direkt an den CBO). Die Pose beim Zieleinlauf wird eingeübt. Start Produktion der Laufbekleidung, die farbliche Gestaltung und Oberflächenstruktur basieren auf der Wetterprognose zur Zulu-Zeit. Entsprechend der Prognoseunsicherheit werden 12 unterschiedliche Bekleidungs-Sets erstellt.
Zulu – 10 Wochen: Der Zieleinlauf der Wettkampfstrecke wird 1:1 nachgebaut. Mit 5000 Statisten werden die kompletten letzten 5 Minuten des Rennens nachgestellt. Alle Kameraeinstellungen werden jetzt festgelegt.
Zulu – 5 Wochen: Start der finalen Vorbereitungsphase. Jeden Tag mehrere Stunden Krafttraining, Body-Tuning, Body-Fashion-Workout, Body-Culture-Training and Body-Well-Exercises. Sonnenstudio. Leider auch immer wieder kräftezehrende Besprechungen mit den Teilprojektleitern.
Zulu – 3 Wochen: Täglich 2 Stunden Boxen-Drill (wird später noch erklärt). Treffen mit den Gewinnern der Casting-Shows.
Zulu – 7 Tagen: Letztes Fettabsaugen
Zulu – 1 Tag: Flug nach Paris zum Friseur-Termin bei Jean-Claude (Jean-Claude ist ja sooooowas von angesagt).
Zulu – 5 Stunden: Abschluß der Straßenbauarbeiten am Veranstaltungsgelände.
Zulu – 4 Stunden: Leichtes Frühstück, Schminken, Maniküre, Pediküre, Magen auspumpen (um den Pippig-Effekt zu vermeiden), Rotz und Schleim aus allen Öffnungen entfernen. Letzte Besprechung mit dem Move Instructor. Der CFO nimmt die endgültige Auswahl der Laufbekleidung vor.
Zulu – 33 Minuten: Vom Hubschrauber werde ich ins Starterfeld abgeseilt. Natürlich in den zweiten Startblock; ich will ja nicht als Angeber auffallen.
Zulu – 30 Minuten: Start. Jetzt darf nichts mehr schief gehen. Begleitet von zwei Support-Trucks und einem Support-Hubschauber gehe ich auf die Strecke. Mit mir laufen 4 ausgewählte Mitglieder des Mental-Teams und ein Stylist. An Bord des ersten Support-Trucks: Eine Auswahl von 2000 Nahrungsmitteln und Getränken, ein Uhrmacher, ein Schuhmacher, eine Notapotheke. An Bord des zweiten Support-Trucks: Der Rest vom Mental-Team und eine Schneiderei. Die Mode-Trends der letzten Stunde werden in die Laufbekleidungs-Sets eingearbeitet. Was jetzt noch fehlen könnte, kann vom Hubschrauber in 10 Minuten herangeschafft werden.
Zulu – 20 Minuten: Alles läuft nach Plan. Im Ziel postieren sich die akkreditierten Kameramänner und Fotografen.
Zulu – 10 Minuten: Die Spannung steigt, der Puls ist jetzt bei 130.
Zulu – 2 Minuten: Boxenstopp. In der mobilen Duschstation nehme ich eine letzte Dusche, noch einmal umziehen (jetzt ist noch einmal Zeit, die Kleidungsfarbe den aktuellen Wetter- und Lichtverhältnissen anzupassen), nachschminken, noch einmal Nagelpflege, letzte Instruktionen vom Move Instructor. Für diese Aktivitäten haben wir exakt 90 Sekunden Zeit; die Abläufe sind 1000 mal geübt worden.
Zulu – 30 Sekunden: Raus aus der Duschstation, Tempo aufnehmen, Siegerlächeln aufsetzen. Die Läufer in meiner Umgebung werden durch die Gewinner der Castings-Shows ausgetauscht.
Zulu – 2 Sekunden: Das Herz rast, Puls auf 140. Siegerpose, linker Arm mit der Faust in den Himmel gereckt.
ZULU +- 0: Ein Blitzlichgewitter umgibt mich. Auf diesen Moment haben 25.000 Leute ein Jahr hingearbeitet. Hoffentlich ist ein gutes Bild dabei.
Zulu + 10 Sekunden: Der Hubschrauber nimmt mich auf und Kurs auf das Kontrollzentrum in Frankfurt.
Zulu + 1 Stunde: De-Briefing, Dank ans Team und Auszahlung der Prämien. Project over.
Einen Tag später: Die Planung für den nächsten Wettkampf beginnt.
Gruß Zwangsläufer