Dass ich um 05.45 aufgestanden bin und gefrühstückt habe, wie vor allen anderen Wien-Marathons auch? Dass ich pünktlich am Start war, wie immer? Dass ich auch diesmal ins Ziel gekommen bin? Dass die Straßen durch die ich gelaufen bin, unverändert die gleichen sind, wie in den letzten Jahren?
Nicht viel gäbe es da zu erzählen, würde man sich auf die bloßen Fakten beschränken.
Aber Marathon ist eben etwas besonderes - ist Freude und Frust, Lustspiel und Tragödie, Himmel und Hölle oder meinetwegen auch Engel und Teufel. Manchmal abwechselnd, manchmal aber auch alles gleichzeitig.
Aber kommen wir zuerst zu Freude, Lustspiel, Himmel und Engel(n):
Am Samstag ist ein Fori-Treffen im Restaurant Cavaliere angesagt: Gudrun und ich haben am Nachmittag Viola (die Schwester von Bianca (Pitti) und ihre Mitstreiterin Tina abgeholt und uns das Rathaus und danach die Kunst von Friedensreich Hundertwasser sowie die "Kunst" eines ausufernden Merchandisings rund um seine Person reingezogen.
Außerdem haben wir bei einer kleinen Rundfahrt auch den Startbereich des Marathons besichtigt.
Wir stehen noch am Eingang des Restaurant Cavaliere, als Bernie eintrudelt. Er kann sich den Wien-Marathon locker ansehen, hat er doch erst vor zwei Wochen in Linz mit 3.22.xx eine tolle neue PB aufgestellt.
Kurz darauf stoßen noch Peter (peterxda) aus dem Forum und sein Geschäftspartner Fadi dazu. Beim gemeinsamen Carboloading und einem abschließenden Eis am Schwedenplatz (für mich zumindest) vergeht die Zeit wie im Flug und wir verabreden uns noch einmal für unseren Treffpunkt an der ESSO-Tankstelle am Sonntag, um 08.00 Uhr.
Für Sonntag ist wunderschönes Wetter angesagt:
In knallvoll gefüllten U1 treffen ich völlig unerwartet auf ein mir seit Jahrzehnten bekanntes Gesicht: Mein Cousin Karl, der in der Nähe von Graz wohnt, läuft seinen ersten Halbmarathon. Wir freuen uns über das kuriose Aufeinandertreffen im Gewühl Tausender LäuferInnen und schlendern gemeinsam zu den Kleider-LKWs.
An unserem Treffpunkt an der Tankstelle finden sich alle pünktlich ein. Auch Hans, ein Laufkumpel aus Wien ist da (er wird den HM in 1.37.xx laufen

Viola und Tina machen sich auch bald auf in den gelben Startblock und ich teste noch einmal kurz die Leidensfähigkeit des Gebüsches neben der ESSO-Station

Mit Peter warte ich dann auf die Startsirene und zwei Minuten nach deren ertönen überquere ich die Startlinie.
Mein mangelhaftes Tempotraining - eigentlich habe ich heuer fast gar nichts in dieser Richtung gemacht - lässt keine Gedanken an Bestzeiten aiufkommen. Außerdem bin ich am 17. Mai wieder auf dem Rennsteig unterwegs. Ich betrachte den Lauf also schlicht und einfach als verlängerte Trainingsstrecke. Trotzdem habe ich auf den ersten sechs Kilometern nur knapp über 31 Minuten auf der Uhr stehen.
Kurz vor Kilometer 3 warten Gudrun und meine Tochter Sarah und ihr Verlobter Markus auf ich. Sie haben mir ein tolles Plakat gemalt und ich freue mich und bin auch gleichzeitig gerührt, dass sie da sind und mich anfeuern.
Ab geht es, durch den grünen Prater, den ich im Laufe des Marathons noch einmal wiedersehen werde. Etwas später, an der Ringstraße, wo meine Coaches wieder auf mich warten, ist viel los. Ich halte kurz, da ich sowieso noch immer viel zu schnell unterwegs bin, krieg von Gudrun einen

Auf der Tribüne vor der Oper wird ordentlich Lärm gemacht, ehe es auf die ungeliebte Wienzeile geht. Aber es ist warm, der Wind bläst nur ganz leicht und ich bin zufrieden mit mir und der Welt.
Auf der Mariahilfer Straße (dort steht Bernie

Am ersten Staffelwechsel spielt sich dann eine kurze Beinahe-Tragödie ab: Auf meiner Höhe zischt eine Läuferin aus dem Pulk der wartenden StaffelläuferInnen und übersieht in der Euphorie des Loslaufens einen Marathonläufer. Die beiden krachen heftig zusammen, stürzen der länge nach

Weiter geht es durch die Lichtensteinstraße, kurz darauf in Richtung Friedensbrücke über den Donaukanal und dann entlang des Kanals nach Süden.
Bei km 26 warten Gudrun, Sarah und Markus wieder auf mich. Ich nehme einen Riegel und ein Gel-Päckchen und viele gute Wünsche mit auf meine weitere Laufreise und tauche kurz danach wieder in den Prater ein.
So schön es auch ist: Ich stelle mir irgendwo bei km 29 wieder einmal die Sinnfrage, warum ich das alles tue. Wem will ich etwas beweisen? Reicht es nicht auch, nur die Hälfte zu laufen? Irgendwann werden mir die Knochen heute doch wieder weh tun und so weiter und so fort

Der kleine


Vor einer Weile schon ist mir Luminita Talpos aus Rumänien entgegengekommen. Die Vorjahressiegerin und führende Dame legt ein mörderisches Tempo vor und wird den Lauf in 2.26.xx gewinnen.
Im Prater kommen mir auf der Hauptalle hunderte LäuferInnen entgegen, die schneller sind als ich. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es den hinter mir Laufenden auch nicht anders geht, als ich nach Umrunden des Lusthauses am südlichen Ende der Prater Hauptalle die Kilometer 34 und 35 absolviere. Ich spähe auch angestrengt nach Tina, Viola und Peter aus, kann aber niemanden entdecken.
Raus geht es wieder aus dem Grün zur Erdberger Brücke. Dieses Scheißding hat eine kurzen Anstieg der sich zum Berg auftürmt


Ich weiß zwar, dass ich nicht unbedingt muss, aber was solls: Unter vier Stunden bleibe ich auf jeden Fall, also kann ich mir auch eine Pinkelpause erlauben. Ich halte kurz an einem Dixieklo (das natürlich besetzt ist

Dabei übersehe ich, das ich etwas zu weit vortrete. Ein kurzer, aber steiler Abhang, und mein linkes Bein fährt ab, rein ins Gestrüppp. Ich klammere mich mit der rechten Hand an das Dixieklo und kann eine saublöde Rutschpartie gerade noch verhindern.
Der Teufel ist plötzlich wieder da (wahrscheinlich hat der Drecksack im Prater abgekürzt) und lästert. Aber: Erstens ist es mein Kniegelenk, das einen Augenblick wirklich weh tut und nicht seines und: Nachdem ich den ersten Schreck verdaut habe, merke ich rasch, dass alles in Ordnung ist. Ich sag dem Pferdefüßler daher

Ich bin inzwischen bei KM 39 gelandet, habe eigentlich (wie üblich) nicht mehr wirklich einen Bock aufs Weiterrennen. Aber ich male mir aus, wie Gudrun, Sarah und Markus an der Ringstraße, in der Nähe des Museums für angewandte Kunst (MAK), wieder für mich da sein werden. Und sie sind es auch. Ein paar kurze Worte werden gewechselt; wie ebenfalls üblich sage ich, dass es mir eigentlich schon langt - und dann geht es weiter, vorbei am Stadtpark und am Schwarzenbergplatz in Richtung Oper, wo es, wie schon im letzten Jahr, gewaltig laut wird. Ich ziehe mein Tempo langsam und beständig wieder an, habe noch Reserven um über den extra verlegten Fußballrasen am Heldenplatz einen ordentlichen Endspurt hinzulegen und drücke bei 3.55.30 auf die Stopptaste meiner Beurer-Uhr.
Medaille, Mineralwasser und einen großzügig gefüllten Verpflegungssack hole ich ab - und dann marschiere ich betont gemächlich aus dem Zielbereich in Richtung Kleider-LKWs.
Als Treffpunkt haben wir nach dem Rennen die "dicke Maria" (Copyright Viola) vereinbart. Gemeint ist die Statue der Maria Theresia auf dem Platz zwischen dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum. Markus kommt mir schon entgegen. Er ist begeistert von der Atmosphäre und hat angekündigt, nächstes Jahr in Wien den HM laufen zu wollen. Wenn er das wirklich macht, werde ich dabei sein

Gudrun und Sarah sitzen auf den Stufen des Denkmals und freuen sich mit mir, dass es mir gut geht.
Nach der Dusche warten wir gemeinsam auf Viola, Tina und Peter. Auch Bernie ist inzwischen eingetroffen. Er hat Schoaf, der bei unserem Treffen leider nicht dabei sein konnte, ein Stück lang begleitet. Dieser hat zwar laut Bernie am Schluß nur mehr geschimpft wie ein Rohrspatz, ist aber mit 3.18.xx eine Super-PB gelaufen

Tina hat 4.14.xx geschafft

Mein Cousin Karl ist seine HM-Premiere übrigens mit 1.58.11 super gelaufen.
Am Abend gab es in der Estancia Santa Cruz (ein mexikanisches Lokal an der Prater Hauptalle)noch eine offizielle Nachbesprechung

Und zum Schluss - wie könnte es anders sein - machten wir noch kurz den Schwedenplatz unsicher, um uns mit wunderbarem Eis zu belohnen.
Viola und Tina, aber auch Peter und Fadi, werden sich heute noch ein bisschen von Wien anschauen, ehe sie in Richtung Hannover abheben. Auch Bernie macht sich heute wieder auf den Heimweg.
Es war schön, dass Ihr alle da wart.
Liebe Grüße
Wolfgang