Freitag packe ich am Vormittag meine Sachen. Zum Frühstück gab es die obligatorischen Bratkartoffeln zum Frühstück bei meinen Eltern – ein Gag damals, der sich nun seit vier Jahren eingebürgert hat. Mittagessen gab es bei Schwiegermutter. Kartoffeln standen dort ebenfalls auf der „Karte“. Der Nachmittag ist zunächst mit der Fahrt nach Schmiedefeld und etlichen Umleitungen ausgefüllt. Endlich in Schmiedefeld angekommen, wird erstmal der Tank des Autos gefüllt, um dann den gewohnten Parkplatz aufzusuchen, der dieses Jahr jedoch 2 Euro Parkgebühr kostet. Naja, in dieser gebeutelten Region ist man also auch auf den Trichter gekommen, wie man Angebot und Nachfrage in bare Münze umwandeln kann. Die Thüringer Rostbratwurst auf der Festwiese lasse ich mir dann umso besser schmecken. Zeit für das Treffen mit den Foris vom LA-Forum in vereinbarter gastronomischer Lokalität. Ich entscheide mich, nicht den Weg auf der Asphaltstraße zu nehmen, sondern schlage einen Weg ein, welcher der direkten Verbindung näher kommt. Es geht dabei über eine Pferdekoppel durch saftiges Grün. Die Foris, sitzen schon gemütlich in vereinbarter Lokalität beisammen. Alle haben schon ein üppiges Essen bestellt. Ich entscheide mich angesichts meines momentanen Sättigungszustandes lediglich zu einem Würzfleisch, welches dann mit reichlich Weißbrot daherkommt. Ein Erdinger Alkoholfrei dazu ist genau meine Kragenweite.
Dann geht es zum Bus, der uns nach Eisenach transferiert. Katrin, eine Marathona vom letzten Jahr und Ersttäterin auf dem langen Kanten sitzt neben mir. Wir unterhalten uns prächtig. Es entwickelt sich ein sehr nettes Gespräch und sie hält erstaunlicherweise ihr Versprechen, nicht zu jammern. In Eisenach angekommen, holen wir zunächst die Startunterlagen. Das Ausfassen des Finisher-Shirts hätte ich beinahe verpasst – Danke, Kathrin! Tja, wer einmal das Shirt erhalten hat, auf dem lastet ja nun eine zusätzliche Verpflichtung, auch das Ziel zu erreichen...
Die Heichelheimer Kloßparty bei einem Köstritzer Schwarzbier koste ich nur kurz aus, denn Kathrin macht sich Gedanken, wie sie in ihre Jugendherberge kommt. Auch ich möchte möglichst schnell mein Quartier in der Schule beziehen. Dort angekommen, stelle ich fest, dass die Räume nicht so stark belegt sind, wie ich es vom Vorjahr gewöhnt war. Ich suche mir eine Platz, richte das Nachtlager ein und gehe noch mal nach unten, um mir als Schlaftrunk mein zweites Köstritzer Schwarzbier an diesem Tag zu genehmigen. Als ich nach draußen gehe, kommen mir Silke und Holger entgegen. Wir tauschen uns kurz aus, bis sich eine Traube um uns bildet. Immer mehr Bekannte gesellen sich dazu, bis ich mich verabschiede.
Die Nacht ist kurz. Gegen 2:30 Uhr geht der Erste aus dem Zimmer zur Toilette. Nach kurzer Zeit entscheide auch ich mich, meine Blase zu entlasten. Bis dahin taten die Ohrstöpsel, die ich am Abend allen Zimmergenossen angeboten hatte, hervorragenden Dienst. Seit drei Jahren nehme ich stets eine Großpackung Ohropax mit zum Rennsteig, um etwaige Nörgeleien wegen Schnarchern in der Nacht vorzubeugen. Bisher war das äußerst wirkungsvoll und wurde dankend angenommen. Gegen 3:15 Uhr stehen die Ersten auf. Auch ich werde wach. Mein Wecker sollte mich um 4:00 Uhr wecken. Ich kann nicht mehr schlafen und entscheide mich, kurz nach 3:30 Uhr ebenfalls aufzustehen, um frühstücken zu gehen. Der Rest ist wie gehabt.
Gegen 5:15 Uhr stehe ich am Bus, der zum Marktplatz fährt. Dort treffe ich Bernhard und abermals Holger, sowie Michael und Frett, mit denen ich mich nur kurz austausche.
Dieses Jahr nun wird der Rennsteig - wie bereits im letzten Jahr - für mich nichts anderes, als eine lange Trainingseinheit sein. Eine Motivation ist dennoch nicht nötig, denn wer den Rennsteig so wie ich mag, für den ist es ein Traum, da zu laufen. Ja, eine gewisse Zeitvorgabe ist wohl dennoch immer ganz nützlich. Irgendwann hatte ich mal eine 6:40 oder 6:45 angepeilt, die ich –momentan- sicher immer irgendwie laufen kann, ohne mir weh zu tun. Doch wenn es langsamer wird, bin ich auch nicht traurig. Auf jeden Fall will ich den Lauf mindestens so genießen, wie im letzten Jahr.
Ich treffe noch weitere Leute, wie z. Bsp. Andre und Doro, mit denen ich im August den Trans Swiss bestreiten will. Noch ein paar Foto, bis es dann los geht. Ich bin im Mittelfeld der knapp 1.800 Starter postiert, will endlich mal bewusst langsam angehen, was mir auf den ersten ca. 5 Kilometern tatsächlich gelingen soll. Schon gegen Ende des etwa 7 Kilometer langen Anstieg zum tatsächlichen Rennsteig spüre ich jedoch unbändige Lust, das Tempo zu erhöhen. Ich spiele mit dem Gedanken, vielleicht doch mal meine Bestzeit von 2005 zu attackieren. Doch zum Glück siegt die Vernunft. Bald passiere ich Michael. Sein Zeitplan schien mir etwas unrealistisch. Doch er hat sein Ding sehr lang gut durchgezogen, wie ich hinterher erfahre. Er braucht einfach nur eine neue Chance! Conny, die ich letztes Jahr begleitete, wir ebenfalls eingesammelt. Na, letztes Jahr hat sie mich zu Beginn gebremst, dieses Jahr frage ich sie, ob sie etwas zu schnell angegangen sei. Doch sehr selbst bewusst streitet sie ab. Sie wird es wissen, denn schließlich hat sie auch genügend Erfahrung, um das einschätzen zu können.
Dann kommt der Inselsberg. Wie immer graut mir mehr vor dem steilen Abstieg, als vor dem Anstieg. Nach dem steilsten Gefällestück rolle ich zu Jochen auf, der sich wohl etwas um 6:15 vorgenommen hat. Ja, 6:15! - mein lieber Mann, dass ist ein ganz schöner 'Brocken'! Na gut, mit dem Brocken kennt er sich als Wahl-Harzer ja aus... ;)
Er schildert, dass er gerade total platt sei, und schiebt noch was von zu wenigen Trainingskilometern nach. Er sehnt die nächste Verpflegungsstelle herbei. Ich verabschiede mich und versuche, ihn zuversichtlich zu stimmen. Nun nehme ich auch etwas Tempo raus. Mit 2:20 h bei km 25 bin ich eigentlich schon wieder zu schnell, wenn man die Höhenmeter mit in die Rechnung einbezieht. Zwischen km 30 und 35 laufe ich auf einen alten Lauffreund aus meiner Region auf. Horst hat gerade ein Tief und ich biete ihm an, ein paar Kilometer mit ihm gemeinsam zurückzulegen. Irgendwie will er das nicht, doch ich versichere ihm, dass ich heute keine Ambitionen habe, etwas zu reißen. Er gesteht mir, dass er sich für heute auf Grund der Tatsache, dass er heuer erstmals in der M60 startet, schon einen guten Platz in der Altersklasse erhofft hätte. Aber sein frühes Tief wäre für ihn doch enttäuschend und er wäre nun froh, wenigstens die 7 Stunden zu unterbieten. Seine Bestzeit steht bei etwa 6:39 Stunden, die er in 2006 (?) erzielt haben muss. Inzwischen haben uns auch zwei Frauen überholt. Die Zweitplatzierte und die Drittplatzierte des Endklassements. Beide spreche ich kurz an und beide versichern mir, noch nie diese Distanz gelaufen zu sein. Starke Leistung! Ich lasse sie jeweils ziehen und schaue nach Horst. Wir nehmen noch unzählige Kilometer gemeinsam unter die Füße. Mal lässt Horst die Verpflegung aus und ich habe Mühe, hinterher zu kommen, mal jage ich die Steigungen hoch und Horst muss hinterher schauen. Das Spiel geht so bis Kilometer 65. Dann gibt mir Horst zu verstehen, dass ich mich nach vorn davonmachen soll, um meinerseits wenigstens die 7 Stundenmarke zu packen. Ich wehre ab, doch er besteht darauf... Ich laufe nun flotter und mit gemischten Gefühlen. Ich erreiche nach 6:56 Stunden Laufzeit die Zielgerade, bin aber verunsichert, ob Horst noch rechtzeitig vor der 7-Stunden-Marke ankommt. Ich warte vor dem Zielkanal und lasse noch einige Läufer passieren, die ich zuvor mühevoll eingesammelt hatte. Als die letzte Minute vor den vollen 7 Stunden anbricht, gehe ich doch über die Zielgerade. Nur zwei Minuten später folgt Horst, der mit sich hadert. Ich versuche ihn zu trösten und möchte nun erstmal duschen. Als ich nach geraumer Zeit aus der Dusche gehe, kommt mir Horst strahlend entgegen, denn es gibt Neuigkeiten! Er ist ziemlich weit hinten im Feld gestartet und hat deshalb die 7 Stunden doch noch knapp unterboten und er ist mit dieser „Scheiß-Zeit“ (seine Worte!) noch Altersklassensieger in der M60 geworden! Ich bin platt und freue mich riesig für ihn und bin selbst auch ein klein wenig stolz!
Mit dieser Überraschung hatte ich nicht gerechnet, aber so sind Überraschungen nun eben mal...
Eigentlich könnte damit der Rennsteiglaufbericht ein Ende haben, aber irgendwie wollte ich außer dem Foritreffen nach dem Lauf und der stets phänomenalen Party am Abend im Festzelt noch mehr auf dem Rennsteiglauf erleben. Ich gebe zu: schon einen Tag vorher hatte ich in Erwägung gezogen, am Sonntag nochmals zuzuschlagen. Doch so richtig daran glauben, mochte ich vor dem Supermarathon noch nicht daran. Deshalb fiel die endgültige Entscheidung, am Sonntag, auch noch die 50-km-Wanderung von Neuhaus nach Blankenstein mitzumachen, erst am Samstag gegen 21:30 Uhr, nachdem ich das mit meiner Frau durchgesprochen hatte.
Der Plan war nun der:
- Schlafen von Samstag auf Sonntag in der Gemeinschaftsunterkunft in Schmiedefeld,
- Aufstehen gegen 2:00 Uhr und Fahrt nach Blankenstein, Zielort der 50-km-Wanderung,
- Fahrt mit dem Transferbus um 4:30 Uhr nach Neuhaus zum Startort der Wanderung,
- Nachmeldung und Start.
Ich hatte verstanden! Also nahm ich mir vor, zumindest ein paar Kilometer mit den Walkern mitzugehen. So ging das dann auch los. Die Strecke war leider bei weitem nicht so gut gekennzeichnet, dass ein Ersttäter auf Anhieb die korrekte Route finden konnte. Das schreckte mich zunächst ab. Irgendwann forcierte ich das schon recht hohe Walkertempo – wohlgemerkt walkend! Doch als ich an eine unausgeschilderte Weggabelung kam, musste ich meinen mühsam herausgearbeiteten Vorsprung von etwa 100 Metern wieder abgeben. Ich entschied mich, dann doch so weit es verträglich erschien, die Strecke walkend zurückzulegen. Es entwickelten sich sehr interessante Gespräche, die die Zeit sehr verkürzten. Nach etwa 25 Kilometern schüttelte ich erstmal eine nicht geringe Menge Sand und Schmutz aus den Schuhen, die sich so beim Laufen nie dort ansammeln würde.
Dass auch Walker sehr schlitzohrig sein können, bemerkte ich sehr wohl, nämlich, als einer derselben im weiteren Verfolgerfeld die komplette Spitze vor sich – und ich dabei – in die falsche Richtung laufen ließ, um selbst den richtigen Weg zu wählen - durchaus in Rufweite wohlgemerkt! Zum Glück bemerkten wir unser Missgeschick alsbald, so dass wir schnell wieder auf den richtigen Weg kamen. Da nun mehr als die Hälfte der Strecke vorüber war und ich mich noch immer walkend in der Spitzengruppe wieder fand, beschloss ich nun endlich, wie angekündigt, die Gangart zu wechseln. Ein paar derer, die zuvor hinter uns waren, lagen nun auf Grund unseres Irrtums plötzlich vor uns. Und so kam ich nochmals mit einem Teilnehmer ins Gespräch, welcher kein geringerer war, als Christian Hottas. Natürlich kann ich nicht an ihm vorbei, ohne auch mit ihm doch einige, für mich teilweise sehr bemerkenswerte Dinge auszutauschen. Doch nach knapp zehn Minuten wechselte ich nun endgültig in den Laufschritt. Ich lief nun wie befreit, denn das Walken war doch eine andere, ungewohnte Beanspruchung, auf die ich nicht vorbereitet war. Vor allem die Blasen an den Ferseninnenseiten waren ein Zeugnis dessen. Als ich der Wettkampfleitung zuvor am letzten Verpflegungsstand davon berichtete, dass ich demnächst joggend unterwegs sein werde, nahmen die das mit einem Stirnrunzeln auf. Regeln gäbe es diesbezüglich keine, aber sie machten sich vor allem Gedanken darüber, dass die Verpflegungs- und Kontrollstellen nicht rechtzeitig eingerichtet sein könnten. Also schlug ich kurzerhand vor, mich zum Ausgleich entsprechend länger an den Verpflegungspunkten aufzuhalten, was mir auf Grund der Freundlichkeit der ehrenamtlichen Helfer dort jeweils nicht besonders schwer fiel: einmal waren es fast 20 Minuten Pause, das nächste Mal reichlich 15 Minuten... Dabei gab es neben Thüringer Spezialitäten vom Grill auch hausgebackenen Thüringer Blechkuchen und natürlich die übliche Laufverpflegung, die man am Rennsteig so geboten bekommt.
Kurzum: Nach 6:50 Stunden und entsprechenden Pausen erreichte ich das Ziel in Blankenstein und wurde dort sehr pompös empfangen, was mir doch sehr peinlich war. Zum Glück verstand es die Lokalpresse, meine Worte dann entsprechend originalgetreu abzudrucken... Die wahren Helden waren für mich diejenigen, welche es schafften, die komplette Strecke tatsächlich walkend zurückzulegen. Die Herren machten da streckenweise fast 8 km/h – ein wahnsinniges Tempo! Dabei war die Strecke teilweise sehr „naturbelassen“! Okay, dass die Walker es ab und an und vor allem zum Ende hin nicht so genau nahmen, und auch selbst die „Beine in die Hand nahmen“, war auch eine Erkenntnis, die mir neu war. Zum Glück gab es keine Siegerehrung oder Platzierungen, so dass sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen hielt. Meine Familie traf etwa eine Stunde nach meinem Zieleinlauf am Zielort ein und inzwischen ist nun auch der Kurzurlaub in Thüringen beendet und der Alltag hat mich wieder.