Tom4711 hat geschrieben:Seit es Pulsmesser gibt ist z.B. die Anzahl der Marathonläufer explodiert, aber die Anzahl der guten Zeiten dennoch absolut deutlich zurückgegangen.
Hallo Tom,
dein Beitrag verknüpft Entwicklungen, die per se nichts miteinander zu tun haben.
Laufen wurde in den letzten beiden Dekaden aus verschiedenen Gründen, vor allem durch wachsendes Gesundheitsbewusstsein, zum Volkssport in Deutschland. Viele meinen dann eben auch einen Marathon laufen zu "müssen" oder verwirklichen sich nach langem Läuferdasein ihren Traum. Das ist eine Entwicklung.
Deutschland ist kein MarathonSPITZENläuferland mehr. Das war in den 1980er-Jahren ganz anders. Da durfte ein Spitzenmarathoni, wie unser Vereinsarzt Dr. Andreas Weniger, mit einer Weltklassezeit von 3:12:xx nicht zu den Olympischen Spielen fahren. Grund: Es gab mehrere die gleich gut oder besser waren ... Danach stagnierte und verkümmerte die Spitze des Marathonlaufes in Deutschland. U.a. ist das ein gesellschaftliches Problem, weil das nötige Training den Verzicht auf vieles verlangt, möglicherweise auch eine beginnende berufliche Karriere beeinträchtigt. Dem wollen sich nicht allzu viele unterziehen. Das ist eine weitere Entwicklung, unabhängig zur ersten.
Pulsuhren sind kleine Computer. Die dafür nötige Technik (Integration 100.000er Transistorfunktionen auf einem Chip von Daumennagelgröße) entwickelte sich in den 1990er-Jahren. Damit wurde es möglich Pulsmesser getrennt in Sender (Brustgurt) und Empfänger (Uhr am Handgelenk) zu konstruieren und in wachsenden Stückzahlen preiswert herzustellen. Das ist die dritte Entwicklung und sie hat mit den ersten beiden zunächst nichts zu tun.
Eins und drei verknüpfen sich dann letztlich über den Profit: Weil Laufen Volkssport wurde, gibt es einen riesigen Markt für Pulsmesser und deshalb versuchen die entsprechenden Hersteller ihre heute technisch machbaren Produkte möglichst jedem anzudrehen - egal, ob er damit sinnvoll laufen/trainieren kann oder nicht.
Tom4711 hat geschrieben:Helfen kann der Pulsmesser aber dann, wenn man z.B. (noch) kein gutes Tempogefühl hat und so am Anfang vermeiden möchte, zu schnell zu trainieren. Mit dem Pulsmesser kann man auch ein Übertraining leichter feststellen.
Diese Behauptungen sind falsch. Gutes Tempo- oder Laufgefühl erwirbt man ohne Pulsmesser, der ablenkt und stört. Laufgefühl besteht aus der Wahrnehmung innerer Zustände, wie Muskelspannung, Atemfrequenz, beginnende Atemnot, usw. Der Pulsmesser ist nicht in der Lage ein zu schnelles Laufen zu verhindern, weil das voraussetzt, dass sich der Läufer kennt und die Werte Puls/Intensität seines Laufes in Zusammenhang bringt. Woher soll er den Grenzwert seines Pulses denn nehmen? Aus dem Kaffeesatz morgens? Irgendwelche mysteriösen "Programme" der Pulsuhr zu verwenden ist ein Irrweg, weil das a) in nicht seltenen Fällen zu falschen Vorgaben führt und b) eine totale Abhängigkeit von Technik bewirkt und damit c) nicht zu Laufgefühl führt.
Der Pulsmesser kann auch kein Übertraining feststellen. Übertraining können noch nicht mal Ärzte zweifelsfrei diagnostizieren, selbst wenn sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Methoden nutzen. Übertraining hat viele Ausprägungen. Übertraining ist im übrigen ein Zustand, den Einsteiger gar nicht erreichen können. Ev. meinst du starke Erschöpfungszustände nach zu schnellem Laufen, oder Schmerzen nachdem man zu hart oder falsch trainiert hat. Aber auch diese Fehler kann der Pulsmesser nicht vermeiden.
Tom4711 hat geschrieben:Meiner Meinung nach ist eine Pulsuhr als Kontrolle ok, zur Trainingsteuerung weniger empfehlenswert, wenn man leistungsorientiert orientiert trainieren möchte, empfehlenswert auch für die Trainingssteuerung, wenn man als Gesundheitssportler, was heutzutage die überwältigende Mehrheit zu sein scheint, laufen möchte.
Auch diese Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage. Ich trainiere seit Jahren leistungsorientiert und nutze bei den Dauerlauftrainingsformen den Pulsmesser. Bei der Intervallmethodik nutzt die Pulsaussage wenig, weil hier das Parameterpaar Strecke/Zeit im Vordergrund steht und der Puls zudem verzögert ansteigt. Das bedeutet keineswegs, dass man, um leitstungsorientiert trainieren zu können, einen Pulsmesser braucht. Es gibt genügend Läufer, die ohne dieses Hilfsmittel Erfolge erzielen. Es bedeutet lediglich, dass der Pulsmesser - richtig angewandt - gut brauchbare Aussagen für die Trainingssteuerung bereit stellt.
Der Pulsmesser ist ein sinnvolles Hilfsmittel für die Trainingssteuerung jedes Läufers, der damit umgehen kann. Damit umgehen können bedeutet
- Grundlegendes Wissen zu Pulsmesser, Herz- und Kreislaufverhalten, Trainingsmethodik besitzen
- Eine Grundausdauer erworben haben (Erst danach besitzt der Puls eine Bandbreite. Davor zeigt er überschießende Tendenz, die das Ableiten von Trainingsherzfrequenzen verhindert)
- Die Aussage des Pulsmessers steht's kritisch hinterfragen. Weil er aus technischen Gründen falsch anzeigen kann, oder weil die richtig angezeigte Pulsfrequenz in Abhängigkeit äußerer und innerer Faktoren unterschiedliche Leistungslevel widerspiegeln kann.
Sorry, dass es so ausuferte, aber eine derart verquere Darstellung kann nicht unwidersprochen stehen bleiben.
Gruß Udo