
Trotz Sonntag und einer unruhigen Nacht, aber diszipliniert wie immer, außer beim Essen, stand ich um 06:45 Uhr auf. Zum Frühstück dann drei Scheiben Rosinenbrot mit Honig, Fencheltee und eine Portion Ultra Refresher. Denn dieses Mal sollte mir nicht die Kraft ausgehen. Bei meiner ersten Sitzung merkte ich aber schon, dass etwas im Magen grummelte. Deshalb blieb es auch nicht bei einer. Meiner Frau ging es ähnlich, weshalb wir auf die Antipasto tippten, die wir als einziges beide gegessen hatten. Ernährungspyramide hin oder her, vor einem Wettkampf sollte zumindest ich auf leicht verdauliches Gemüse verzichten. Nun half es aber alles nichts mehr und so auf den letzten Drücker machten wir uns auf den Weg. Am Schloss war natürlich niemand mehr vom Forum auszumachen. War ja auch schon etwas knapp und ich konnte mich daher direkt zur Startaufstellung begeben.
Der Bauch brubbelte immer noch so vor sich hin und ich sah mich schon im Geiste von einem Dixi zum nächsten rennen. Der große Zeiger schlich in Richtung 12 und es folgte die Ansage, dass die Kenianer jetzt an den Start gehen würden. Die Herren verbringen anscheinend keine Sekunde länger auf der Strecke als unbedingt notwendig. Mit dem ganzen Promigesumse habe ich sowieso meine Probleme. Meist liegt das aber mehr bei den Fans als bei den Prominenten selber. Immerhin ging es um 9:05 los. Diesmal im gelben Block und vor mir die 3:30 Pacer mit meiner heutigen Zielmarke. Dritter MüMa und 3. Versuch sub 3:30h. So ging es denn auch gleich flott los. In der Hand hielt ich den Marshmallow und eine Packung Hammergel mit Bananengeschmack. Es war ein Versuch, nachdem ich mit sonstigen Täschchen schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Auf den eigentlich obligatorischen Becher Wasser vor dem Start habe ich auch verzichtet, um jegliche Pinkelpausen zu vermeiden. Also nicht wie im letzten Jahr, wo ich schon nach 3 km in einem Park verschwinden musste. Kompensieren wollte ich dies durch reichliche Nutzung der angebotenen Getränke. Dieses Mal beunruhigte mich dafür mein Magen, aber ich beschloss erst einmal ihn zu ignorieren.
Die Szenen auf der Strecke in der Stadt eigentlich wie in den vergangenen Jahren. Teils muntere teils verschlafene Gesichter in den Fenstern. An vielen Ecken und Plätzen größere Zuschauertrauben mit mehr oder weniger Enthusiasmus. In Summe wieder sehr nett für eine Stadt dieser Größenordnung. Bei etwa km 5 der erste Getränkestand. Als ich in einer Kurve auf die Tische zusteuerte übersah ich den Fuß einer Absperrung und legte mich erst einmal lang hin. Bis auf den leicht lädierten Handballen war aber nichts passiert und ich konnte direkt zu einem Becher greifen. Die leichte Enttäuschung: der war nicht einmal halb voll! Man muss das aber verstehen, die Erfahrung zeigt, dass die Läufer meist nur ein paar Schlucke trinken und die Becher dann mehr oder weniger voll wegwerfen. Aber so lernt man dazu, an der nächsten Station waren also zwei Becher notwendig.
Bei km 5 passte die Zeit haargenau mit 20 Sekunden Bonus. Also etwas Tempo raus, was bei der Läuferschlange nicht einfach war und letztendlich auch nicht funktioniert hat. Die Straßen und Wege waren zu eng und die Masse gab die Geschwindigkeit vor. Wer überholen wollte musste dank Slalom doppelte Distanzen in Kauf nehmen, was sich in dieser Phase aber nicht lohnte. So schnell war ich noch nie unterwegs, was sich auf meine Wahrnehmung auswirkte. Nur wenige Dinge blieben mir im Gedächtnis haften. Ein Läufer mit einem völlig verqueren Laufstil. Dazu mit Kappe und Stützstrümpfen ausgestattet. Die Frage, ob man so etwas durchhalten kann beantwortet er praktisch. Irgendwo bei km 38 überholte ich ihn letztmalig wobei er immer noch sein Tempo hielt.
KM 10, die Zeit passte immer noch und die Laufgötter waren mit mir, mein Magen muckte nicht mehr.

Von hinten näherten sich die Pacer und unterhielten sich in lockerem Plauderton, während ich mich auf meine Atmung konzentrieren musste. Es gibt Dinge, die einfach frustrierend sind. Irgendwann berichtet einer, dass er seine PB in Hamburg mit 2:47h gelaufen ist. Na, dann war das hier ja nur ein Longjog. Bei km 15 war der Gelbeutel fällig. Bei dem Hinweisschild auf die Versorgungsstelle riss ich ihn auf und quetsche in aus um direkt mit Wasser nachzuspülen. Zwei Becher natürlich, die gerade so eben reichten. Ein intensiver Nachgeschmack blieb mir erhalten, aber mit Banane ging das.
HM Marke und alles im grünen Bereich. Tatsächlich war ich selbst etwas überrascht. In Nienberge mal wieder volle Party. Bühne, Band, Ansager und Zuschauer ohne Ende. Die Absperrposten in diesem Bereich durch die Lehrgangsteilnehmer der Heeresunteroffizierschule, wie im vergangenen Jahr. Öffentlichkeitsarbeit der besonderen Art. Auch hier nur flüchtige Eindrücke und es geht in die Landschaft. Irgendwo wartet Kilian schon auf mich und drückt mir einen Squeeze Cola in die Hand. „Toller Service“ bemerkte ein Läufer in blauem Singlet. Früher hätte man gesagt Unterhemd blau für Sport. In Englisch hört es sich aber schon etwas nobler an. Kilian war vorgelaufen und trabte mit zurück bis zu dem Punkt wo meine Frau mit meinem Spezialgetränk wartete. Dreiviertel Wasser, ein Viertel Cola und ein halbes Gramm Salz. Leider hatte sie den Verschluss nicht mitgegeben, so dass ich gezwungen war die Flasche leer zu nuckeln.
KM 24: hier hatte mir mein Knie im letzten Jahr einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Ein magischer Punkt? Negative Energiefelder? So war es Zeit einmal bewusst die Systeme zu überprüfen. Knie? Nix, dank Dr. med. Haribo und seinen kleinen bunten Helfern. Dazu malträtiere ich mich seit diesem Lauf mit Grünlippmuschelkonzentrat. Verdirbt jedes Frühstück, aber die Gelenke lieben es. Und die Sehnen? Noch vor drei Wochen auf Alarmstufe rot und jetzt mit Hilfe von Ackerschachtelhalm zum Schweigen verdammt. Je nach Lage kann Nahrungsmittelergänzung zum rundum sorglos Paket mutieren.
Der Weg nach Roxel durch die Landschaft gestaltete sich ziemlich ereignislos. Manch einer würde sagen langweilig, aber ich nutzte die Gelegenheit mein Tempo zu stabilisieren, was in der Stadt und den Ortschaften doch recht schwierig war. In Roxel selber dann wieder Stadtfest. Lauter Eindrücke, die sich wieder verflüchtigt haben. Stetig näherte sich km 30, der Punkt, wo der eigentliche Marathon beginnt und mit ihm die Zweifel. Um eben diese Zweifel zu verstärken stieg die Strecke hinter Roxel leicht an. Normalerweise kein Thema, aber für einen normalen Flachlandläufer mit 30 km in den Beinen doch spürbar. Der Kreislauf quittierte den Anstieg auch direkt mit einer Erhöhung des Pulses. Es begann diese Phase, wo man rückwärts zählt. Nur noch ….. Fast automatisch vergleiche ich bei diesen Gelegenheiten die Entfernung mit Strecken, die ich sonst laufe. Nur noch: die Strecke zur Firma, die Hausrunde, die 10er…..
Die Temperatur war mit 15 Grad eigentlich ideal, aber in der Sonne wurde es dann doch deutlich wärmer. Lediglich der Wind fiel jetzt unangenehmer auf. Wenn man im Kreis läuft hat man aber nun mal zwingend irgendwann Gegenwind. Dass dies ausgerechnet in den Schlussetappen immer der Fall ist scheint mir jedoch eine rein subjektive Wahrnehmung zu sein.

Bei km 36 warteten meine Frau und Kilian schon auf mich. Kilian liebt es mich auf meinen letzten Kilometern zu begleiten. Er trug wie immer sein französisches Fußballnationaltrikot und es amüsierte ihn, wenn die Zuschauer ihn deshalb anriefen. Auch genießt er es durch solche Zuschauermengen zu laufen. Fishing for compliments.

Trotz aller Tricks neigten sich meine Kräfte dem Ende zu. Hinter km 39 ein letzter Getränkestand. Um noch einmal Energie zu finden trank ich im Gehen zwei Becher. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Das blaue Singlet war wieder da. „Ich bin auf“ meinte er, die Anstrengung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Bei km 40 liefen wir wieder. Die Pacer schon außer Sichtweite. Eine kleine Beschleunigung war noch drin. Nur noch zwei km. Die Straßenränder waren in diesem Abschnitt wieder voll besetzt. Es dröhnte nur so von links und rechts. Motivation auch noch einmal die letzten Reserven zu mobilisieren. Wir wurden noch einmal überholt, ansonsten lassen wir ein um den anderen Läufer hinter uns. Waren es die, die immer nur einen kleinen Schluck an den Stationen getrunken haben? Kilian machte wie immer Druck. Der Zieleinlauf in Münster ist unschlagbar. Dagegen ist die breite Allee in Hamburg nichts und auch nicht das Stadion in Monaco. Jubelnde Zuschauer in Griffweite. Die Uhr zeigte etwas von 03:31:XX. Die neue PB war also im Sack, aber für sub 3:30h hat es dann doch nicht gereicht. Mit einer Steigerung von mehr als 8 Minuten im Vergleich zum Vorjahr auf derselben Strecke bin ich aber mehr als zufrieden. Nur das berühmte i-Tüpfelchen hat halt gefehlt.
Zum Lohn gab diesmal ein wirklich schönes Funktionsshirt in rot-schwarz.

Auf dem Rückweg mussten wir wegen den Absperrungen einige Umwege machen, wobei wir allerdings auch über die Streckenabschnitte kamen, die schon wieder frei gegeben waren. Dort begegnete uns noch eine einsame Läuferin, deren Luftwiderstand wohl keine höhere Geschwindigkeit zuließ und die schon den Bürgersteig benutzen musste. Ab hier müssen es noch gut 8 km gewesen sein und ich hoffte, dass sie irgendwo noch etwas zu trinken bekommen würde. Ihr galt meine Bewunderung für ihren Mut, sich soweit abgeschlagen noch durchzukämpfen. Mir fallen viele ein, die bei den Voraussetzungen gar nicht erst an den Start gegangen wären.
Es bleibt trotzdem die Frage, ob hier ein Besenwagen nicht sinnvoller wäre und weshalb Läufer, die sicher sein können das Zeitlimit zu überschreiten, nicht lieber an einem Lauf teilnehmen, der großzügigere Grenzen hat.