Gut, die letzten Hosenkäufe waren etwas - nennen wir es beim konkreten Namen: frustrierend! Also, sämtlichen Mut zusammengefasst, die Augen aufgemacht und sogleich bestätigt sich mein persönliches Kosewort für das Gerät, dass landläufig als "Personenwaage" bekannt ist in Form der Zahlen auf der digitalen Anzeige. Lockere 20 Kilo mehr als noch vor zwei Jahren...


Okay, wir haben es uns in diesen zwei Jahren auch sehr gut gehen lassen. Wenn zwei Menschen ebenso gerne essen wie sie hervorragend kochen können, bleibt das nicht ohne Folgen. Dies hat auch die Diätpillenindustrie begriffen, aber zurück zum Thema.
Ich schreite geschockt zurück an den Frühstückstisch und verkünde: "So geht das nicht weiter! Es muss sich etwas ändern! Wir müssen etwas tun!". An dieser Stelle rechne ich mit einem Grinsen der männlichen Leserschaft - so sind wir Frauen nun einmal. Diätpläne werden grundsätzlich auch dem Mann im Haus verordnet. Und sind wir mal ehrlich: Es schadet ihm auch nicht!

Der Mann im Haus ist sogar ohne große Schwierigkeiten von dem Vorhaben zu überzeugen. Im Gegenteil, er scheint richtig begeistert und bringt sogleich das ultimative, unverzichtbare Mittel zum Abnehmen in die Unterhaltung ein: Sport!
Sport. Regelmäßiger, schweißtreibender, anstrengender Sport. Etwas, um das ich 36 Jahre lang sehr erfolgreich herum gekommen bin. Doch die digitale Anzeige des Foltergerätes kennt keine Gnade, und so muss ich - wie in 99,9% aller Fälle - dem Mann im Hause recht geben: Es wird wohl nicht ohne gehen.
Also, am nächsten Tag das Frühstück ausfallen lassen und raus auf den Trimmdichpfad. 2,27 km durch den Wald, aufwärts, abwärts und mit kleinen Übungen zwischendrin. Ich spurte motiviert los - um nach zweihundert Metern jede bisher gerauchte Kippe zu spüren und auszuhusten! Dankbar nehme ich auf der Streckbank für SitUps Platz, um ein Minütchen liegen zu bleiben. So schlimm habe ich mir meine Verfassung nicht vorgestellt.
Es geht weiter in dieser Art: 100-200 durchgehend laufen, dann total k.o. ein paar Schritte gehen. Die Gehphase wird, proportional zur Anzahl der 100-200m (oder auch manchmal nur 50m) länger. Irgendwann, nach gefühlten 2 Stunden ist die Strecke bewältigt und sitze erledigt im Auto. Die folgenden Tage sind begleitet von einem quälenden Muskelkater, der sich bei jedem Schritt bemerkbar macht.
Aber man soll ja nicht aufgeben und dabei bleiben! 3x Bewegung die Woche ist angesagt, und das wird durchgezogen.
Allerdings merke ich, dass ich mit meinem "System", einen nicht allzu weit entfernten Punkt im Auge zu behalten und mir vorzunehmen, bis dorthin zu laufen, nicht sehr weit komme. Der Mann im Hause, zwischenzeitlich vom Gedanken angesport, am München-Marathon die Schlussstrecke der Staffel zu laufen, ist schon längst beim Runnersworld-Forum angemeldet, in höchsten Sphären motiviert und besorgt einen Trainingsplan für mich. Ausgestattet mit einer 3,- € Stoppuhr vom Discounter mit den Hausfarben knallorange und königsblau mache ich mich auf den Weg. Es gilt, 4x 5 Minuten am Stück zu laufen, mit Gehpausen von 3 Minuten zwischendrin. Angeblich soll man mit diesem Plan innerhalb von 12 Wochen 5 km (5 KM!!! NIE!!!) am Stück laufen können. Ich bin gespannt.
Langer Rede kurzer Sinn: 5 Minuten können verdammt lang sein! Ich bin dankbar für jede Gehpause und überlege, einen Kniefall für den Ersteller des Trainingsplans und seine Idee, 3 Minuten Gehpausen vorzusehen, in den Trainingsablauf einzubauen. Im Hinblick auf die dabei stark geforderte Beinmuskulatur verwerfe ich den Gedanken.
So verstreichen die Wochen: 4x 6 Minuten mit 3 Minuten Gehpausen, 3x 7 Minuten mit 3 Minuten Gehpausen, die Woche darauf werden die Gehpausen auf 2 Minuten verringert (Oh mein Gott! Nur 2 Minuten Gehpausen! Wie soll ich das jemals schaffen? NIE!), dann 3x 8 Minuten mit 2 Minuten Gehpausen.
Am letzten Trainingstag der 8 Minuten Woche passiert etwas Seltsames: Ich hänge freiwillig eine Minute an die letzte 8 Minuten Einheit dran. Ich bin waaahnsinnig stolz auf mich!

In der nächsten Woche hätten es dann eigentlich 3x 9 Minuten laufen mit 2 Minuten Gehpause sein sollen. Ich trabe so vor mich hin - 9 Minuten sind um. Weitertraben. Ich überlege, die 9 Minuten Woche zu überspringen. Als nächstes würden 2x 12 Minuten Laufen mit 3 minütiger Gehpause anstehen. Man könnte es ja mal versuchen...
Ich sehe auf die Stoppuhr vom königsblau-knallorangen Discounter und lese etwas von 13 Minuten/Quetsch vergangenener Zeit. Ach pfeif drauf. Ich guck jetzt einfach mal, wie weit ich komme...
Erfolgserlebnis dieses Laufes: Mein Anfängerstrecke, runde 3 km kurz, konnte ich am Stück, sprich durchgehend oder besser durchlaufend in einer knappen halben Stunde bewältigen.
(Ja, ich weiß - Kilometerzeiten um neun Minuten gelten als schnelles Walking. Aber ich schwöre, dass ich Laufbewegungen gemacht habe

Beflügelt durch dieses Erlebnis - und durch das Lob des Mannes im Hause - wage ich mich mit ihm auf "seine" Trainingsstrecke. Knappe 5km. Und - ihr ahnt es vielleicht schon - ich habe es geschafft! Ich bin die 5 km durchgelaufen! In unterirdischen 45 Minuten, aber ich habe durchgehalten! Etwas, das vor wenigen Wochen allenfalls als definitives "Nie!" in meiner Vorstellung vorhanden war, ist gelungen!

Ich kloppe also frohen Mutes meinen ersten Anfänger-Trainingsplan in die Tonne. Wenige Tage später reihe auch ich mich in die Besitzer- und Nutzerriege der Forerunner 305-Halter ein. Die Stoppuhr vom Discounter hat ausgedient!

Gut, bei der nächsten Trainingseinheit wurde mein Eifer wieder gedämpft: Ein wunderschöner, sonniger, warmer Tag - nach dreieinhalb Kilometern ist die Luft raus.
Die folgende Einheit läuft wieder besser.
Ein paar Tage später kommt der Mann im Hause mit einer Botschaft an: Seine Kollegin hat 50 Starterplätze beim Nike+ HumanRace gewonnen und wüsste nicht, wohin damit. Ob ich vielleicht...?
Kurz nachgedacht. 10 km. Bin ich noch nie gelaufen. Völliger Blödsinn, da mitzumachen. Andererseits... man muss sich ja keine Bestzeiten vornehmen. 5 Kilometer kann ich ja, man könnte es als "schauen wir mal, wie weit ich danach komme" sehen. Außerdem, anschließend die Sportfreunde live - die haben auf Rock im Park schon für eine richtig gute Stimmung gesorgt. Und die Fantas, wenn auch nicht unbedingt meine Musikrichtung, sollen auch eine gute Liveshow haben, wie mir schon öfter versichert wurde...
Ich kürze etwas ab. Natürlich hab ich beim HumanRace mitgemacht. Wieder ein warmer, sonniger Tag. Und bin fürchterlich eingegangen. Ich hab mich brav bei den "Ü60"-Läufern angestellt, während der Mann im Haus in der "Ü45"-Gruppe stand. Die Stimmung am Start mitzuerleben, war eine Erfahrung für sich: Das Anfeuern der vorangehenden Starter, die aufmunternden Gespräche der umstehenden Läufer, Familien, die mit ihren ca. 10jährigen Kindern bei dem Lauf mitmachen (Respekt!).
Und dann ging`s los! Ich starte viel zu schnell für meine Verhältnisse. Nach dreihundert Metern quatscht mich eine Läuferin neben mir an, dass ich ja genau ihr Tempo laufe. Und quasselt mich weiter voll. Und da ich eigentlich ein höflicher Mensch bin, hab ich auch geantwortet. Wahrscheinlich wollte das Mädel mich und sich selbst nur motivieren, aber ich habe gelernt: Quasseln und Laufen geht gar nicht! Es geht mir einfach nur tierisch auf den Nerv. Außerdem läßt schon (!) ab dem zweiten Kilometer die Puste merklich nach, ich verlangsame mein Tempo - auch in der Hoffung, dann die Person neben mir loszubekommen. Aber solidarischerweise läuft sie eben auch langsamer... erst als ich ins Gehen verfalle, kann ich meine Begleitung abschütteln. Oder sie schüttelt mich ab, wie man`s sehen will.

Ich war tierisch frustriert. Und zwar in erster Linie deshalb, weil ich mein selbst gesetztes Ziel, wenigstens 5km durchzulaufen, nicht gehalten habe. Ich hab dann immer wieder versucht, weiterzulaufen, habe aber keinen haltbaren Rythmus mehr gefunden und mich schließlich irgendwie über die Strecke geschleppt. Kurz vom dem Marathontor fing ich wieder an zu laufen, weil mir die Worte des Mannes im Hause in den Ohren klangen: "Durch das Marathontor geht man nicht, da läuft man durch!". Der Forerunner zeigte etwas von 1:35:.. an. Wenigstens hatte ich keine Probleme, meine Finisherfotos auf der letzten und vorletzten Seite bei nike+ zu finden

Auf jeden Fall stand nach dieser Veranstaltung fest: NIE!!! wieder mache ich bei so etwas mit! Nie!!! wieder.
Hab ich schon gesagt, dass ich richtig frustriert war? Diese miese Laune hielt tagelang an. Am 4 . Tag nach dem Frusterlebnis standen 4 Meilen lockerer Lauf auf meinem Trainingsplan. Wir fuhren also wieder raus auf inzwischen "unsere" Strecke, die einfach runde 5 Kilometer lang ist. Losgetrabt. Abend, angenehme Temperatur. TrabTrabTrab. Ich überlege mir beim Laufen, dass die heutige Distanz eigentlich Blödsinn ist, weil ich dann so lange zurück gehen muss - eine Abkürzung durchs Regattabecken ließe sich nur schwimmend vornehmen. Etwas unschicklich in Laufklamotten. TrabTrabTrab. Die erste Runde ist durch. Eigentlich könnte ich ja einen Kilometer dranhängen, dann wäre ich schneller wieder am Ausgangspunkt. TrabTrabTrab. Der Forerunner piepst, die 4 Meilen sind geschafft. Und ich laufe weiter, und weiter, und weiter... und laufe am Ausgangspunkt (9,6 km) am Mann an der Laufstrecke vorbei, der ein leicht ungläubiges "...du willst heute die 10 Kilometer packen...?!" murmelt, und dazu übergeht, die letzten Meter neben mir her zu traben. Noch 40 Meter... 30... 20... 10...
JUUUUUUUUUUHUUUUUUU!!!


Achja, um wieder die Kurve zum "Nie" zu bekommen: Am 12. Oktober stehen die für meine Laufanfängertalente völlig ausreichenden 5,5 km der Startläuferin zur Marathonstaffel in München an. Und diesmal wird durchgehalten!

Auch, wenn ich vermutlich als letzte aller Startstreckenstaffelläuferinnen am Übergabepunkt ankommen werde!
