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von *cel
Tja, da zögert man lange die Wahl des Oberteils hinaus, greift dann mangels Regen und angesichts erträglicher Temperaturen doch zum Kurzärmligen, lässt auch die Mütze im Startbeutel. Und kaum hat man seinen Block erreicht, fängt der Regen auch schon an und bringt auch noch jede Menge kalten Wind mit. Es hat nicht gegossen wie aus Eimern, aber der Wind hat an manchen Stellen wie ein Eisfön gewirkt. Und die Pfützen wollten ja auch umlaufen werden. Kurzum: Das Wetter war ungemütlich, aber keinesfalls der Leistung abträglich.
Mein Lauf war relativ phantasielos und unspektakulär. Mir fehlte die Beschwingtheit, die mich sonst nach einer Taperingphase ereilt, mich vor Start mit den Hufen scharren lässt und dafür sorgt, dass ich mitunter schneller lospresche, als es letzten Endes für mich gut ist. Ich bin eher recht gleichmäßig, aber keinesfalls gemütlich über die Strecke gestampft. Möglich, dass es anders gewesen wäre, wenn ich mich vorher ein bisschen eingelaufen hätte. Das habe ich diesmal aber unterlassen und mir eine „Einrollphase“ innerhalb der 42,195 Kilometer gegönnt. Wenn man nicht weiß, wie weit der Tank reicht, soll man ja keine unnötigen Umwege machen ;o)
Einen ersten Erfolg konnte ich verbuchen, als ich Mika gefunden habe. Ein erster Lichtblick im grauen Köln. Da konnte ich mich ohne Zeitverluste für 2 bis 3 Kilometer anhängen, da Mikas Bekannte eine flotte Pace angezogen hatte. Dann hab ich mich etwas nach vorn gearbeitet und ab Kilometer 5 (25 min.) einen Vorsprung gegenüber der 5er-Pace herausgelaufen.
Die körperliche Ermüdung habe ich schon lange vor Kilometer 20 gespürt, aber in Schwächephasen hab ich mich einfach wie ein Kohlentender hinter irgendeinen möglichst groß gebauten Läufer angehängt. Wichtig waren die Isodrinks, die ab Kilometer 26 angeboten wurden, und welche ich mir in ordentlichen Mengen einverleibt habe, um dem Hammermann ja zu entgehen. Blöd war, als ich bei Kilometer 32 plötzlich ganz toll in der Zeit war, und nach einem weiteren Kilometer schon wieder die 32er-Marke überschreiten musste. Ich war auf ein Schild des Inline-Marathons hereingefallen und erlitt nach kurzzeitiger Euphorie eine umso kräftigere Ernüchterung . Nicht so gut für die Moral. Die konnte ich aber fortlaufend dadurch aufbauen, dass ich mir jeden Kilometer berechnet habe, wie langsam ich nun laufen dürfte, um die 3:30 zu halten. Und mit jedem weiteren Kilometer, den ich hammerlos in nunmehr 5:00 lief, wurden diese imaginären Zeiten einfacher und meine Zuversicht größer.
Dann ging es in das Zentrum. Hurra, ich hab den Dom gesehen! Man mag es kaum glauben, aber letztes Jahr ist der mir irgendwie entgangen. Da waren es wohl mehr Zuschauer, und mein Tunnelblick tat sein übriges. Dann noch einmal eine ganz schwierige Passage mit Kopfsteinpflaster. Da merkt man die nachlassende Koordination in allen Knochen und Muskeln. Endlich die Brücke in Sicht, und der letzte Kilometer. Der Leistungseinbruch war ausgeblieben, das Ende der Strapazen wie auch das Verpflegungsdorf mit den ersehnten Quarkbällchen in greifbarer Nähe. Attacke! Plötzlich war sie da, die Beschwingtheit und die überwältigende Kraft eines galoppierenden Mustangs in der Prärie. Und so zog, nein, flog ich auf der Brücke kraftvoll-elegant in gefühlter Kenianergeschwindigkeit an unzähligen müden Recken vorbei.
Der Turboboost hielt genau bis ins Ziel. Bereits einen Meter dahinter befand ich mich im gleichen qualvollen Schwankegang wie alle anderen auch und eierte erst einmal ins Verpflegungsdorf. Leider war mein Magen bei weitem nicht so Aufnahmebereit wie meine Augen. So blieb es letzten Endes bei insgesamt 2 Quarkbällchen, zwei Müsliriegel, 4 Keksen, 3 kleinen Snickers und einem Kölsch. Menno, und dafür der ganze Aufwand!
Meine Uhr hatte ich weiterlaufen lassen und bin im Vertrauen auf Mikas legendäre Pünktlichkeit wieder zum Ziel geschwankt. Und pünktlich wie....nein, nicht die Bahn sondern wirklich, kam sie tatsächlich im Bereich ihres hochgesteckten Ziels an. Krasses Weib! Tolle Leistung! Und eine tolle Umärmelung, da hat sich der Aufwand gleich schon ein bißchen mehr gelohnt! ;)
Später in der Messehalle hatte ich einen kurzen Wadenkrampf, den ich mit einem für einen Marathonhelden ziemlich unmännlichen Aufheulen quittiert habe. Ansonsten hielten sich die Folgeerscheinungen aber in Grenzen. Keine Blase. Und heute kann ich problemlos gehen. Nur treppab merke ich es in den Oberschenkeln. Aber freihändig die Treppe hinabsteigen, das wäre mir letztes Jahr erst 4 Tage nach Marathon gelungen.
Den Vorteil kühl-feuchter Witterung einmal in Zahlen: Daheim hatte ich nur 300 Gramm weniger auf der Waage als am Morgen. Letztes Jahr war der Unterschied ein paar Kilo größer.
unreflektiert nachplappernder ultravorsichtiger Seniorenlaufratgeber