
Was würde mich erwarten bei meinem 2. Marathon? Den ersten vor knapp einem Jahr konnte ich in vollen Zügen genießen. Er wird mir unvergesslich bleiben. Lässt sich dieses Erlebnis wiederholen?
Meine Vorbereitung lief optimal, nachdem ich die Eisenmangelanämie zu Beginn des Sommers überwunden hatte. Bis dahin waren die Wettkämpfe in diesem Jahr mehr Frust als Lust. Nun wollte ich auch Spaß haben. Trotzdem hatte ich mir eine Zeit von 4:04 vorgenommen, meine Unterdistanzen gaben das bei optimalem Verlauf her und ich habe ja noch ein Duell zu laufen

Dann wurde heruntergezählt und nach 20 Minuten war es auch für unseren Block soweit. Ich habe mich aber gleich zu Beginn gebremst und es lief auch nicht wirklich rund. Meine Beine waren durch die längere Warterei kalt geworden. Entsprechend langsam war mit 6:02 auch der erste km. Als dann schon beim Km-Schild 2 der FR ca. 50m mehr zu stehen hatte, habe ich sofort meine Zielzeit über den Haufen geworfen. Ich hatte keine Lust, immer wieder neu zu rechnen oder die Lap-Taste zu drücken, ich wollte auch was von der Stimmung mitbekommen.
So plätscherten die ersten 5 km dahin, mit 29:43 min war ich langamer als gewollt. Und es lief nicht rund.
Der erste Verpflegungsstand kam für mich unerwartet schon bei km 9. Also schnell ein Gel rauskramen, einen Becher Wasser schnappen und beides verdrücken. Nach erledigter Mahlzeit schaute ich nach den anderen Gels und tatsächlich hatte ich eines im Eifer des Gefechts verloren. Nicht so Schlimm, zum Glück hatte ich noch eine Früchteriegel bei. Als ich aber die beiden verbliebenen Geltüten sicherer verstauen wollte, fiel mir eins herunter

So passierte ich nach weiteren 29:28 min die 10km-Marke. Inzwischen standen die Zuschauer dicht an dicht, trieben die Läufer mit allen möglichen und unmöglichen Bands und Rhytmusinstrumenten an. Besonders erinnere ich mich an einen Indianer, der an einer lichteren Stelle mit Micro sang und Szenenapplaus von den Läufern bekam.
Bei km 14 wurden meine Beine schwer. Was denn, jetzt schon? Wie lange kann ich das Tempo noch so durchhalten? Es lief immer noch nicht rund, aber der nächste Abschnitt mit 29:14 min geschafft.
Am Kottbusser Tor steppte der Bär, da war die Hölle los, wie überhaupt die nächsten Kilometer. Und so steuerte ich gerade bei km 17,5 in der Hasenheide den Wasserstand an, als eine Reporterstimme zu hören war: "Und jetzt hat er es nicht mehr weit... Es wird Weltrekord. Die Zeit bleibt bei 2:03:50 (ich habe die Zahl falsch verstanden) stehen"
Ein Aufschrei ging durch die vielen Zuschauer und erst recht durch die Läufer. Gänsehaut pur. Ich war zwar nicht Augen- aber Ohrenzeuge dieses Weltrekordes geworden.
Und durch dieses Erlebnis bekam ich Flügel. Die nächsten km schwebte ich förmlich. Ich hatte ein richtiges Runnershigh. Plötzlich ging es locker und leicht vorwärts. Ich wurde nicht wesentlich schneller, aber es lief jetzt endlich rund und für den nächsten Abschnitt standen 29:08 min zu Buche.
Danach ging es wieder etwas schwerer und ich habe am Verpflegungsstand auch ein paar Gehschritte beim Trinken eingebaut. Und die langgezogene Gerade immer leicht bergan kostete Kraft bzw. Tempo. Dafür war das Zuschauerspalier gigantisch. Teilweise war die Strecke auch recht eng und ich konnte bei meinem in etwa gleichbleibenden Tempo nicht immer zügig überholen. Besonders am Wilden Eber musste ich langsamer laufen, weil zum Teil auch die Zuschauer die Strecke verengt haben. So war am Ende km 29 mein langsamster wie auch die beiden Abschnitte 20-25 mit 29:39 min und 25-30 mit 30:13 min.
Danach habe ich dann das Tempo etwas angezogen, ein Marathon beginnt doch bei km 30


Ab km 38 war aber Schluss mit der Leichtigkeit. Die Beine wurden nun schwer und so recht Lust hatte ich auch nicht mehr. Aber nun ist es nicht mehr weit. Also Zähne zusammenbeißen und durch. Der kleine Anstieg vor dem Potsdamer Platz war noch mal schwer, aber irgendwann war auch km 40 passiert und der letzte Abschnitt in 29:31min geschafft.
Eine Schrecksekunde gab es noch, als in diesem Bereich kurz vor mir eine Läuferin zu Fall kam. Und dann, endlich, bogen wir ab auf Unter den Linden. Es war zwar noch eine elend lange Gerade zulaufen, aber bei dem strahlenden Sonnenschein erschien das Brandenburger Tor bestimmt näher als es war. Und die Zuschauer feuerten noch mal zum Schlusspurt an. Einfach gigantisch.
Beim Zieldurchlauf hatte ich sogar noch soviel Schwung, dass ich etwas auslaufen musste und nicht sofort zum Stehen kam. Und wie bei meinem ersten Marathon habe ich vergessen, die Stoppuhr zu drücken. Erst als ich nach meiner Zeit geschaut habe, fiel es mir auf.
Am Ende stand dann eine Zeit von 4:08:46 h. Damit bin ich hochzufrieden, habe ich doch meine PB um ca. 40 min unterboten und einen gleichmäßigen Lauf hingelegt (10km-Abschnitte: 59:11-58:22-59:52-58:29 und 12:52 für den Rest).
Und das allerwichtigste war, dass ich diesen Lauf, auch dank Haile, wieder genießen konnte. Er war anders als mein erster Marathon, aber mindestens genauso schön. Und grinsen tue ich immer noch.
Viele Grüße
Anett