Um 15.00 Uhr klingelte das Telefon und ein Mensch, dessen Namen ich hier mal der Form halber verschlüssel, weil das eine komplizierte Geschichte ist und nichts damit zu tun hat, daß ich mich nicht zu ihm bekenne (eher das Gegenteil ist der Fall), war am Telefon. Ich nenne diesen Menschen Triagirl, weil das ganz gut klingt.
Wir redeten belangloses Zeug, weil es einfach eine Zeit für belangloses Zeug war. Heraus stellte sich, daß Triagirl einen Laufschuh verloren hatte und nun zwingend ein neues Paar dieser tollen Schuhe bräuchte.

Nach einigem um den heißen Brei reden fassten wir den spontanen Entschluß, daß Triagirl zu mir kommt, wir zusammen laufen und anschließend nach dem legendären Asics GT 2080 Ausschau halten, da dies bereits ein Auslaufmodell war. Gesagt getan und etwa eine Stunde später liefen wir im strömenden Regen um den Sportplatz. Ich spulte meine Intervalle ab, während Triagirl moderat um den Sportplatz zuckelte.
Danach ging es auf Asics GT 2080 Suche. Im ersten Laufladen wurden wir nicht fündig und fuhren zum nächsten Sportgeschäft. Dort gab es nur den GT 2090, das Nachfolgemodell. Der Verkäufer aber hatte größeres mit Triagirl vor.
Er bat sie, sich doch mal mit dem GT 2090 auf`s Laufband zu stellen. Triagirl tippte verzweifelt in ein völlig veraltetes Laufband meiner Firma ihre Daten ein und begann zu laufen. Auf dem Bildschirm wurde schnell klar, Triagirl bräuchte einen anderen Schuh.
Und nun wurde ich Zeuge verkäuferischen Talents, denn Triagirl hatte feste Vorstellungen. Es müsse ein schwarzer Laufschuh sein. Punkt! Der nette Verkäufer ließ aber nicht locker, ohne dabei aufdringlich zu sein. Er holte 2 Schuhe für sie aus dem Regal und ließ sie damit laufen. Die Unterschiede waren markant und allmählichl lösten sich die inneren Blockaden von Triagirl. Sie war noch nicht reif für einen Kauf eines hellen Schuhs, aber sie sah ein, daß der schwarze Asics, egal ob nun 2080 oder 2090 nicht förderlich für ihren Laufstil war.
Angestachelt von so wundervoller Technik beschloß ich, mich auf das Laufband zu stellen. Triumphierend wollte ich mir und dem Verkäufer beweisen, daß man trotz Fußfehlstellungen einen perfekten Laufstil hinzaubern könne. Der Verkäufer schmiß die Kamera an und ich begann zu laufen. Hinter mir vernahm ich panisches Gemurmel. Von Notarzt, Notoperation und ähnlichem war dort die Rede und auch Triagirl gab Laute von sich, die weniger von Entzücken, als von blankem Entsetzen zeugten. War ich Opfer von totaler Selbstüberschätzung oder interpretierte ich Gemurmel und Laute einfach nur falsch?
Entnervt drückte ich die Stoptaste und betrachtete den Bildschirm. Was sich mir dort bot, war ein Bild des Schreckens. Beim Anblick dieser laufenden Beine tat mir jeder Schritt, den der der Proband auf dem Bildschirm fabrizierte, weh. Wie konnte dieser Mensch, der dort auf dem Bildschirm versuchte zu laufen, jemals eine Zeit von unter 3 Stunden bei einem Marathon laufen? Der mußte doch Höllenqualern erleiden und war geradewegs dabei, sich in den Rollstuhl zu laufen. ?(
Ich schaute Triagirl und den Verkäufer an und fragte, wann denn meine Sequenz käme. Der Mensch da auf dem Bildschirm hatte zwar Jeans und Tchibo-Laufsocken an, aber das hätten doch bestimmt mehrere Kunden. Allmählich dämmerte mir, daß ich das sein mußte.
"Welchen Schuh können sie mir empfehlen?" platzte es aus mir heraus? Souverän scannten die Augen des Verkäufers das Regal ab und blieben beim teuersten Modell, was das Regal zu bieten hatte, haften. Asics Gel Kayano, neustes Modell, gerade reingekommen, 159,50 Tacken. Sah geil aus, fühlte sich geil an, lag geil in der Hand und mein Fuß zuckte unten freudig hin und her. Der wollte da unbedingt in dieses schicke Modell rein.
"No way! Zu teuer."
Ich bin blank und es kann nicht sein, daß körperbehinderte Menschen immer die teuersten Sachen kaufen müssen. Es muß was günstigeres geben. Außerdem sind wir nicht wegen mir hier. Die Dame hier braucht Schuhe. Ich habe 2 Paar. Das muß langen. Ich bin selber Verkäufer, ich weiß, wie man Leute über den Tisch zieht und ihnen Dinge andreht, die sie nicht wirklich brauchen. Und der hier ist gerade dabei, mich über den Tisch zu ziehen.
Zielstrebig ging der nette Verkäufer zum Regal mit den reduzierten Modellen und holte einen Asics Gel Kayano des Vorjahres aus dem Regal. Heruntergesetzt von 155 Euro auf 110 Euro.
"No way! Zu teuer. Aber ich probier den mal an." Inzwischen waren also 2 Menschen intensiv mit der Wahl eines Schuhes beschäftigt. Triagirl schwankte noch zwischen einem Brooks und einem Nike und ich schwankte damit, ob ein angespanntes Konto auch nur einen Cent hergeben würde, ohne mich in den Ruin zu treiben.
Am Fuß hatte ich dann mein Aha-Erlebnis. Es fühlte sich geil an, mein Fuß zeigte Anzeichen von Wohlgefühl und auf dem Laufband wurde das Gemurmel hinter mir etwas leiser.
Das Bild, welches sich mir offenbarte, war schon besser. Aus einem Krüppel wurde ein gehfähiger Mensch, wenn auch mit Einschränkungen. Perfekt war was anderes, aber wer ist schon perfekt?
"Gut, ich seh ein, daß ich da was ändern muß. Vielen Dank für die tolle Beratung. Triagirl, hast du jetzt einen Schuh gefunden?" Geduldig widmeten wir uns wieder Triagirl und ich verwarf alle Gedanken, die sich mit dem Kauf eines neuen Laufschuhs beschäftigten.
Als Triagirl endlich im Begriff war, eine Entscheidung zu treffen, packten wir unsere 7 Sachen und waren gerade dabei zu gehen. Doch dann wurde ich Zeuge einer außerkörperlichen Erfahrung. Mein Arm machte sich selbständig, griff zielstrebig nach einem Karton mit der Aufschrift "Asics Gel Kayano", klemmte diesen Karton unter den Arm und bewegte sich Richtung Kasse. Im Schlepptau der Rest meines Körpers. Was war geschehen?
Ich stand an der Kasse, zückte meine EC-Karte und beantwortete die Frage des Verkäufers, ob getrennt oder zusammen mit "Getrennt". Entgegen alle Vernunft hatte ich meinen ersten Asics-Schuh gerade in Besitz genommen, der ultimative Beweis, daß Emotion Ration schlägt.
Triagirl bezahlte ihren Schuh und schwupps, waren wir draußen.
Und die Moral von der Geschicht? Traue deinen Bestzeiten nicht, traue dir nicht, begebe dich in die Hände eines Fachmannes und du wirst sehen, es kann alles nur noch besser werden.
Als Abschluß sei gesagt, daß der neue Schuh meine Fußfehlstellungen nicht komplett beheben wird. Einlagen sind zwingend erforderlich. Der Plan sieht folgendes vor. Der Kayano wird jetzt in der Vorbereitung mit meinen anderen Schuhen eingelaufen und hoffentlich beim Marathon zum Einsatz kommen. Anschließend geht es mit diesem Schuh zum Orthopäden, damit dieser mir eine passende Einlage verpassen kann. Jetzt eine Einlage zu nehmen wäre kompletter Schwachsinn, das sagte auch der Verkäufer. Danach, wenn das Laufpensum wieder niedriger ist, soll ich mit Einlagen mich an das neue Laufgefühl gewöhnen. Und dann kann ich zukünftiger hoffentlich gesünder laufen.
Am 16.01.2004 vor 15.00 Uhr war die Welt noch in Ordnung. Um 19.33 war ich um 110 Euro leichter und mein Kontoauszug heute früh war ein trauriger Anblick. Aber mein Körper wird mir hoffentlich dankbar sein.
The jazz things in life.

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Startnummer 11604 beim Olympus Marathon Hamburg 2004