Hallo! Ja, mich gibt es noch. Und wie jeder sehen kann, ist der 25. Juli vergangen. Da war doch was?

Aber dazu gleich mehr.
Eigentlich wollte ich nach meinem Infekt ja gleich wieder loslegen, allerdings dachte sich dieser Infekt:"Nö, nicht mit mir!" und warf mich zurück auf die Bretter. Das hat dazu geführt, dass ich meinen Trainingsplan fast komplett sausen lassen musste. Der anfängliche Verdacht auch Pneumonie bestätigte sich Gott sei Dank nicht (oder mein Körper hat genug Willenskraft aufgebracht, diese in kürzester Zeit zu bekämpfen), Laufen war aber auch nicht wirklich, so dass ich fast drei Wochen mal komplett sportfrei war bis auf ein paar lange Spaziergänge, die ich gut eingepackt und mit mieser Laune hinter mich gebracht habe.
Am 25.07. sollte dann auch der Nürburgring-Lauf stattfinden. In der Woche davor bin ich erstmals wieder gelaufen, insgesamt drei Mal. Ein Mal langsam und kurz um zu gucken, was geht. Check! Ein Mal langsam und lang um zu gucken, ob die Lunge mitmacht. Check! Ein Mal etwas schneller und mittellang für's schlechte Gewissen. Check!
Wirklich beruhigt hat mich das aber nicht. Ich habe kurz überlegt, ob ich überhaupt mitfahre zum Ring. Allerdings war ich schlau genug, in den Wochen vorher jedem, der es nicht wissen wollte, zu erzählen,
dass ich fahre. So war kneifen nicht drin.
Da die Wettervorhersage für das Wochenende stetig wechselte, habe ich einfach mal alle Klamottenvarianten von kurz/kurz bis lang/lang eingepackt. Freund und ich beluden das Auto ("Oh, wohin geht's? Vier Wochen Camping in Finnland?") und machten uns am Freitag um halb elf pünktlich und bei Sonnenschein auf dem Weg. Zu dem Sonnenschein kam unterwegs noch Temperatur, so dass im Ruhrgebiet angeblich 30°C waren. Kurzzeitig dachte ich mir:"Hoffentlich haben die genug Wasser da!"). Aber da der Freund und ich das Wetter in der Eifel bestens kennen, wussten wir, dass sich das noch ändern könnte.
Gegen drei waren wir dann am Ring, gegen fünf stand die Ausrüstung (wir waren in einem Camp mit ein paar Leuten aus des Freundes Rennradverein) und wir machten uns auf den ersten Erkundungsweg bei Wärme und in strahlendem Sonnenschein. Startunterlagen abholen (Ich für den Lauf, Freund für das Einzelzeitfahren am Freitag und das 24h-Rennen als Einzelstarter mit dem Mountainbike) und ein bisschen über's Gelände schlawinern. Unglaublich, was da an Material in der Gegend stand!
Inzwischen war es auch fast soweit, dass Freund seinen Start hatte. Er kam auch fix von der Rampe herunter und dafür, dass er dieses Jahr praktisch gar nicht auf dem Rad gesessen hatte, war er mit 45 Minuten auch nicht gerade langsam. Pünktlich mit dem Sonnenuntergang kam er ins Ziel.
Und dann dachte sich das Eifelwetter:"Och, ich könnte ja mal..." Die Nacht war der Horror. Sturmböen und Regengüsse. Dauernd wach. Am nächsten Morgen abwechselnd Sonne, Wolken, Wind und Regen, alles kalt und klamm. Mein Freund sah mir tief in die Augen und fragte mich ernsthaft:"Bist du sicher, dass du da raus willst? Bei dem Wetter? Wenn nicht, ist das keine Schande!" Ich war ja auch gerade erst krank. Allerdings meinte er dann, im Prinzip sei ich so fit wie nie und wir gehen erstmal zum Start hin und schauen uns das an.
Einerseits war ich ein bisschen angefrackt wegen seiner (in meinen Augen unnötigen) Besorgnis, andererseits hatte ich tatsächlich Angst. Ich kenne die Strecke nicht, ich weiss nicht, wie ich mit den Höhenmetern umgehen soll, das Wetter macht Kapriolen... Egal, anziehen und los!
Nach einer kurzen Einlaufphase auf der Start/Ziel-Geraden wusste ich: Ich will das! Ich mach' das jetzt und gut ist!
Und jetzt kommt der Laufbericht!
Vorab einmal das Höhenprofil (damit wir wissen, wovon wir hier reden) und der Plan der Verpflegungsstationen als Streckenübersicht, auch wenn nicht alle Streckenabschnitte namentlich erwähnt sind. Ich habe mir im Schnitt an jeder zweiten Station was geholt.
Samstag Vormittag, 8:40. Ich stehe in der Startaufstellung. Vor ein paar Minuten hat es aufgehört zu regnen. Um mich herum tobt die Party, ich habe noch nie einen Lauf erlebt, bei dem die Teilnehmer so kurz vor dem Start dermaßen entspannt sind. Ohne es zu wollen, stehe ich relativ weit vorn (es scheint hier üblich zu sein, erst Sekunden vor dem Startschuss einzutrudeln) und werde mich stark am Rand halten, damit Schnellere gut an mir vorbei kommen.
Es geht los. Um 8:45 und acht Sekunden passiere ich die Startmatte. Meine "Renntaktik" sieht so aus: Da ich dieses Jahr bereits Probleme mit Knie und Schienbeinen hatte, die gesamte Strecke über harten Renn-Asphalt führt (der auch noch nass ist), ich keine Ahnung habe wie steil und lang die Steigungen wirklich sind und ich zudem die letzten drei Wochen krank/stinkfaul war, ist der Plan, bergab einfach nur rollen zu lassen. Nicht Gas geben, nicht bremsen. Kräfte sparen für die Anstiege. Dies erwies sich als goldrichtig. Im Eingangspost habe ich geschrieben, dass mein Zeitziel drei Stunden beträgt. Das ist recht langsam, aber für ein vor Langem nach Norddeutschland verpflanztes Ei ohne HM-Training sollte das machbar sein. Zurück zum Geschehen: Wir kullern im Pulk durch die Mercedes-Benz-Arena und damit durch das Fahrerlager der 24h-Rennradfahrer/Mountainbiker. Hier ist die Stimmung bombastisch, so gut wie alle Fahrer stehen am Streckenrand und feuern die Läufer an. Man scherzt untereinander und fragt sich gegenseitig, wo man herkommt und welches Zeitzeil angepeilt ist.
Dann kommt die zweite Verpflegungsstation und damit der erste "richtige" Anstieg. Hier geht es von der Grand-Prix-Strecke auf die Nordschleife. Ab jetzt gibt es wirklich kein Zurück mehr, ich weiß, wenn ich da reinlaufe, muss ich das zuende machen.
Also rein in den Wald. Es läuft sich weiterhin sehr angenehm, auch wenn die Strecke wirklich nass ist. Ich bekomme immer wieder mit, wie Läufer auf den steileren Bergab-Passagen ins Rutschen kommen. Logisch. Ohnehin schon glatter Renn-Asphalt mit wenig Grip, darauf genug Reifenabrieb, ordentlich Wald drumherum und das Ganze auch noch schön nass geregnet ergibt eben eine recht schlotzige Angelegenheit.
Ich verfolge weiterhin meine Kullertaktik.
Inzwischen beteilige ich mich auch ein bisschen an den Gesprächen um mich herum. Als jemand zu einer anderen Läuferin sagt, dass sein Ziel hauptsächlich "Ankommen" ist, weil er als Bremer solche Profile nicht gewöhnt ist, muss ich lachen und -zack- bin ich drin im Gespräch. Michael (das ist der Bremer) und ich stellen schnell fest, dass wir gemeinsame Bekannte haben (Bremen ist ein Dorf) und Margit (die offensichtlich Semiprofi ist, für die das aber auch ein Spaßlauf ist) macht uns immer wieder Mut. Wir drei haben zwar jeder unser eigenes Tempo, finden uns über den gesamten Lauf aber immer mal wieder zu zweit oder zu dritt zusammen und begleiten uns gegenseitig ein Stück. Michael habe ich schon über unsere gemeinsamen Bekannten gegrüßt, und Margit, falls du das hier liest: Das war voll schön! Vielen Dank nochmal!!
Die Strecke führt weiter zwar wellig aber stetig hinunter ins Tal. Inzwischen kommen wir durch die Fuchsröhre, ein Streckenabschnitt, in dem auf dem Rennrad bis zu 100km/h möglich sein sollen. Freund hat ihn gestern mit einer Spitze von 91km/h passiert. Ich lasse es gemütlicher angehen und kullere weiter munter vor mich hin. Nach der Fuchsröhre geht es wieder leicht bergauf, am Adenauer Forst wartet die nächste Verpflegungsstation. Ich greife aus Versehen Iso-Zeug statt Wasser und klebe mich beim Trinken erstmal ein. Macht aber nix, zwischendurch nieselt es immer wieder mal, das wäscht alles ab.
Ich passiere die 10km-Marke bei 54 Minuten. Passt. Sogar etwas eher als geplant, das bedeutet, ich habe mehr Zeit für das, was jetzt kommt. Breidscheid ist in Sicht. Das ist der tiefste Punkt im Tal. Bisher war das ein wunderschöner Landschaftslauf mit Blick über die Eifel und auf die Nürburg (Einwurf Freund:"WAS? Man sieht die Nürburg doch von der Strecke aus gar nicht! Ich bin da tausend Mal mit dem Auto und dem Rad lang, die sieht man nicht! Doch? Ups...").
Ähm ja. Zurück zu mir und meinem Meditationslauf. Ha ha. Hat sich jetzt. Vorbei an Breidscheid und rein ins Bergwerk. Der Name ist Programm. Ab jetzt sind auf vier Kilometer 300 Höhenmeter zu überwinden, die in die Hohe Acht gipfeln. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen und brutzelt schön von oben herunter. Es geht mal mehr, mal weniger steil immer stetig bergan. Immer mehr Läufer verfallen zwischendurch ins Gehen. Bei mir läuft es. Noch. Ich denke darüber nach, auch ein Stück zu gehen, aber ich kenne mich. Ich habe das auf dem Rennrad oft genug erlebt. Ich darf zwischendurch nicht rausnehmen, es kostet mit mehr (mentale) Kraft, dann wieder anzutreten. Also lasse ich es über mich ergehen, hoffe nach jeder Kurve, dass es gleich vorbei ist. Ich laufe langsam, die Uhr spricht von 9,xmin/km. Eigentlich könnte ich genauso gut zügig gehen, so wie inzwischen die meisten anderen, aber ich kriege das vom Kopf her nicht hin. Nicht, weil das für mich eine Schande wäre. Beileibe nicht! Respekt für jeden, der sich hier überhaupt aus eigener Muskelkraft hochquält, egal ob auf dem Rad oder zu Fuß). Aber ich habe eine Sperre im Kopf, die mir einredet, dass ich, wenn ich jetzt gehe, so schnell nicht wieder loslaufen kann.
Nach dem Klostertal eine scharfe Rechtskurve. Vorbei an der Steilstrecke (27%! Ich bin dankbar, dass wir da nicht durch müssen!) und statt dessen links herum ins Karussell. Ich laufe unten. Und es ist immer noch nicht vorbei. Jetzt kommt mein Angstgegner. Die Hohe Acht.
Schon beim Anblick wird mir schlecht. Eine lange Reihe Läufer schlängelt sich gehend die bis zu 17% steile Steigung hinauf. Ich laufe immer noch. Ich WILL, aber ich KANN nicht gehen!
Innerlich brülle ich vor Anstrengung. Äusserlich geht nicht, weil ich meine Lunge irgendwo im Bergwerk habe liegen lassen. Oben angekommen schaffe ich es, gehend an der Verpflegungsstation vorbei zu kommen und mir zwei Becher Wasser und eine Banane zu greifen. Pünktlich mit Erreichen des Gipfels fängt es an zu schütten. Vermutlich war der Regen nicht so stark wie ich ihn wahrgenommen habe, aber in Nullkommanix war ich klatschnass und eiskalt. Jetzt umzudrehen wäre aber auch doof, ich beschließe, das blöde Ding jetzt endlich fertig zu machen. Vorbei an der 17km-Marke. Jemand ruft mir zu, dass ich jetzt das Gröbste hinter mir habe und dass ich das schon schaffen werde. Sehe ich so fertig aus? Zu allem Überfluss steigt auch noch der Garmin aus...
Zusätzlich zum Regen kommt jetzt auch noch starker Gegenwind auf, der mir den Rest des Laufs erhalten bleibt. Das führt dazu, dass die wenigen Bergab-Stücke, die jetzt noch kommen, und die ich eigentlich zum Kräftesammeln für Schwalbenschanz, Galgenkopf und Döttinger Höhe nutzen wollte, jetzt auch "ernsthafte" Streckenabschnitte werden. Durch den Pflanzgarten und über den Sprunghügel komme ich noch. Am Schwalbenschwanz muss ich dann wirklich 50m gehen, die Kraft reicht einfach nicht mehr. Und dann passiert es. In dem Moment, in dem ich wieder loslaufe, macht es einen Zug und mir tut schlagartig das linke Knie unglaublich weh. Hä? LINKS? Das defekte Teil ist doch eigentlich rechts! Das hält sich aber bis auf einen leicht wahrnehmbaren Belastungsschmerz recht wacker (Ich hätte eine längere Hose anziehen sollen, durch den Regen sind beide Knie unglaublich kalt geworden). Was ist das, was mache ich jetzt? Da fällt mir ein, dass ich mir vor zwei Tagen bei einer Vollbremsung im Auto das linke Knie ordentlich angerummst habe. Zwar gab es keinen blauen Fleck, aber der Druck war die letzten Tage deutlich da. Hatte ich total verdrängt. Jetzt ist da ein blauer Fleck, der wird aber zunächst ignoriert.
Ich laufe langsam weiter, irgendwann finde ich einen Rhytmus. Die nächste Steigung zum Galgenkopf mache ich ganz langsam wieder gehend und verfalle auf der Döttinger Höhe wieder ins Laufen. Der Garmin kann mir zwar nicht mehr sagen, wie lange ich schon unterwegs bin, Tempomessung per Foot-Pod geht aber noch. Ich laufe gerade bei 6:00 bis 6:30 und sterbe vor mich hin.
Margit kommt wieder an mir vorbei. "Wie läuft's bei dir?!" - "Öh... Geht so... Knie..." Sie gibt mir Tips, feuert mich an, ich sei gut, hätte einen schönen Laufstil. Und was soll ich sagen? Margit hat mich da gerettet auf der Döttinger Höhe. Ich nehme noch einmal alle Kraft zusammen. Der Wind lässt nicht nach, im Gegenteil.
Antoniusbuche. Tiergarten. Hohenrain! Ich kann sie brüllen hören, der Lärm von Start/Ziel ist in meinen Ohren infernalisch! An der Strecke steht mein Freund und redet (beziehungsweise schreit) mir gut zu, ich kann ihn kaum verstehen. Dann begreife ich, was er mir sagen will. WAS? Ich suche alle Körner zusammen, die ich noch irgendwo habe, um es perfekt zu machen, um dem Tag einen goldenen Abschluss zu geben. Es geht um Sekunden und ich schaffe es! Ich komme mit einer Zeit von 2:29:47 ins Ziel! Dreissig Minuten schneller als erwartet und toter als der T-Rex (aber genauso schwerfällig), verpasse fast, mir meine Medaille abzuholen und muss vom Freund zur Zielverpflegung geführt werden, die hätte ich alleine nicht gefunden.
Gut, dass er Kuchen besorgt hat.
Jetzt, zwei Tage später, fühle ich micht gut! Samstag war ich unbrauchbar. Wir sind dann auch Samstag Nachmittag schon wieder nach hause aufgebrochen, weil mein Freund zwar das 24h-MTB-Rennen als Einzelstarter fahren wollte. Allerdings wurde der Start der Radrennen aufgrund der Unwetterwarnungen und der Wetterlage zuerst auf 16 und dann auf 20 Uhr verschoben. Nach einer Proberunde auf der MTB-Strecke und Einrechnung der anderen Faktoren (kaum noch trockene Klamotten nach der letzten Nacht und diesem Tag, Nachts wurde Kälte erwartet, er hatte das Zeitfahren noch in den Beinen, ich war völlig am Ende, bis 20 Uhr sollte es noch Sturmböen und Regen geben etc.) war es vernünftiger, mit schönen Erinnerungen und extrem zufrieden (denn das waren wir beide nach unserer jeweiligen Runde auf dem Ring) heimwärts zu fahren. Sonntag habe ich fast nur geschlafen, gestern hatte ich Muskelkater und Freund und ich waren beide in einem Loch. Heute geht es mir gut, die Knie sind beide schmerzfrei, die Schienbeine spüre ich leicht, aber ich kann schon wieder unsere Treppen hinunterhüpfen. So einen Mist mache ich nie wieder! Und jetzt entschuldigt mich, ich muss das Anmeldeformular für's nächste Jahr suchen gehen.