Was mir aber nicht entging, war der riesige Raum, den die medizinischen Ratschläge inmitten der Lektüre einnahmen. Das machte doch Verdacht, Laufen könne nicht wirklich NUR gesund sein. Knieprobleme in unüberschaubarer Zahl, Rücken, Beckenboden, Sehnen und Bänder – nichts bleibt verschont. Abfallende Zehennägel, Blasen und Muskelrisse – alle Läufer reine Masochisten? …. Keins meiner bisherigen Hobbies oder die sportlichen Tätigkeiten meiner Umwelt sind ähnlich stark an die Assoziation mit einem Spezialarzt geknüpft. Und das auch in der Hobbyliga – ohne jegliche Leistungsambition oder das Bedürfnis, damit Geld zu verdienen. JEDER scheint einen Orthopäden oder Sportarzt zu haben. Beim Fahrradfahren, Schwimmen, Tanzen, Bergwandern …. hatte ich es nie nötig, deshalb einen Arzt aufzusuchen oder wäre mir im Zusammenhang mit der schlichten Tätigkeit - ohne speziellen Unfall – in den Sinn gekommen, überhaupt einen zu benötigen .
Mal Hand aufs Herz – gibt es hier auch nur einen einzigen Hobbyläufer, der in Folge seines Laufens noch NICHT beim Arzt war? *rumguck*
Egal, beschied ich im Stillen für mich. Zuviel Gesundheit muß ja auch nicht zwingend gut sein. Der Körper könnte in eine Art Schockzustand verfallen. Besser was riskieren und … weitergelaufen …. Das schmerzende Schienenbein noch ignoriert und ihm einfach ‚weggelaufen’, zwickender Hüfte, Muskelkater und Schienenbeinschmerzen eine lange Nase gemacht … und im Sommer schon zur Winterlaufserie angemeldet. So musste das ja was werden!
Dann – nach einem Lauf mit viel schnellerem Laufpartner, der sich bloß nicht denken sollte, mich abhängen zu können -

Der Versuch, den Ursachen über die Literatur auf die Schliche zu kommen, förderte eine Unmenge möglicher Diagnosen mit noch mehr abenteuerlichen Bezeichnungen (iliotibiales Bandsyndrom war eine der harmlosesten) zu Tage. Weiterhelfen konnte mir das alles aber nicht wirklich. Irgendwann kam ich – auftauchend aus dem Meer berufener Ratgeber


Den wenigsten konnte jemals wirklich konkret und gezielt mit Diagnose-Behandlung-Heilung geholfen werden. Ein Stochern, bewerfen mit Fachbegriffen und Vermutungen, Odyseen zu Ärzten und: mal geht’s weg, mal nicht. Also eine Mischung aus Pausieren, Ignorieren und milde Weitertrainieren gefahren, das Knie muckte zwar nach jedem Lauf neu – aber nach 2-3 Tagen war es meist wieder schmerzfrei. Das Spiel spielten wir monatelang. Mein Knie und ich und wir arrangierten uns mit den Schmerzen und Beschwerden. Bis zum ersten offiziellen Lauf meines Lebens. 12,8 km bei -4° C sollten es werden. Werde ich für verrückt erklärt, wenn ich gestehe, dass ich in keinem Trainingslauf zuvor so lange am Stück gelaufen war? Vermutlich ja – aber ich hatte ja auf mein Knie Rücksicht nehmen müssen. Wollte es aber zumindest versucht haben … Also los zum Wettkampf. Die offensichtliche Sportlichkeit der anwesenden Mitstreiter brachte mich fast doch ins Schwanken … aber nein! Ich lief und lief und lief – und das Knie lief mit. Blieb ihm ja auch nix anderes übrig. Bei Km 8 etwa meinte es, kurz aufmucken zu müssen, wurde mit einem schlichten „Schnauze da unten!“ zur Ruhe gebracht und trug mich brav 12,8 km und 1:24 h später durchs Ziel. Als 1218te von 1270. Ich fand mich toll!
Noch am selben Tag forderte das Knie seinen Tribut. Weckte mich pochend, aufquellend und schmerzend aus dem Schlaf. Weigerte sich, trotz trainingsfreien Tagen, in dieser Woche wieder abzuschwellen und ich sah ein: Ich muß zum Arzt!
Der Leiter unserer Firmenlaufgruppe und Marathoni empfahl mir einen. Sollte sich echt auskennen, der Typ. Okay – Termin ausgemacht und hingegangen. Ein blasierter, arroganter Schönling, wie er vorurteils-bestätigender nicht sein könnte, empfing mich. Desinteressiert und ohne wirklich zuzuhören. Pokelte hier am Knie rum und fummelte da ein bisschen. Machte ein Gesicht, als verabscheue er all die Muttis mit Hang zum Übergewicht, die plötzlich meinen, Marathon laufen zu müssen und dann mit schmerzenden Knien auf seiner Couch landen (und – das schien er nicht miteinzubeziehen in seine Mine – seinen Geldbeutel füllen). Bequatschte mich zunächst zu einer Röntgenaufnahme – trotz leichter Gegenwehr meinerseits (nicht konsequent genug, ich gebe es zu), fand natürlich nix und wollte mich anschließend mit einem Rezept für Einlagen nach Hause schicken.
„Wieso ‚Senkfuß’“? fragte ich ihn mit einem vorwurfsvollen Blick auf das Rezept. Streckte ihm meine grazilen, wohlgeformten und stets anmutig dahinschwebenden Füße entgegen. „Ich hatte noch nie Plattfüße und habe jetzt auch keine“

Meinen Diskussionsansatz würgte er genervt und bündig ab – ich entsorgte das Rezept direkt am Tresen in Ablage P und fand mich fast damit ab, niemals läuferische Großtaten vollbringen zu können. Zwei Tage später … der Wintereinbruch hatte unsere kleine Straße in eine gefährliche Rutschbahn verwandelt, drehte ich arglos und ohne die nötige Aufmerksamkeit eine nächtliche Hunderunde. Schlendernd – nicht laufend! Geriet auf einer glatten Fläche ins Rutschen, das seit über einer Woche dauerschmerzende Knie schwang – ausgleichend zum Rückwärtstrend des Gesamtkörpers – mit Macht nach vorne, ein heftiger RUCK schleuderte es in die freiwillig nicht mehr gewährte Gesamtstreckung. „Schei… jetzt isses ganz kaputt“ Mein spontaner Schreck angesichts des hefitigen Schmerzes, der das Knie wie ein Schwert durchfuhr, war nicht berechtigt. Vorsichtig an die Straßenseite gehumpelt, stellte sich heraus: WEG!

Langer Rede kurzer Sinn: wen das Knie drückt, der gehe nicht zum Arzt, sondern aufs Eis!

(P. S. Eine nachträgliche Erklärung, WAS sich in meinem Knie abgespielt haben mag, würde mich dennoch freuen – in der Literatur fand ich nichts über: eingeklemmte Bänder o.ä.)