mein nächster Bericht:
Wer schneller läuft, ist früher fertig!
Oder: Beim Lauf gegen das Vergessen alles vergessen
(5. Lauf gegen das Vergessen, ein Lauf zugunsten Alzheimer Erkrankter und Demenzpatienten)
Prolog:
Nachdem mein erstes Ziel für dieses Jahr (einen Halbmarathon unter 1:45 min) so grandios gut erledigt wurde, stand das zweite Ziel im Fokus: 10 km unter 45 min.
Durch eine hartnäckige Erkältung mit 17 Tagen Laufpause konnte ich nicht wirklich daraufhin trainieren. Nachdem ich also nur an zwei Tagen laufen konnte, habe ich (zusammen mit meinem Trainer, der ja bekanntlich auch ich bin

Wie schnell angehen? Gleichmäßig laufen? Oder am Anfang Gas geben und schauen wie weit es reicht? Oder negativer Split? Was haben wir zwei diskutiert. Wie ist die Form? War nicht so ganz rauszukriegen. Sollen wir den Angriff auf die 44 min wagen? Oder nur auf neue Bestzeit laufen? Oder nur auf Ankommen und den Lauf genießen? Mein Trainer war vorsichtig. Ich konnte 17 Tage schließlich gar nicht trainieren (sagte er) und hatte nur zwei Läufe vor dem Wettkampf, aus denen aber keine Rückschlüsse zu ziehen waren. Ich war ehrgeiziger. Wollte es probieren. Schließlich haben wir eine ganz ausgefeilte Taktik zurechtgelegt:
Eine schnellere zweite Runde sollte es werden. (die 10 km sind in zwei Runden á 5 km zu laufen) Ich sollte vorsichtig angehen (4:40 bis 4:35) und nach 5 km schauen, was noch geht. Die Ausdauergrundlage aus dem Training für den HM, so die Theorie, sollte noch vorhanden sein.
Am Anfang also bewusst einbremsen, weil ich dazu neige, zu schnell loszurennen.
Nach den Ergebnislisten vom letzten Jahr (ist ein kleiner Lauf mit überschaubarem Läuferfeld) sollte ich unter die ersten 20 kommen können.
Also sollt ich ziemlich weit vorne (2. Reihe) starten. Damit würde ich mir das kraftraubende Überholen sparen.
Soweit die Thoerie.
Lauf:
Der Lauf heißt "Lauf gegen das Vergessen". Bei mir hatte das offensichtlich die gegenteilige Wirkung.
Ich habe nämlich alles vergessen.
Der Reihe nach:
Obwohl es einen Tag vorher nicht so aussah, startete der Lauf beim bestem Wetter. Sonne und ca. 10 Grad. Optimale Bedingungen. Also Angriff auf die 44 min.
Nach einem un- üblichen Einlaufen
(normalerweise immer die ersten 1,5 km auf der Strecke, heute einfach so rumgelaufen) (Das Einlaufen ging zwar ein bißchen zäh, aber das geht mir öfter so, deshalb beunruhigte mich das nicht sonderlich)
und dem obligatorischen fünfmaligen Schuhe-Neu-Binden stand ich dann an der Startlinie.
Zuerst starteten die Rollis. Leider nur zwei gingen unter Applaus auf die Strecke. Dann die Aufstellung für die Läufe. 10 km, 5 km, Läufer und Walker wurden zeitgleich auf die Strecke geschickt. Noch ein Argument für die zweite Startreihe.
Der Countdown. "Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, LOS!!!"
Ich renne los.
Schnelles Tempo, fühlt sich gut an. Nicht zu schnell. Gut zu laufen. Nach 500 m bin ich sechster.

Die Strecke kenn ich, hier lauf ich auch so mal öfter. Befestigte Wege im Niddapark. Ohne Asphalt, aber gut zu laufen. Trotz des Regens der letzten Tage nur wenige Pfützen, um die man, ohne allzuviel Meter mehr machen zu müssen, ganz gut drumrum laufen kann.
Dann bei km 1 der Schock:
3:55 auf der Uhr!!!




Wie bescheuert kann man denn sein? Alles Vergessen. Anflug von Demenz, oder was ist das?
Ich wollte langsam starten. Langsam!!!. 3:55 ist nicht langsam. Zumindest für mich nicht. Ich wusste gar nicht, dass ich überhaupt so schnell laufen kann. Jetzt wird mir auch schlagartig klar, warum ich so weit vorne bin. Bei km 1 bin ich ungefähr 9. Und da sind bestimmt noch 5 km Läufer dabei.




Eigentlich kann ich jetzt schon aufhören. Das Tempo ist nämlich (jetzt) auch gefühlt vieeeel zu schnell. Ich reduziere drastisch und die ersten überholen mich.
Wer schneller läuft, ist früher fertig.
Ich bin schon fertig. Jetzt schon. Und es sind noch 9 km zu laufen. Kurz überlege ich, ob ich aussteigen soll. Aber zurück zum Start muss ich eh. Vielleicht höre ich nach 5 km auf. Dann wird in der Ergebnisliste zum ersten Mal DNF stehen. Nee, das gibt 's nicht. Vorsätze und Taktik vergessen ist kein Grund zum Aufhören. Dummheit auch nicht. Also weiterlaufen.
Jetzt heißt es: 8 km kämpfen. Ja, nur noch 8 km, einen Kilometer habe ich damit zugebracht, mich über mich selber zu ärgern und mich zu beschimpfen. Die genauen Inhalte dieser Selbstgepräche gebe ich hier nicht wieder, das möge sich jeder selbst ausmalen.
Km 2 geht in 4:35 durch. Immer noch zu schnell. Ich bin jetzt echt am japsen. Die Beine schmerzen ("Das wird wohl das Laktat sein", sagt mein Trainer, aber der hat ja auch keine Ahnung. Schließlich hat der mich ja in den ganzen Schlamassel reingeritten. Der hätte ja auch mal ein Machtwort sprechen können)
km 3 in 4:40 und selbst das Tempo kann ich nicht halten. Ich kämpfe so vor mich hin.
Bei 5 km liegen die 44:XX noch im Bereich des theoretisch möglichen. Durchgangszeit exakt 22:30 min. Ich zehre zeitentechnisch noch von dem ersten "Harakiri- kilometer".
Aber ich zehre auch kraftmäßig an dem ersten km. Davon kann ich mich einfach nicht erholen. Die erste Frau des Feldes zieht vorbei. Kurz habe ich die Hoffnung, dass ich mich dranklemmen kann. Aber ich kann einfach nicht mehr zulegen. Sie zieht Meter um Meter davon. Die km Zeiten liegen so zwischen 4:45 und 4:50. Mehr geht nicht und selbst dieses Tempo fühlt sich Schei**e an und tut weh.
Ich laufe nur noch irgendwie. Selbst wie man läuft, habe ich anscheinend vergessen. Es fühlt sich anstrengend an und sieht wahrscheinlich auch so aus. Jede versuchte Konzentration auf Laufstil ("locker laufen, Schritt nach hinten lang ziehen, Fuß sauber aufsetzen") endet ergebnislos nach 10 Schritten, jede Konzentration auf Atmung ("gleichmäßig, dreier Rythmus, zweier Rythmus") scheitert an Atemlosigkeit, jeder Versuch der Ablenkung ("schöne bunte Blätter, wird Herbst") scheitert am Schmerz, jeder Versuch "wettzukämpfen" ("den da vorne kriegst du noch") scheitert an der Unmöglichkeit, das Tempo zu erhöhen. Selbst ein letzter verzweifelter Versuch km 7 bewusst langsamer zur Erholung zu laufen (5:05 min/km), bringt keine Erleichterung.
Wer schneller läuft, ist schneller fertig.
Ich bin jetzt fertig seit 8 km.
Nur noch in Würde zu Ende laufen. Jetzt laufe ich auch noch auf das Ende des Walkerfeldes auf. Also darf ich noch mal überholen. Aber auch das motiviert nicht mehr. Ich biege auf die Zielgrade ein, die heute kein Ende nehmen will. Der Versuch 44:XX war schon nach einem km gescheitert. Die 45:XX scheitern auf der Zielgraden. Von Endspurt keine Spur. Nur ein quälendes Dahingeschlurfe.
Ob ich im Zieleinlauf bei 46: igendwas noch "würdig" aussehe? Keine Ahnung. Ich bin nur froh, dass diese Quälerei ein Ende hat.
Bin 8 km an der Kotzgrenze gelaufen und habe im Ziel kurz das Gefühl, dass ich jetzt doch noch diese Grenze überlaufen habe. Kann mich aber nach ein paar Metern gehen doch noch beherrschen und schütte Wasser nach.
Ach ja, und ich habe - das ist (isch schwör'!!) mir nur beim allerersten Wettkampf passiert - vergessen, im Ziel meine Uhr zu stoppen.

Zusammenfassung
Vergessen 1: Nie mit Leuten losrennen, die deutlich schneller sind.
Vergessen 2: Langsam loslaufen.
Vergessen 3: Langsamere erste Runde
Vergessen 4: Nie ganz vorne aufstellen.
Vergessen 5: Von einem (viel) zu schnellen ersten Kilometer erholt man sich nicht mehr.
Vergessen 6: 17 Tage Laufpause lassen sich nicht einfach so ignorieren.
Vergessen 7: Disziplin ist auch im Wettkampf wichtig.
Vergessen 8: Wie man läuft.
Vergessen 9: Wie man atmet.
Vergessen 10: Uhr stoppen im Ziel
Eine merkwürdige Erfahrung
Das passiert mir mit Sicherheit nicht noch mal.
Aber irgendwie doch krass, dass ich den Lauf (nach 1 km eigentlich schon am Ende) doch noch zu Ende laufen konnte.
UND:
Es ist doch noch eine PB geworden!!!
Die 10 er Zeit um etwa 1 Minute verbessert.
Und den nächsten Versuch sub 45 min werde ich besser vorbereitet angehen und mich an die taktischen Vorgaben des Trainers halten. Versprochen.

Jetzt weiß ich nur nicht, ob ich mich freuen oder ärgern soll.
Ich glaub', ich mach beides.


Töffes