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Läuferamnesie, Premieren und „Holger Meier“

Läuferamnesie, Premieren und „Holger Meier“

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17:00 Uhr, 22 Grad, wolkig. Läuferamnesie ist eine unter Läufern weit verbreitete Krankheit. Scheinbar habe ich mich mittlerweile auch angesteckt. Wie sonst ist es zu erklären, daß ich denke, daß ich in Mertesdorf eine neue Bestzeit laufen könnte? Vor allem: wieso erschreckte mich gestern der Blick in das Höhenprofil des Laufs derartig? Reine Mathematik hätte gereicht, um mir das Ergebnis zu zeigen. Der Lauf findet auf einer stillgelegten Bahnstrecke statt, die zu einem Radweg umgebaut wurde. In Deutschland weisen Bahnstrecken eine Steigung von höchsten 0,8% auf. Klingt harmlos, aber 0,8% von 5.000 Metern sind nun mal 40 Höhenmeter. Der Lauf ist eine klassische Wendepunktstrecke, was bedeutet, daß man zunächst 5 Kilometer bergauf und anschließend wieder 5 Kilometer bergab läuft. Nach rein physikalischen Gesichtspunkten betrachtet eine einfache Sache. Bergauf etwas Zeit verlieren und bergab wieder aufholen. So legte ich auch meine Strategie für heute fest: Wende nach 22:30 Minuten.
Zurück zu den letzten beiden Stunden. Erstmals seit ich an Wettkämpfen teilnehme, bin ich in einer Fahrgemeinschaft hierher gefahren. Ich nahm aus unserem Dorf den besten Läufer und die beste Läuferin mit. Unterwegs sammelte ich noch einen Kameraden von der TG ein. Ohne Probleme kamen wir durch den Einkaufsverkehr in Trier und fanden rund 70 Minuten vor dem Start einen Parkplatz unmittelbar am Schwimmbad. In den vergangenen Jahren parkte ich immer etwas weiter weg. Dank der Voranmeldung waren die Formalitäten rasch erledigt und so waren wir eine Stunde vor dem Start eigentlich schon startbereit. Nach und nach tröpfelten die anderen Läufer der TG ein. Der Andrang in diesem Jahr ist besonders groß. Waren es letztes Jahr nur 189 Läufer im Ziel, so liegen dieses Jahr alleine mehr als 300 Voranmeldungen vor. Sicherlich liegt das daran, daß der Lauf erstmals zum Bitburger Läufercup zählt, einer Serie von 9 Läufen, von denen man mindestens 6 laufen muß. Auch ich will dieses Jahr in die Serienwertung kommen.
Entspannt stehen wir zusammen und schauen dem Treiben zu. Neben uns bauen sich die Läufer der LG Langsur zum Fototermin auf. Sie sind mir sympathisch, besonders seit dem Lauf in Grevenmacher, wo mich Läufer aus Langsur aus dem tiefsten Tal heraus halfen. Plötzlich ist er da: mein “Holger Meier“! Mitten in dieser Gruppe steht er! In Wasserliesch überholte er mich am zweiten Berg in einer Art und Weise, die nur Haß erzeugen kann. Beinahe eine Minute nahm er mir auf der zweiten Runde ab. Und jetzt zeigt er mir sein feistes Gesicht – bäh! Mit dem habe ich noch eine Rechnung offen. Ich weiß alles von ihm Er läuft in meiner Altersklasse, also ist er ein direkter Konkurrent. Wie er es schaffte, mit seinem BMI in Wasserliesch vor mir ins Ziel zu laufen, ist mir ein Rätsel. Ich schwöre mir, heute passiert das nicht.
Mit den Kameraden aus unserem Dorf laufe ich mich warm. Eigentlich wäre das nicht nötig, denn warm ist es sowieso. Zwar ist es wolkig, doch der Planet sticht. Noch vor dem Start trinke ich zwei Becher Wasser, so schwül ist es. Zusammen mit einer weiteren Kameradin aus der TG stelle ich mich ungefähr in Reihe 20 am Start auf. Das ist ein weiterer Fehler.
Der Sprecher erzählt noch einige Belanglosigkeiten, dann beginnt der Countdown. Der Startschuß ertönt und ich starte meinen Garmin. Nach elf Sekunden überquere ich die Startlinie und drücke eine Runde ab. In Mertesdorf gibt es nur Bruttozeiten, ich will wenigstens meine Nettozeit wissen. Auf dem ersten Kilometer herrscht das reinste Chaos. Der Radweg ist schmal – dank meiner Amnesie vergaß ich das. Kein Problem ist es, daß sich auf dem nur 2 Meter schmalen Radweg sechs oder mehr Läufer nebeneinander am Start aufstellen. Doch wehe, die Masse setzt sich in Bewegung. Dann beginnt das Chaos. Kilometer 1 in 4:20. Gut so. Auf dem zweiten Kilometer kann ich freier laufen. Doch es wird anstrengender, das Tempo zu halten. Ich überhole trotzdem einen Vereinkameraden. Kilometer 2 in 4:29 – gerade noch so im Plan. Der dritte Kilometer wird ätzend. Ich habe den Eindruck, die Steigung wird heftiger, was nicht sein kann Trotzdem: Kilometer 3 nach exakt 13:30 Minuten. Das Drama beginnt.
Kurz vor dem Wendepunkt der 7,5 Kilometer Walker kommt mir eine Läuferin entgegen. Sie hat aufgegeben. Deprimierend. Doch genau so fühle ich mich: ich würde am liebsten aufgeben. Es ist ätzend, es ist schwer. Doch so ist es nun mal, wenn man auf PB-Kurs ist. Und auf dem bin ich – noch. Elendig endlos zieht sich das Band des Radweges. Etwas Abwechslung bringen die schnellen Läufer, die uns ab ca. Kilometer 4 entgegen kommen. Die haben es gut und dürfen schon bergab laufen. So meine Gedanken. Wann kommt denn endlich dieser sch… Wendepunkt. Da ist er – Wende nach 23:15. Bäh! War es das jetzt?
Aber nicht doch, es geht doch bergab, denke ich. Das sollte ich besser den Pferden überlassen. Bis Kilometer sechs brauche ich, um meine Atmung zu stabilisieren und einigermaßen wieder zu Kräften zu kommen. Den Verpflegungsstand bei Kilometer sechs lasse ich aus. Ich brauche heute nichts zu trinken, ist doch nicht so heiß. Ich Idiot! Keine 500 Meter weiter klebt mir die Zunge am Gaumen. Ich kämpfe, werde überholt. Was schlimm ist: ich kämpfe nicht nur gegen meine Gegner, sondern auch gegen meinen Kreislauf. Es ist klar: wenn da nicht bald eine Gelegenheit zum trinken kommt, verliere ich gegen meinen Kreislauf. Wann kommt denn endlich dieser Stand? Bei Kilometer acht ist es endlich soweit. Ich erlaube mir sogar, vier, fünf Schritte zu gehen. Der Läufer, der dies ausnutzte, um mich zu überholen, hat nicht lange Freude daran.
Die Trinkpause hat mir geholfen. Endlich schaffe ich es, wieder unter 4:30 zu laufen. Einen Kilometer noch. Von hinten höre ich einen Läufer heranstürmen. 750 Meter noch. Ich gebe Kontra. 500 Meter noch, es ist hart. 250 Meter noch – die Welt wir schwarz, ich gebe mich geschlagen. Mein Konkurrent zieht vorbei. Es ist sowieso egal. Ein weiter Läufer überholt mich - da ist nichts mehr bei mir. Im Ziel stoppe ich 45:41. 61 Sekunden schneller als letztes Jahr, doch Lichtjahre von meinem Ziel entfernt. Meine Ansprüche und meine Möglichkeiten paßten heut nicht zusammen.
Im Ziel treffe ich noch eine Kameradin aus der TG, die ihr Ziel erreicht hat. Sie glaubte nicht, unter 47 Minuten bleiben zu können – und schaffte es. Von unsere Fahrgemeinschaft war ich der langsamste Mann, nur unsere weibliche Begleitung war langsamer. Der Lauf war ernüchternd, wenn auch das Ergebnis nicht überraschend ist. Die letzte Premiere des Tages: wenn man zu viert in einem Auto fährt, sollte man nach einem Lauf duschen. Bisher hatte ich das als Alleinfahrer nicht nötig, da mich Siegerehrungen sowieso nicht interessieren.

Gruß
Ralph

PS: "Holger Meier" kam rund eine Minute vor mir ins Ziel.

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... und was war mit Holger Meier???


Sehr schöner Bericht, aber bevor die Meier-Frage nicht geklärt ist, werde ich schlaflos bleiben. Also Gnade bitte!!
!When the going gets tough the tough get going!

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Oh mein Gott.. Jetzt check ich es erst. Sag bloss nicht es war "der Konkurrent"??
!When the going gets tough the tough get going!

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appelschnutje hat geschrieben:... und was war mit Holger Meier???
Sehr schöner Bericht, aber bevor die Meier-Frage nicht geklärt ist, werde ich schlaflos bleiben. Also Gnade bitte!!
appelschnutje hat geschrieben:Oh mein Gott.. Jetzt check ich es erst. Sag bloss nicht es war "der Konkurrent"??
Doch - diesen Läufer habe ich jetzt zu meinem "Konkurrenten" erklärt :wink: . Entschuldigung, aber ich ging davon aus, daß diese Figur aus den Trainingsplänen von Peter Greif bekannt ist.

Bisher hatte ich keinen Konkurrenten, mit dem mich solch eine Beziehung verbindet. Als ich ihn am Samstag sah, war sofort dieses Bild aus Wasserliesch :motz: wieder da und ich schwor Rache :teufel: ! Bis Kilometer 3 war ich an ihm dran, dann wiederholten sich die Ereignisse von damals.

Aber wir sehen uns :teufel: !

Gruß
Ralph

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netter Bericht. Ich bin überzeugt es lag am Wetter, deine Vorbereitung hat gepasst :zwinker5: . Solche Strecken sind aber einfach tückisch. Man denkt sich das bißchen auswärts macht mir nicht aus aber wenn man am Limit läuft ist einfach jedes Steinchen schon belastend. Beim nächsten Wettkampf läuft es sicher wieder nach Wunsch.

lg
Marathoni since 10.10.2010!!! :nick:http://laufligadernebenwerte.wordpress.com/
Bild

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Thestral hat geschrieben:"Holger Meier" kam rund eine Minute vor mir ins Ziel.
Na, wenn dich das nicht heiß macht!
Keine Sorge, vernünftig weitertrainiert, ordentlich Ehrgeiz angestachelt: dann kommt deine Stunde!

Solche Läufe (und Läufer) kenne ich auch zur Genüge.

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Was hat Dich eigentlich auf die Idee gebracht man könnte bergab den Zeitverlust von bergauf wieder aufholen ? Wenn das ginge, würden ja Weltbestzeiten nicht nur auf flachen Strecken gelaufen, sondern wären theoretisch bei jedem Kurs möglich der Start und Ziel an der selben Stelle hat.

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Klasse Geschichte :daumen:

Ja, das ist schon so eine Sache, mit den Holger Meiers dieser Welt. Manchmal ist es schon ganz schön aufreibend, dass man, egal wie sehr man es will oder man sich bemüht, doch niemals an ihn herankommt, er sogar immer einen Tick leichter und lockerer vorausläuft. :sauer:

Aber, nicht aufgeben, irgendwann wirds vielleicht doch klappen :nick:
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