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Sein Letzter war mein Erster

Sein Letzter war mein Erster

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10. Berliner Vollmond-Marathon, Berlin-Siemensstadt am 03.06.2023

Ich sitze im ICE nach Berlin - wie vor 8Wochen um dort Marathon zu laufen, damals wie heute ist der Veranstalter
Ulli Etzrod, oder auch Etze, wie in seine Freunde nennen. Damals am Ostersamstag, wie auch heute geht es eine
wunderschöne Strecke um die Haveler Seen. Doch einiges ist auch anders - wir laufen die Strecke andersrum, d.h.
diesmal wird die große Laufrunde um Tegeler, Spandauer See und Havel im Uhrzeigersinn absolviert - damals genau
entgegen und noch etwas ist anders: Start und Zielpunkt ist nicht die Kleingartenanlage HoKa IV am Saatwinkler
Damm, wir starten diesmal im Sport Centrum Siemensstadt in der Buolstraße. Dies ist etwas weiter weg von der
Wasserlandschaft die wir umrunden werden und deshalb werden wir heute nicht die klassischen 42,195Km laufen -
es werden über 45Km sein(meine Laufuhr zeigte im Ziel 45,83Km an). Letztendlich - daher der Name starten wir
am Abend (17Uhr) und laufen, je nachdem wie schnell wir sind in die Vollmondnacht hinein.
Der Name: "Vollmondmarathon" hat der Etze übrigens aus dem Frankenland mitgebracht - dort gab es ein paar
Mal diesen Vollmondmarathon, Sponsor eine Brauerei, die eben auch Vollmondbier braute das es als Zielverpflegung
gab. Als es den Lauf nimmer gab und der geschützte Name frei war, hat Etze den wohl günstig übernehmen können.
Und weil wir schon beim fränkischen Bier sind - Etze ist ein großer Fan davon, hat Er doch lange dort gewohnt und
gearbeitet... Er hat genau an diesem Tag Geburtstag und genau deshalb habe ich in meiner Sporttasche Platz machen
müssen. Ich habe ein 5Liter-Partyfass (samt einiger Kühlakkus) für Ihn dabei - genau von dieser Steinbach-Bräu
(eine sehr kleine Brauerei aus Erlangen) die z.Z. auf der Bergkirchweih in Erlangen (eines der größten Volksfeste
in Nordbayern) genau jenes Bier - siehe Foto - das in diesem Fass ist - so hat es sich Etze gewünscht... und ich
bringe Ihm das gerne mit, dazu natürlich ein original Steinkrug der Brauerei - stilecht eben.
Ich war ja schon öfter bei Etze laufen, doch tatsächlich bin ich zum 1x bei diesem Vollmond-MA (ansonsten immer
an Ostern) - und da wird mir auch schon wehmütig ums Herz. Es ist die 10.Auflage und die letzte, Etze will sich seinen
verdienten Ruhestand gönnen - den Oster-MA machte Er auch nur noch einmal (auch 10.Auflage) dann ist endgültig
Schluss, sagt Er.
Es gibt einen weiteren Grund warum ich mich auf dem Weg zum Lauf etwas "unsicher fühle" - ich bin auf direkten Weg
zum Sport Centrum Siemensstadt, werde mich da umziehen, laufen und anschließend duschen und noch etwas mit
Etze und seiner Frau Evelyn feiern...soweit Sie Zeit dafür haben, versuche dann um diese Zeit irgendwo etwas zu Essen
zu bekommen und einige Stunden später (morgens um 6Uhr) geht mein Zug zurück nach Nürnberg. Eine Konstellation -
ohne ein Hotelzimmer zu buchen, die ich so noch nicht gewagt habe, aber sich diesmal irgendwie angeboten hat.
Ich bin sehr gespannt wie ich bzw mein Körper damit klar kommt, denke aber das wird schon "hinhauen"...
So komme ich nach ICE und U-Bahn und Bus dann am Ort des Geschehen an - schon von weiten sehe ich die Banner
des Vollmond-MA, Etze werkelt eifrig an der Start-Nr.-Ausgabe. Ich bin sehr zeitig dran - gut so und trotzdem sind schon
einige andere Teilnehmer hier. Ein großes Hallo, Geburtstagsglückwünsche als ich am Tisch vor Ihm stehe, ebenfalls
begrüße ich seine Frau und der Hund Bruno darf keinesfalls vergessen werden. Über das fränkische Bier ist Etze
hocherfreut und es wird sofort sicher verwahrt. Nun kann ich mir jede Menge Zeit lassen - im Sportzentrum gibt es
Umkleideräume und die Tasche kann ich dort verwahren, auf der Terrasse im zugehörigen Restaurant genehmige ich
mir noch Kaffee und Kuchen.
Dann bleibt Zeit zum Ratschen und sich Austauschen, ich beobachte wie das Ziel samt Zeitmessung auf der Laufbahn
aufgebaut wird. Nun treffen immer mehr Teilnehmer ein, der Halbmarathon startet 1Std später und hat ca 100 Starter(innen),
die knapp 50 Marathonis beginnen um 17Uhr. Zuvor ein kurzes Briefing - ca 1KM vom Stadion entfernt müssen wir an
einer Ampel eine Straße überqueren, die Polizei hat wegen des zeitgleichen DFB-Pokalfinals im Olympiastadion keine
Zeit um die Strecke dort zu sichern. So bittet uns Etze eindringlich darum diese Ampel nur bei grün zu kreuzen - gilt
natürlich ebenfalls für den Rückweg. Bei Beginn der Dämmerung (so ca 21:30 - 22:00) sollten wir dann auch unsere
Beleuchtung einschalten. Ein paar Erklärungen zur Markierung und Begründung warum es sein letzter Vollmond-MA
ist... Er hat die 10.Auflage noch durchführen wollen - man merkt es fällt im auch schwer da Er mit seinem Herzen
daran hängt.
Nun aber der Startschuss und los geht's - die ersten Meter auf der Tartanbahn, dann verlassen wir das Stadion und
laufen durch ein paar Straßen der Markierung nach. Kurz bevor der 1.KM vollendet ist kommt bewusste Überquerung -
prompt schaltet die Ampel kurz bevor ich da bin auf ROT, also warten... und schon ist die 1.KM-Zeit beim Teufel. Wir
warten ca 1min da und als kurz danach der 1.KM-Schnitt angezeigt wird: 06:45 ist zum Anfang kein guter Start - ob
das nun die Ursache ist das ich anschließend (unbewusst) "loswetze" als wäre heute kein voller MA zu laufen - das
ist mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst, wird mir später immer deutlicher. Das ich die KM 2-4 am
"Alten Berlin-Spandauer Schifffahrtkanal" noch sub 6min laufe - das ist noch okay, aber der erste KM-Schnitt über
6min ist dann erst bei KM7, weil wir den ersten VP erreichen. Doch dann wollen meine Beine einfach so weitermachen,
laufen teilweise 5:45 - bis knapp unter 6min pro KM... und das bis zum nächsten VP bei KM16. Ich bin einfach nur
überrascht und beschließe meine Beine nicht zu bremsen... wenn auch der Verstand zur Ermahnung rät - aber wer will
denn immer nur vernünftig sein... ich bestimmt nicht! Okay, es kann zuletzt hart werden und vielleicht verfluche ich
das dann, wozu ich mich jetzt hinreißen lasse - aber EGAL! Ich werde ins Ziel kommen...irgendwie!
Bei all der Lauffreude, die ich nicht bremsen will, geht es auf der herrlichen Strecke, die ich ja schon beim Oster-MA
beschrieben habe... nur eben heute von Süden nach Norden, am Spandauer See wird die Insel überquert, die über
zwei (Eiswerder-)Brücken angebunden ist. Der 1.VP liegt dann schon an der Havel, eine Ausbuchtung (Nordhafen Spandau)
umlaufen wir genauso wie die Maselakebucht, es geht weiter die Havel entlang nach Norden. Trotz etwas erhöhter
Geschwindigkeit fällt mir natürlich der Unterschied zum Lauf vor 8 Wochen auf: Die Natur ist schier explodiert, es grünt
und blüht auf "Teufel komm raus" - was für ein positives Gefühl und es sind viel mehr Leute unterwegs zur frühen
Abendstunde, die Boote an den Anlegestegen haben sich gefühlt verzehnfacht... ich kann verstehen das die Berliner
Stadtbewohner sich gerne hier aufhalten und Ihre Freizeit in der riesigen Seenlandschaft verbringen möchten. Ein
Vergleich zu den Münchnern an der Isar am Pfingstmontag drängt sich auf - nur gab es dort praktisch keine Boote.
Wir überlaufen den Maselakekanal, sind für ca 2KM etwas abseits der Havel, dabei kommen wir an zwei Naturdenkmäler
vorbei: Glühwürmchengrund und Immenweide (beim Laufen ist mir das bisher kaum aufgefallen). Weiter nach Norden
an der Havel lang - nach dem 2.VP werde ich nur geringfügig langsamer ...knapp über 6min/proKM ist nun meine Pace,
von einem Einbruch kann also keine Rede sein... das stimmt mich zuversichtlich und ich versuche das bei zu behalten.
Nur bei VP3 ist wieder ein kleiner Ausreißer (verpflegen kostet eben etwas Zeit), ansonsten bin ich nach wie vor von
meiner körperlichen Verfassung sehr angenehm überrascht, die Wärme macht mir praktisch nicht zu schaffen, am
Abend wird es doch schon wieder etwas frischer...sehr förderlich. Nachdem wir den Nieder-Neuendorfer See mit dem
Schwimmhafen erreicht haben wird aus der Havel der Oder-Havel-Kanal, bei KM23 ist der nördlichste Punkt erreicht
und wir überqueren den Kanal, an einem Kreisverkehr vorbei über die Ruppiner Chaussee geht es in einen Wald,
dort befindet sich der "Climp Up"-Kletterwald. Beim VP3 fülle ich meine halb geleerte Trinkflaschen gleich wieder
auf, Etze hatte angekündigt das ein VP bei KM30 wohl ausfalle, da Ihm Helfer abgesprungen sind.
Bei Heiligensee verläuft unsere Strecke etwas abseits aber parallel zur Havel nun wieder südwärts, dann verengt sich
der Abstand zu einem Damm - links der Heiligensee, rechts die Havel ... nachdem wir die Sandhauser Brücke überlaufen
haben, verabschiedet sich der See mit dem zugehörigen Seebad. Nun geht es ganz nah am Havelufer weiter und wir
sind im Ort Konradshöhe, als ich auf einen Mitläufer aufschließe entdecken wir einen "unbemannten VP". Das finde ich
doch klasse, wenn schon das Personal nicht (mehr) vorhanden ist so hat man die Möglichkeit sich zu bedienen,
auch wenn es natürlich in der Stadt nicht sicher ist wie lange da die Getränke stehen bleiben. Wir können kurz
"tanken" und da ich nicht solange brauche mache ich mich alleine auf den Weg weiter.
Ich checke mal wieder meine Pace und bin immer noch erstaunt, da ich üblicherweise mit knapp über 6min/km -
bis auf Ausnahmen mit schlechteren Weg... wie den üblen Kopfsteinpflaster... unterwegs bin. Wie geht das weiter,
kommt der Einbruch noch, oder kann ich das irgendwie durchhalten... heute ist nicht bei 42,2KM Finish.
Immerhin beginnt die Phase wo ich langsamere bzw sich überschätzende Läufer(innen) nach und nach einsammle -
das stimmt mich auch wieder etwas optimistisch, weiß ich doch - so etwas hält mein Leistungslevel höher!
Bei KM32 lassen wir die Havel rechts liegen und laufen zum Tegeler See, mit seinen kleinen Inseln schickt er uns
wieder nördlich. Vorbei am Tegeler See-Strandbad erreichen wir das Örtchen Reiherwerder, nun sind wir schon
an der Ausbuchtung des Tegeler See im Norden der sich Großer Malchsee nennt und zahllose Anlegestegen am Ufer
hat. Hier wird es immer mehr bevölkert - Wassersportfans und Erholungssuchende lassen die Wege eng werden.
Jetzt laufen wir wieder in südlicher Richtung und die Dämmerung wird intensiver - noch ist ohne Licht genug zu
sehen. Über den Borsigdamm mit dem zugehörigen Hafen linkerhand geht es weiter, hier ist DIE Flaniermeile
am Tegeler See, die sogenannte "Greenwich-Promenade" bei entsprechenden Wetter ist genau soviel los ... na wie
eben gerade los ist. Ich laufe z.T. auf Grünstreifen neben dem breiten Weg da fast kein Durchkommen mehr ist,
belohnt mit herrlicher Ausblick zum See incl Sonnenuntergang - fast schon kitschig und links rauscht der Verkehr
von der nahen Bernauer Straße...hier gibt es Km die ich über 6:30min/km laufe.
Kaum lässt das mit den vielen Passanten nach, entdecke ich links des Weges in kleinen grünen Buchten "feierwütiges
Jungvolk" - oder sind Sie einfach am Vorglühen für eine beginnende Clubnacht? Auch hier gilt die Konzentration hoch
halten um nicht einen torkelnden Fußgänger in den Weg zu laufen... bei mittlerweile KM42. Was für eine tolle MA-Zeit
ich doch heute erreicht hätte - nützt nix, es geht noch paar KM weiter. Da gibt es auch noch ein paar Konkurrenten
die ich beim "letzte Kräfte mobilisieren" einhole - wann geht es nun vom See weg? Ein paar kleine Zweifel überkommen
mich gerade bezüglich der Markierung, doch da läuft Einer vor mir, der zumindest vorgibt sich gut auszukennen. Ich
vertraue auf sein Wissen und folge Ihm - über den Saatwinkler Steg queren wir den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal,
ca 2Km am Saatwinkler Damm entlang. Schon stehe ich wieder an der bewussten Ampel, die natürlich kurz vor Eintreffen
auf Rot schaltet... dann den letzten KM zum Stadion nochmals Gas geben, auf der Tartanbahn eine halbe Runde drehen.
Ich entdecke Etze an der Zeitnahme im Ziel und stimme auf den letzten Metern ein "Happy Birthday" für Ihn an!
Mit sage und schreibe 4:44 Std bin ich als 8.Mann im Ziel, bei knapp 46KM (also eindeutig ein Ultra) und fühle mich
nicht sonderlich fertig... bei diesem (für mich) außergewöhnlichen Tempo - das macht Zuversicht für kommende Aufgaben.
Ich stoße noch mit Etze und seiner Frau an und gehe dann gleich zum Duschen - es wird etwas frisch. Eine halbe Stunde
später komme ich nochmals an der Ziellinie vorbei, esse noch Kleinigkeit und erkundige mich noch nach Möglichkeit zum
Essengehen zu dieser fortgeschrittenen Stunde. Ich verabschiede mich bis zum Mauerweglauf - dann sehe ich Ihn wieder,
denn Er betreut bei der großen Berliner Runde seit Jahren einen VP, den Grenzturm Nieder-Neuendorf. Dort habe ich Ihn
auch mal kennengelernt. Er wird sich das Bier schmecken lassen - für mich wird's doch nur "Fast-Food", sehr ungewöhnlich
für mich.
Anschließend gibt es noch in der Innenstadt einen großen Kaffee und einen Absacker. Um 3Uhr fahre ich zum Hauptbahnhof
und treffe dort auf etwas enttäuschte Eintracht-Frankfurt-Fans, Sie haben das Pokalfinale verloren und schlagen sich noch
etwas Zeit um die Ohren bis Ihr erster Zug nach Frankfurt fährt. So ähnlich mache ich das auch und kurz nach 6Uhr geht es
im ICE nach Nürnberg. Schade das es der letzte Vollmond-MA von Etze war...aber Er hat mir noch verraten das es eventuell
doch einen möglichen Nachfolger gibt, der diesen besonderen Maerathon nicht "sterben lassen will" - es gibt Hoffnung.
Und mein Experiment: in Berlin MA zu laufen ohne Hotelzimmer ist geglückt! (nur unter diesen besonderen Umständen)
Herzliche Grüße
Roland
runners.high - Nomen est omen :logik:
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