Manfred28 hat geschrieben:ich trainiere jetzt ein Jahr regelmäßig und bin zwischenzeitlich topfit. Seit ein paar Wochen habe ich eine Pulsuhr ( Polar FT7 ) und bin dabei die Uhr auf mein Training anzupassen.
Hallo Manfred,
zunächst eine Klarstellung: Der landläufig als Pulsmesser bezeichnete Apparat hat nur eine Aufgabe, die die heutigen Exemplare auch meist mit guten Erfolg erfüllen: Er misst die Herzfrequenz. Was du da mit dir rumschleppst ist also ein Messgerät. Insofern ist da nix anzupassen. Wenn du was anpassen kannst, dann ist es die Strukturierung deines Trainings. Der Pulsmesser ist fix.
Mit dem Pulsmesser das Lauftraining zu steuern ist nun keineswegs eine allzeit schwierige Wissenschaft, aber auch nicht so simpel, wie einem Hersteller und Verkäufer weismachen wollen. Zunächst sollte man wissen, dass die Anwendung im Wesentlichen auf Dauerläufe beschränkt ist. Für andere Trainingsformen, wie Intervalle, Fahrtspiel, Pyramide, Wiederholungen, Steigerungen - erfüllt der Hf-Messer keine, sehr eingeschränkte oder dokumentarische Funktionen. Weiter sollte man sich bewusst machen, dass der Pulsmesser nur die Herzfrequenz anzeigt, ein Training planen, aus Laufeinheiten einen Trainingszyklus aufbauen, muss man selbst (oder jemand anders, der davon was versteht).
Der Pulsmesser hat also lediglich die Funktion dem Läufer visuell oder akustisch anzuzeigen, ob er sich in einem von ihm selbst geplanten Pulsbereich befindet. Natürlich ist dir klar, dass der Puls bzw. der Pulsbereich eine Intensität (= Tempo im Flachen) repräsentiert, mit der man trainiert. Im Herzfrequenzbereich bis ungefähr 90% von Hfmax gibt es zwischen Hf und Intensität eine lineare Abhängigkeit. Das heißt: Wenn ich 10% schneller laufe, steigt auch der Puls um 10%. Auf dieser einfachen Gesetzmäßigkeit basiert Pulsmesser-gesteuertes Training. Wenn ich also heute mit 80% flach laufe, dann muss ich dafür dieselbe Energie aufwenden wie gestern oder morgen. Dieses einfache Grundmuster reicht nur leider nicht immer, um sinnvoll mit dem Hf-Messer zu trainieren. Es gibt eine Menge äußerer und innerer Faktoren, die auf das Grundniveau des Pulses Einfluss nehmen. Zum Beispiel verursacht Hitze eine deutlich höhere Pulsfrequenz für ein Bezugstempo, als die Kälte jetzt. Klartext: Angenommen du hast jetzt denselben Ausdauertrainingszustand wie letzten Sommer. Angenommen du läufst jetzt 80% bei etwa 0°C und du bist im Juli 2011 80% gelaufen, bei vielleicht 25°C. Dann wird dein Tempo jetzt höher sein, wenn sonst keine anderen Faktoren wirken. Andere Faktoren können sein: Stimmungszustände (Ärger, Sorgen, Glück), Tageszeit, Biorhythmus, Stoffwechsellage, verborgene Infekte, andere Witterungseinflüsse, und mehr.
Diese Einflüsse vermag niemand exakt zu quantifizieren. Darum ist es wichtig mit dem Pulsmesser Erfahrungen zu sammeln und für sich zu "erarbeiten", wie sich die eigene Herzfrequenz wann und unter welchen Bedingungen verhält. Mit der Zeit merkt man, wie "der Hase läuft". So schwierig ist das nicht. Auch Messfehler des Geräts lernt man zu taxieren. Manche Pulsmesser versagen z.B. in der Nähe Hochspannungsleitungen (z.B. auch neben einer elektrifizierten Bahntrasse). Das ist nicht unwichtig, wenn Läufer den Pulsmesser auch im Wettkampf nutzen wollen: Ein Straßenlauf in einer Stadt unter der Oberleitung der Straßenbahn z.B. kann einen schon verwirren ... Auch schlechte Kontakte des Brustgurts führen zu Fantasieanzeigen. Nicht alle Läufer schwitzen schon literweise, wenn sie nur an Laufen denken - so wie ich ...
Und nun noch zu deinem Problem der unbekannten Hfmax. Die muss man mit einer gewissen Genauigkeit kennen, um sinnvoll mit dem Pulsmesser trainieren zu können. Das heißt aber nicht, dass man sie auf den Schlag (besser: aufs "bpm") genau kennen muss. Wiewohl es den wenigsten Läufern je vergönnt sein dürfte ihre tatsächliche Hfmax zu realisieren. Natürlich gibt es Programme / Leistungstests, um sie rauszufinden. Solche findest du auch auf unserer Laufseite einige. Aber sich selbst zu 100% auszubelasten und das ohne Not und ohne Wettkampf, ist mental überaus schwierig. Und im Wettkampf läuft man nicht nach einem Programm, dass es erlauben würde die Hfmax zu erreichen. Der Riesenvorteil einer per Selbstquälprogramm ausgetesten Hfmax ist allerdings folgender: Möglicherweise liegt der reale Wert noch 1, 2, 3, 4, 5 bpm über dem abgelesenen, weil die Selbstgeißelung nur Masochisten und Mönchen gut gelingt. Aber dafür ist sicher, dass der tatsächliche Hfmax nicht
unter dem abgelesenen Wert liegt. Damit läuft man nie mehr Gefahr sich durch zu hoch angesetzte Pulsbereiche langfristig zu überlasten. Und dass der Hfmax statt gemessener 182 bpm tatsächlich vielleicht 187 bpm beträgt, fällt bei der Ableitung der Pulsbereiche kaum ins Gewicht.
Von Leistungstests zur Ermittlung der Hfmax rate ich dir derzeit ab. Das solltest du dir an ein paar warmen Sommertagen zumuten. Warum im Sommer dürfte klar sein. Wenn du es mit vielleicht zwei oder drei verschiedenen Testprogrammen versuchst ist die Wahrscheinlichkeit den Wert zu finden auch größer.
Was also tun bis dahin? Du kannst dir behelfen und dazu brauchst du keineswegs die ebenso einfache wie im Einzelfall unzutreffende Formel benutzen. Stattdessen läufst du ein paarmal in
deinem langsamen Wohlfühltempo über die für dich üblichen längsten Strecken. Nimm den mittleren Puls der Versuche und bilde für dich daraus noch mal den Mittelwert. Den kannst du dann als etwa 70 bis 75% von Hfmax annehmen. Mache diesen Test nicht auf kurzen oder mittleren Strecken, dann läufst du vielleicht unbewusst zu schnell. Und mache den Test einige Male. Ausreißer lässt du beim Mitteln weg. Beispiel:
Test 1: Mittlerer Puls 152
Test 2: Mittlerer Puls 154
Test 3: Mittlerer PUls 149
Test 4: Mittlerer Puls 159
Test 4 weicht so weit nach oben ab, dass du ihn für die Festlegung streichen solltest.
Mit dem so festgelegten 70-75% Puls kannst du auf 100% hochrechnen und die anderen Pulsbereiche ableiten - einstweilen, bis dich ein echter Leistungstest vielleicht schlauer macht.
Etwas anderes gilt es auch noch zu bedenken, wenn man schon sehr gut ausdauertrainiert ist: In der Folge von hartem Ausdauertraining optimiert der Körper alle Organsysteme, die am Transport und dem Verbrauch von Sauerstoff beteiligt sind. Das führt zur bekannten Erscheinung, dass die Herzfrequenz nach Trainingserfolg für ein Referenztempo gesunken ist. Wenn man also vor vier Wochen bei 5 min/km noch im Mittel eine Hf von 150 hatte, dann wird sie - Trainingserfolg vorausgesetzt - nunmehr tiefer, vielleicht bei 147 bpm liegen. Soweit so gut. Der Pulsmesser verschafft einem nun einen gewissen Automatismus, was das Verschärfen von Trainingsbedingungen angeht. Im Trainingsplan stehen ja immer 80% (zusammen mit einer Angabe für die Dauer, also Strecke oder Zeit). Damit erhöht sich automatisch der Anspruch, weil 80% vor vier Wochen langsamer (weniger intensiv) war, als heute, nach erfolgreichem Training oder in einem Monat, wenn du noch ein Stück schneller geworden bist. So weit auch gut - eigentlich sogar genial. Nun ist es aber so, dass hartes Training über längere Zeit auch den Ruhepuls senkt. Ein Wert, der meistens nicht beachtet wird. Das ist jener Puls den wir im Schlaf oder unmittelbar nach dem Aufwachen haben. Der sinkt, weil ein optimiertes Herz-Kreislauf-Sytem in Ruhe natürlich auch langsamer arbeiten kann (die Pumpe kann langsamer schlagen und leistet doch dasselbe wie früher). Untrainierte haben Ruhepulse von 55 bis 60. Gut Ausdauertrainierte 40 oder weniger.
Das ist nun insofern von Bedeutung, als sich die Hf-Bereiche in denen wir trainieren nicht nur am Hfmax orientieren, sondern im Grunde auch am Ruhepuls. Maßgeblich ist die Differenz zwischen Hfmax und Ruhepuls (Hfmax minus RP). Diesen Zusammenhang erfasst man z.B. in der Karvonenformel. Die hat nichts mit der irreführenden einfachen Grundformel (220 minus Lebensalter) zu tun. Sie dient ja nicht zur Errechnung von Hfmax. Die Karvonenformel verwendet gemessene Hf-Werte. Wenn der Ruhepuls durch Ausdauertraining um 10 oder mehr bpm sinkt, dann ist das durchaus relevant für die Trainingsbereiche. Die müssen dann entsprechend nach unten korrigiert werden. Klingt paradox ist aber so: Ein Hochausdauertrainierter Läufer muss mit niedrigeren Pulswerten laufen als ein weniger gut Trainierter, um langfristige Überlastung zu vermeiden (verglichen sind hier natürlich zwei Menschen, ein gut Trainierter und ein wenig Trainierter, die zufällig denselben Hfmax haben).
Du siehst schon, dass Laufen mit dem Pulsmesser durchaus nicht das Denken im Sinne einer guten Trainingsplanung ersetzt. Dennoch ist es eine für viele Läufer gut zu praktizierende Methode. Ich verwende den Pulsmesser seit meinem ersten Marathontraining und habe mir damit alle Ausdauererfolge (ohne Trainer) erarbeitet. Natürlich muss man nicht mit Pulsmesser laufen. Man kann sich auch Tempi für Dauerläufe vorgeben, was aber unter Umständen noch mehr Nachdenken und Aufwand bedeutet. Zum Beispiel muss man bei Dauerläufen die mit den Trainingswochen notwendigerweise steigende Tempobelastung selber planen. Der Pulsmesser verlangt das automatisch, weil heute 80% und in vier Wochen 80% unterschiedlich schnell sind.
Kein Verständnis habe ich für Leute, die ...
... die sinnvolle Anwendungsmöglichkeit des Pulsmessers leugnen.
... Verkäufer, die jedem das Ding nach dem Motto aufschwatzen "Hast du Pulsmesser, hast du Training!"
Deutlich mehr Infos findest du bei Bedarf auf unserer
Laufseite, Rubrik "Für alle Läufer", Thema "Laufen mit dem Pulsmesser".
Ich wünsche dir alles Gute fürs pulsgesteuerte Training
Gruß Udo