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Mein Erster Rennsteig

Mein Erster Rennsteig

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Einfach zurück zum Auto laufen, haben wir uns gedacht. Beim http://www.Rennsteiglauf.de geht das nämlich. Wir haben den Wagen um zwei Uhr morgens am Ziel in Schmiedefeld auf der dafür vorgesehen Wiese geparkt und dabei gleich den Unterschied zu allen anderen Landschafts-Läufen gemerkt. Der Rennsteiglauf ist eine Großveranstaltung! Am Ziel waren nicht nur etliche Zelte etc. aufgebaut, nein auch an der Zufahrt zur Park-Wiese standen mehrere Helfer und haben uns einen Platz zugewiesen, um zwei Uhr früh, wie gesagt.
Wir haben dann unseren verspäteten Mitternachts-Imbiß mit dem vorgezogenen Frühstück zusammen gelegt und uns dann umgezogen. Es folgen 10min Fußmarsch zu einem der Busse, die fast pünktlich um 3:30 vom Ziel zum Start gefahren sind.

Morgens kurz nach fünf in Deutschland: Party-Stimmung in Eisenach! Auf dem Marktplatz sind die Lautsprecher aufgedreht und man könnte an ein Open-Air-Konzert denken, während wir die Startunterlagen abgeholt haben. Ich entscheide mich für Kurz-Kurz und gebe meine lange und warme Laufhose im Beutel ab.
Die Stimmung ist allgemein herrlich, aber so richtig bin ich noch nicht dabei, denn der fehlende Schlaf macht mir jetzt schon zu schaffen. Aber noch halten die Endorphine.

Mit gut 2000 anderen Startern geht es auf die Strecke. Bald verlassen wir Eisenach, es ist blauer Himmel und leichter Frühtau auf den Gräsern. Ich habe Prbleme, mein eigenes Tempo zu finden, weil ich so viele andere Läufer gar nicht mehr gewohnt bin. Außerdem stören mich wahre Galerien von Pinklern, die teilweise unmittelbar am Weg ihr Geschäft verrichten. Ein paar Schritte abseits wäre schon schöner. Die haben wohl Blasenschwäche.
Hicks. Was war das? Ich bekomme leichten Schluckauf. Naja, denke ich, das wird schon werden. Nach drei km wird der ständige Schluckauf zwar langsam wirklich lästig, ist aber bei km fünf wieder weg. Glück gehabt.
Markus ist richtig gut drauf und kann sich schon bald von mir absetzten. Das müssen die Glückhormone sein, denn er ist am Vortag stolzer Papa geworden. Die Wege sind meistens breite Forstwege, im Läuferjargon auch Waldautobahn genannt, und leicht zu laufen, wenn es nicht grade bergauf geht. Das ist allerdings im ersten Teil des Rennens ziemlich oft der Fall. So richtig komme ich immer noch nicht ins Rennen. Irgendwie fehlt mir noch der Rhythmus für diese Strecke, kann ich die Musik noch nicht fühlen.

Ab km 20 ziehe ich mir meine leichte Laufjacke über, weil es langsam frischer wird. Vor uns sehe ich immer dunklere Wolken am Himmel und der Wind legt ständig zu. Wir nähern uns dem Großen Inselberg, einer der vier Berge über 900Hm, die wir überqueren werden. Das erste Stück von dort runter ist echt fieß: sehr steiler Asphalt, teilweise kommt er mir fast Treppensteil vor und voller nassem Laub: das geht auf die Knochen! Vor allem auf die vom Markus, den ich hier zum ersten mal einhole.

Etwa alle fünf Km gibt es eine Getränke-Stelle und an etwa jeder zweiten davon gib’s auch was zu futtern. Nur mein Magen will heute einfach nicht so recht. Immer wenn ich was esse, bekomme ich wieder diesen gemeinen Schluckauf. Mit jedem Hicks tut es ein bischen mehr weh, zieht meinen ganzen Bauch zusammen und nimmt mir die Luft zum Laufen. Ich verzichte also auf’s Essen und gehe einfach davon aus, daß ich genug Energie an Bord habe, um auch so hier durch zu kommen.

Es wird immer kühler, fängt an immer stärker zu regnen und der Wind nimmt bedrohliche Stärken an. Mir tun vor allem die Helfer leid, die hier seit Stunden in der Kälte stehen und frieren. Später höre ich in den Nachrichten von dem Orkan, der über Deutschland gezogen ist. Von vollgelaufenen Kellern in Werningerode, von einem eingestürzten Haus in Sachsen, von umgeknickten Bäumen überall. Ja es war verdammt windig an diesem Tag auf den Höhen des Thüringer Waldes.

Alle fünf Km kommt eine unübersehbare KM-Marke und ich fange schon bei Km 30 an, diese herbei zu sehnen Es läuft einfach nicht rund heute. Dieses Gefühl des leichten Gleitens, des durch den Wald Schwebens will sich einfach nicht einstellen. Ich denke immer wieder an die Nacht in Dodentocht, wo ich 2004 die 100km versucht habe, und fühle mich einsam. Genau wie damals sind auch jetzt wieder viele Wanderer unterwegs, die bergauf genauso schnell wie ich sind. Sobald die Strecke eben wird, oder sogar bergab führt, kann ich zwar immer überholen und davon ziehen, aber auch das fällt mir heute schwerer als es sollte. Ich bin müde und mir ist kalt.


Markus hat vom Sani eine Vereisung und eine Tablette bekommen und überholt mich alle paar km an den langen Steigungen, er marschiert heute unheimlich stark. Ich glaube, wir waren im ganzen Rennen nie weiter als einen km auseinander, auch wenn wir uns nur alle halbe Stunde mal einige Minuten getroffen haben. Danach änderte sich die Strecke immer wieder und der eine oder andere von uns konnte seine jeweilige Stärke ausspielen.

Ab der Halbzeit bei Km 37,5 an der Ebertswiese finde ich für einige Zeit endlich in den richtigen Tritt und kann den Lauf genießen. Immer wieder rufe ich mir den Satz von Anke Drescher in den Sinn: „Die zweite Hälfte ist vom Kopf her leichter: dann geht’s nach hause!“. Ich stelle mir einfach vor zum Auto zu laufen.

Der Wind rüttelt gewaltig an den Bäumen und der Regen schlägt mir auf den baumfreien Passagen waagerecht in’s Gesicht. Ich zucke zusammen, als einer Läuferin wenige Meter vor mir mit einem lauten Knall die Regenjacke vom Sturm zerrissen wird. Glücklicherweise liegt die Strecke meistens etwas geschützt im Wald, so daß ich dem Wetter nicht ganz so ausgesetzt bin. Die Strecke ist auch läuferisch deutlich leichter als z.B. die Harzquerung vor drei Wochen. Die Wege bleiben breit und angenehm zu laufen und kleine Trampelpfade oder Klettereien über umgefallene Bäume bleiben uns heuer erspart.

Bei Km 55 am Grenzadler fällt meine Lauflust wieder ganz tief in den Keller. Ich spüre bleierne Müdigkeit in allen Gliedern und laufe grade in einen dicken Hungerast rein. Ab jetzt rächt es sich, daß ich seit gut einer Marathon-Distanz nichts mehr gegessen habe und auch erst im Ziel wieder essen will. Trotzdem laufe ich weiter. Heute ist nicht Dodentocht, ich will jetzt und hier nicht aufgeben! Außerdem ist es noch Tag, wenn auch trübe und verregnet, und nicht wie damals eine scheinbar ewige Nacht. Nein, heute werde ich weiter laufen. Ich will das, ich kann das und ich schaffe das. Immer wieder sage ich diesen Satz zu mir selber. Ich rechne jetzt die verbleibenden Km runter und stelle mir immer die dazu gehörige Trainingsrunde zu hause vor. „Nur noch 14km, das ist die kleine Runde, ganz easy!“ motiviere ich mich selbst.

Ich bin inzwischen bis auf die Haut naß, meine Finger sind eiskalt und schon ganz faltig und in meinen Schuhen schwappt das Wasser bei jedem Schritt. Aber irgendwie geht es einfach weiter. Sogar ein knöcheltief verschlammter Waldweg mit wahllos eingestreuten großen Pflastersteinen bei Km 65 ist irgendwann zu Ende. Wenig später treffe ich Markus am Fuß eines langen Gefälles. Die Wirkung der Schmerztablette hat aufgehört, und sein Außenband macht ihm große Probleme. Ich dagegen habe für heute die Schnauze voll. Ich habe genug vom Regen, Wind und Kälte und will einfach nur noch in’s Warme.

Laufen, weiter, immer weiter. Jetzt endlich spüre ich, daß meine Kraft bis zum Ziel reichen wird und drehe das Ventil eine Umdrehung weiter auf. Km 70, ich könnte das Schild knutschen und sporne mich noch mal an. „Nur noch eine Runde um’s Baggerloch, komm Junge, eine Runde um’s Baggerloch!“

Endlich, endlich kommt das ersehnt Ziel in Sicht. In mir zieht sich alles zusammen und ich heule vor Erleichterung. Sieht bei dem Sauwetter ehe keiner und wenn wäre es mir auch egal. Ich bekomme meine Medallie umgehängt und bleibe ein paar Minuten erschöpft am Zaun stehen. Ich habe fertig, fix und fertig. So hart habe ich mir noch kein Finish erkämpfen müssen. Und das gilt auch für Markus, der gleich nach mir eintrifft.

Fazit:

Der Rennsteig ist schön, sehr schön, aber lang und anstrengend. Vor allem bei Orkan. Außerdem verlängert Hunger die Strecke doch spürbar.

Den Bericht mit ein paar Fotos gibt's auch hier:
http://www.florianbechtel.de

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Schöner, ergreifender Bericht!
Danke!

...und Glückwunsch:
Du bist ein Rennsteigläufer!

Gruß!
Burkhard
...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?

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Dann gehörtest du also auch zu denen, an die ich dauernd gedacht habe. "Die Ärmsten...klatschnass und kalt..." Dann doch noch durchzuhalten, wenn es doch eh schon nicht läuft :daumen:

Streak 3: Beginn 10.10.2009

Es ist nichts Großartiges daran, besser zu sein als jemand anderes.
Wahre Größe zeigt sich darin, besser zu sein, als man selbst vorher war
(Plakat in einer Klasse)

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Danke für den sehr schönen Bericht und Gratulation! Also was internetweit in den Foren wirklich an schönen Berichten geschrieben wird - Klasse! Rennsteigläufer sind nicht nur harte Jungs/Mädels sondern auch richtig gute Schreiber ;)

Danke für die Blumen!

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Aber Du hast Recht, es gibt sehr viele gute Berichte über den Rennsteiglauf (und nicht nur über den). Und Dein eigener Bericht gehört auch dazu!.

Ich hatte schon immer den Eindruck, daß die Leidenschaft für Laufen, Schreiben und Internet irgendwie recht häufig zusammen auftreten.

LG

Flo

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Also ich habe schon viel über diesen Lauf gelesen. Dein Bericht ist sehr Informativ und ich ziehe daraus den Schluss, dass ich diesen Lauf wohl niemals laufen werde! Respekt an die tolle Leistung!

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Herzlichen Glückwunsch! Wahnsinns-Leistung, sich so durchzubeißen, wenn eigentlich nix mehr zu gehen scheint :daumen:

Tati, willst Du das immer noch? :haeh:

Erhol Dich gut,

Kathrin :hallo:
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

Kompliment...

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...und Glückwunsch zum finish auf dem langen Kanten! :groesste:
Dein Bericht gibt einem schon zu denken und die Überlegung für den "langen" genau anzustellen...und auch die Vorbereitung darauf.... :respekt:

Klasse-Lauf!

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Hi Florian

Gratulation, das du es geschafft hast, ich habe richtig mitgelitten bei dir und das ist selten...

Ich hoffe dennoch, das du aus der Hungerast was mitnimmst, das muss nun wirklich nicht sein, als ich das gelesen habe, habe ich gedacht "Hoffentlich macht er nur den Marathon" - weil ich sowas schon befürchtet hatte.

Das du den Lauf dennoch durchgezogen hast, zeigt mir, das du wirklich Biss hast :daumen:

Dein Freund lief also mit Schmerztablette? Sowas ist ja umstritten...
Blog: Ein ehem. Ultramarathoni beginnt wieder von Vorne
Einen Schritt nach dem anderen gehen. Mal schnell, mal langsam - aber es geht vorwärts.

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Gratulation zum Durchbeissen!
Hört sich so an, als wenn dieser Lauf nicht dein Freund war.
Mit freundlichen Grüßen,
Volker
Bild
Termine:
Kyffhäuser-Berg-Marathon am 8.4.2006: 3:58:27 (offiziell), 3:59:39 (selbstgestoppt)
Harzquerung am 29.4.2006: 51 km in 5:17:27 Stunden
Rennsteiglauf am 20.5.2006 #01114
Berlin-Marathon am 24.9.2006
Gesperrt

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