Ich bin gerade auf Tempo aus - eigentlich bin ich auf den ganz langen Strecken zu Hause, dieses Jahr soll aber endlich mal die 3-Stunden-Marke im Marathon geknackt werden. Und wer schnell laufen will, sollte schnell laufen... also habe ich mein Training etwas umgestrickt und habe seit vier Monaten mehr und mehr Tempotraining in meinen Wochenablauf integriert.
Testwettkämpfe sind oft aus familiären und beruflichen Gründen schwierig, so dass ich meist allein meine Runden drehe. Aber manchmal kommt so eine Gelegenheit, die muss man beim Schopfe ergreifen...
Alle zwei Jahre findet hier im Dort das Dorffest statt (im Gegensatz zur jährlich stattfindenden "Kerwa", die eher... getränkeorientiert ist). Nette Sache, und dieses Dorffest wird mit einem Dorflauf eröffnet. Freitags, 18 Uhr, 5 und 10 km können gelaufen werden. Sehr schön, da können wir es doch mal knallen lassen!
Dann, bei der Vorbesprechung zum Dorffest im Rathaus (meine Gemeinde engagiert sich beim Kinderprogramm), höre ich, dass der Lauf eine reine Spaßveranstaltung ist. Keine Anmeldung, keine Zeitnahme. Einfach kommen und mitlaufen. Gut, alles wiede r gestrichen, keine Tempoeinheit. Etwa 10 Leute aus unserer Gemeinde wereden mitlaufen, in unseren schicken himmelblauen Trikots, ich werde also nur mittraben, sehen und gesehen werden... Schade!
So wollte ich eigentloich Donnerstag meine Tempoeinheit machen, was aber aus terminlichen Gründen nicht geklappt hat. Super, wieder eine Woche ohne Tempo. Mist. Am Freitag kam dann wieder ein Temrin dazwischen, den konnte ich aber mit einer kleinen Laufeinheit verbuinden, so dass ich schon am Vormittag 15 km in den Beinen hatte - macht aber nix, will ja nur mittraben!
Dann war so weit, um kurz vor 18 Uhr stehe ich auf dem Festplatz. Es gibt nicht nur keine Startnummern und Zeitnahme, es gibt noch nicht mal einen Start. Man steht gemütlich beieinander, dann ruft einer: los gehts, und die Massen (ca. 40 Läufer von 5-80 Jahren) traben los. Witzig!
Die ersten 500 Meter laufe ich etwa im 6er Schnitt mit einem Freund von mir. Dann sehe ich ,dass sich vorne eine Dreier-Gruppe löst und etwas Tempo macht. Hmm.... wenn die das können... so ein bisschen hinter her vielleicht? Ich verabschiede mich und ziehe an. Und die drei machen ordentliches Tempo.
Es wird 2x eine 4,5 Km-Runde gelaufen, die jeweils auf den ersten 2 km ca. 80 Hm hoch geht - und danach dementsprechend bergab. Schnell lufe ich auf 4. Position. Die beiden vor mir laufen in Fußballtrikots, ich schätze sie nicht als ernsthafte Läufer ein (das meine ich nicht despektierlich!), und so ist es, nach etwa 1,5 km habe ich die beiden und ziehe vorbei. Der jetzt Führende legt ein ordentliches Tempo vor, ich komme kaum näher, im Gegenteil.
Am höchsten Punkt der Strecke gibt es eine Getränkestation, die ich auslasse. Jetzt sehe ich den Führenden kaum noch, der letzte Kilometer war trotz der Steigung mit 4:50 min/km recht flott. Mal schauen, was bergab geht. Ich forciere das Tempo - und komme näher. Der nächste Kilometer geht in 3:35 weg. Hui. Am Ende des langen Berag-Stücks habe ich den Läufer vor mir einkassiert. Er trägt ein Shirt des örtlichen Teakwon-Do Vereins. Ich bin gespannt, was von ihm zu erwarten ist. Soll ich hinter ihm bleiben? Vorbei ziehen?
Ich entscheide mich für letzteres. Es geht noch mal einen kleinen Gegenanstieg hoch, dann wieder runter und ein zweites Mal auf die Runde. Als ich in die zweite Runde einbiege, habe ich etwa 200 Meter Vorsprung. Das sieht gut aus.
Aber eben war er bergan stärker als ich. Also jetzt noch mal drücken. Rein in den Wald, der Weg schlängelt sich jetzt, ich beschließe mir einen psychologischen Vorteil zu verschaffen: kurz vor der nächsten kleinen Kurve forciere ich das Tempo, dass er mich nicht mehr sieht, auch wenn er aufschließen sollte. Klappt.
Oben angekommen hämmert mein Herz. Ich schwitze, es ist anstrengend. Aber geil. Mir ist klar, dass das hier kein ernsthafter Wettkampf ist. Mir ist klar, dass ich hier nicht wirklich Konkurrenz habe und es auch nicht das Ziel des Laufes ist, hier zu gewinnen. Aber es ist schön, mal vorne zu laufen. Und: ohne dieses Setting hätte ich das Tempo und die Belastung nicht so leicht hoch gehalten.
Ich lasse es bergab wieder rollen, überrunde jetzt die ersten 5-km-Läufer. Eine Linkskurve, jetzt geht es langgezogen bergab, und am Ende sehe ich nach hinten und sehe: nichts. Niemand da. Gut so, aber jetzt ziehe ich es auch durch. Gegensteigung wieder hoch, Blick zurück. Es dürften jetzt noch knapp 1000 Meter sein und mindestens 500 Meter hinter mir ist niemand. Ich lasse es rollen, laufe in Richtung Stadion. Zwei weitere Kurven, dann empfangen mich vor dem Stadion meine Mitläufer aus der Gemeinde, die nur die 5 km gelaufen sind: "Chris, du kannst aufhören, da drinnen gibt es kein Ziel!"
Das habe ich auch noch nicht erlebt. Es wurde gesagt, wir sollen ins Stadion laufen, da gäbe es dann ein Freigetränk. Das gibt es da auch, aber eben keine Zielankunft. der Lauf endet völlig sang- und klanglos. irgendwo vor dem Stadion. oder drinnen. Wie man halt will. Na super, da gewinne ich ein mal - und keiner merkt es, keinen interessiert es...
Aber ich bin gar nicht böse. Das war eine richtig gute, schnelle Einheit. 9,6 Kilometer in knapp unter 42 Minuten, bei fast 30 Grad, mit knapp 180 Höhenmetern und mit 15 Kilometern vom Vormittag in den Beinen. Passt. Und es war einfach mal nett, vorne zu laufen!
Der "Zweitplatzierte" kommt ca. 5 Minuten nach mir ins Zie... kommt an. Wir klatschen ab und bedanken uns beieinander, uns gegenseitig gepusht zu haben.
Mein Lerneffekt: Wettkämpfe (oder Läufe, die tun als ob) pushen deutlich mehr als das Training alleine.
Liebe Grüße,
nachtzeche
Mein erster Sieg! (der eigentlich keiner war...)
1"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)