dieser Laufbericht wird insgesamt etwas länger, und beinhaltet neben dem eigentlichen Lauf am kommenden Sonntag auch ein paar Zeilen zu meiner Vorgeschichte. Entsprechend editiere ich hier die weiteren Teile im Laufe der Zeit einfach hinzu
Teil 0 - Ein Gedanke
"Welches ist der widerstandsfähigste Parasit? Ein Bakterium, ein Virus, ein Darmwurm? [...] Ein Gedanke! Resistent, hochansteckend, wenn ein Gedanke einen Verstand erstmal infiziert hat, ist es fast unmöglich, ihn zu entfernen." - aus dem Film Inception
Nach den Klassikern --Broadway (das seinerzeit noch völlig unterschätzte Green Day Musical), Panoramafotos vom Top of the Rock (nein, das überlaufenere, teurere Empire State hat definitiv die schlechtere Aussichtsplattform), Brooklyn-Bridge bei Sonnenuntergang, High-Line Spaziergang, Shopping-Odyssee und Knicks-Game-- müssen rasch andere Erlebnisse geplant, und in die Tat umgesetzt werden. Ich bin schließlich in der Stadt, die niemals schläft und die Zeit bis zum Rückflug rinnt unaufhaltsam davon.
Etwas Ausgefallenes muss her, also fröne ich meiner größten Leidenschaft und gehe surfen. Ja, richtig gehört: Surfen. Und ja: Das ist möglich, wenn auch mit eher großem Aufwand verbunden: Früh aufstehen und Wellen-Bedingungen per Live-Webcam checken, 45 Minuten mit dem A-Train raus zum Far Rockaway Beach, Surfshop auf der 92nd suchen und Board sowie 4mm Neoprenanzug mieten, nur um nach wenigen Minuten im Wasser zu merken, dass der Anzug löchrig wie ein Schweizer Käse ist und die Atlantik-Suppe mitten im Herbst auch stark Richtung einstellige Grad-Celsius Bereiche fällt. Völlig verausgabt und am Ende meiner Kräfte beende ich die Session entsprechend nach nicht einmal 90 Minuten mit magerer Wellenausbeute und schwöre mir, den morgigen Sonntag in völliger Ruhe im Central Park zu verbringen, ehe es wieder heimwärts geht.
Als ich Tags drauf die 5th Ave Richtung Park flaniere, sehe und höre ich von weitem Menschenmassen, die mir selbst für diese wahnsinnige Stadt etwas zu groß, zu laut erscheinen. Von einem neuen iPhone und entsprechenden Schlangen vor dem Apple Store hätte ich doch etwas mitbekommen? Ich nähere mich der Szenerie und erinnere mich schlagartig an die Aushänge, die mir in den Tagen zuvor in der ein oder anderen U-Bahn Station begegnet sind. "Planned Service Changes: New York City Marathon".
Und tatsächlich: Nachdem ich mich bis ca. zur Hälfte der etwa 15-reihigen Menschenmassen vorgeschoben habe, erhasche ich einen Blick auf das, was da an der südöstlichen Ecke des Central Parks vor sich geht. Ich sehe --im abgesperrten Bereich-- nahezu gleich große Menschen-, nein Läufermassen. Eine schier endlose Kette mal schnell, mal langsam laufender Sportler. Zwischendrin Gestalten, die mich zweifeln lassen, ob das hier wirklich eine ernst gemeinte Sportveranstaltung ist. Ein als Torrero verkleideter Spanier bleibt in der Kurve wild gestikulierend stehen, kniet sich auf ein Bein und verneigt sich vor der völlig ausflippenden Zuschauermenge. "You know this guy?" - frage ich den Mitzwanziger, der neben mir steht und besonders laut applaudiert und gebrüllt hat. "Nah, I cheer for everybody!" - erwidert er trocken. Bevor es für Mr. Torrero Richtung Zieleinlauf geht, klatscht er mit den NYPD Cops ab und posiert für ein Erinnerungsfoto mit einem ihm zugereichten Baby. Die Menge ist erneut außer sich. Eine Atmosphäre, genau nach meinem Geschmack.
Ich schaue mir das Spektakel bei schönstem Sonnenschein und angenehmen, zweistelligen Celsiusgraden weiter an, spaziere dabei noch Richtung Columbus Circle und bekomme mit, wie mir Finisher mit schweren Medaillen um den Hals, in Aludecken gehüllt und schwer humpelnd entgegenkommen und dabei Schulterklopfer, High-Fives und "You did great" Aufmunterungen erhalten. In diesen Momenten merke ich, wie sich ein Gedanke in mir ausbreitet. Es bleibt mir bis zum heutigen Tag ein Rätsel, ob das Abspeichern des Gedanken einer aktiven, bewussten Handlung meinerseits geschuldet war, oder ob sich der Gedanke sozusagen schon immer in meinem Kopf befand und ich ihn nur habe finden müssen. Fakt ist: An diesem 7. November 2010 entschließe ich mich, auch irgendwann einmal auf der anderen Seite des Absperrzauns zu stehen, nein, zu laufen und meinen Enkelkindern erzählen zu können, dass ich den New York City Marathon geschafft habe...
Teil 1 - Der Weg zum Marathon ist kein Sprint
"Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche, die scheitern." - Henry Ford
In rückblickend naiver, jedoch zumindest hands-on basierter Herangehensweise versuche ich noch am Ort des Geschehens heraus zu bekommen, ob es in diesem Jahr, Zweitausendundzehn, nichtnocheinen New York City Marathon-Lauf gibt, und wo ich mich für selbigen denn in die Starterliste eintragen kann. Angesichts einer nicht zu vernachlässigenden Menge an Resturlaub und der bereits erwähnten Möglichkeit der kostenfreien Unterkunft bietet sich das ja schließlich an. Der geneigte Laufsportfanatiker wird es erahnen: So einfach geht das Ganze dann (zum Glück) leider doch nicht.
Fast forward > Ende Dezember 2010: Die Idee, eines Tages den NYC Marathon zu laufen hält sich auch nach meiner Rückkehr fix in meinem Kopf. Einzig: Der Enthusiasmus des 7. November hinsichtlich Nägeln mit Köpfen ist nun, einige Wochen und viele tausend Kilometer von den großartigen Eindrücken entfernt auf die Größe eines Stecknadelkopfes geschrumpft. Seinen Anteil daran hat sicher auch die Tatsache, dass ich nach eingehender Web-Lektüre herausgefunden habe, dass eine sichere Teilnahme entweder recht teuer ist (~$2.500) oder einem Glücksspiel gleicht und man warten muss bis man in einer Ziehung von rund 5-8 pro 100 zu den Glücklichen zählt.
Enter three friends and a shitload of beer: Wie so oft in meinem Leben bedarf es aber, wenn ich mir irgendwann einmal etwas in den Kopf gesetzt habe nur eines kleinen Zündfunken, um die Maschinerie wieder zum Laufen zu bringen. Und so ist es der Tag vor Heiligabend, in einer Kneipe mit meinen besten Freunden, als wir von Hü über Hott und von Ästchen auf Stöckchen irgenwann beim Thema New York Marathon angekommen sind. Draußen rieselt weiter Schnee auf die bereits gänzlich weiße Vorstadt-Idylle und drinnen erzähle ich von meinen Erlebnissen, endend mit:"Lauf ich auch definitiv irgendwann!"
Was dann passiert, kann ich mit Fug und Recht als schicksalhaft bezeichnen, denn meine Freunde springen drauf an. Schluck Bier -"Hört sich gut an, ich bin dabei" - Jägermeister-Runde - "Ich auch" - Schluck Bier - "Ihr seid bescheuert, dann lasst uns jetzt direkt anmelden." Keine zwanzig Minuten später, dem aufkeimenden mobilen Internet sei Dank, haben wir es tatsächlich geschafft, vier Anmeldungen für die Lotterie zum New York Marathon 2011 einzureichen.
Am nächsten Tag allerdings wird unsere potentielle Startergruppe bereits um ein Viertel dezimiert, nachdem Freund Nummer Drei seine Kreditkartendaten im Vollsuff wohl falsch eingegeben hat und sichtlich erleichtert vermeldet, dass seine Anmeldung damit hinfällig sei. Alle Überzeugungsversuche, sich doch erneut anzumelden bleiben erfolglos, sodass es bei drei möglichen Startplätzen belassen werden muss.
Fast forward > Irgendwann im Frühjahr 2011: Zu einem Zeitpunkt, als unsere alkoholgeschwängerten Anmeldungen schon längst in Vergessenheit geraten sind, erhalten wir im Abstand weniger Minuten per E-Mail die traurige Kunde, dass wir leider leider kein Losglück hatten. Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Trauer macht sich in mir breit und das Thema New York City Marathon verschiebe ich per Kalender-Erinnerungsfunktion auf Mitte November 2011.
Ebendann und diesmal gar ohne Hinzufügen alkoholischer Mutmacher melde ich mich erneut zur Lotterie an. Von den beiden seinerzeit noch so begeisterten Freunden bekomme ich einen Tag vor Heiligabend 2011 nur noch einen zum Mitmachen animiert. Der Willen des zweiten, unter keinen Umständen mehr auf eine solche Selbstmord-Mission aufzuspringen, ist auch nach mehrfachen Jägermeister-Runden nicht zu brechen.
Wie es der Marathon-Gott so will, erhalten wir beide auch im Frühjahr 2012 wieder die altbekannte Absage und den freundlichen Hinweis, es doch via Charity oder International Travel Partner zu versuchen. Aber nix' da. Längst habe ich das Kleingedruckte gelesen und verstanden, dass ich nur lange genug am Ball bleiben muss, um spätestens nach meiner dritten Absage bei der dann vierten Bewerbung ganz ganz sicher dabei zu sein. Der Alarm für Mitte November ist schnell gesetzt und die Anmeldung absolviere ich mittlerweile im Schlaf. Sozusagen ein erster sichtbarer Trainingseffekt.
Freund Nummer eins hingegen geht der Atem aus. Er lebt seit einiger Zeit in den Staaten und man sieht sich immer seltener. Entsprechend erfahre ich erst im Frühjahr 2013, dass er es diesmal gar nicht erst probiert hat. Ich hingegen erhalte in routinierter Art meine Absage und wage mich zu dem Zeitpunkt noch nicht wirklich zu freuen. Da Superstorm Sandy die 2012er Edition des Laufs im wahrsten Sinne des Wortes hat ins Wasser fallen lassen, bleiben die Regeln für das Erlangen eines Startplatzes einige Monate unklar und ich rechne zunächst mit dem Schlimmsten, nämlich dass ich in summa 5 statt der angedachten 4 Jahre warten muss. Ein neuer Hauptsponsor inklusive neuer Webseite tut sein übriges.
Im November 2013 dann die finale Gewissheit: "Applicants who were denied entry in the three drawings in 2011, 2012, and 2013 and who were not subsequently accepted via an alternative method (such as through an International Travel Partner, sponsor, or charity). Please note that 2014 is the last year that guaranteed entry will be offered under this provision." Auch wenn ich bis auf allererste, kleinste Trainingseinheiten noch rein gar nichts hinsichtlich meines ersten Marathons erreicht habe, dieser Tag nach weit über 1.000 Tagen zähen Wartens fühlt sich definitiv wie ein Sieg an. Scheitern kann ich immer noch, aber kapituliert habe ich bisher nicht!