Hallo Pacman 10,
hier gebe ich dir mal einen Auszug aus meiner aktuellen MRT-Diagnose zu lesen, medizinische Begriffe habe ich unten drunter übersetzt:
"Am ... Rand der Symphyse findet sich jeweils eine horizontal verlaufende Stressfraktur, rechts ausgeprägter als links. Deutliches Ödem des jeweils proximalen Musculus adductor longus, rechts ebenfalls ausgeprägter als linksseitig; zusätzlich Ödem auch des rechten Musculus adductor brevis."
Symphyse = Schambeinfuge (Fuge an der die beiden Beckenschaufeln vorne über Faserknorpel verbunden sind)
proximal = zum Rumpf hin gelegen
Ödem = Einlagerung von Flüssigkeit
Musculus adductor longus und brevis = siehe über Suchfunktion Internet (beidseits 3 Muskelstränge bilden die so genannten Adduktoren)
Das also ist meine aktuelle Verletzung, die mich nun seit über 6 Wochen zur Untätigkeit verurteilt. Nun mag man mit Recht einwenden, dass dieser Verletzung eine alles andere als alltägliche sportliche Übung - ein 24h-Lauf mit 200 gelaufenen Kilometern - vorausging. Und es liegt auch nicht in der Absicht dieser und der folgenden Zeilen mit folgenreichen Verletzungen oder Beschwerden zu drohen, wenn man Dehnübungen, die den Adduktoren gelten, unterlässt. Selbst dann, wenn diese Adduktoren verkürzt sein sollten. Es dürfte schon ein erheblicher Laufumfang bzw. eine erhebliche, von Laufen ausgehende Belastung der Addutoren und angrenzender Strukturen erforderlich sein, um Beschwerden oder Schlimmeres zu verursachen. Also: Die Kirche im Dorf lassen. Meine Kirche bleibt auch im Dorf, nur gingen meiner Verletzung eben 200 km am Stück und davor 14 Marathon- bzw. Ultraläufe (davon 2 x 100 km) binnen weniger Monate voraus. Das IST eine erhebliche Belastung, sogar eine Überlastung. Das mit der Überlastung war mir zudem vorher bei der Aufbau- und Trainingsplanung klar. Nur glaubte ich allenfalls einen Misserfolg wegen überzogenen Trainings zu riskieren und eben nicht eine massive Verletzung.
Die Kirche im Dorf lassen, nun gut ... Worauf ich allerdings schon abziele, ist dem Dehnen der Adduktoren die Bedeutung zu geben, die ihm tatsächlich zukommt, insbesondere dann, wenn diese Strukturen verkürzt sind, was bei mir wohl so war (und noch ist). Dem "Wie konnte das passieren?" folgt bei mir immer eine ziemlich eingehende Analyse, um möglichst nicht dieselben Fehler zweimal zu begehen (Klappt oft aber leider nicht immer

). Die Analyse meines jüngsten Missgeschicks führte mich zurück bis ins Jahr 2006. Anlässlich einer Bewegungsanalyse, die ich damals anlässlich der Verschreibung von Einlagen wegen Spreizfuß rechts auf eigene Kosten habe machen lassen, ergab sich als einzige Einschränkung/Fehlerquelle, dass ich meine Füße beim Laufen zu dicht aneinander vorbei führe. Die Ursache wurde als mutmaßliche Verkürzung der Adduktoren beschrieben. Zur Abhilfe wurde mir geraten eben jene Adduktoren zu dehnen. Ob ich das eine Zeit lang tatsächlich betrieb, weiß ich nicht mehr, eher nicht. Einsicht ergibt sich oft erst bei einsetzenden Beschwerden ...
Dass diese mutmaßliche Adduktorenverkürzung über die Jahre weiterhin bestand, ergibt sich aus der Tatsache, dass alle meine Laufstrümpfe früher oder später in Höhe der Knöchel innen Löcher aufweisen. Die entstehen, weil ich dort oft mit den Füßen vorbei streife ... Mein gewaltiger Kilometerumfang, somit abertausende von Schritte, zerrten folglich mit mehr Kraft in jenem Beckenbereich, an dem sie befestigt sind - eben in der Nähe der Symphyse. Steter Tropfen höhlt den Stein und irgendwann wurde es meiner Symphyse eben zu viel.
Es ist nicht gesagt, dass ich die Verletzung mit Dehnübungen der Adduktoren hätte vermeiden können, aber doch wahrscheinlich. Ich besitze einen extrem robusten Bewegungsapparat und wäre - wieder das Wort: wahrscheinlich - verletzungsfrei geblieben, wenn ich die Vorbereitung zur Deutschen Meisterschaft im 24h-Lauf so hätte "durchziehen" können, wie ich mir das bei ausreichend Vorbereitungszeit vorstelle. Doch wegen terminlicher Enge war das nicht möglich. Deshalb ging ich mit viel zu wenig Trainingskilometern in den entscheidenden Wettkampf. Das Ziel war zu hoch gesteckt für meinen damals aktuellen Trainingszustand. Ich konnte es nur realisieren, indem ich mein Limit überschritt. Und deshalb: Peng!
Für Menschen mit weniger robustem Bewegungsapparat als meinem könnten sich Beschwerden auch schon bei weit geringerem Laufumfang ergeben. Eben dann, wenn die Adduktoren verkürzt sind. Wenn du also "unangenehme Signale" aus diesem Bereich empfängst, solltest du versuchen mit vorsichtigem Dehnen Abhilfe zu schaffen.
Nun ist Dehnen aber nicht das allein Seligmachende. Diese Aussage hat nichts damit zu tun, dass Dehnübungen generell die Wirksamkeit von vielen Läufern abgesprochen werden. Tatsächlich ist es der Forschung bis heute nicht gelungen die vorbeugende Wirkung von Dehnübungen im Hinblick auf läuferische Beschwerden und Verletzungen nachzuweisen. Das betrifft jedoch den gesunden, muskulär nicht defizitären Körper! In der Physiotherapie - insbesondere bei der Behandlung akuter Verletzungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates und der Rehabilitation nach entsprechenden Eingriffen - gelten Dehnübungen als unverzichtbar. Es ist weiterhin unstrittig, dass Dehnen der Verkürzung der Zielmuskulatur vorbeugt und Verkürzungen rückgängig machen kann. Dennoch ist Dehnen - ich wiederhole mich - nicht das allein Seligmachende. Die Adduktoren haben Gegenspieler, die Abduktoren. Bei zu schwachen Abduktoren besteht auch die Tendenz einer zu engen Beinführung. Zum Beispiel beschreibt Marquardt in seiner "Laufbibel", dass man Dehn- und Kräftigungsübungen im Zusammenhang sehen sollte.
Wie dem auch sei: Dehnen der Adduktoren kann nicht schaden. Also dehne!
Alles Gute
Gruß Udo