Nach dem Berlin-Marathon in 2022 hatte ich für das Laufjahr 2023 als Höchstrecke für einen Wettkampf die 25 km und als Hauptwettkampf den Tierparklauf über 5 km im September geplant. Ich wollte nicht gleich wieder ein anstrengendes und zeitraubendes Marathontraining im Hochsommer.
Irgendwann in der ersten Jahreshälfte fragte mich eine Lauffreundin, ob ich nicht am 6-Stunden-Lauf am 01. Oktober teilnehmen möchte, der von unserem Verein Die Laufpartner ausgerichtet wird. Dabei finden die Deutschen Meisterschaften im 6-Stunden-Lauf statt, es gibt aber auch einen offenen Lauf. Darüber habe ich dann ein paar Wochen nachgedacht… Mir gefiel zum einen der Gedanke, dass es bei einem 6h Lauf keinen Druck gibt, irgendeinen bestimmten Ort nach einer festen km-Zahl als Ziel zu erreichen. Es gibt keinen, der als Erster oder Letzter ins Ziel kommt und wenn man eine Pause machen möchte, macht man einfach eine Pause. Zum anderen gefiel mir die Vorstellung, mich danach vielleicht Ultraläuferin nennen zu kennen. Also habe ich mich einfach mal für den offenen Lauf angemeldet.
Nach dem Sommerurlaub lag ab Ende Juni der Fokus in meiner Trainingsplanung aber vorrangig auf das Hauptziel 5km-Wettkampf im September. Ich habe also jede Woche schnelle Intervalle und kurze Tempodauerläufe gemacht. An den Wochenenden habe ich dann aber im Hinblick auf den 6h Lauf versucht, den Longrun schon länger als für einen 5K-WK nötig zu gestalten. Das ist mir aber nur so leidlich gelungen, ab Ende Juni sahen meine Longruns so aus: 14 – 16 – 14 – 17 – 15 – 20 – 22 – 25 – 22 - 21 km. Nach dem 5k-WK (Sub22 erreicht!) habe ich dann wenigstens noch einen (!) 30er Lala gemacht, der überraschenderweise trotz Hitze sehr gut lief. Eine Woche vor dem 6h Lauf dann nochmal 24 km. Aufgrund eines zusätzlichen Trainingstages mit Sprinttraining habe ich aber zumindest seit Ende Juni Wochenumfänge von im Durchschnitt 55 km gehabt.
Ich war also recht entspannt, wenigstens 50 km in den 6 Stunden schaffen zu können, hatte ja überhaupt keinen Druck… Dachte ich zumindest bis Ende bis Ende August. Dann wurde ich auf einmal gefragt, ob ich nicht für die 2te Frauen-Mannschaft der Laufpartner antreten möchte, es fehle da noch eine Frau. Aaaahhhh, ich wollte mich doch eigentlich ganz locker und ohne Druck an den 6h versuchen… Da ich meinen Verein aber auch nicht hängen lassen wollte, habe ich dann doch zugesagt und mich für die Deutsche Meisterschaft ummelden lassen. Puuhhh, was mache ich denn jetzt? Minimalziel waren natürlich immer noch die 50 km. Aber ich traute mir trotz des Schmalspurtrainings für einen Ultralauf trotzdem auch 55 km zu. Ok, dann war das jetzt mein neues Ziel. Am Tag vor dem Lauf meldet sich noch die eingangs erwähnte Lauffreundin, die wegen Krankheit leider nicht teilnehmen kann, und gibt mir noch ein paar Tipps. Da es bei meinem ersten Marathon letztes Jahr funktioniert hat, erwähnt sie die gelaufenen 58,xx km bei ihrem allerersten 6h Lauf. Ich winke aber entschieden ab, DAS wäre dann doch etwas zu optimistisch mit meinen wenigen richtig langen Läufen.
Am Wettkampf-Tag dann ideale Wetterbedingungen. Teilweise wolkig und höchstens 19 Grad am Nachmittag waren vorhergesagt, Regen war erst für den späteren Nachmittag angekündigt. Die Laufstrecke in Dreilinden war nur 25 Fahrminuten von mir entfernt und da nur etwas über 130 Leute angemeldet waren, bin ich erst 1 Stunde vor dem Start eingetroffen. Vor Ort schon emsiges Treiben, die Verpflegungs- und Supporter-Stände der unterschiedlichen Laufvereine wurden gerade aufgebaut und befüllt. Es war eine ganz andere Atmosphäre als bei einem großen Stadtlauf, irgendwie viel entspannter und lockerer. Ich habe meine Getränke und 8 Gels am Stand der Laufpartner abgegeben und mir nochmal meine Tempostrategie eingetrichtert. Da ich überhaupt nicht einschätzen könnte, wie weit mein Schmalspurtraining reichen würde, wollte ich mit der Pace meiner Longruns von etwas unter 6er Pace, so 5:55er Pace laufen und dann schauen, wie weit ich damit kommen und wann ich ggf. eine Pause einlegen muss. Der Vorteil der Pace: weil ich die Longruns und Easy-Läufe damit seit Jahren laufe, habe ich sie automatisch drauf und muss dafür auch nicht auf die Uhr schauen. Na dann schauen wir doch mal, wie sich 6 Stunden Laufen anfühlen. Ich war jetzt doch schon etwas aufgeregt, freute mich aber gleichzeitig auf die Herausforderung.
Am Start versammelten sich dann Punkt 9 Uhr etwas über 100 Leute und der Startschuss erfolgte. Die kleine Läuferschar verteilte sich recht schnell auf der schön breiten Laufstrecke. Ich laufe verhalten los, will von Anfang an mein geplantes Tempo einhalten. Erster Blick auf die Uhr, 5:25er Pace. Huuuch, doch wieder erstmal mitreißen lassen… Also alles wie immer… Da sich das Feld aber schnell entzerrte, konnte ich mein Tempo aber alsbald auf die geplante Pace reduzieren. Die Strecke kannte ich schon von einem 30km Lauf, eine Runde in dem Industriegebiet ist offiziell vermessen 1.019,44 m lang. Am Anfang geht es minimal bergab und auf der anderen Seite der Runde dann wieder minimal bergauf mit glatten Teerbelag und alles prima zu laufen. Die ersten Kilometer laufen perfekt mit 5:49 bis 5:56er Pace und ich bin zufrieden, wie sich alles anfühlt.
Im Laufe der ersten Runden komme ich mit einem Mitläufer ins Gespräch, bei dem gemütlichen Tempo ist das ja kein Problem. Valerio ist Italiener, lebt aber schon lange mit seiner Frau in Deutschland. Als er mir erzählt, dass er von der Insel Sardinien kommt, wird unser Gespräch noch viel angeregter… Ich liebe Sardinien, wir waren erst dieses Jahr im Juni wieder 2 Wochen zum Motorradfahren dort gewesen. So schwärmen wir rundenlang über die Landschaft auf Sardinen, das Meer, die Leute und natürlich über das leckere sardische Bier Ichnusa. Danach erzählt er mir begeistert über seinen ersten Mauerweglauf dieses Jahr, den er in 25 Stunden gefinished hat. Die ersten 20 km vergehen damit wie im Fluge, wir laufen plaudernd gleichmäßig vor uns hin. Dann wird Valerio aber immer wortkarger und das Tempo sackt über 6er Pace. Ich überlege erst, ob ich mich anpassen soll, bin aber eigentlich gerade im Flow und würde das gerne ausnutzen. Also setze ich mich langsam von meinem Mitläufer ab und halte wieder mein Tempo von etwas unter 6er Pace…
Von da an laufe ich immer für mich alleine. Wobei das natürlich auch nicht stimmt. Auf dieser kleinen Runde sehe ich immer andere Läufer bzw. später auch Geher, überhole diese oder werde von schnelleren Läufern überholt. Bei den ganz flotten kommt das gefühlt andauernd vor - Wahnsinn was einige Leute für ein Tempo bei einem 6h Lauf anschlagen. Einige davon halten es auch tatsächlich bis zum Schluss durch, andere zahlen später Tribut und werden dann später wiederum von mir überholt werden.
Nach nicht ganz drei Stunden habe ich die 30 km geschafft, immer in ziemlich gleichmäßiger Pace. Bisher keinerlei Klagen von irgendwelchen Körperteilen, es fühlt sich trotz der bisher längsten Strecke in 2023 alles noch erstaunlich gut an. Allerdings mache ich mir schon Sorgen, dass dann irgendwann ein Einbruch kommen wird. Trotz der an sich eintönigen kleinen Runde wird mir bisher aber zum Glück nicht langweilig. Neben den Läufern auf der Strecke komme ich ja ca. alle 6 Minuten bei den Verpflegungsständen der Vereine vorbei, wo jede Menge Supporter uns Läufer unterstützen. Es gibt immer wieder unterstützende Worte oder Nachfragen zu gewünschter Verpflegung. Beim etwas später folgenden allgemeinen Verpflegungstand läuft immer gute Mucke, dabei wird mein Tempo immer gleich automatisch etwas schneller oder ich halte kurz an, um etwas zu trinken und zwei, drei Worte zu wechseln.
So vergeht Runde um Runde, nach 4 Stunden und 11 Minuten habe ich die Marathondistanz erreicht. Ab hier beginnt absolutes Neuland für mich, weiter war ich bisher noch nie gelaufen. Es läuft aber alles immer noch recht locker, ich bin ja auch deutlich langsamer als beim Marathon unterwegs, habe aber auch noch fast 2 Stunden vor mir. Meine Rundenzeiten sind immer noch sehr gleichmäßig, sowas liegt mir gut. Ich überhole immer mehr Leute, die langsamer werden und teilweise auch nur noch gehen. Nach 4,5 Stunden habe ich ein Tief. Nicht körperlich, sondern mental. Jetzt noch immer 1,5 Stunden laufen… och menno… so recht Lust habe ich nicht mehr. Am Getränkestand äußere ich meine Gedanken, wer denn auf die Idee kam, insgesamt 6 Stunden zu laufen. Kommt prompt als Antwort: Ach was, jetzt sind es doch nur noch 1,5 Stunden auslaufen. Ich muss laut lachen und nehme das mit auf die nächsten Runden als Mantra. Nach knapp 5 Stunden habe ich dann mein erstes Ziel geschafft – 50 km! Bei der nächsten Runde rufe ich an unserem Laufpartnerstand ganz laut:
ICH BIN EIN ULTRA !!!
Ich bekomme viel Beifall und laufe beschwingt weiter. Trotz nicht mehr zu ignorierender Ermüdungserscheinungen habe ich jetzt wieder richtig gute Laune und singe beim nächsten Vorbeilaufen den gerade laufende Modern Talking Song „You can win the Race“ mit, finde ich gerade voll passend ... Ob meiner guten Stimmung bekomme ich wieder viel Beifall von allen Supporterständen, das gibt doch nochmal einen Push. Mit immer noch deutlich mehr als einer halben Stunde auf der Uhr habe ich dann mein eigentliches Ziel, die 55 km geschafft. Während des Laufes habe ich natürlich auch immer mal hochgerechnet, dass ich das Ziel, das erste Ergebnis für 6h der Lauffreundin zu schaffen, doch erreichen kann. Rufe dann auch beim nächsten Vorbeikommen an unserem Stand: Jetzt will ich auch Julias Debüt kriegen… Erfahre, dass Julia mich telefonisch auch genau dazu noch mal aufgefordert hat.
Trotz dieses Ansporns und erneuten Motivation wird die letzte halbe Stunde ziemlich anstrengend. Jetzt nicht so sehr körperlich, sondern viel mehr mental. Irgendwie vergeht die Zeit gefühlt langsamer als vorher. Zum Glück werde ich tempomäßig nicht langsamer, werde im Gegenteil sogar etwas schneller. Dadurch wird’s zwar noch anstrengender, aber ich weiß jetzt, dass ich es durchhalten werden. Trotzdem zieht es sich jetzt wie der berühmte Kaugummi. Irgendwann habe ich aber die 58,xx geschafft. Jieppie. Jetzt will ich aber auch die 60 km schaffen, klingt doch irgendwie noch besser. Also weiter geht’s, nicht langsamer werden, immer weiter… immer weiter… Nachdem ich die magischen 60 km !!! geschafft habe, sind immer noch über 5 Minuten auf der Uhr. Also trete ich nochmal aufs Gas, was komischerweise tatsächlich auch noch ganz passabel funktioniert. Den letzten Kilometer laufe ich in 5:16, den letzten „Schlusssprint“ dann sogar bis 4:47er Pace, wie die Uhr hinterher verrät.
Und dann endlich, endlich kommt die lang ersehnte Schlusssirene. Ich bleibe stehen und bin in dem Moment einfach erstmal nur erleichtert, dass es jetzt vorbei ist. Wir müssen jetzt alle an der Stelle warten, wo wir waren, als die Sirene kam, damit die Restmeter dann vermessen werden können. Meine Beine und ich sind jetzt doch fix und fertig. Ich traue mich nicht, mich hinzusetzten, weil ich nicht weiß, wie und ob ich dann wieder hochkomme. Schatzi kommt dann irgendwann zu mir und gibt mir seine Jacke. Zum Glück wird mein Haltepunkt recht schnell markiert. Als ich dann losgehen kann, sind meine Beine erstmal seeehr schwerfällig, aber es geht zum Glück halbwegs.
An unserem Laufpartnerstand ist die Freude derweil riesengroß. Wir haben die Deutsche Meisterin in unseren Reihen und die erste Mannschaft der Frauen ist auch Deutscher Meister. Bei den Männern haben wir den Vizemeister und die Mannschaft ist ebenfalls Deutscher Meister. Auch ich werde für mein tollen Debüt-Ergebnis ganz oft umarmt und bekomme viel, viel Lob. Ich selber bin auch richtig, richtig stolz auf meine Leistung und einfach nur glücklich.
Nach einer Weile kommt mein offizielle Ergebnis – 61,044 km !!! – YEAH !!!
Ich hätte wirklich im Leben nicht gedacht, dass ich aktuell mit diesem Training soweit laufen kann und jetzt auch offiziell in der Ultra-Statistik der DUV gelistet bin.
Weitere Statistiken:
- durchschnittliche Pace mit nicht gestoppten Trinkpausen = 5:54
- durchschnittliche Pace in Bewegung = 5:52
- von den 6:00:00 Stunden war ich lt. Uhr 5:57:57 in Bewegung
- Gesamtkalorien verbraucht = 2.368
- insgesamt habe ich 6 Maurten-Gels zu mir genommen (zum Ende hin habe ich keine weiteren mehr runterbekommen)
- getrunken: ab km 5 regelmäßig Wasser + ab 4,5 Stunden auch noch Cola
6-Stunden-Lauf Dreilinden 01.10.2023 - Ich bin ein ULTRA !!!
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Zuletzt geändert von heikchen007 am 05.10.2023, 15:09, insgesamt 1-mal geändert.
5 km - 21:44 (09.09.2023 - Tierparklauf)
10 km - 44:40 (16.10.2022 - The Great 10K)
HM - 1:39:18 (28.08.2022 - Die Generalprobe)
25 km - 02:02:00 (15.05.2022 - S 25)
M - 03:38:13 (25.09.2022 - BM)
50 km - 04:32:07 (17.03.2024 - Werderseelauf)
10 km - 44:40 (16.10.2022 - The Great 10K)
HM - 1:39:18 (28.08.2022 - Die Generalprobe)
25 km - 02:02:00 (15.05.2022 - S 25)
M - 03:38:13 (25.09.2022 - BM)
50 km - 04:32:07 (17.03.2024 - Werderseelauf)