Ich möchte diesen Laufbericht maletwas anders aufziehen als sonst. Zunächst eine kurze Schilderungder Veranstaltung, und dann mal die Faktoren, die ich richtig gemachthabe.
Reichenbach liegt im schönen Vogtland– weder von der Stadt noch vom Gebiet habe ich viel gesehen. Dennich bin direkt ins Stadion eingeflogen, wo die 24. Auflage des Laufesstattfindet. Und diese Erfahrung merkt man dem Veranstalter an. Allesist sehr gut und unaufgeregt organisiert, die Helfer sind zahlreich,motiviert und sehr freundlich.
Die Strecke ist unspektakulär: EineRunde im Stadion, dann eine Runde um das Stadion herum, wieder insStadion hinein, fertig. Ergibt 1200 Meter, eine Zeitmessmatte, eineVerpflegungsstelle, eine Hand voll Zuschauer. Und das, imOptimalfall, 24 Stunden lang.
Ab Stunde 2 wurden die „aktuellen“Ergebnisse der letzten vollen Stunde mit ca. 15 Minuten Verspätungausgehängt, so dass man in ungefähr verfolgen konnte, wo man sichim Feld gerade s bewegte.
Das Wetter war für Mitte Juli perfekt:Sonne und Wolken wechselten sich ab, kaum Regen, max. 24 Grad, nurder starke Wind nervte anfangs (=10 Stunden), er legte sich dann aberdankenswerterweise in der Nacht.
Wenn es etwas zu kritisieren gab, danndie Musikauswahl. Das grenzte an Körperverletzung. Sollte aberwahrscheinlich die Läufer nur dazu bringen, das Stadion schnellwieder zu verlassen
Kurzum: Eine nette, gelungeneVeranstaltung, wie geschaffen dazu, alles richtig zu machen. Und wasich alles richtig gemacht habe, kommt jetzt:
1. Gut vorbereitet –organisatorisch, mental wie körperlich:Ich bin dieses Jahr sehr, sehr viel gelaufen, für meineVerhältnisse. Dabei waren viele lange Läufe, alleine 15 Ultras undMarathons stehen für 2012 bereits zu Buche. Vor allem das100-km-Doppel in Biel und Ulm im Juni war Gold wert. Ich wusste: vonden Beinen her bin ich dieser Sache gewachsen.
Undauch im Kopf fühlte ich mich topfit. Ich wollte die ganzen (ok,viele!) Fehler, die ich in Bernau 2010 gemacht habe, vermeiden. Ichhabe unendlich viele Szenarien durchgespielt, habe mir Strategienzurecht gelegt, habe Pläne geschmiedet. Auch hier: die Vorbereitungwar gut.
Auchorganisatorisch war alles bestens: Taschen rechtzeitig gepackt, mitmeinem Helfer alles gut durchgesprochen, alles dabei, was ich fürdas Rennen brauchen könnte. Super!
2. Gut erholt: Hieranmangelte es bei den letzten Rennen. Ich bin dieses Jahr fast immermit müden Beinen in meine Wettkämpfe gegangen. Dieses Mal habe ichdarauf geachtet, dass es nicht noch mal passiert. Die letzten dreiWochen, nach Ulm, bin ich gerade mal 60 km gelaufen. Habe mich guternährt, habe viel geschlafen, war richtig vernünftig. Und das habeich im Rennen auch gemerkt. Klar, nach 30 Kilometern waren die Beineschon schwer, aber es war deutlich zu merken, dass der Akku voll war.Tolles Gefühl.
3. Die richtige Renntaktik:An der habe ich lange gebastelt. Die Hauptursache für mein letztesDebakel bei so einer Sache habe ich in meiner mangelnden Lockerheitausgemacht. Ich war viel zu verkrampft, fixiert, habe mir nicht dienötige Entspannung gegönnt. Und das ist bei solchen Distanzentödlich. Und um das zu vermeiden habe ich verschiedene Maßnahmengetroffen: Ich bin ohne Uhr gelaufen (super!), ich habe mir dieErgebnislisten nur alle 3 Stunden angeschaut (seer schön!), ich habealle drei Stunden konsequent 5-10 Minuten Pause gemacht. Mithinsetzen, ein leckeres alkoholfreies Bier trinken, umziehen, einbisschen plauschen. Und ich habe das ganz konsequent durchgezogen.Das Anlaufen danach war zwar immer hart, aber so konnte ich dasRennen super strukturieren. Ich habe nie gedacht: „Oh Gott, noch 19Stunden“ Sonder nur: „Hey, in 57 Minuten, weniger als einerStunde hast du wieder Pause! Coooool!!!“ Ich habe mir beim Essenund Trinken Zeit gelassen und bin dabei immer wieder mal 200-300Meter gegangen, ich bin auch mal eine Runde langsamer gelaufen odergar gegangen, wenn ich einen Mitläufer gefunden habe, der es geradewert war, begleitet zu werden.
Undall diese Vorsätze, diese ganzen taktischen Vorgaben habe ich 1:1umgesetzt. Ich bin echt stolz auf mich!
4.Die nötige Lockerheit

Aberauch was meine Ziele anging, hat mir das alles geholfen: Klar wollteich die 200 Km schaffen. Aber im Laufe des Rennens habe ich gemerkt,dass diese starre Zielvorgabe meiner Leistung nicht gerecht wird. Ein24-Stunden-Lauf dauert eben 24 Stunden und man kann nie sagen,waskommt. Und was wäre denn, wenn ich bei 190, 180, gar nur bei 170gelandet wäre – und trotzdem alles gegeben hätte? Dann wäre ichenttäuscht gewesen, und das wre nicht richtig gewesen. So konnteich, nach etwa 10 Stunden, die 200 km loslassen. Ich habe immer nochalles daran gesetzt dieses realistische Ziel zu erreichen. Aber ichhabe die dazu nötige Lockerheit gewonnen. Schön, oder?
5. Krisen angenommen und bewältigt:Auch das hat dieses Mal hervorragend funktioniert. Es ist das eine,zu wissen, dass diese Krisen kommen. Das andere ist es aber, siewirklich handeln zu können. Denn wenn man in einer Krise steckt,kann man sie nicht rational wegdiskutieren.
Dieerste Krise kam unerwartet früh, schon nach knapp 3,5 Stunden. Undmeine Mechanismen haben gegriffen: Dampf raus nehmen. Was Gutesgönnen (Kaffee ist die ultimative Lösung dafür: Ein Becher Kaffeebraucht ca. 300 Meter Gehpause. Dann noch eine Hand vollGummibärchen, und den Rest der Runde durchgewandert, dann sah dieWelt schon meistens besser aus.) In kleinen Schritten denken, nichtauf das Große, Monströse vor einem schauen. Hat alles geklappt.Einfach toll. Alles richtig gemacht.
6. Vernunft bewiesen:Wer mich kennt, weiß, dass das gerade im Bezug aufs Laufen nunwirklich nicht meine größte Stärke ist. Aber auch hier hat inReichenbach wirklich alles geklappt. Ich habe den Lauf nach 12,5Stunden und 113 Kilometern abgebrochen, weil mir mein Knie auf einmalunglaublich weh getan hat. Alles andere wäre unverantwortlich undeben unvernünftig gewesen.
Kurznach der „Halbzeit“ habe ich meine geplante Pause gemacht, michfür die Nacht umgezogen, gegessen und getrunken. Als ich geradeweiter wollte, wurden die Zwischenergebnisse durchgesagt: Knapp 110km stehen für mich zu Buche. Cool. Super. Besser als erträumt. Dennich bin noch fit (naj a, so fit, wie man nach 12 Stunden haltist...), guter Dinge und fühle mich in er Lage hier noch was zureißen. Kein High, sondern eine sehr nüchterne Selbsteinschätzung.Ich mache mich wieder auf den Weg, gehe wie immer die ersten 200Meter um wieder reinzukommen, trabe an – und spüre nach etwa 10Schritten einen Schmerz im rechten Knie, wie ich ihn an Intensitätund Lokalisation noch nie hatte. Es fühlt sich an, als hätte jemandmit einer Nadel in meine Kniescheibe gestochen. Ich weiß, wie sichÜberlastungsschmerz in den Knien normalerweise bei mir anfühlt. Dashier ist anders. Ich höre sofort auf zu laufen und gehe. Der Schmerzist weg. Ich gehe eine Runde, trabe wieder an – und nach 3Schritten ist der Schmerz sofortwieder da. Ich gehe wieder eine Runde– jetzt tut es schon beim Gehen weh. Da weiß ich: Das war es fürmich. Ich kann und werde mich unter keinen Umständen hier 11 Stundenmit Schmerzen durch die Gegend schleppen und mein weiteres Laufjahroder gar Laufleben gefährden.
Deranwesende Physiotherapeut schaut sich das Ganze an und tippt aufÜberlastung wegen zu alter Schuhe. Wäre typisch dafür. Könntesein. Die Schuhe waren definitiv über ihrem Zenit, aber diebequemsten die ich habe.
Nachdieser Untersuchung ist klar, dass ich aufhöre. Ich gebe meinenTransponder ab, wir packen zusammen und machen uns auf den Weg. Kurzbevor wir fahren, kommen die Zwischenstände nach 15 Stunden durch:Wenn ich in den vergangenen 2 Stunden nur 16 Kilometer gelaufen wäre,wäre ich jetzt 2., mit nur einer Runde Rückstand auf den Führenden.Komische Gefühl...
Umdrei Uhr liege ich in meinem Bett und denke mir, dass das jetzt schonanders geplant war...
Wie geht es mir jetzt? Klar, ich binenttäuscht. Und traurig. Noch knapp 12 Stunden Zeit, nicht mal mehr92 km zu laufen bis zum großen Ziel, es ging mit hervorragend, ichwar Dritter. Klar bin ich traurig. Aber es fühlt sich richtig an,was ich getan habe. Ich habe alles richtig gemacht. Es lag außerhalbmeiner Einflussmöglichkeiten, was da passiert ist. Und damit kannich es nicht ändern. Sondern muss es annehmen. Und das gelingt mirgerade sehr gut.
Ich werde jetzt schauen, dass mein Kniewieder in Ordnung wird, mich gut erholen und dann das Laufen neugenießen. Die 24 Stunden scheinen wohl nicht mehr Distanz zu sein.Da bleibt auf jeden Fall eine Rechnung zu begleichen...
Liebe Grüße
Euer nachtzeche