Da ich zwischenzeitlich die erste, noch zaghaft anspruchsvolle, urbane Ultraluft geschnuppert hatte, hieß der logische nächste Schritt. Irgendwann musst du nach D. D wie Davos, das Biel des Bergläufers. K78. Das K steht für die Königsdisziplin des Swiss Alpine und sollte meine Berglauf-Krönung sein. Denn die perfekte Mischung edelster Zutaten, ergeben (berg)spitzen vollendeten Genuss durch das Schweizer Verwöhn-Aroma. Das sollte man sich langsam auf der Zunge, respektive unter den Füßen zergehen lassen. Denn die Veranstalter des K78 warten nicht mit so respekteinflößenden Sprüchen wie: "Der härteste Lauf der Welt." Oder mit Beinamen wie: Iron, Inferno oder Harakiri auf. Sondern kurz und knapp. K78 – more than a race. Also auf gut schwäbisch. K78 – meh wie ällaweil saua. Für Unkundige: Saua isch ganz schnell sprenga

Und das Motto versuche ich mal heute umzusetzen. „Simplify your Life“ heißt mein geplantes max. 14-stündiges Entschleunigungsprogramm. Die letzten Wochen waren schließlich hektisch genug. Zum dem ganzen Alltagsklimbim kam mein selbstorganisierter Freizeitstreß. So viele Läufe mussten dieses Jahr schon mitgenommen werden und dann geht er zur Freude seiner Liebsten daheim auch noch eine Woche vor dem Swiss Alpine ins Hochgebirge, fröstelnd den schwitzenden Gletschern, beim schmelzen zuzusehen. Ich weiß das ist Jammern auf hohem Niveau. Meine Laufkamerädin Kati würde sagen: „Zwischen Samstag und Sonntag drauf, passt immer noch ein Lauf. Nur einmal pennen, dann folgt das nächste Rennen.“ Ihre maximale Laufauslastung erinnert mich ein bisschen an unsere früheren Außenminister, der sich unbestätigten Gerüchten zufolge auch öfter in der Luft begegnet sein soll. Ab und zu schaffe ich es nicht mutterseelenallein in die große weite Laufwelt hinein zu müssen sondern die Gesellschaft liebgewonnener Mitsüchtiger äh Laufbegeisterter zu haben. Dieses Jahr klappt das, wer hätte es gedacht- mit der Kati am Häufigsten. Meistens reicht es nur kurz, sie mit meinem Gejammere am Start a bissle aufzubauen oder frisch geduscht im Zieleinlauf das schon halb geleerte bleifreie E. vor ihrer Nase herumzuschwenken. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, so haben wir auch schon einen kleinen Trainingsultra zusammen gejoggelt und dabei das nötigste an Informationen ausgetauscht.
Seit Donnerstag weiß ich dass mein Handgelenk gebrochen ist, Folge eines blöden Abstützmanövers beim Bergsteigen in den Walliser Alpen. Nach dem die erste Woche keine Besserung brachte, nun also die Gewissheit das es sich nicht nur um eine kleine Verstauchung handelt. Zum Glück entgeht mir ein Gips, obwohl der sich heute ganz gut gemacht hätte als Eyecatcher. Hätte schon was gehabt so ein aufgemaltes Steinböckle, wild aufgekrizzelte Pacevorgaben, oder noch besser eine Abstreichliste für überholte Gegner. Aber so eine nette Manschette hat auch was von Kampfsauoptik und ist mal ein anderer Farbtupfer als die farbenfrohen Kinesiotapes die grad zum guten Farb(ton) eines fleißigen Läufers gehören. Leider stiehlt mir Kati mit ihrer farblich genau zum Laufshirt passenden roséfarbenen Kniebandage mal wieder die Schau. Ja zumindest modisch ist, Sie mir mal wieder einen Schritt voraus.
Kati läuft heute auch das große K. Wir haben die Nacht im gemeinsamen Hotel Alpina verbracht. (Achtung das gemeinsam steht nur vor Hotel, gell). Ein herrschaftliches, leider etwas in die Jahre gekommenes Anwesen am Berg. Von dort zum Start am Eisstadion sind es nur wenige Minuten. Kurz nach ½ 7 laufen wir dort ein. Noch ist es recht ruhig. Für den Start am K78 sind ja doch fast 1100 Läufer am Start, davon 173 Frauen. Und bei den Kurzstrecken C42 und K30 sind es zusammen nochmals ca. 750. Aber alles kein Vergleich zu Interlaken wo jedes Jahr gut 4000 der Jungfrau huldigen wollen.
Nichts destotrotz wird hier ein Spektakel inszeniert. Der Hubschrauber schwirrt heran und sticht herunter wie ein Habicht, Aug in Aug mit der winkenden Meute. Nahezu in Greifweite verharrt der Heli in „Hab acht Stellung“ um kurz darauf seitlich abzukippen und mit aufheulenden Rotoren wieder durchzustarten gen Himmel. Irre, diese Flugmanöver. Nur für uns. Kati hat derweil mal wieder Laufidole gescannt und schleppt mich an die Granden der Ultraszene heran. Nur mit halbem Ohr bin ich bei der Sache. Gegenüber einen großem Startmarathon ist die Ruhe hier zwar paradiesisch aber ich will die Stimmung noch etwas für mich genießen. Und so richtig gewahr wird mir das allseits bekannte „Conquest of paradise“ nicht, das Vangelis hier jedes Jahr zum Besten geben muss. Ich will jetzt einfach nur los, die umgebungsbildenden Berge sind genug Verheißung für mich. Leider scheint das Wetter heute nicht paradiesisch zu werden. Noch ist es zwar trocken, aber die aufziehenden Wolken verheißen nichts Gutes. So habe ich beschlossen meinen Laufrucksack voll zu machen, mit leichter Gore-Regenjacke, Langshirt, Armlingen und sogar Handschuhen. Das erstmals bei einem Lauf mitgenommene BUFF soll sich heute als bestes Kleidungsstück herausstellen. Irgendwie sitzt mir das Equipment nicht richtig. Ich setze den Rucksack ab, nestle an den Trägern herum, setze ihn wieder auf, verändere wieder die Einstellung, setze ihn wieder auf…. So geht das bestimmt 4-5 Mal. Und nur noch wenige Sekunden bis es losgeht.
Punkt 7:00 Uhr werde ich erlöst. Endlich dürfen die nervösen Beine zeigen wofür Sie gut sind. Hoffentlich haben Sie ihren Laufzweck nicht vergessen, denn die letzten 2 Wochen vor dem Davoser Kurz-Kurlaub habe ich so gut wie nix gemacht. Und das ist jetzt keine bewusste Untertreibung mit dem Ziele etwaigen Misserfolgen vorab ein Alibi liefern zu wollen, noch soll es der Bewunderung dienen wenn sich mal wieder eine grandiose Laufzeit einstellen sollte. 18 km verteilt auf 4 Läufe in einer Woche, die Vorwoche des Laufes gar mit 0 km, können wahrlich als Extremtapering durchgehen. Und im Gegensatz zu früher, wo man schlecht vorbereitet bei Leistungstest evtl. noch auf seine kreativen Spickzettelmethoden oder seinen uneigennützigen Banknachbarn zurückgreifen konnte, fallen hier weg. Also heißt es heute für mich: In der Ruhe liegt die Kraft.
Nun ja, wären da nicht die vielen schnellen vor mir und die vielen drängelnden hinter mir. Heh, ich kann euch doch nicht alle ziehen lassen und seelenruhig zusehen wie ihr hier im Herzen Davos Gummi gebt. Wir laufen nämlich zunächst mal eine Schleife. Was heißt laufen. Wie war das nochmal mit dem Gemach, Gemach Motto. Meine Uhr sagt was anderes. Außer der Kilometerzeit, die eher zu einem schnellen Halben passen würde, sagt Sie mir auch dass der Akku nur einen Halben laufen will. Denn der eine Balken wird wohl spätestens bei der hälftigen Strecke seine Restfarbe verlieren. Holla, ich hab das Ding doch zuhause aufgeladen. Oddr? Egal, wenn ich nach Gefühl laufen muss, ist die Gefahr des Überpacen schon weg. Naja und so eben und asphaltig schnell wie gerade wird das Terrain ja wohl nicht bleiben. Wobei was heißt eben. Davos neigt sich dem Ende zu und es geht nun erst mal bergab. Also solange es geht: zügig rollen lassen. Was weg ist, ist weg. Erholung kann ich mich später beim Bergwandern zur Keschhütte.
Die ersten 12 km wird also noch munter im Talboden herumgespurtelt. Berglauf wo bist du. Schnell weiter, das vermaledeite Asphaltband muss doch mal enden. Endlich kommt ein nennenswerter Anstieg hinauf nach Spina. Jetzt freue ich mich auf die aus dem WWW bekannten Bilder vom Bauernhof dessen Silo mit Schweizer Fahne geschmückt wurde. Und danach hört endlich die Rennpiste auf und der Untergrund nimmt naturbelassenere Formen an. Und natürlich darf jetzt auch ohne schlechtes Gewissen gegangen werden. Sind ja nur noch knapp 65 km bis zum Stadionrund in Davos. Leicht bergab führt ein Wiesenweg an der Monsteiner Kapelle vorbei. Die Wolken werden immer dichter. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis der Rucksackinhalt zum Einsatz kommt. Zügig geht es nun in die Zügenschlucht. Mehrmals tappe ich im Dunkeln in den stockdunklen kurzen Tunneln aus gehauenem Fels. Am Ende der Schlucht geht es hinunter zum Bahnhof Wiesen. Man hört schon den dortigen Sprecher, durch den Wald blitzt es rot. Aah hah, ein Bähnli wartet vor dem Bahnübergang. Hmm, wie lange noch. Ich beschließe bergab noch einen Zahn zuzulegen, um nicht vor geschlossener Bahnschranke warten zu müssen. Geschafft, ich bin auf der anderen Seite und laufe nun ein Stück entlang des Bahnkörpers. Kurz darauf kommt Sie, die höchste Steinbrücke der Rhätischen Bahn. Nein es ist nicht das weltberühmte Landwasser Viadukt, sondern das Wiesener. Über den seitlichen Metallroststeg wird über das tief eingeschnittene Tal die Landwasser überschritten. Ein schönes Bild wie die Läufer hier zwangsläufig perlenschnurgleich über diesen gähnenden Abgrund gelangen. Leider kommt nun keines der roten schmalspurigen Fahrzeuge der Matterhorn Gotthardbahn als stilgerechte Begleitung. Nach der Brücke verlassen wir die weitere Streckenführung die den Glacier Express bis nach Zermatt führt und nach einem kurzen Anstieg folgt der Weg nach Filisur.
In Filisur ist die erste Kontrolle für einen Cut Off. Die 31,1 km passiere ich aber deutlich früher, knapp 3 Stunden bin ich nun unterwegs. Was mich nun etwas verwundert ist das mein saftloser Rechenknecht mir weniger geleistete Kilometer anzeigt als die roten offiziellen KM-Tafeln, die leider höchstens alle 5 km auftauchen. Die Fehlstrecke summiert sich im weiteren Verlauf bis auf 3 Kilometer. Ist mein nur noch schwach auf der Brust mitlaufender Datensammler so konfus. Erst im Nachhinein erfahre ich, dass wir aufgrund eines Murenabgangs in der stürmischen Vornacht einen Straßenabschnitt der Albula-Paßstraße laufen müssen. Normalerweise geht die Stecke hier durch den Wald. Deutlich schöner, aber halt auch um die genannte Differenz länger. So laufen wir heute tatsächlich im gesamten keine 78 km, respektive die letztjährigen 79,4 sondern nur gut 76 km. Nun ja, braucht man ja nicht jedem zuhause erzählen wenn, ist ja auch so lang genug. Und die ca. 2600 Hm rauf und runter sind uns erhalten geblieben.
Dafür geht es die unzähligen Asphalt-Serpentinen hoch, die sich hier schier endlos steil am Fels entlang hochschrauben. Ich versuche mein Wandertempo zügig aussehen zu lassen, aber viele deutlich schnellere lassen mich nun hinter sich. Ein paar sind noch im Laufschritt, ich fasse es nicht. Nach unendlich lang erscheinender Zeit wird der Scheitelpunkt des in den Berg geschlagenen Asphaltbandes erreicht. Nun heißt es wieder anlaufen, denn es geht leicht bergab nach Bergün. Dort am Bahnhof ist das Rucksackdepot eingerichtet. Später hier durchkommende werden mit den in einer halben Stunde startenden K42 Läufer zusammenzutreffen. Diese starten in 2 Wellen, zuerst die schnellen um 10:30 Uhr und dann um 11:30 die Genussläufer. Kurz nach passieren des Ortes fängt es nun an zu donnern und der schnell stärker werdende Regen veranlasst mich meine Regenschutzjacke erstmals aus dem Rucksack zu pfriemeln. Der weitere Weg verheißt ordentlich Höhenmeter, den von 1300 Meter über Seehöhe geht es nun hinauf zur 2632 Meter hoch gelegenen Keschhütte. Die anfängliche Hektik weicht somit automatisch einer gewissen Gemütlichkeit, zumindest was das Vorankommen betrifft. Meine Pumpe findet nämlich durch die hochalpinen Gegebenheiten keine Entspannung und meldet zu Recht Prost an. Also die alte Weisheit beherzigt: Eile mit Weile. Denn erst gut die deutlich einfachere Hälfte der heutigen Strecke ist geschafft. Bis zur Marathondistanz benötige ich gut 4 ½ Stunden.
Zwischenzeitlich ist der Weg in einen schmalen Bergpfad übergegangen und die Regenjacke kann bald schon wieder verstaut werden. Die Wolken reißen immer wieder auf und geben eine Ahnung von der Bergkulisse durch die wir uns gerade bewegen. Der Blick geht nun zwangsläufig immer öfter nach oben zu dem kleinen braunen Punkt am oberen Ende des Blickwinkels. Ja da oben ist sie, die Keschhütte, wo der legendäre Blick in die Augen stattfindet - verbunden mit der obligatorischen Frage nach dem Befinden. Stetig wird das Pünktchen größer; leider nehmen auch der eisige Wind und die Kälte bei der Annäherung zu. Die großen Lettern die vor der Hütte am Boden liegen sind schon zu entziffern. KESCHHÜTTE.
Und endlich gibt es Cola. Schon ulkig, ich mag eigentlich gar kein Cola und trinke es sonst nicht. Aber es hat sich bei mir psychologisch festgesetzt. Bei längeren Wettkämpfen, brauch ich das hinten raus sonst wird das nix. Naja, bei Kurzdistanzen wie dem Marathon heißt das so ab den dreißiger Kilometern muss Cola her. Insoweit würde es ja heute passen bei der nahezu doppelten Distanz bei frühestens Kilometer 60 damit anzufangen. Tja, vielleicht sollte ich meinem Mentaltrainer mal mitteilen, dass hier heute noch nicht so schnell Schluss ist.
Das verlockende Massageangebot stier missachtend wird der unwirtliche Ort schnell wieder verlassen. Was bin ich froh eine gescheite Gore-Regenjacke dabeizuhaben und keine der großzügig verteilten orangenen Frischhaltetüten, äh Regenjacken der großen Schweizer Supermarktkette namens „Mickrig“

Aber zurück zu angenehmeren Dingen. Auf der anderen Seite des Bergkamms ist es windgeschützter. Der Weg führt ein Stück bergab und dann entlang des Bergrückens wellig weiter zu mehreren kleinen Bergseen. Dabei heißt es immer wieder über kleine Bächle zu springen, die sich aufgrund der Niederschläge gebildet haben. Durch den starken Wind, hat sich der Himmel binnen kurzer Zeit weißblau herausgeputzt. Zurück geht der Blick nun auf die grandiose Gletscherlandschaft des Piz Kesch. Endlich, stellt sich das ersehnte Gänsehautfeeling ein. Das kleine Tal vor mir ist garniert mit braungewandeten Milchproduzenten und auf den grünen Almwiesen liegen wild verstreut, flechten- und moosbewachsene Geröllbrocken und machen die Idylle perfekt.
Vorbei an der unwirklichen Naturkulisse geht es nun dramaturgisch im nächsten Akt dieses Schauspiels zum läuferischen Höhepunkt. Ein langer steiler Anstieg zur Passhöhe steht an. Vor mir windet sich eine lange Läuferschlange serpentinig die Bergkante entlang. Schritt für Schritt rückt der Zenit am Sertigpaß in den Focus. Der Maximalpunkt scheint zum Greifen nah. Sertig mach mich nicht fertig. Unter mir windet sich eine Läuferschlange perlenschnurgleich durch das Tal, im Rücken das vergletscherte dominant aus der Umgebung hervorstechende Bergmassiv des Piz Kesch. Liste der prominentesten Berge der Alpen
Dann ist es geschafft. In gut 2700 Meter Höhe gibt es wieder Cola satt und dann beginnt der rasante Abflug ins Tal. Oder doch nicht? Der Weg verlangt für ein wie auch immer geartetes Lauftempi vollste Konzentration. Wie schon vorher beschrieben quert der Weg einen grobschotterigen Geröllhang, flankiert von einzelnen Restschneefeldern und Felsabschnitten. Zwischenzeitlich habe ich den Eindruck, dass die schnellere Marathongruppe des K42 samt und sonders aufgelaufen ist. Nicht anders ist es zu erklären wieso sich hinter mir so viele ausgeruhte Pferdchen drängeln. Gar nicht so einfach den nachvollziehbaren Überholwünschen nachzugeben. Denn rechts geht es im dümmsten Fall zwar schneller runter doch die folgende Schotterbremse dürfte den Helipiloten ungewollte Abwechslung in der heutigen Auslastung bieten. Ich überhole zwar auch einige Läufer, aber noch öfter versuche ich den nicht vorhandenen Platz für einen Überholvorgang auf der Bergseite freizuhalten. Durch entsprechende Bezeugungen auf welcher Seite man tatsächlich zu passieren gedenkt wird klappt dies auch mehr oder weniger gut. Bis plötzlich ein Heißsporn versucht außenseitig ohne Vorwarnung sich vorbeizudrücken und dabei wegrutscht. Er verfängt sich zwar und stürzt nicht weiter ab, trifft mich aber unsanft oberhalb der Ferse. Tut zwar nicht weiter weh, aber reflexartig verspüre ich das Aufkommen eines Krampfes. Verflixt, ich könnt ihn würgen den Aspiranten für „Davos sucht den Superseggl“. Sein Glück, das er nach seiner Schrecksekunde und meiner Schimpftirade sich ganz schnell vom Acker macht, respektive auf dem ausgesetzten Bergtrail weiterbrettert. Wenn das mal gutgeht.
Meine auf bereits 60 km vorbehandelten Knie freuen sich jedenfalls auf den Talboden, wo der Weg wieder laufbarer wird - so schön der Panoramatrail auch ist. Nun also beginnt der lange Weg durch das Sertigtal zurück nach Davos. Der anfänglich breite Bergweg, geht in einen breiteren Kiesweg über und kurz vor Sertig Dörfli in eine gröberen Fahrweg. Dort treffe ich kurz Martin und Johanna. Aber jetzt wo es grad wieder so richtig rund mit Tempo läuft will ich nicht stehenbleiben. Seit dem leichten Pferdekuss beobachte ich meine rechte Wade und stelle mir die bange Frage: Krampft sie demnächst oder nicht. Ich rede mir ein ich brauche dringend Magnesium. Das habe ich diesmal aber leider nicht mit. An der Verpflegungsstelle in Sertig frag ich bei den Sanis nach. „Nein des haben wir nicht, aber an Traubenzucker“. Na klasse, schnell durch den Ort und weiter. Die nächste Sanität ist in Boden. Dort hat man das ersehnte Wundermittel für einen traumatisierten Schauläufer. Das Gebräu wird sogar extra für den Herrn frisch kredenzt. In aller Ruhe wir ein Pülverchen in einen Pappbecheran. Hmm fehlt nur noch das Sahnehäubchen. In der Zwischenzeit passieren etliche Läufer in meinem Rücken die Verpflegungsstelle. Schnell das Wunderwasser herunterstürzen. Na also. Mentale Sekundenheilung. Jetzt aber keine Sperenzchen mehr und weiter im Text.
Bis auf wenige kurze Straßenabschnitte durch Clavadel geht es jetzt über eine schmalen Waldweg. Sanft bergab, bergauf. Wobei auch die wenigen kurzen positiven Höhenmeterabschnitte jetzt ausnahmslos gegangen werden. Ich liege trotzdem deutlich besser in der Zeit als vermutet. Wahrscheinlich hat mich das unbeständige Wetter, doch unbewusst veranlasst die Zügel etwas mehr als geplant anzuziehen. Zwischenzeitlich sind wieder dunkle Wolken aufgezogen und leichter Regen hat eingesetzt. Das war heut noch nicht das letzte Gewitter, so viel ist klar. Also da wo es geht zügig laufen und Ressourcen schonen an den kleinen Aufstiegen. Der Höhenweg führt kilometerlang durch dichten Wald, entlang des Berges, weit oberhalb des Talbodens. Sogar über eine kleine Holzhängebrücke führt der Weg.
Mental viel schöner als ein Schnellhatscher über schwarzgeteerte Talwege.
Als wir den Dorf-Skilift von Davos passieren ist hier oben der Lärm vom Stadiongelände deutlich zu hören. Spaziergänger warnen uns davor, dass der Spaß nun bald zu Ende ist. Eine letzte kleine Schleife, dann geht es steil bergab über die Wiesenhänge hinunter an den Ortsrand von Davos. Die letzen Meter durch den Ort werden begleitet von leichtem Donnergrollen. Jetzt nicht mehr nass werden vorm Ziel. Es geht rein auf die Laufbahn. Menschen sehen seitlich Spalier und jubeln und schreien was das Zeug hält. Was für ein Zieleinlauf. Hände abklatschend geht es in die letzte Kurve Richtung Zieltor. Ich reiße die Arme hoch und schreie meine Freude hinaus. Geschafft, noch nicht mal vor 10 Stunden habe ich hier Davos verlassen zu meinem bisher längsten Berglauf. Was kommt danach? Ich weiß es nicht, erst mal muss ich alles realisieren und die Eindrücke verarbeiten. Das erste Ziel heißt, ganz profan schnell ein trockenes Plätzchen unter dem Vordach des Eisstadions zu suchen als der Regen einsetzt. Da ich jetzt auch die Kühle spüre, mache ich mich dann recht schnell auf den Weg ins kuschelige Gästehaus. Kaum bin ich auf den Zimmer geht draußen das Gewitter so richtig los. Während ich es mir nach einer heißen ausgiebigen Dusche auf dem weichen Bett bequem mache, denke ich kurz an die, die noch draußen ihrem Ziel entgegenlaufen. Als ich etwas ausgeruht gegen halb neun nochmals runter gehe um in Davos eine Kleinigkeit zu essen ist es bereits etwas dämmerig. Und noch immer hört man den Stadionsprecher Zieleinläufe verkünden.
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Grüssle Klaus