"Der Lauf Sierre-Zinal (11. August 2013. 40. Auflage) auch "Lauf der Fünf Viertausender" genannt, ist oft als einer der schönsten Bergläufe der Welt betrachtet worden. Man konnte lesen, er nehme im Rahmen der Bergläufe etwa den Rang des Marathons von New-York ein. Es ist auch der älteste der grossen Bergläufe Europas."
Da ich im Berner Oberland aufgewachsen bin, letztes Jahr an zwei Bergläufen (Aletsch-Halbmarathon und Jungfrau-Marathon) erste Erfahrungen gesammelt habe sowie in diversen Blogs und auch in diesem Forum auf Sierre-Zinal gestossen bin, den man als Bergläufer unbedingt gemacht haben muss, habe ich mich im Februar dieses Jahres gleichzeitig mit dem Jungfrau-Marathon 2013 dafür angemeldet. Die Zahlen sind (für mich) relativ happig:
31km, 2200m Aufstieg, 800m Abstieg. Der Start ist in Sierre (585 M.ü.M.), der höchste Punkt in Nava (2452 M.ü.M), das Ziel in Zinal (1680 M.ü.M). Das Ganze spielt sich im französischsprachigen Teil des Kantons Wallis ab. Die Höhendifferenz ist fies aufgeteilt: Auf den ersten 5km sind rund 1100 Höhenmeter zu machen, auf dem letzten Kilometer geht es fast 400 Höhenmeter runter. Ein wenig mulmig ist mir schon in der Magengegend, da ich zwar rund 1900 KM gelaufen bin im 2013, ohne dass viele Junk-Miles dabei gewesen wären. Aber: an Höhe sind es läppische 18‘000 Jahreshöhenmeter. Letztes Jahr war ich um diese Zeit bei doppelt so viel bei zirka der Hälfe an Kilometerumfang…
Nach dem das Besorgen der Startnummer und das Aufgeben des Gepäcks für den Transport nach Zinal problemlos verlaufen ist, sind wir relativ knapp vor dem Start im Startbereich angekommen (10min vor Startschuss), da ich bei einem ebenfalls teilnehmenden Freund übernachten konnte, der ganz in der Nähe wohnt und wir daher nicht auf Nummer sicher gehen musste bezüglich Anreise. Anhand meiner errechneten Zielzeit nach der Faustregel Marathon+10% sollte ich knapp bei den ersten 20% ankommen und entsprechend einstehen. Die Läufer standen jedoch dicht an dicht, sodass wir das vordrängeln bald aufgegeben haben und auf den famosen Plan B zurückgegriffen wurde: Überholen auf den ersten 800m, da diese auf einer breiten Strasse sind, bevor es in einen im Zick-Zack aufsteigenden Trampelpfad übergeht.
Das äusserst internationale Startfeld (ich würde schätzen, dass es nur knapp 50% Schweizer waren) war sehr hochkarätig besetzt, da es die 40. Ausgabe dieses weit über den Kontinent hinaus bekannten Berglaufs war. Als Favoriten gehandelt wurden u.a. Kilian Jornet, der bereits 2 mal gewonnen hatte, Jonathan Wyatt (ebenfalls 2 Siege sowie Streckenrekord von 2:29:12) und Sage Canaday ein Strassenläufer aus den USA, der seinen Speed in den USA auf eindrückliche Weise in die Berge übertragen konnte (Marathon PB bei 2:16). Bei den Frauen wurde v.a. auf Stevie Kremer (USA) gesetzt, die letztes Jahr schon den Jungfrau-Marathon gewonnen hatte. Bei uns hinten gings relativ locker zu und her, ein Spassvogel ist gar in Flip-Flops und Badehosen angetreten (er hats in ca 5:30h ins Ziel geschafft!). Ältere, extrem zäh aussehende Herren dominieren das Feld.
Mein rechtes Knie, das mich seit zwei Wochen ärgert gibt bisher brav Ruhe (Verdacht auf ITBS, die Butter hier lasse ich mir jedoch nicht vom Brot nehmen, auch wenn es das Ende der Saison bedeuten sollte). Ich verinnerliche Mir nochmals drei Zeiten, die ich anhand einer vom Veranstalter zur Verfügung gestellten Excel-Tabelle errechnet habe: Nach 1:13 bei der Verpflegungsstation "Ponchette", 1:39 in Chandolin, 2:31 Hotel Weisshorn. Viel mehr Zeit bleibt nicht mehr. Zu undefinierbarer, relativ nerviger Folklore-Musik geht es um Punkt 09:30 Uhr los.
Nach Plan A schlägt auch Plan B wunderbar fehl, da dermassen viele Läufer unterwegs sind. Ich kann schätzungsweise 50 Leute überholen, bevor der harte Anstieg beginnt. Da ich bisher praktisch alle Rennen zu schnell angegangen bin und das hier geniessen will, werde ich nicht allzu ungeduldig. Dann der erste Schock: meine seit zwei Tagen schmerzende Wade (wohl wegen dem Knie falsch belastet) verkrampft sich praktisch sofort. Das kann ja heiter werden, denn am meisten habe ich mich vor dem Zusammentreffen zwischen Abstieg und meinem Knie gefürchtet. Und jetzt auch das noch… Das krampfende Gefühl geht bald weg und zurück bleibt ein Gefühl vergleichbar mit einem starken Muskelkater, welches mich in allen Aufstiegen begleiten soll.
Es ist erstaunlich, wie sich die Leute teilweise verausgaben. Unablässig überhole ich völlig im roten Bereich laufende Leute, die auf Schnappatmung umgestellt haben. Wie wollen die das 5-6h durchhalten? An laufen ist nicht zu denken bei einem Gefälle von bis zu 34%. Es ist ein angenehmes "Power-Hiking" und ich bin froh, dass überholen nicht allzu einfach ist. Getreu nach meiner Faustregel "Marathonpuls -5 und nicht höher" geht es den Berg hoch. Ich schwöre inzwischen relativ erfolgreich auf den Puls die Berge hoch, und zwar als Kontrollgrösse zum Körpergefühl, da die Pace nutzlos ist.
Nach zirka 7.5km erreiche ich die Verpflegungsstelle "Ponchette". 1:17, bereits vier Minuten hinter der erhofften Zeit. Egal, war eh nur eine grobe Schätzung. In einem stetigen, jedoch nicht mehr so krassen Anstieg geht es weiter bis nach Chandolin (2000 M.ü.M.), wo Horden von wie wild anfeuernden Zuschauern stehen. So etwas habe ich noch nie erlebt! Man hat das Gefühl, dass die Leute alle am liebsten selbst mitlaufen würden. Viele haben Kuhglocken mitgeschleppt, die sie wie irr schwenken, einer spielt Schwiizerörgeli (

Kurz zwei Becher Bouillon rein, Zeit 1:40h, die Wade schmerzt praktisch nicht mehr, das Knie hat sich noch nicht gemeldet und ich bin nur noch eine Minute hinter der Zielzeit. Nach Chandolin geht es über rund 5km relativ flach auf einem breiten Naturweg. Die Umstellung für die Muskulatur nach diesem mörderischen Aufstieg ist im ersten Moment sehr unangenehm, was viele humpelnde/dehnende Leute belegen. Zudem haut es mir einen stechenden Schmerz durchs Knie im ersten abschüssigen Stück. Doch damit verschone ich euch ab jetzt: es soll das letzte Mal gewesen sein, dass sich mein Knie meldet! Dank der wunderbaren Aussicht auf all die 4000m-hohen Berge vergesse ich die Anstrengung des Anstiegs und überhole massig Leute auf dem flachen Stück, bevor es Richtung Hotel Weisshorn geht, wo insgesamt nochmals 400 Höhenmeter auf einfachem Terrain zurückzulegen sind. Entlang der Strecke hat es überall Zuschauer, die pausenlos anfeuern, obwohl die Führenden bereits vor schätzungsweise 30-45min durch sind. Unglaublich!
Beim Hotel Weisshorn hat man die Höhe praktisch erreicht, das gesamte Panorama ist verdammt eindrücklich, selbst wenn man sein Leben lang nur von 4000ern umgeben war. Durchgangszeit 2:32:10, praktisch auf die Sekunde auf 3:30-Kurs. Die Sieger dürften ungefähr in dieser Minute im Ziel sein. Wie machen die das bloss? Bereits an dieser Stelle merke ich, dass ich wohl das erste Mal in meinem Leben einen langen Lauf nicht zu hart angegangen bin: das fühlt sich definitiv noch nicht wie 2:30h mit rund 2000 Höhenmetern an. Ab dem Hotel Weisshorn geht es praktisch gerade aus. Doch eines lässt sich dem aufgeschalteten Profil nicht entnehmen: der Weg wird deutlich technischer. Insbesondere geht es durch einige Geröllhalden, wo einiges an Koordination nötig ist. Hier sein Marathon-Tempo durchzubolzen geht im Gegensatz zum Teilstück nach Chandolin nicht mehr. Immer öfters sieht man Leute, die sich Ellenbogen und/oder Knie aufgeschlagen haben. Devise: Tempo möglichst beibehalten und vieeele kleine Schritte machen.
Kurz vor dem finalen Abstieg zieht die Ultra-Legende Lizzy Hawker an mir vorbei, die anscheinend nach einer Verletzung wieder mit von der Partie ist und Sierre-Zinal daher eher als Trainingslauf absolvieren dürfte. Rechts unten im Tal sieht man bereits Zinal und ich schalte einen Gang zurück, damit ich mir das Knie nicht sinnlos wegen 4-5min schneller vollständig verblase. Auch so muss ich merken: Abstiege sind definitiv meine Schwäche. Da muss ich noch viel üben. Durch extrem steile, mit Wurzeln und Steinen versetzte Wege geht es runter nach Zinal, wo der Speaker langsam in Hörweite kommt.
Die Umstellung auf Asphalt auf den letzten 500m fühlt sich komisch an, das Gefühl ist jedoch bald passé in der tobenden Meute. Ausnahmsweise ohne dem Hammermann zu begegnen laufe ich in knapp über 3:30h über die Ziellinie!
Vom vielgelobten Fest im Zielgelände merke ich ehrlich gesagt nicht viel. Meines Erachtens nichts, was den Lauf speziell auszeichnen würde. Nach ein paar sehr netten Gesprächen im Zielbereich ab unter die Dusche und erst mal etwas Essen, bevor wir am frühen Abend einen der regelmässig verkehrenden Busse Richtung Sierre nehmen.
Fazit: Unglaublich schöne und vor allem auch abwechslungsreiche Strecke: derber Anstieg, gefolgt von einem schnellen Stück und einem heftigen Abstieg fordern die Muskulatur relativ stark. Absolute Laufempfehlung, auch wenn ich die Mystik, die diesen Lauf umgeben soll, nicht so ganz zu spüren vermag. Definitiv auf meinem jährlichen Lauf-Plan! Die Belastung auf den Bewegungsapparat scheint mir hingegen moderat. Am heutigen Folgetag habe ich ausser einem wirklich leichten Muskelkater keinerlei Beschwerden.
Gewonnen hat bei den Herren seit 6 Jahren das erste Mal wieder ein Schweizer (Lauenstein Marc 2:32.14). Die inzwischen 41-jährige Legende Jonathan Wyatt wird dritter in sagenhaften 2:33.44, gefolgt von Kilian. Bei den Frauen gewinnt Elisa Desco aus Italien mit 2:58.33, gefolgt von Stevie Kremer in 3:03.12.