Beim Ausstieg aus dem Bus blicke ich zum Himmel: Die Spitze des Messeturms ist im Dunst verschwunden. Gut so, kühles Wetter liegt mir, hoffentlich bleibt es so. Dann geht’s in Halle 1 der Frankfurter Messe, direkt neben der Festhalle, in die ich einige Stunden später hoffentlich einlaufen werde. Startnummer abholen, Startblock umschreiben, umziehen, Tasche abgeben, alles klappt reibungslos ohne Wartezeiten – die Frankfurter Marathonmacher sind erfahren und alles ist gut organisiert. Kurz überlege ich, noch eine Runde über die Messe zu drehen, aber nein, lieber hocke ich mich irgendwo hin, beobachte das geschäftige Treiben, die Vorbereitungen anderer Läufer (jeder hat sein eigenes Ritual) und schütte Flüssigkeit in mich rein.
Gegen halb zehn spaziere ich am Mariott-Hotel vorbei, aber entweder ist kein anderer Fori dort oder ich bin blind (nicht unmöglich, die Brille liegt in der Tasche und ab zehn Meter wird es dann undeutlich). Ich jogge mich 2 Runden um den Teich auf der Verkehrsinsel ein und dann stehe ich im Startblock „Skoda“, der sich zunehmend füllt. In der engen Menschenmasse ist es warm. Ich hatte ein altes T-Shirt übergezogen, das ich nun ausziehe und nach links über die Absperrung schleudere. Den Zuschauer, an dessen Kopf es gelandet ist, bitte ich hiermit um Verzeihung.
Die Anspannung ist zu spüren, man quasselt, nestelt an den Klamotten rum uns blickt alle 30 Sekunden auf die Uhr.
Teil 1: Frankfurter Tanz
Die Sonne kommt raus, pünktlich zum Start. Viele Hände klatschen und langsam kommt Bewegung in die Läuferschar. Die zwei Läufer aus der Nähe von Regensburg, mit denen ich mich unterhalten habe, laufen zu Beginn eine ähnliche Pace und wir quatschen noch ein paar Meter. Dann trennen wir uns und ich beginne „mein Rennen“ zu laufen.
Der Frankfurt-Marathon ist ein wirklich schöner Marathon und ich genieße den flotten Lauf durch die Innenstadt. Mein FR zeigt mir stets eine Pace von etwa 5´20 an. Ich weiß, dass das nicht real ist, vor dem Lauf habe ich Autopause ausgeschaltet und ich drücke nun jeden Kilometer ab, die wirkliche Pace liegt bei 5´28, ich bin also genau im Plan. So wollte ich die ersten 15km angehen. Ich werde zu Beginn recht häufig überholt, aber das sind größtenteils Staffelläufer.
Nach der Innenstadt führt der Kurs über den Main und ein kurzes Stück am Mainufer entlang. Von hinten kommt ein Läufer, der ständig quasselt. Als er mich überholt, sehe ich warum: Er telefoniert und kommentiert das, was er unterwegs so sieht. Top gestylt mit seinen Skins-Klamotten spricht er in das am Kragen befestigte Micro seines Handys. Ob der das die ganze Strecke so machen will? Chacun a son gout, denke ich mir und lasse ihn ziehen. Km 15 passiere ich mit 1:22:12 – perfekt im Plan und mir geht es prächtig. Zur Belohnung gibt es das erste Gel.
Die Strecke ist hier nicht mehr ganz so reizvoll, über die Kennedyallee geht es durch Niederrad und dann ins wieder lebhaftere Schwanheim. Hier kommt auch die HM-Matte, Durchlaufzeit 1:55:13.
Wenige Kilometer weiter geht es wieder zurück über den Main, die Schwanheimer Brücke zieht sich leicht bergauf. Am Straßenrand der erste Läufer mit Krämpfen, ein paar Helfer sind schnell zur Stelle. Einige Geher habe ich auch schon überholt, es werden immer mehr. Als ich die Brücke hinunter laufe, spüre ich einen deutlichen Druck im linken Oberschenkel. Das kenne ich nicht – kann ich es wieder rauslaufen? Ja, ich nehme ein wenig raus und einige flache Meter weiter fühlt sich alles an, als ob nichts wäre.
Es ist inzwischen strahlend blauer Himmel und in den enger bebauten Streckenteilen suche ich den Schatten.
Es geht nach Nied und Höchst, auch hier ist die Stimmung wieder großartig. Gerade die Frankfurter Vororte sind Stimmungshochburgen, hier macht das Laufen dank der vielen Zuschauer trotz der Anstrengung großen Spaß! Km 25 passiere ich bei 2:17:05, ich bin immer noch gut in der Zeit, aber es wird schwerer. Noch ein Gel, das gibt wieder Power, ich kann es spüren.
Teil 2: Frankfurter Krampf
Die nächsten 2 km gehen noch in 5´24, andere sind schon an ihrer Grenze angelangt, hier auf der Mainzer Landstraße wird viel gegangen, dabei fällt mir auf, dass die "Geher" häufig sehr warm angezogen sind. Ich kann hier viele Plätze gut machen. Das motiviert mich, weiter Gas zu geben und ich drücke noch, soweit dies geht. Aber der Oberschenkel muckt jetzt wieder und lässt mich unrund laufen. Die Anzeichen eines Krampfes häufen sich - ich experimentiere mit dem Laufstil, um locker zu bleiben. Bei km 32 ist aber erstmal Sense, der Muskel ist völlig steif und ich bleibe kurz stehen, um zu dehnen. Dann gehe ich 10 Meter und laufe langsam und vorsichtig wieder an. Die Pace der nächsten km liegt unter 6 Minuten, wenn auch nicht viel. Puffer habe ich noch ausreichend, das weiß ich, aber trödeln darf ich auch nicht.
2 km weiter die nächste Attacke, der Krampf meldet sich zurück, heftiger als zuvor. Wieder bleibe ich stehen, dehne , massiere den Oberschenkel. 2 Minuten Dehnpause müssen reichen, jetzt wird’s knapp. Also laufe ich wieder weiter, wenn auch mit leichten Schmerzen.
Gel Nummer 3 und die steigende Zahl der Zuschauer am Streckenrand (Zwischenzeitlich läuft man durch ein enges Spalier!) geben mir noch einmal Kraft, hier Innenstadt kann ich einige Kilometer trotz der permanenten Schmerzen immerhin mit 5´40 zurücklegen. (Durchgangszeit bei km 35: 3:18:45) Hier überhole ich auch wieder einige Läufer, u.a. auch den Telefonierer mit den schicken Klamotten vom Mainufer, das tut gut.
Dennoch muss ich bei km 39 noch einmal stehen bleiben und dehnen, denn mein Frankfurter Krampf ist nun nicht mehr allein, er hat noch einen Kumpel mitgebracht, der die Rückseite des anderen Oberschenkels blockiert. Ich weiß kaum, wie ich mich bewegen soll, um beide zu lösen. Irgendwann geht es dann aber doch halbwegs. Ich blicke auf den FR: Die sub4 ist weg, nicht mehr zu schaffen!
Ich bin enttäuscht, will aber dennoch nicht aufgeben. Scheißegal, die letzten Meter laufe ich auch noch aufrecht durch Frankfurt! Vorsichtig trabe ich wieder an und eiere weiter. Verschenken will ich auch nichts, es gilt jetzt nur noch, eine möglichst gute PB aufzustellen. Also weiter, nicht aufgeben! Isnichmehrweit! Kurz vor dem Eingang zur Festhalle erkenne ich die Stimme meiner Frau, als ich mich drehe, kann ich sie aber nicht entdecken. Weiter, nur noch hundert Meter!
Dann kommt der lang ersehnte Einlauf in die Festhalle – laute Musik empfängt mich, blitzende Lichter, ich recke die Arme in die Luft, noch 20 Meter, noch 10 – geschafft! Schnell den FR abgedrückt, handgestoppt 4:01:32. Knapp vorbei. (Der FR hat übrigens 43,15 km gemessen.)
Teil 3: Frankfurter Kranz
Ich muss mich erst mal wie weiland Haile in Berlin an der Absperrung abstützen, sonst gehe ich vielleicht zu Boden. Die Anspannung fällt ab und mit ihr der Kreislauf ins Bodenlose. Nach einigen Minuten geht es wieder und ich verlasse den Zielbereich. Die Silberfolie, die man am Ausgang umgelegt bekommt, wärmt tatsächlich ganz gut und es sind nur wenige Stufen bis zum Verpflegungsbereich. Hier gibt es die Medaillen und zudem viele Verpflegungspunkte mit Tee, Suppe, Obst, Wasser, Bier - und dann finde ich auch, ganz hinten in der Ecke, zwischen Bier und Studentenfutter, den Klassiker: Frankfurter Kranz! Wahlweise mit Rosinien oder Mohn reichen zwei Damen den erschöpften Läufern dieses Hefegebäck, das ich auf dem Weg zur Kleiderbeutelausgabe verspeise. Ein bisschen trocken, aber dafür gibt es ja das Bier.
Endzeit: 4:01:29, Platz 5228 (AK 944)
Ich zufrieden mit dem Ergebnis, obwohl ich der sub4 schon ein wenig hinterher trauere. Aber ich bin ja noch jung...

Ich wüsste nur gerne, was ich gegen die Krämpfe machen kann. Laufen konnte ich ja noch in recht brauchbarer Geschwindigkeit.
Danke fürs lesen, es ist länger geworden, als ich dachte. Aber der Lauf war ja auch länger, als ich dachte ...

Viele Grüße,
3fach