Zu Beginn des Jahres waren die neuen Jahresziele festgelegt worden. Da stand unter anderem HM unter 1:35. Klang realistisch, sollte (gefühlt) ewig dauern.
Der erste Versuch begann viel versprechend, scheiterte dann aber an den äußeren Umständen.
Dann kam der Sommer. Nächste Chance Ende Juni. Zu heiß. Der gesunde Menschenverstand verbietet Bestzeitenhatz. (Hätte eh nicht geklappt.) Und dann ein Tief. Die 10km-Zeiten unbefriedigend, alles total zäh.

Allmählich kommt die Form wieder. Also kommt doch zum krönenden Abschluss noch eine neue PB heraus? Vielleicht auch (endlich) eine 1:34:xx?
Dann der nächste Versuch: Saarschleife Marathon, aber die halbe Strecke. Kenne ich vom letzten Jahr. Ist bis auf einen fiesen Hubbel durchaus geeignet für einen neuen Versuch.
Begleitet von meinem persönlichen Schweinehund, der die gemeine Eigenart hat mich, wenn ich gut drauf bin, zum Übermut anzustacheln. Mein Schweinehund hat sich gut getarnt. Er sieht aus wie ein kleiner Affe, hockt häufig auf meiner Schulter und flüstert mir alles Mögliche ins Ohr. Meistens dummes Zeug. Aber häufig ist man ja gewillt ebendies zu hören und zu glauben. Nennen wir ihn der Einfachheit halber einfach Herr Nilsson.
Natürlich ist er auch dieses Mal mit von der Partie. Früh aus dem Haus schleichen nützt nichts, er hat es geahnt und erwartet mich schon. Diskussion zwecklos. Er muss mit.

Und los geht`s.:
Nach dem Start läuft alles gut. Viel zu gut. (Dran denken: Ich muss etwas Zeit für den „Berg“ gutmachen.) Die Zeitkontrolle bestätigt: Wenn ich das Tempo halte, wird es 1:32:xx.
Und hier kommt dann mein kleiner Freund ins Spiel: „Wenn du das durchhältst, das wäre sensationell.“ “Quatsch nicht, das klappt nicht.“ „Aber es läuft gerade so gut, probier es doch.“

Bei km 10 noch gut in der Zeit, und dann beginnt das Elend.“ Ich hab es ja gewusst, du bist viel zu schnell losgerannt. Das konnte ja nicht gut gehen“, tönt es plötzlich von meiner Schulter. „Wie bitte?“ Und schwer macht der sich. Meine Güte, ich wusste gar nicht, dass so ein kleines Vieh dermaßen schwer sein kann.
Also weiter durchkämpfen. Genau das hatte ich erwartet. Wieso schaffe ich es einfach nicht, mich am Anfang mal zusammenzureißen? Mensch, wird das zäh.
Aaaaber: Wir sind ja schon in dem Abschnitt, wo man beginnen kann, rückwärts zu zählen. Uuund: Der Hubbel kostet mich kaum Zeit. Selbst mit dem nachlassenden Tempo: Die 1:35 müsste eigentlich noch drin sein.
Ich raffe mich noch mal auf. Das Plappermaul auf meiner Schulter ist zum Glück verstummt.
Auf geht es , die letzten Meter an der Saar entlang, durch den Park und ins Ziel.
Hurra, es hat geklappt:
1:34:48. Knapp, aber das ist ja egal.
Jahresziel erreicht.

Mmmmh, da war doch noch was, was war das noch gleich?

Ach ja, in drei Wochen könnte ich ja, nun ja.....
Wenn man bedenkt, dass da dieser Hubbel war...und dass ein Teil der Strecke rutschiger (weil staubiger) Naturboden war,....
Und wenn ich einen idealen Tag erwische....
Alles klar. Da könnte noch mehr drin sein.
Auf ein Neues.
Drei Wochen später:
Route du Vin HM in Remich. Eine flache (wirklich flach mit ca. 20 hm), schnelle Strecke. Sofern mich der Wind nicht wieder ereilt. Aber das kennen wir ja schon.

Oder falls es so heiß wird wie letztes Jahr. Immerhin ist der Start nachmittags.
Anfang der Woche ist es noch ziemlich warm. Mist. Dann folgen zwei Tage mit elendem Dauerregen. Mist.
Aber Samstag Nachmittag scheint es sich zu bessern. Und Sonntag früh: Schoön kühl, so um die 10 Grad, evtl. könnte es etwas nieseln. Super.
Let`s go.
Dieses Mal bin ich ganz geschickt. Unter einem Vorwand gehen ich noch einmal kurz in die Garage, schnell wieder raus, Tor zu. Es hat geklappt: Der arme Herr Nielsson muss dieses Mal wirklich zu Hause bleiben. Beste Voraussetzungen also.
Vor dem Start das Übliche: Was ziehe ich an? Ist es Warm? Kalt? Nass?
Die obligatorischen Zehn Gänge auf die Toilette.

Dazwischen etwas einlaufen. Oh je, sind meine Beine schwer.
Dann die Startaufstellung. Ich versuche mich relativ weit vorne einzuordnen, damit es nicht wieder so einen Slalom gibt. Dieses Mal noch ein kleines Handicap (das sich im Nachhinein nicht als solches erweist.) Ich bin ohne Pacekontrolle unterwegs. Nur mit Stoppuhr.
Und los geht es . Dem Gefühl nach habe ich wieder nur Jogger vor mir. Also versuche ich mit möglichst wenig Slalom etwas schneller zu laufen. Laufe auf eine mir bekannte Läuferin auf, die definitiv schneller ist als ich. Da vorbei ist auf jeden Fall verkehrt. Km 1 in 4:15. Das war dann doch etwas sehr flott. Keine Panik. Tempo rausnehmen.
Die nächsten 10 km vergehen wie im Flug. Immer wieder hat man die selben Läufer um sich herum. Mal überholt der eine, mal der andere, dann wiederum man selbst. Das Tempo hat sich eingependelt. Km 8: Die Spitze mit den kenianischen Läufern kommt uns entgegen. Wahnsinn, wie die die Füße hinten hochkriegen. Da kommt man sich vor, als ob man schlurft.
Dann km 10: Ich habe 30 Sekunden Vorsprung auf die Zielzeit. Sehr gut. Der Wind steht natürlich wieder so, dass der Gegenwind die Läuferschar auf dem Rückweg trifft. Ich weiß, dass ich für den Rückweg etwas mehr Zeit einplanen muss.
Vor mir ist eine Gruppe. Das Ziel für die nächsten zwei-drei Kilometer: Ranarbeiten, um aus dem Wind zu sein. Immer wieder kann ich mich an einzelne Läufer ranhängen, wie es wohl auch einige bei mir machen. So genau weiß ich das nicht. Die Konzentration liegt auf vorwärts, weiter, ranarbeiten.
Als ich an der Gruppe ankomme, ist sie leider in Auflösung begriffen. Das stört aber nicht weiter, es gibt auch andere Ziele um sich am Laufen zu halten. Eine längere, aber leichte Steigung. Ich ziehe das Tempo an, und kann einige ein- und überholen.
Bei km 15 ein weiterer Kontrollblick auf die Uhr. Noch immer 30 Sekunden Vorsprung. Aber da war schon ein Kilometer mit 4:30. Ich muss aufpassen.
Aber ein erstes Glücksgefühl macht sich breit. Es kann klappen. Nur nicht nachlassen. Jetzt nicht wieder alles vertrödeln. Ich bin definitiv auf Bestzeitenkurs.
Km 17, es wird zäh. Dranbleiben. Nur noch läppische VIER Kilometer – sage ich mir- . ich schaffe das. Ich will das. Und zwar heute, nicht irgendwann.
Noch drei Kilometer, noch zwei. (Wieder war ich ein paar Sekunden zu langsam, aber das hatte ich ja eingerechnet.) Soll ich noch einmal schneller werden? Schaffe ich nicht so weit. Noch ein km. Ein Bisschen das Tempo anziehen. Nicht dass ich nachher wieder 4 Sekunden zu viel da stehen habe.
Wir kommen in Richtung Ziel. Das liegt irgendwo zwei-dreihundert Meter hinter dem Startbereich. Wo ist das verdammte Ziel? Ich habe noch zwei Minuten, dann muss ich drin sein, noch 1:30 Min. Wo ist das.... DA! Da hinten, ein blauer Bogen. Blick auf die Uhr und Vollgas. (Was man denn dann noch so als Vollgas bezeichnet.) Der Läufer neben mir hat wohl die selben Gedankengänge. Wir rennen auf das erlösende Tor zu. Durchrennen, Stop drücken.
Ein Blick (ja, ich kann noch klar sehen):
1:33:39.
Neue PB, sub 1:34 (mein Traum). Unfassbar.
Hätte mir das irgendjemand letztes Jahr vorausgesagt, den hätte ich schlichtweg für verrückt erklärt.
Aaarme alte Bestzeit. Mit drei Wochen verstorben.
