994
von Jen Zi
Presseschau:
Von der AIDA zum Denkmal
Amstutz mit spezieller Vorbereitung / Brand legt Pause ein
Bisher galten Michael Amstutz und Michael Brand nicht nur beim Hermannslauf als unzertrennliches Läuferpaar. Bei der 41. Ausgabe des Laufklassikers über 31,1 Kilometer zwischen dem Start am Hermanns-Denkmal in Detmold-Hiddesen und dem Ziel an der Bielefelder Sparrenburg am 29. April ist dieses Duo allerdings gesprengt.
Brand, zweimal Vierter, zweimal Dritter und 2010 sogar Zweitplatzierter dieses Volkslaufes, wird zu 90 Prozent nicht an den Start gehen. „Es hat keinen Zweck“, meint der 31-Jährige von NSU Brakel. „Meine Vorbereitung auf den diesjährigen Hermann ist fast komplett in die Hose gegangen.“ Anfang des Jahres musste Brand wegen einer Nervenentzündung neun Wochen mit dem Training aussetzen. Der vorgesehene Test beim Paderborner Osterlauf über zehn Kilometer fiel wegen einer Grippe ins Wasser. „Mir bringt es daher rein gar nichts zu starten“, sagt Brand, zumal der Hermannslauftermin mit der Kommunion seiner Nichte kollidiert. „Als Patenonkel habe ich eine große Verpflichtung.“
Michael Amstutz (45), der bereits zum 24. Mal beim Hermann starten wird, bedauert die Entscheidung seines Lauf-Freundes, zumal auch das traditionelle, einwöchige Trainingslager auf Mallorca im Vorfeld des Laufes aus Krankheitsgründen flach fiel. Amstutz, neun Mal schon in den Top Ten platziert, lässt es in diesem Jahr ein wenig lockerer angehen. „Ich komme direkt vom Suez-Kanal zum Hermann“, scherzt der Inhaber eines Malerei-Betriebes. Mit seiner Ehefrau hat er eine einwöchige Tour auf der AIDA in Ägypten gebucht. „Und nach dem Hermann gönne ich mir einige Tage auf Mallorca“, erzählt Amstutz, dessen Angestellter Mathias Nahen zum erweiterten Favoritenkreis gehört. „Der schnellste Maler aus Bad Driburg“, so Amstutz über seinen Mitarbeiter und Laufkumpel, wurde 2011 Neunter. Nahen ist in diesem Frühjahr gut drauf. Der aktuelle OWL-Crossmeister über 7.900 Meter belegte in Paderborn Platz 16 im Halbmarathon in 1:21:43 Stunden.
Quelle: NW
»Ein wahnsinniges Abenteuer«
Begegnung mit dem Mythos: TSVE-Senkrechtstarter Jan Kerkmann läuft seinen ersten »Hermann«
Tim Kerkmann (16) hat seinem Bruder Jan (20) etwas voraus: Er ist den »Hermann« schon gelaufen. 2009 war das. Bei der 38. Auflage des Klassikers debütierte der Laufanfänger aus Brake in 2:37:55 Stunden auf einem respektablen 595. Platz im Gesamtklassement und holte damit Bronze in der Altersklassenwertung der männlichen Jugend.
Inzwischen sind drei Jahre ins Land gezogen. Der »Laufanfänger ohne Ambitionen« ist gewachsen - und benennt Ziele. Tim Kerkmann hat für sich erkannt: »Die Distanz ist mir einfach zu lang.« Der Zehntklässler des Ratsgymnasiums konzentriert sich lieber auf andere Strecken. Über die 3000 Meter möchte er in der westfälischen U 18-Bestenliste den Sprung unter die Top Fünf schaffen, über die zehn Kilometer sich national unter die besten Zehn katapultieren. Sein furioses Abschneiden beim Wiedenbrücker Christkindllauf - 34:35 Minuten über 10 km - kann auf diesem Weg durchaus als Ausrufezeichen gelten: dritter in Westfalen, 18. in Deutschland.
Der brüderliche Wettbewerb, das gegenseitige Hochschaukeln, ist längst gegenseitigem Respekt gewichen. »Es ist ein positives Hochziehen. Jeder freut sich für den anderen, wenn's gut gelaufen ist.« Als »ambitionierter Zuschauer« wird Tim Kerkmann am 29. April seinen älteren Bruder moralisch unterstützen, der sich inzwischen vom Laufbazillus hat anstecken lassen. 2010 noch sporadisch unterwegs, war 2011 Jan Kerkmanns Jahr. Er kam wie Phönix aus der Asche. Mit Siegen wie beim Böckstiegel-Lauf und »Rund um die Wälle« in Herford sowie vielen weiteren Podestplätzen mischte er die ostwestfälische Laufszene auf. Der Autodidakt findet Spaß daran, via Internet in Trainingsplänen bekannter Sportgrößen zu stöbern seine Trainingssteuerung sportwissenschaftlich zu modifizieren. Der sichtbare Lohn: Die Tendenz bei Leistung und Formentwicklung zeigt stetig bergauf.
»Ich habe ein gutes Gefühl und will beim Hermannslauf natürlich alles geben. Auch für die Mannschaftswertung, obgleich Laufen eher ein egoistischer Sport ist«, sagt Jan Kerkmann. »Erwartungen habe ich keine. Mein erstes Ziel ist es, die Atmosphäre mitzunehmen. Da oben am Hermann trifft sich ja wirklich die komplette Läuferfamilie Ostwestfalens. Die ganze geballte Kraft.«
Auf dem Internet-Videoportal Youtube hat er sich schon mal ein bisschen durchgezappt; die »unglaubliche Stimmung« kroch förmlich durch den Bildschirm. »Das wird ein wahnsinniges Abenteuer. Beim Hermannslauf steht kein Star im Vordergrund, nicht der Kommerz. Es ist wirklich ein Breitensportfest. Und international von einem erheblichen Bekanntheitsgrad, wie wir erst wieder beim Trainingslager auf Texel erfahren haben. Unser TSVE-Shirt hat als Erkennungsmerkmal gereicht.« Von der Gewichtung her sei keine Laufveranstaltung als wichtiger einzuschätzen, »außer vielleicht Meisterschaften.«
Dass der Hermannslauf für die Brüder wirklich den Status eines Mythos besitzt, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass beide die Grundschule Brake besucht haben. Und dort unterrichtete sie Martin Sprenger - »Mister Hermannslauf« persönlich.
In die Phalanx der Hermannslauf-Asse einzudringen, wäre ein Traum. »Stark beeindruckt« zeigt sich Jan Kerkmann etwa von Ingmar Lundström, der ihn beim Luisenturmlauf um zwei Minuten distantierte. Einem Elias Sansar an diesem Tag Paroli bieten zu können, daran sei gewiss gar nicht zu denken, wiegelt Jan Kerkmann bescheiden ab. »Allein mit ihm in eiem Atemzug genannt zu werden, verbietet sich. Das ist eine ganz andere Welt.« Der kecke Konter seines Bruders: »Jan stapelt gerne etwas tief. Er hat auf jeden Fall das Zeug dazu, unter die ersten 20 zu kommen. Wenn nicht sogar unter die Top Ten.«
Jan Kerkmann hat sich jedenfalls eine Strategie ausbaldowert, um womöglich auf Anhieb die magische Zwei-Stunden-Grenze unterbieten zu können. In der nimmt die amtierende Hermannslaufsiegerin Silke Pfenningschmidt von der SV Brackwede eine tragende Rolle ein. »Sie läuft hervorragend konstant, ohne taktische Spielereien. Vielleicht gelingt es mir, mich an sie ran zu hängen. Aber am Ende will ich vor ihr im Ziel sein.«
Am Montag beginnt das neue Semester. Für den Studenten Jan Kerkmann heißt das: zurück in den Breisgau. Im schönen Freiburg widmet er sich im zweiten Semester der Philosophie und neuen deutschen Literatur. Der Schwarzwald ist sein Trainingsdomizil. Der Blondschopf ist jedoch längst nicht mehr so verbissen wie in den Anfängen. »Da waren echt 200-Kilometer-Wochen angesagt. Inzwischen habe ich mich davon wegbewegt. Die Qualität ist entscheidend.« Auch das Krafttraining läuft weitaus dosierter ab; die Muskulatur dankt's. »Ich hatte am Anfang viel zu viel Gewicht, um richtig gut laufen zu können.«
An ehrgeizigen Vorhaben mangelt es Jan Kerkmann nicht. Nach dem »Hermann« ist vor dem Berlin-Marathon. In der Hauptstadt möchte er Stephan Schröders TSVE-Vereinsbestmarke von 2:37:40 Stunden knacken. Das erscheint nicht utopisch angesichts seines Halbmarathon-Rekords von 1:13,29 Stunden, den er er erst kürzlich in Berlin aufstellte. »Da hat wirklich alles gepasst.« Mit dieser Zeit war er schnellster Bielefelder an der Spree und 64. im Riesenfeld.
Auch bei den 20. internen TSVE-Meisterschaften auf anspruchsvollen Strecken rund um den Sportplatz in Hoberge- Uerentup waren die flotten Brüder über 5,9 km (Tim/24:11 min) und 11,3 km (Jan/43:59 min) das Maß aller Dinge. TSVE-Trainer Christof Schüler kann zurecht stolz auf die beiden Neuzugänge sein.
Tim Kerkmann, der sein wöchentliches Training um Schwimmen, Rennrad- und MTB-fahren erweitert hat, möchte im Sommer einen Ausflug zu den Triathleten wagen und hat sich auch schon einen Termin ausgeguckt. »Am 7. Juli in Saerbeck.« Und da wird er dann genauso spielerisch an die Sache herangehen wie einst ans Laufen. Ach so: Einen offiziellen »Auftrag« hat er am 29. April doch noch zu erledigen: Tim Kerkmann fungiert als Startläufer beim Mini-Hermann. In seinem Windschatten: etwa 300 Kinder.
Quelle: WB