Aber über das RunnersWorld-Forum werde ich auf einen Fackellauf in Bietigheim-Bissingen aufmerksam. Fackellauf, das klingt nach Familienkollektivem absingen des immer gleichen Repertoires heimatlichen Volksliedguts bei herbstlichen Pilgermärschen, garniert vom ungewollten Branding durch abtropfendes Wachs. Oftmals gesehen in Tateinheit mit kindergartenpädagogisch wertvollen Filigrankunstwerken, die durch das Herumschlenkern vorschuliger Freigeister alsbald mit der Halbwertszeit guter Sylvestervorsätze in ihre Bestandteile zerlegt werden oder gar unfreiwillig der Urgewalt Feuer als Brandbeschleuniger dienen. Aber bei näherem Hinsehen verbirgt sich hinter dem ausgeschriebenen Bietigheimer Fackellauf ein Laufevent, das über 3 Runden je ca. 3,33 km über Feldwege führt und mit allem neuzeitlichen Schnickschnack, wie Champion-Chip Nettozeitmessung und After Run Party mit Live-Music aufwartet. Startzeit für den beinahe Zehner soll um 22:30 Uhr sein.
Warum sollte ich freiwillig mitten im Hochsommer einen Nachtlauf machen.



Der Startbereich befindet sich am Rande des Industriegebiets und ist leicht zu finden. Auch das Parken vor leeren Werkshallen ist kein Problem. Es ist noch fast eine Stunde bis zum Start. Also noch genügend Zeit um die Nachmeldung zu erledigen. Klappt alles perfekt am aufgebauten Partyzelt. Ein paar Gimmicks und Reklamezettel werden in einer Starttüte vom Helferteam des Sportgeschäfts, das den Lauf organisiert, überreicht. Das wirkt richtig professionell. Das ist doch kein großer Stadtlauf heute. Über Sinn und Zweck der Flasche Apfelsaft die jeder Teilnehmer erhält lässt sich nicht streiten. Schon eher über das zwangsweise zugesteckte Autobuch über einen englischen Geländewagen, Erstausgabe 2001. Wollte da ein Verlag seine Altbestände kostengünstig entsorgen. Naja, meinen literarischen Geschmack tritt es weniger und auch meine beiden Jungs zuhause fanden den Fanartikel für Asphaltcowboys eher zum wiehern und als Blütenpresse eignet sich das dünne Format auch nicht. Vielleicht brauch ich mal eine Spende für eine Schultombola.
So, das Startgeschirr ist angelegt. Ich werde mal meine Kamera mitnehmen und die nächtliche Stimmung auf der Strecke einzufangen. Das bremst dann sicher auch meinen Elan. Apropos Strecke. Wo ist denn jetzt der Rundkurs? Aah, da stehen ja ein paar stilvolle Petroleumfackeln. Und weiter draußen auf den Feldern ist wieder ein Spalier. Und die Strecke dazwischen? Nix. Na klasse, und ich hab mein Nachtsichtgerät

So langsam füllt sich das Areal mit Läufern. Die Live-Band gibt ihr Bestes und ich suche schnell noch die Hygieneerrungenschaften zivilisierter Völker auf. Es gibt einen Duschwagen mit je 2 Duschen für Jungs und Mädels. Und sogar heißes Wasser wie der Veranstalter ausdrücklich betont. Naja, das dürfte heut bei der Hitze kein „Must to have“ sein Für die knapp 150 Startern dürfte es trotzdem eng werden, ihre Kampfspuren bis zur anstehenden After Run Party abzulegen um evtl. bevorstehende Nahkampfattacken nicht im Keim zu ersticken. Denn auch echter Siegerschweiß wirkt irgendwann eher abtörnend.
Ich entdecke Armin, meinen SUB 90er Hasen vom Solitudelauf in Gerlingen. Wir unterhalten uns kurz und dann stellen wir uns hinter den Startbogen. Armin natürlich ganz vorne, ich so 3-4 Reihen dahinter. Die Uhr zeigt mittlerweile 22:30:35. Hmm, der Starter labbert und labbert. Ist es noch nicht dunkel genug? Nee, er hat irgendwo eine andere Uhr im Blickfeld gehabt und schlicht und ergreifend die Startzeit verpeilt. Es heißt noch 3 Minuten bis zum Start. Und nach weiteren 2 Minuten, das gleiche noch mal. Um 22:35 werden wir schließlich herunter gezählt und dann auf die Strecke geschickt.
Armin ist gleich weg und ich habe auch genug Platz ungehindert, nach ca. 50 Meter, auf dem direktesten Weg in die erste Linkskurve einzubiegen. Der asphaltierte Fußweg ist hier maximal 3 Meter breit und einseitig ausgeleuchtet. Es geht dann schon nach wenigen Metern wieder links auf die lange Gerade durch die Felder. Eine Fackelallee von ca. 20-30 Fackeln schafft ausreichend Licht. Dann folgen aber mehrere hundert Meter ohne. Doch noch ist es dämmrig und der ebene Belag erfordert keine weitere Aufmerksamkeit. Es geht nun schnurstracks über fast 1,5 km Richtung Ludwigsburg-Tamm. In etwa der Hälfte der Strecke ist nochmal ein Fackelspalier mit Kontrollposten, sowie am Ende wo es gegen den Uhrzeigersinn zunächst ein kurzes Stück ganz leicht bergab geht und dann zurück. Beleuchtungstechnisch dasselbe Spiel, bis es um den Hof einer Werkshalle herum in einem links-rechts Schwenk auf einer Anliegerstraße zurück zum Start geht.
Kaum hat das Rennen begonnen, gibt es kein Halten für mich. Das Vorhaben: Gemütlich laufen und Fotos machen, ist plötzlich vergessen. Meine roten Schuhe sehen schließlich nicht nur schnell aus sondern lauten auch auf den Namen „Racer“

Ich bin nun zum ersten Mal auf der Zielgeraden. Ich vergesse die Rundenzeit abzudrücken, nehme aber auf der offiziellen Uhr eine 13:39 wahr. Uii, wenn die angegebene Rundenlänge halbwegs stimmt ist das nicht schlecht. Aber, jetzt erst das gleiche nochmal. Es ist nun schon merklich dunkler. Die unbeleuchteten Abschnitte sind zum Teil mit Bauhalogenstrahlern versehen worden und am ersten Wendepunkt hat der Streckenposten seine Autoscheinwerfer auf den weiteren Streckenverlauf gerichtet. Also eher weniger anheimelndes warmes Licht, aber beim derzeitigen Sauerstoffdefizit bleibt sowieso kein Platz für romantische Assoziationen. Die Kilometerzeiten ändern sich zunächst nicht groß. 4:27, 4:16 und 4:17. Dann aber kämpfe ich gegen den aufkommenden leichten Gegenwind auf den letzten Metern der zweiten Runde und kann dem nicht ohne Zeitverlust standhalten. Die erneute Durchgangszeit zeigt 27:57, weshalb ich die dargereichten Wasserbecher erneut dekadent ignoriere. Die Zeit fürs Trinken werd ich mir hinterher nehmen.
Es wird zum letzten Mal wieder hinaus auf freie Feld gejagt. Die alte Spritzigkeit kehrt kurzzeitig zurück. Aber nun merke auch so langsam ein Hungergefühl aus der Magengegend. Mein leichtes Abendessen ist wohl grad energetisch durchgefallen. Auf die Zufuhr jedweder komprimierter Kohlenhydrate in Tütenform hab ich heute bewusst verzichtet. Wollte ja einen entspannten Nachtlauf machen und dabei unseren nächst gelegenen Planeten in aller Ruhe anhimmeln. Dass ich es vorzog, stattdessen das System-Belastungsprogramm bis zur höchsten Stufe hochzufahren und dabei dampfe wie ein Druckwasserreaktor kurz vorm Bersten war im Plan nicht vorgesehen. Oder? Ich muss jetzt die letzten Reserven angreifen. Endlich steht der finale Zieleinlauf an. Mit äußerster Kraft wuchte ich mich ins Ziel. 41:50.


Wird wohl für immer ein Rätsel bleiben wo ich die fehlenden Meter verloren habe. Nachdem ich wieder einigermaßen Luft für unnützes Gequatsche übrig habe interviewe ich schnell noch Armin. Der ist mal wieder eine Wahnsinnszeit gelaufen. Leider sind seine gesammelten Streckendaten als Referenz auch nicht wirklich brauchbar. Egal, schnell noch ein dank Gutschein kostenfreies unechtes Weizen und dann langsam an den Rückzug denken. Mittlerweile ist es kurz nach Mitternacht. Als ich wegfahre zeigt das Thermometer nur noch fröstelige 27° an. Eine laue Sommernacht, in der alles möglich ist außer schlafen. Da war doch noch was. Ich scanne die Prähistorischen Abteilungen meines internen Datenspeichers nach: „lauer Sommernacht und heiße Vergnügungen“, ab. Aber alles was zutage kommt hat mit profanen sportlichen Leibesübungen nichts zu tun. Sondern mit der Würdigung romantischer Stimmungen, denen im Gegensatz zu heute, die entsprechende Zeit eingeräumt wurde.