Apropos stoßen. Vor dem heutigen Lauf am Fuße des weinbergbehangenen Michaelsbergs Naturparkführer Stromberg-Heuchelberg e.V.: Der Naturpark hatte ich mich etwas verunsichern lassen durch Horrormeldungen früherer Finisher. Viel zu voll sei es hier. Gut 1500 Läufer würden gleichzeitig über zwei identische 5er Runden gejagt. Das hieße schwatzende Laufgrüppchen, abgechillte Schulcliquen und tiefenentspannte Sonntagsmorgenläufer möglichst unfallfrei zu umrunden.
Versuch macht klug. Also schnell noch angemeldet für läppische 8 Euro. Da sollte man auch nicht gleich meckern, wenn bei der groß aufgezogenen läuferischen Nabelschau etwas unrund läuft. Solange ich nicht unrund laufe. Was zunächst mal unrund läuft ist mein kalkulierter Vorlauf für den Volkslauf. Sprich - ich hab mal wieder endlos Zeitbonus verspielt um dann hektisch zu versuchen meinen Malus nicht zu groß werden zu lassen. Ich will ja jetzt noch nicht zu viel vorwegnehmen, aber sobald ich eine Startlinie überquere, verläuft der Kampf gegen die Uhr meistens umgekehrt.
Es bleibt mir noch ne gute halbe Stunde Zeit als ich in Bönnigheim endlich ankomme. Jetzt nur noch schnell parken, Startunterlagen abholen, Rennoutfit checken… Naja, dass mit dem Parken ist schon mal so ne nervige Kiste. Wer zu spät kommt… Kaum ist die Familienkutsche in eine gefühlt nur Smart kompatible Parklücke gezirkelt, kommt eine nette, mit Block und Bleistift bewaffnete, Dame daher. Hmm, was für ein Service. Kann ich bei ihr noch schnell einen Geschäftsbrief diktieren? Oder gar einen Vorab-Laufbericht? Warum guckt die bloß so streng? Da mach ich mich doch besser schnell vom Acker, respektive vom Straßenrand und suche mir ein stilles ruhiges Plätzle. Sowas dauert natürlich ein bisschen. Jetzt aber ran wie Blücher. Den Kilometer zum Start werde ich als Einlaufstrecke verbuchen, verbunden mit ein bisschen Tempoarbeit.
Der Start befindet sich direkt gegenüber der Strombergkelter. Die Kreisstraße dorthin wurde zwischenzeitlich gesperrt, so dass ich jetzt schon mal Rennfeeling genießen kann. Das endet dann zwangsweise sehr abrupt im Start/Zielbereich. In und um die Kelter wuselt es bereits gewaltig. Schlagartig wird mir klar. Das hier ist kein kleiner aber feiner Dorflauf, sondern eine örtliche Großveranstaltung mit Volksfestcharakter. Meine schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten. Der Massenauftrieb unbeteiligter Unterstützer, unterschiedlichster Läuferfraktionen, stellt sich mir unvermittelt in den Weg. Durchquetschen zur Startnummernausgabe ist angesagt. Einchecken und dann die nächste Überraschung. Für die Zeitmessung müssen an jedem Schuh dünne Papierstreifen festgetackert werden, in denen ein Meßchip eingearbeitet ist. Naja, getackert ist ein bissle zu plastisch ausgedrückt. Eigentlich sollen die beiden Enden ja durch die Bändel gefädelt werden. Eigentlich - denn es macht beim Festziehen der Schleife erst mal Ratsch und die beiden Löcher, die für das rechte Ende des Schnürsenkels gedacht waren, reißen aus. Klasse - aber ich hab ja noch zwei Löcher für das andere Ende um das Ding noch irgendwie fixieren zu können. Ratsch. Oder auch nicht. Wusste gar nicht dass ich heute so kraftstrotzend bin. Hoffentlich überträgt sich die überschüssige Energie nachher auch aufs Laufen. So, was mache ich jetzt? Ich habe zwar am linken Schuh das verflixte Messinstrument unfallfrei und ordnungsgemäß platzieren können, aber was wird aus dem Papierschrott des anderen? Hmm, guter Rat ist teuer. Geknickt werden dürfen die Streifen nicht. Und auch nicht unter die Schnürsenkel geklemmt. Soll ich die zerfetzten Überreste vor Überqueren der Ziellinie aus der Hosentasche kramen und schwungvoll von Hand über die Zeitmessmatte führen. Schauläufers Taschenspielertrick wär für das Publikum sicher sehr unterhaltsam. Aber halt, kleine aber entscheidende Komponente für diese Problemlösung übersehen. Meine Kompressionstight hat ja gar keine Taschen. Und nee, über andere Verstaumöglichkeiten möchte ich gar nicht erst nachdenken.


So jetzt aber zurückkämpfen durch die Menge. Irgendwo müsste doch eine Umkleide sein? Ich hab nämlich noch einen dicken Fleecepulli, Laufjacke und lange Jogginghose an. Kein Wunder bei gut 7°. Und trotz Sonne ist es noch recht frisch. Gut auf Betriebstemperatur werde ich heut schon noch kommen. Soviel ist gewiss. Schau mer mal was die Uhr sagt. Ah ha, noch fast eine Viertelstunde. Da könnte ich doch auch zum Auto zurücklaufen, die Sachen dort deponieren und dann hieße es zackig: Gehe zurück auf Los. Gesagt getan. Den bereits verpufften Effekt der Aufwärmübung zur Kelter also nochmals als Pendelstrecke. Zumindest das Trainings-Tagebuch freut sich über die zusätzlichen Extrakilometer. Könnten sogar als Intervalltraining durchgehen. Womit wir beim Stichwort sind. Iiiiii…hntervalltraining. Welch "böhses" Wort. Da liegt der Hase im Pfeffer. Für ein so zaghaftes Vorhaben wie das Unterbieten der 40 Minuten Schallmauer wäre es wohl von Nöten gewesen hierfür so manch nette Tempoeinheit als Endlosschleife genossen zu haben. Insbesondere wenn man von dieser Bestmarke noch satte 2 Minuten entfernt ist. Des Faulenzers Lösung: Mut zur Lücke. Mangelnde Laufbemühungen sollen durch die Inanspruchnahme von großem Glück und unbändigen Willen kompensiert werden. Erinnert mich irgendwie an meine Schulzeit.
Und mein soeben spritzig absolvierter Kuriergang zur fahrbaren Home-Base ist für das heutige Abschneiden wohl so effektiv wie die letzte Nachtschicht vor meiner Schulabschlussprüfung. Und schummeln gilt (heute

Das erste Ziel wär vollbracht. Zur rechten Zeit am rechten Ort. Was bei mir schon mal nicht selbstverständlich ist.



Dazu gehören die üblichen Verdächtigen mit den allseits prognostizierten Gewinnerwartungen und natürlich auch die bis dato noch großen Unbekannten welche zuvor genannte Gruppe ärgern kann, da diese Sie fatalerweise nicht auf ihrer Rechnung hat. Und natürlich nicht zu vergessen, die große Gruppe der hypochondrisch veranlagten Prediger, die geschickt bis zuletzt mit maßlosen Untertreibungen ihren wahren Leistungsstand herunter nivellieren. Unterstützt durch eine aufgesetzte Leidensmiene, mit der man für „Menschen in Not“ hausieren gehen könnte. Das alles in der berechtigten Hoffnung die leichtgläubigen Gegner damit in Sicherheit zu wiegen und sich nach einem Wahnsinnsrennen der Bewunderung der verdutzten Unterlegenen sicher sein. Also schön Abstand halten. Man will in dem elitären Kreis ja als Otto-Normalläufer





Warten. Nun steh ich hier blöd rum. Ich wär jetzt zu allen Schandtaten bereit. Meine hitzige Vorbereitung ist fast schon für die Katz als endlich ganz unspektakulär angekündigt wird: „Und los gehts.“ Endlich kann ich es laufen lassen. Mal sehen wie lange es dauert bis mir die Kuttel hochkommt. Ein kurzes Stück bleibt die Meute vor mir noch auf der Hauptstraße. Dann biegen wir ab auf einen asphaltierten Feldweg. Es ist tatsächlich genug Platz um selbstbestimmt zu Laufen. Wieder ein Grund weniger heute „den Larry zu machen“. Also wie heißt vor der Werbepause des örtlichen Lokalradiosenders so schön: Dran-blei-ben! Wobei Pause wär jetzt ganz schlecht, dann schluckt mich das Hauptfeld. Also wie immer. Die ersten Rennkilometer ganz laufnerdmäßig


Endlich läutet es am Handgelenk. „Klingelingeling, Klingelingeling, ich zeig die KM-Pace dir an. Klingelingeling, Klinggelingeling, werd doch endlich schneller man(n)….“ So ähnlich ging doch dieses einfältige Liedchen zweier Namensvettern von mir. Und meine Herz-Rhythmusmaschine versucht noch ein paar mehr „beats per minute“ rauszuholen. Kurzer Kontrollcheck, 3¾Takt. Naja stimmt jetzt streng genommen nicht so ganz. Mathematisch korrekt zeigt meine Uhr mir unglaubliche 3:44 an. Alter Schwede so könnt des noch was werden heute. „I have a dream, a race to run… I have a dream, but only fun“ Ein echter Ohrwurm, der im Original deutlich über 4 Minuten dauert. Die 4. Ein schlechtes Omen für meinen nächsten Kilometerschnitt. 4:02. Böses Erwachen. Ade ihr schönen Träume: „Sweet Dreams are made of this, who am I to disagree…“ Zum Glück geht es jetzt nun ganz leicht etwas bergab Richtung Innenstadt. Noch ist Polen nicht verloren. 3:50. Yeep, so muss Technik! Aber die Beine sind nicht alleine auf der Welt. Mein Herz-Kreislauf System rotiert noch bevor wir auf das Kopfsteinpflaster einbiegen. Auf die kleine - aber gemeine - Altstadtrunde. Mein engagierter Vortrieb wird durch den abrupt einsetzenden Drehzahlbegrenzer unsanft ausgebremst. Da nützt auch die wilde Trommler-Unterstützung nichts, die nach Durchlaufen des Köllesturmes, alles gibt.
Alte Wetterregel: Nach jedem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Bei mir kommt nun beides gleichzeitig. Bezogen auf den Untergrund ist der tiefste Punkt der Laufstrecke erreicht und kurz und knackig der folgende Anstieg. Umgekehrt reziprok dazu verhält sich meine Laufgeschwindigkeit. Der letzte Kilometer zur Komplettierung der ersten Runde ist bis dato der langsamste. 4:12. Ein Blick auf die Uhr am Ziel zeigt 19:57 Minuten. Wenn ich das wiederholen könnte würde es reichen. Also das ganze: "Vier gegen Willy", äh Schauläufer, nochmal von vorn.
Aber es kommt noch schlimmer. Der leichte Anstieg um die Felder lässt das Schlimmste wahr werden. 4:18 und ich bin am Limit. Richtung Stadt kann ich zwar wieder etwas Fahrt aufnehmen. 4:10. Aber die Erkenntnis reift. Vergessenes Intervall-Training ist durch nichts zu ersetzen. Nicht alles was man nicht im Kopf hat, hat man auch in den Beinen. Jetzt heißt es erst mal positiv denken und sich nicht hängen lassen. Immerhin ist mit ein bisschen Durchhaltevermögen eine neue persönliche Bestzeit im Rahmen meiner heutigen Möglichkeiten. Dank negativer Höhenvernichtung wird es nun besser, 3:57. Schneller laufen leicht gemacht. Spritzigkeit kennt keine Grenzen. Oder doch? Nichts bleibt wie es war und schon wieder heißt es auf dem Zifferblatt: "Vier gewinnt".
Nun wird es langsam Zeit für das Ziel. Ehe ich noch mehr Zeit verliere. Endlich ist die Cleebronner Straße wieder erreicht. Jetzt noch ein Stück geradeaus. Völlig ausgepumpt stehe ich im Zielraum. Fix und Foxy. Noch ganz knapp unter 41 Minuten reingekommen. Ein Ziel erreicht. Und das andere? Ist es zu groß? Immerhin fehlt noch fast eine ganze Minute. Ist das für mich zu schaffen? Und der Aufwand dafür? Will ich das überhaupt? Fragen über Fragen die sich in die Freude über die neue Bestzeit mischen. Jetzt erst mal mental die Kurve kriegen.
Willst Qualen du erleiden,
dann darfst du keinen 10ner meiden.

Lagst grad keuchend noch darnieder
Und glaubst, du könntest schon wieder.


Grüssle Klaus