Aber heuer, ja heuer sollte alles anders werden. Ich hab zwar nicht nach einem exakten Plan trainiert, aber doch strukturiert. Sowohl die langen Läufe hab ich immer weiter ausgedehnt, bis ich letztendlich die 21 km ohne Probleme durchlaufen konnte, als auch Tempotraining absolviert, um die Tempohärte zu verbessern.
Mein letzter gemütlicher 21er war 2 Wochen vor dem Wettkampf mit 2 Std. 26 min., und das mit super Gefühl. Ich wußte zwar, auch 18 km hätten gereicht, aber für meinen Seelenfrieden war es wichtig, die volle Distanz schon vorher mal gelaufen zu haben.
Meine Zeiten über 10km liegen immer so bei einer Stunde (siehe Signatur), doch bei den Tempotrainingseinheiten war ich oft zwischen 5:20 und 5:40 unterwegs und konnte das teils auch über 8 bis 10 km durchhalten. Die Zuversicht stieg...
Tag des Wettkampfes
06:00 Uhr
Endlich läutet der Wecker - ich liege eh schon 20 min. mit offenen Augen da und warte, daß er mich aus dem Schlaf reisst.

07:45 Uhr
Ankunft bei der Kleiderabgabe, und oh, da ist schon die Hölle los. Eh klar, die Viertelmarathonis starten ja schon in einer Dreiviertelstunde. Ich und die Marathonläufer hingegen haben noch eine Stunde mehr Zeit, wir starten erst um 09:30 Uhr. Also gemütlich den Beutel abgeben und das Bad in der Läufermenge genießen. Es ist immer wieder toll zu sehen, wie alle aufgeregt sind und das Wettkampffieber steigt. Meins auch!
08:00 Uhr
Ok, Beutelabgabe erledigt, doch oh je, vor den WCs stehen gefühlte 1000 Leute an. Was mach ich also mit meiner nervösen Verdauung und der Menge an Zeit bis zum Start? Jaaaaa, Idee!!! Gegenüber hat ein Café offen (wären auch schön blöd, wenn nicht). Also flugs über die Straße, und einen der noch freien Plätze besetzen. Der Startberich ist 10 Gehminuten entfernt, also hab ich Zeit genug. Kaffee, Zeitung und WC kann ich also genug Zeit widmen.
09:30 Uhr - der Lauf
Es ist soweit, nach einem Jahr Pause (siehe oben) stehe ich wieder zwischen 15.000 Teilnehmern. 2011 war ich noch ein Viertelmarathoni, dieses Jahr will ich es wissen. Der Startschuss fällt, und es vergeht eine Ewigkeit, bis ich über die Startlinie laufen kann. Doch dann jogge ich im Pulk über die Matte und drücke die Uhr ab.
Die Menge zieht mich mit, und auf der Uhr beobachte ich die aktuelle Pace. 5:20!!!! WAS??? Ui, viel zu schnell!!! Gas rausnehmen geht nicht, zu viele rundherum, außerdem geht´s leicht bergab und es läuft doch so schön. Also lasse ich es laufen. Ich bin in der Zone über 2:15 gestartet, und daher laufe ich nun auch reihenweise an langsameren Läufern vorbei. Ein wahrer Slalom, der ordentlich mühsam ist. Immer wieder abbremsen, ausweichen, beschleunigen. Ich reihe mich eher am Rand ein, da geht es leichter.
Die Kilometer fliegen nur so dahin, und die Labestelle bei kKilometer 5 ignoriere ich einfach. Zwei Gels hab ich dabei, die habe ich für KM 10 und 15 eingeplant. Im Training hab ich schon versucht, laufend Gel und Wasser zu mir zu nehmen, dabei landet aber das meiste Wasser auf dem Shirt. Also genehmige ich mir bei KM 10 den Luxus und bleibe an der Labe stehen. Gel auf, 2 Becher Wasser rein, und weiter. Das war sicher schneller als das Gestolpere, wenn ich das während des Laufs versucht hätte.

Das Tempo konnte ich locker weiterlaufen, meist war ich bei 5:45 bis 5:50 unterwegs - viel schneller als geplant, denn für 2:15 hätte ein 6:23er Pace ausgereicht. Aber ich spürte, heute geht was

Die Labe bei KM 15 hab ich mir erspart, ich fühlte mich super, also ziehen wir das durch. Aber dann, ja dann kam der 18. Kilometer, und nun wurde es hart. Auch meine Oberschenkel und Waden. Jetzt mußte ich büßen, vorher nicht vom Gas gegangen zu sein. Eh klar, Anfängerfehler. Zu optimistisch, nach dem Tapering ausgeruht, volle KH-Speicher, Adrenalin pur. Warum bremsen? Jetzt wußte ich es. Die Pace wurde schlechter und pendelte sich bei 6:10 bis 6:15 ein. Und dann, ja dann ging es nicht anders, und ich ging. Ca. 50 bis 100 m weit, keine Ahnung. Shit, ich werde überholt, und meine Beine sagen danke. Aber nicht mit mir, ausruhen kann ich dann daheim. Also wieder weiterlaufen und Tempo aufnhehmen. Das gleiche Spiel dann nochmal auf dem 19. Kilometer, auch hier muß ich ca. 50 m Gehpause verbuchen. Doch beim 20KM-Schild pfeife ich auf alle Schmerzen und gebe Gas. Die Beine fliegen nur so über den Asphalt.
Laut Rechnerei müßte bald ein Schatten an mir vorbeifliegen, und tatsächlich höre ich hinter mir Sirenen. Die Begleitfahrzeuge des führenden Kenianers zischen an mir vorbei, kurz dahinter der spätere Marathonsieger. Verdammt, ist der schnell!!!

Um wenige Minute ist sich das Zielfoto gemeinsam mit ihm nicht ausgegangen

Egal, die letzten 600m führen über grobes Kopfsteinpflaster, und die Aufmerksamkeit ist voll auf jeden Schritt gerichtet, um nicht noch böse zu stürzen oder zu überknöcheln. Ich lass es fliegen, die Beine schreien "STOPPPP" - egal, ich hör eh nicht hin....!
Die letzten 100 Meter, links und rechts die Tribünen, voll mit einer schreienden Menschenmenge. GEIL!!!! Der letzte Spurt, die letzten Kräfte, und ich fliege über die Ziellinie. Geschafft! Ich kann´s noch nicht glauben, aber ich hab tatsächlich meinen ersten Halbmarathon geschafft. Lt. meiner Garmin mit knapp über 2:06, und die offizielle Ergebnisliste bestätigt mir eine 2:06:38 - das ist um fast 10 Minuten schneller als geplant

Während ich das schreibe, habe ich den stärksten Muskelkater meines Lebens in den Beinen. Und, ich studiere nebenbei schon die nächsten Wettkampftermine


Das Projekt Halbmarathon kann ich somit als Erfolg verbuchen, und mal schaun, vielleicht kann ich mich nächstes Jahr ja schon über eine neue Distanz trauen - aber eigentlich will ich noch gar nicht soweit denken. Erstmal bin ich überglücklich und koste das Gefühl voll aus.
Lg
Christian
