13. September 2015 - mit Wettbewerben über 7, 21, 42 und 72 km - - Der Landeanflug auf Leh mit dem Airbus A319 ist spektakulär. Auf den letzten Kilometern tastet sich der Pilot zwischen den Höhenzügen des Himalajas der Landebahn auf 3.256 Meter ü. MSL entgegen. Die Bergflanken rücken auf meiner Sitzplatzseite bedrohlich nah an´s Fluggerät heran, dass ich automatisch meinen Sitzgurt noch ein wenig fester zurre. Auch die anderen Passagiere sind emotional bewegt und gegen alle Vorschrift wird heftig fotografiert. Die Kulisse ist atemberaubend: Unter uns der Indus. Auf der einen Stromseite mit Leh das Karakorum-Gebirge, auf der anderen der Himalaja. Eine perfekte Landung legt der Pilot (ein Zivilist) im schmalen Industal auf dem Militärflugplatz hin. Platz ist ja genug auf der Landebahn mit einer Breite von 45 Metern und eine Länge von fast 3 Kilometern.
Kurz nach Mitternacht hatte die 22-köpfige Laufreisegruppe ihr Hotel in Neu Delhi verlassen und war nach 1 ½ Stunden Flugzeit ohne Verspätung am Ziel ihrer Wünsche eingetroffen. Dadurch steht den tatendurstigen Läufern noch der ganze Tag für die zwei wichtigsten Aufgaben zur Verfügung: Stadtbesichtigung und Akklimatisierung an die Höhe von 3.500 Metern.
Da die Sportler auch Experten des Multitasking sind, meistern sie beide Aktivitäten ohne Probleme. Am nächsten Morgen treffen sich die Athleten in aller Herrgottsfrühe vor ihrem Hotel (Grand Dragon) zu einem 30-minütigen Traininglauf. Selbstverständlich soll es dabei gleich bergab und bergauf gehen. Wie ich so vor dem Hotel stehe (und auch schon vorher) fühle ich eine ganz gehörige Portion Unruhe in meinem Körper. Noch nie bin ich in dieser Höhe - und dazu in bergigem Gelände – gelaufen. Mit zu dieser Spannung/Nervosität beigetragen haben sicher auch die Informationen über die Höhenkrankheit im Vorfeld. Im Flughafengebäude hängen Informationen über Höhe und Gefahren aus. Auf dem Tisch im Hotelzimmer liegt ein Flyer „Health Advisory“. Für die Anmeldung zum Lauf muss der Teilnehmer einen Haftungsausschluss unterschreiben, in dem es u.a. heißt: “I am aware that any Event, whether in civilized or remote areas contains some inherent risks of illnes, injury or death.“
In dieser Art und Weise eingeschüchtert laufe ich mit der Gruppe los. Zuerst in Richtung Indus, also bergab und – nichts geschieht. Die Luft ist herrlich klar und frisch. Es geht mir gut. Die Sonne geht auf und bescheint die Spitzen des Himalajas auf der anderen Indus-Seite. Meine Atmung ist ruhig und normal. Ich fühle mich fantastisch. Es ist ein einmaliges Erlebnis den neuen Tag an einem so exotischen Ort durch einen Lauf mit Gleichgesinnten zu erleben. Nils (Geschäftführer Laufreisen.de) scheint es ebenso zu empfinden. Er fordert die Laufenden zu einem Gruppenfoto auf, um die einmalige Stimmung einzufangen.
Die Ausdauersportler bewegen sich weiter auf der Old Leh Road bis zum Kreisel mit der Stupa und biegen rechts in die Skara-Road ein. In der Höhe der Ladakh Public School findet hier in vier Tagen das denkwürdige Ereignis statt: Zieleinlauf der 72-km-Ultra-, Marathon- und Halbmarathonläufer. Teilnehmer des 7-Kilometer-Laufs werden aus entgegen gesetzter Richtung kommen und vorher auf das Schulgelände abbiegen. Mit dieser Vorstellung und einem moderaten Adrenalinanstieg geht bei mir der Lauf in der Frühe weiter. Einheimische sind kaum auf der Straße, vereinzelt Hunde und – natürlich, wie fast überall in Indien – Kühe. Im Moment aber nur eine. Und die hat mächtigen Hunger. Sie sucht verzweifelt nach Fressbarem an und in einem Abfallcontainer.
Nach 15 Minuten wird es Zeit für den Rückweg. Von der Stupa bis zum Hotel geht es nur bergauf. Ich verlangsame mein Tempo etwas, laufe kontinuierlich weiter und erreiche zufrieden mit meinen Kameraden das Grand Dragon. Ein Fazit dieses Morgens könnte etwa lauten: Reichlich Informationen müssen sich nicht unbedingt nur vorteilhaft auswirken.
Der Veranstalter des Ladakh Marathons ist Chewang Motup, Direktor der Firma Rimo Expeditions. In seiner Jugend hat sich Herr Motup für Laufsport interessiert, bietet gegenwärtig Abenteurertouren im Himalaja und seit 2012 die Ladakh-Laufveranstaltung an. „Travel India“ bezeichnet das Laufereignis in Leh als die „Mutter von allen Marathonläufen“. Warum das so sein soll, ist mir ein wenig unklar. Aber wir sind hier in Indien und da sind die Sprachgewohnheiten halt etwas anders. So wird das Wort Marathon – selbst in den Medien – auch im Sinn von „Lauf“ verwendet. Der Dailyexcelsior spricht in seiner Berichterstattung über Leh von „... in 7km Marathon mostly ...“. Seit Beginn des Jahres 2015 ist die Veranstaltung von Laufdirektor Motup Mitglied des AIMS (Association of International Marathons and Distance Races). Den Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde als „höchster Marathon“ hat der Veranstalter für die „Khardungla Challenge“ allerdings nicht geschafft. Diesen Platz nimmt der „Everest Marathon“ in Nepal mit 5.364 (!?) Metern ein.
Leh gehört zu den höchstgelegenen ganzjährig bewohnten Städten der Erde. So an die 27.000 Einwohner hat der Ort in der Hochgebirgswüste Ladakh´s. Schon seit dem 11. Jahrhundert existierte das Königreich Ladakh hier „in the middle of nowhere“. Bedeutung und bescheidenen Wohlstand erhielt die Gegend als zentraler Stopp der historischen Seidenstraße. Noch heute spielt die Landwirtschat auf den Sedimentböden des Indus eine wichtige Rolle. In den letzten Jahrzehnten ist das Militär als Einnahmequelle hinzugekommen. Man schätzt, dass aus jeder Familie mindestens ein Mitglied für die indischen Streitkräfte arbeitet.
Das sportliche Highlight für die Laufgruppe findet am Sonntag (So – genau wie bei uns daheim), 13. September 2015 statt. Bedrohlich nah rückt nun der „Showdown in 3.500 Metern Höhe“ der weit gereisten Athleten – und Magen/Darmbeschwerden stellen sich bei mir ein. Ich nehme weiter an Besichtigungen und Ausflügen teil. Doch da sich mein Zustand im unteren Verdauungsabschnitt nicht ändert beschließe ich, mich von 21 auf 7 Kilometer (10 km gibt´s nicht) umzumelden. Also werde ich beim „7-km-Marathon“ starten.
Um 04:00 h steht am Renntag ein kleines Frühstück im Restaurant des Grand Dragons bereit. Der Start der 42er-, 21er- und 7er-Läufer erfolgt in der Nähe der Shanti-Stupa ab 06:00 h mit 30 Minuten Abstand. Alle drei Gruppen werden um 05:00 h dorthin gebracht und müssen die Fahrzeuge wider Erwarten sofort verlassen, obwohl es noch recht kalt auf dem Berghang ist. Ich versuche nun, mich soviel wie möglich zu bewegen und schieße zahlreiche Fotos von der aufgeregten Läuferschar. Bei Tagesanbruch macht das von Höhenzügen umgebene Leh einen archaischen Eindruck. Um 06:00 h schickt der stellvertretende Polizeipräsident endlich die Marathonteilnehmer auf den Weg. So wie der 42er-Lauf werden auch die drei anderen Wettbewerbe auf einer Punkt-zu-Punkt Strecke ausgetragen. Ungeachtet dieser Tatsache wird kein Kleidungstransport durchgeführt.
Nachdem der letzte Marathoni den Startbogen durchlaufen hat, beginnen sich die Teilnehmer am 7-km-Lauf im gleichen Startareal zu sammeln. Laufsport hat in Indien bei weitem nicht den Stellenwert wie in Europa. Umso mehr bin ich über das große Interesse in der Kleinstadt Leh überrascht. Bei der vierten Auflage werden ca. 2.000 (Veranstalterangabe) überwiegend junge Menschen auf der Kurzstrecke dabei sein.
Noch bevor das Startsignal erfolgt, sprinten die ersten 1/6-Marathon-Läufer ungestüm los und das Feld setzt sich in Bewegung. Der erste Abschnitt des Weges in den Ort hinunter ist unbefestigt und eine Staubwolke hüllt Zuschauer und Aktive ein. Einige Sportler tragen einen OP-Atemschutz. Akustische Anfeuerung wird, wenn überhaupt, immer weniger. Ganz selten schaut in der engen Straße ein Anwohner aus dem Fenster. Es ist, wie gesagt, Sonntag und 07:00 h. Leh schläft noch. Nicht aber freilaufende Kühe. Schon auf dem ersten Kilometer steht so ein massiges Tier am Wegrand. Groß, schwarz, mit gefährlich langen Hörnern aber sanften Augen. Die totale Gelassenheit dieses Tiers in einer ungewohnten Situation ist mir unbegreiflich. Ich nehme meinen Mut zusammen, forciere das Tempo ein wenig, lasse die Hörner nicht aus den Augen und – vorbei bin ich.
Die jungen Läufer sind mit Freude bei der Sache. Sie spielen übermütig auch mal mit dem Tempo. Aber nicht jeder kann Sprinteinlagen verkraften und einige Sportler müssen Gehpausen einlegen. Regelmäßiges Training ist hier wenig verbreitet. Steht ein Lauf bevor, fängt man zwei oder vielleicht vier Wochen vorher an, nach der Veranstaltung ist dann erst einmal wieder Schluss. Erstaunlich ist für mich die hohe Beteiligung der Jungläufer, obwohl es der Masse der Kaschmiris an Mobilität fehlt. Denn die ist arm und muss hart arbeiten. Was auch zur Folge hat, dass die reifere Generation kaum Verständnis für diese merkwürdige Freizeitbetätigung hat.
Der Parcours führt am Militärkrankenhaus auf einer breiten Asphaltstraße vorbei. Schon die Frontseite beeindruckt durch ihre Breite. Das ganze Ausmaß dieses Krankenhaus-/Kasernenbereichs wird erst auf einer Luftaufnahme deutlich. Fast drei Kilometer zieht sich das Gelände hinter den Krankenhausgebäuden bis zum Ende des Tals hin.
Die Läufer verlassen nun die Umgehungsstraße von Leh und biegen in die Skara Road ein. Es geht über eine Gebirgsbachbrücke und auf der linken Seite wird das General Zorawar Fort (34.158296, 77.569779) sichtbar. Die Militäranlage wurde 1837 in Auftrag von Wazir Zorawar Singh gebaut und ist heute Nationaldenkmal. Der General gilt als Kämpfer gegen die chinesischen Besatzer und Eroberer von Ladakh. Nach dieser historischen Begegnung führt die Laufstrecke weiter auf der Skara Rd. in die Ortschaft zurück und direkt zur Ladakh Public School.
Als Zieleinlaufbanner dient ein schwarzer Tuchstreifen mit der Aufschrift „Ladakh Public School“ am Zugang zum Schulhof. Ich passiere die magische Linie, nehme danach erst noch einmal richtig Fahrt auf und laufe dann langsam auf dem Hof aus. Der verspätete Endspurt ergibt sich aus der Gefällestrecke bis auf Schulgeländeniveau. Ich freue mich, dass ich angekommen bin, dass es mir gut geht und dass ich meiner Ländersammlung ein weiteres Land hinzufügen kann. Mit einem Getränk in der Hand schlendere ich zufrieden über den Campus, beobachte, fotografiere und werde von etlichen ladakhischen Athleten angesprochen. Es ergeben sich freundliche Gespräche, die leider durch die Englischkenntnisse der anderen Seite (und auch meiner) begrenzt sind. Der Platz füllt sich weiter, indische Diskomusik dominiert mehr und mehr den Luftraum über Leh und zu guter Letzt werde ich von einem indischen Zeitungsreporter interviewt.
Mittlerweile haben auch Marathon- und Halbmarathonläufer ihr Ziel (Ziellinie auf der Skara Rd.) erreicht. Gemeinsam mache ich mich später mit den ebenso glücklichen Finishern Friedrich (42 km), Carlo (21 km) und Uli (21 km) per pedes auf den Weg zum Hotel. Unsere Medaillen glänzen in der mittäglichen Sonne von Leh im Karakorumgebirge. Es hat mehr zu bieten als man denkt: Der Karakorum ist ein bis zu 8.611 m hohes Gebirge. Hier befinden sich auch der K2 (zweithöchster Berg der Erde), drei Achttausender und 63 Siebentausender.
Eine gute Ausdauer brauchen die Athleten auch weiterhin. Am nächsten Morgen machen sie sich auf den Weg nach Neu Delhi. Dort startet eine einwöchige Rundreise auf der Route Neu Delhi – Agra – Fatehpur Sikri – Jaipur – Neu Delhi mit Bus und Flugzeug durch Indien.
Indien hinterlässt viele intensive Eindrücke. Auf der einen Seite Beeindruckendes wie das Taj Mahal, das Rote Fort, Fatehpur Sikri, die Geisterstadt des Großmoguls Akbar, den Palast der Winde in Jaipur und das Fort Amber. Auf der anderen gibt es viel Not, Elend, Chaos und Schmutz in den Großstädten.
Während der Fahrt auf dem „Noida – Greater Noida Expy“ von Delhi nach Agra sehe ich Überraschendes. Zu meiner Rechten stehen Wohnhochhäuser mit hunderten von leer stehenden Wohnungen. Wenig später drängt sich an der anderen Seite Greater Noida, eine frisch gebaute Stadt an den Highway. Vom Bus aus erkenne ich eine Universität und ein Krankenhaus. Alles neu. Später erfahre ich von der kompletten Infrastruktur dieser Stadt. Eine Ansiedlung mit konstanter Stromversorgung, funktionierender Wasser- und Abwasserversorgung, Ämtern, Sportplätzen, Sauberkeit und viel Grün. Alles, was einer indischen Stadt oft fehlt. Der Highway biegt im rechten Winkel in Richtung der „Neuen Stadt“ ab. Hinter dem Kreisel führt eine schmalere Straße weiter geradeaus durch einen großen Torbogen in Greater Noida hinein. – Leider (wie mir später bewusst wird) fahren die Laufsportler ab dem Kreisel in Richtung Agra.
Der Bundesstaat Indien hat große Pläne. Insgesamt sollen 100 dieser „Smart Cities“ entstehen. Smart City, Township, intelligente Stadt oder Tec-City sind einige Begriffe, die in diesem Zusammenhang genannt werden. Indien, das ist auch Orient und da kommen bekanntlich die besten Märchenerzähler her. Von diesen Zukunftsvisionen habe ich bisher kaum etwas gehört. Aber es tut sich wirklich etwas. Man kann die Realität deutlich auf Google-Luftaufnahmen sehen. Zum Beispiel an Greater Noida (28.452661, 77.493219) oder der GIFT City (23.162036, 72.689838). Das Akronym steht für Gujarat International Finance-Tec-City. Wird diese Ordnung Bestand haben? Ja. Ich sehe da gute Chancen. – Um Gift City wird eine hohe Mauer gezogen und Einlass wird nur nach Ausweiskontrolle gewährt. Wie bei den anderen Smart-Cities auch.
youTube: Gandhinagar - The Gift City of India walkthrough
https://www.youtube.com/watch?v=e6j8FToJ9os).
Die Lauferlebnisreise Run´n´Hike Tibet und Rajasthan war der Höhepunkt in meinem Läuferjahr und das Maximum bei meinen Reisen 2015. Es hat mir Freude bereitet, mit Läuferinnen und Läufern unterwegs zu sein. Reiseleiter Singh, der uns zwei Wochen durch Jammu u. Kaschmir, Uttar Pradesh und Rajasthan begleitete, war unermüdlich und kompetent in seinen Erklärungen. Mit der Organisation und dem Ablauf von meinem 1/6-Marathon in Tibet war ich zufrieden und der 10-Kilometer-Lauf in der Zwei-Millionen-Stadt Jaipur war auch ein äußerst exotisches Erlebnis. Ganz nebenbei haben sechs Sportler auf der Rückfahrt zum Hotel mit einem Tuk-Tuk eigentliche einen Eintrag in dass Guinness-Buch der Rekorde verdient.
Nachtrag: In Srinagar (Jammu und Kashmir), hat am gleichen Tag wie in Leh, auch eine Laufveranstaltung stattgefunden: Der „Kashmir International Half Marathon“ oder auch „Big Kashmir Marathon“ genannt. Laut Veranstalter haben: „... more than 30,000 people from India and foreign nations were participated in marathon which were held in c on 13 September 2015.”
Weitere Fotos in den Picasa-Alben:
Rajastan-Marathon Jaipur - 10-km-Lauf (interner Laufwettbewerb)
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Indien - Land und Leute
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Trainingslauf in Leh, Ladakh
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4. Ladakh-Marathon in Leh/Ladakh, Jammu und Kashmir, Indien
1http://www.spargelsprinter.homepage.t-online.de Laufberichte aus nah und fern + Themen rund um´s Laufen