Eigentlich ist die Lauferei ja ganz einfach. Man läuft los und hört meistens nach einer vorher bestimmten Distanz wieder auf. Diesen Gedanken hatte ich ungefähr eine Minute vor dem Start des Halbmarathons. Simpler Gedanke, bahnbrechend ist was anderes. Muss aber auch nicht. Kurz vor oder während eines Wettkampfs schadet zu viel Denkerei sowieso nur.
Um mich herum wummert die zu laute Musik, Menschen heben auf Kommando die Hände in die Luft, um ihre Energie bei dem Versuch zu verschwenden, selbige im Takt gegeneinander zu schlagen. Ich merke, die fahren eine ähnliche Strategie - Hirn aus, sich treiben lassen von der Stimmung, alles mitmachen, nicht denken.
Wenn man in Mainz relativ weit vorne steht, hat man den Vorteil, die Zeit bis zum Start unter einer Fußgängerbrücke verbringen zu können. Damit ist man dem Wetter nicht ausgesetzt. Es ist angenehm kühl und schattig. Ca. 30 Sekunden vor dem Start wird dann die Begrenzung vorne aufgemacht und der Block bewegt sich auf die Startlinie zu. Mit einem Mal stehe ich folglich in der prallen Sonne und mir kommt der nächste simple Gedanke: Wow, ist das schon warm in der Sonne! Zu mehr reicht's wieder nicht und dann geht's auch schon los. Der Plan ist, natürlich, simpel: Jeden Kilometer absolvieren, bevor 4 Minuten abgelaufen sind. Nur auf den ersten Kilometern will ich betont locker laufen. Man läuft zunächst 2km geradeaus in einer schattigen Allee. Der erste Kilometer geht in 4:05 weg und ich denke so, naja, langsam biste schon mal, aber locker ist das nicht gerade. Ohne es genau greifen zu können, aber man weiß ja eigentlich, wenn es gut läuft, dass es gut läuft. Man fühlt sich frisch, freut sich auf die Strecke, freut sich auf die Herausforderung. In dem Moment denke ich mir nur, dass sich 4:05 ganz anders anfühlen müssten, nicht so besch*ssen.
Aber da die Murmel auf dem Kopf ja nur auf Sparflamme läuft, ziehe ich ein wenig an, um mein Tempo aufzunehmen. Die nächsten 3km gehen alle in knapp unter 4 Minuten weg. Und im Grunde genommen weiß ich schon nach diesen 4 Kilometern, dass das mit dem vorgenommenen Plan, eine neue Bestzeit zu schaffen, überhaupt gar keine gute Idee war. Nach gerade mal 16 Minuten könnte man meinen, okay, da hat er gerade noch rechtzeitig realisiert, dass bei dem schwül-warmen Wetter ein anderes Tempo gelaufen werden muss.
Ich versuche also mein Belastungsgefühl, das jetzt schon am Anschlag ist und ich mich eher fühle wie auf den letzten 3 Kilometern eines 10ers, wieder in einen erträglichen Bereich runter zu fahren. Trotzdem will ich aber natürlich nicht zu langsam werden. 4:05, 4:01, 4:08, 4:10, sagt die Uhr. Wo ist das nächste Kilometerschild, wo ist der nächste Wasserstand, wo das nächste bisschen Schatten, sagt der Kopf. Nach 8km bin ich in einem miserablen Zustand. Ich kann mir nicht vorstellen, noch 13 Kilometer so weiter zu laufen. Noch nie ist mir ein Halbmarathon so lang vorgekommen. Immerhin kommt mir mein simpel gestrickter Geist so langsam wieder zugute. Der Ausgangsplan war dumm - bei den Bedingungen war keine Bestzeit drin und dank dieses Fehlers steckte ich nun im tiefroten Bereich. Da kam ich auch nicht mehr raus, außer ich würde eine Gehpause einlegen. Nein, sowas geht natürlich nicht, denn das Sekundärziel, in einer noch akzeptablen Zeit ins Ziel zu kommen, war es wert, ein bisschen zu kämpfen. Also galt: Kopf aus, Leute überholen, so viel Wasser über den Kopf wie es geht und versuchen, die Stimmung des Publikums positiv zu nutzen.
Das Gute war, dass der erste eklige Streckenteil hinter einem lag. Durch das Mombacher Industriegebiet in der prallen Sonne mit wenig Publikum war man durch, jetzt führt der Kurs die Läufer in Richtung Neustadt. Kilometer 9 und 10 passiere ich nach 4:10 und 4:07. Ganz okay also. Jetzt ist man in der Neustadt, viele Zuschauer stehen am Streckenrand und Schatten gibt es auch. Die Tatsache, dass ich nur überhole sagt mir, dass ich nicht so schlecht unterwegs bin, wie die Zeiten es sagen, es sind halt für alle die gleichen Bedingungen. Kilometer 11 ist nach 4:11 geschafft. Immerhin, die Hälfte hab ich hinter mir. Ich will nicht langsamer werden und hoffe einfach, dass ich auf den bald kommenden sonnigen Abschnitten nicht total eingehe. Ich denke nur daran, das nächste Kilometerschild zu sehen, will mich nicht damit beschäftigen, was noch alles kommt.
Die Strecke führt einen jetzt in Richtung Altstadt, am Dom vorbei, durch die engen Gässchen über Kopfsteinpflaster. Hier ist auch viel los, es ist laut und schattig. Ich schaffe die nächsten Kilometer in 4:11, 4:14, 4:13. Kilometer 15 nochmal in 4:10.
Dann geht es die Wormser Straße hoch. Ich weiß, dass hier die Zuschauer weniger werden, dass man in der Sonne läuft, dass es jetzt für 5km richtig unangenehm wird. Ich denke mir, dass ich nur bis zum Wendepunkt kommen muss. Blöder Gedanke eigentlich, weil ich dann genau weiß, wie elend sich die Straße anfühlt, die ich jetzt wieder runter laufen muss. Hier werde ich dann auch das erste Mal von ein paar Läufern überholt. Hatte man auf dem Hinweg noch eine leichte, angenehme Brise im Gesicht, so fühlt sich der Rückweg allerdings an wie im Backofen. Kein Lüftchen, nur Hitze. Die Kilometer in 4:19, 4:18 und 4:23 zeigen auch, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mein Tempo zu halten. Ich male mir mittlerweile "Horrorszenarien" aus, wie es wohl wäre, komplett einzubrechen und nicht mal die 1:30 oder gar 1:35 zu schaffen. Wenn es mich hier auf der Wormser Straße zerlegt, muss ich eh irgendwie zurück laufen und wenn es im Spaziertempo ist. Da das aber ziemlich ätzend wäre, laufe ich halt weiter. Kilometer 19 geht in 4:22 vorbei. Gut, nicht langsamer geworden. Ich nehme jetzt aber absichtlich noch ein wenig raus, einfach weil ich es nicht fassen kann, dass es noch mehr als zwei Kilometer sind und noch ein ganzer Kilometer auf dieser unfassbar öden, langweiligen, läufertötenden Straße. Ich will nicht komplett eingehen. Nach 4:28 kommt endlich das rote KM20-Schild. Ich bin wieder im Schatten, die Rechtskurve kommt, jetzt ist es noch ein Kilometer. Die Zuschauer sind wieder da und ich kann wenigstens einen würdevollen letzten Kilometer laufen. Zum ersten Mal guck ich auf die Gesamtzeit. Ich bilde mir ein, dass ich die sub1:28 schaffen müsste. Als ich die Zieluhr erkennen kann, springt diese gerade auf 1:28:00. Da ich ziemlich schnell nach dem Startschuss auf der Strecke war, weiß ich, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Ich "sprinte" ins Ziel und schaffe es in (netto) 1:27:59. Den letzten Kilometer hab ich in 4:04, die letzten 100m in 21 Sekunden geschafft.
Auch wenn ich mit der Zeit nicht zufrieden bin, kann ich mir wenigstens nicht vorwerfen, nicht alles gegeben zu haben. Von der Belastung her war das sicherlich der anstrengendste Halbmarathon für mich. Das und die Tatsache, hier nicht aufgegeben zu haben macht meinen simplen Geist dann doch wieder zufrieden.
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Herzlichen Glückwunsch zum tollen Bericht und zum durchbeißen !!
Auch wenn Du nicht zufrieden bist, eine wirklich tolle Zeit für diese Bedingungen. Ich Weichei habe bei KM 16 den Löffel geschmissen, nachdem meine geplante 1:29:xx eh in unerreichbare Ferne gerückt war und ich das Gefühl hatte Kreislauftechnisch gleich aus den Latschen zu kippen.
Auch wenn Du nicht zufrieden bist, eine wirklich tolle Zeit für diese Bedingungen. Ich Weichei habe bei KM 16 den Löffel geschmissen, nachdem meine geplante 1:29:xx eh in unerreichbare Ferne gerückt war und ich das Gefühl hatte Kreislauftechnisch gleich aus den Latschen zu kippen.

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Hallo Jan,
einen schönen Bericht zu Mainz hast Du hingezaubert. Immerhin noch die sub 1:28 geschafft.
Wenn man heute aus dem Fenster schaut und das kühle Regenwetter sieht, ist es kaum zu glauben, dass Du von vorgestern schreibst.
Beim Lesen ist mir erst wieder bewusst geworden, wie warm es wirklich war. Während des Rennens habe ich gar nicht so viel davon mitbekommen. In meiner geistigen Einfalt habe ich es einfach versucht wegzublenden. Hat leider nicht bis ganz zum Schluss geklappt.
Wir hatten ja überlegt die ersten 21,1 km gemeinsam zu laufen. Aber ich muss gestehen, ich war vor dem Rennen so fokussiert, dass ich keine Muße hatte, ein Treffen zu vereinbaren. Sorry
Zeitlich hat es auch nicht geklappt, da ich wie üblich bis 10min vor dem Start auf der Toilette war und mich dann von vorne in den Startblock gestellt habe. Aber wir treffen uns bestimmt nächstes Mal. Und dann werden die PBs wirklich beerdigt. 
Liebe Grüße
voxel
einen schönen Bericht zu Mainz hast Du hingezaubert. Immerhin noch die sub 1:28 geschafft.

Beim Lesen ist mir erst wieder bewusst geworden, wie warm es wirklich war. Während des Rennens habe ich gar nicht so viel davon mitbekommen. In meiner geistigen Einfalt habe ich es einfach versucht wegzublenden. Hat leider nicht bis ganz zum Schluss geklappt.
Wir hatten ja überlegt die ersten 21,1 km gemeinsam zu laufen. Aber ich muss gestehen, ich war vor dem Rennen so fokussiert, dass ich keine Muße hatte, ein Treffen zu vereinbaren. Sorry


Liebe Grüße
voxel
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@Voxel: Das mit der "Wärme" (die wir hier dieses Jahr wohl einfach noch nicht gewohnt sind, 22-25° ist ja noch kein wirkliches Hitzerennen, da hatte ich letztes Jahr weit heftigere Bedingungen) hab ich während des Laufs auch bewusst auszublenden versucht. Mir hat es aber dann so schnell zugesetzt, nach 4km war der Puls schon das erste Mal jenseits der 190, was er sonst nur bei hart gelaufenen 10ern macht. Das Gefühl war einfach ab da schon nicht mehr gut.
Ja, hinterher war es gut, dass du dein Rennen und ich mein Rennen gelaufen bin. Sonst hätte ich mich anfangs noch mehr abgeschossen und es wäre tatsächlich schlecht ausgegangen. So war es ja wirklich alles im Rahmen. Die Gelegenheit, sich bei einem Lauf mal zu treffen, wird sich schon noch ergeben
Ja, hinterher war es gut, dass du dein Rennen und ich mein Rennen gelaufen bin. Sonst hätte ich mich anfangs noch mehr abgeschossen und es wäre tatsächlich schlecht ausgegangen. So war es ja wirklich alles im Rahmen. Die Gelegenheit, sich bei einem Lauf mal zu treffen, wird sich schon noch ergeben

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Besser so und sich realistisch einzugestehen, dass der Körper nicht mehr will und vor allem wirklich nicht mehr kanncoldfire30 hat geschrieben:Herzlichen Glückwunsch zum tollen Bericht und zum durchbeißen !!
Auch wenn Du nicht zufrieden bist, eine wirklich tolle Zeit für diese Bedingungen. Ich Weichei habe bei KM 16 den Löffel geschmissen, nachdem meine geplante 1:29:xx eh in unerreichbare Ferne gerückt war und ich das Gefühl hatte Kreislauftechnisch gleich aus den Latschen zu kippen.![]()



Umso mehr Respekt nochmal vor Deiner Leistung, Jan



Viele Grüße
Jürgen
"... its aint over till
it's over ..."
"... es ist nicht vorbei,
bevor es vorbei ist ..."
-Zitat: Rocky Balboa-
Jürgen
"... its aint over till
it's over ..."
"... es ist nicht vorbei,
bevor es vorbei ist ..."
-Zitat: Rocky Balboa-

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Hallo Jan,
genau mein Bericht, nur dass ich jeweils 'ne 5 statt der 4 auf der Uhr hatte. Bis km 6 im Plan, bei km 10 eine Minute verloren und dann nur noch mit Anstand ins Ziel gebracht. Wenigstens konnte ich auf der Wormser das Tempo halten und auf dem letzten km noch etwas zulegen.
Na ja, gibt noch mehr HM in diesem Jahr und ich hoffe mit der Form wenigstens noch eine 10er PB in den nächsten Wochen zu reissen.
genau mein Bericht, nur dass ich jeweils 'ne 5 statt der 4 auf der Uhr hatte. Bis km 6 im Plan, bei km 10 eine Minute verloren und dann nur noch mit Anstand ins Ziel gebracht. Wenigstens konnte ich auf der Wormser das Tempo halten und auf dem letzten km noch etwas zulegen.
Na ja, gibt noch mehr HM in diesem Jahr und ich hoffe mit der Form wenigstens noch eine 10er PB in den nächsten Wochen zu reissen.
Denke nicht über die Lösung nach, sondern über das Problem. :idee2:Die Lösung ergibt sich dann von selbst.
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@Running-Gag: Nee, leider gar nicht. Hab Chris hier ausm Forum kurz getroffen, weil er mich angesprochen hat (ich hatte schon Ausschau nach ihm gehalten, ihn im Startblock aber nicht gesehen, bis er vor mir stand), aber auch keinen Austausch gehabt. Nächstes Jahr müssen wir uns mal besser organisieren, kann ja nicht sein, dass so viele hier mitgelaufen sind und man nicht mal ordentlich zusammen übers Wetter schimpfen kann. 
