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Tagsüber Chemo, abends Lauftraining

Tagsüber Chemo, abends Lauftraining

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[font=&amp]Daniela Sembacher, 55, berichtet von ihrem schweren Comeback als Läuferin. Ein Lokalaugenschein zeigt ihren eisernen Willen und ihre innere Stärke.
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[font=&amp]Es ist kurz nach sieben Uhr. Daniela Sembacher steht in ihrem Schlafzimmer und betrachtet die in der Holztruhe liegenden, bunten Tücher. Welches soll heute ihren beinahe kahlen Kopf bedecken? Ach, oder vielleicht doch eine Perücke? Freitag ist ein schwerer Tag: Chemotherapie im Krankenhaus. Sie entscheidet sich für ihre neue, blondbrünette Perücke. Ein Blick auf die Uhr: noch zehn Minuten bis der Taxifahrer eintrifft. Sie zieht ihren blauen Jogginganzug an, da dieser bei der Chemotherapie angenehmer zu tragen ist. Daniela,[/font] [font=&amp]eine Frau mit zierlichen Schultern und olivgrünen Augen, geht langsam ins Vorzimmer an die hölzerne Kommode, schnappt sich ihren Taxischein sowie den weißen Mundschutz aus der obersten Schublade. Sie trägt ihn um mögliche Infektionen vorzubeugen. Bevor sie die Wohnung verlässt, bekommt ihr in der Küche stehender Mann Michael noch einen liebevollen Luftkuss. Der Tag beginnt sich zu lichten. Die Vögel zwitschern. Vor der Eingangstür schaut sie nach links und rechts. Viele Menschen bewegen sich auf den Straßen. Ein Hupen ertönt. Der schwitzende Taxifahrer aus Italien steigt aus dem Auto und murmelt mit einem charakteristischem Akzent: „Wieder ins Krankenhaus, nicht?“ Daniela, entgegnet lachend: „Jep. Aber zackig, Filippo.“ Filippo lächelt sie müde an. Die Fahrt dauert 30 Minuten. Wie üblich, macht sie es sich auf der Rückbank gemütlich.[/font] [font=&amp]Die 1,65 Meter kleine Frau verschränkt die Arme vor der Brust und legt den Kopf auf die Nackenstütze. Ihr Blick schweift über die vorbeiziehende Landschaft. Der Tag kommt langsam auf sie zu. Kurze Zeit bleibt noch zur Besinnung.
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[font=&amp]Es war im Mai vor drei Jahren. Daniela Sembacher war 52 Jahre alt. Ihre Freundin, eine kräftige, rothaarige Frau, die in ihrem Job, im Supermarkt, nicht gerade die Erfüllung findet, überredet sie spontan bei dem Wiener Frauenlauf 5 Kilometer zu laufen. Danielas erster Lauf seit vielen Jahren. „Wir laufen doch nur zum Spaß mit.“, meinte die Freundin in einem schrillen Tonfall. Die pralle Sonne knallt auf ihre Schultern. Keine Wolken zu sehen. Es riecht nach verschwitzen T-Shirts und Sonnencreme. Die Startsirene ertönt und der Startblock setzt sich langsam in Bewegung. Die ersten 100 Meter erweisen sich noch als gemütliches Joggen, da aufgrund der Menschenmasse ein schnelles Laufen nicht möglich ist. Nach ungefähr 400 Metern folgt die erste Kurve. Langsam lichtet sich das Feld. Nach zirka zwei Kilometern merkt Daniela, dass sie mit ihrer Freundin nicht mehr mithalten kann. „He Puppe“, keucht Daniela, „lauf einfach weiter. Ich kann nicht mehr so schnell.“ Obwohl die an der Straße positionierten Musikgruppen mit ihrem Sound zum Weiterlaufen motivieren, fehlt Daniela die Luft. Sie hat das Gefühl, als würde sich ihre Kehle zuschnüren. Ein Blick auf die Uhr, erst Kilometer drei. Daniela geht, da sich ein Schwindel und Herzrasen einstellen. Sie kann sich nicht mehr richtig bewegen. Doch kurz darauf beginnt sie mit gesenktem Kopf erneut zu laufen. Bei Kilometer vier blickt sich Daniela um und entdeckt eine Labestation. Sie schnappt sich einen Plastikbecher zum Trinken und einen zweiten schüttet sie sich einfach über den Kopf. Das eiskalte Wasser läuft ihr den Rücken hinunter. Gegen ihre Erwartung tritt keine Besserung ein. fühlt sie sich nicht besser. Ein erneuter Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass der letzte Kilometer angebrochen ist. Daniela ist völlig erschöpft und will endlich eine Pause, doch sie ist noch nicht im Ziel. Nur mehr wenige Meter und alle Mühen sind zu Ende. Daniela wirft sich direkt nach der Ziellinie auf den Boden und bleibt liegen. Ihr Gesicht ist blass und ein Nasenbluten setzt ein. Die Medaille wird ihr umgehängt. „Der Lauf war die Hölle!“, meinte Daniela. Auch Tage danach war die Erschöpfung deutlich zu spüren. Fieber und Gelenkschmerzen setzten ein. „Ich wusste, dass was mit meinem Körper nicht stimmt, deshalb bin ich zum Arzt. Und Recht hatte ich! Leukämie wars!“, erzählt Daniela achselzuckend. [/font] [font=&amp]

„Wir sind da.“, verkündet der korpulente Taxifahrer genervt. Daniela wird aus ihren Gedanken gerissen. Verwirrt schwingt sie ihre Beine aus dem Taxi und erblickt, das ihr so bekannte Krankenhaus. Dicke Tropfen fallen vom dunklen, wolkenverhangenen Himmel. Ein unangenehmer Wind setzt ein und sie huscht schnell in das Gebäude. Mit dem Lift in den dritten Stock. Vorbei an der Auskunft, vorbei an dem Schwesternzimmer. Daniela nähert sich einer gelben Zimmertür. Im inneren des Raumes befinden sich vier rote Infusionskrankenhausstühle. Daniela freut sich, denn ihr Lieblingsstuhl ist frei. Eine stark geschminkte Krankenschwester mit einer großen Brille, die ihr auf der Nase sitzt, nimmt Daniela über den gelegten Port Blut ab, um sie auf Infektionen zu testen. Die Ärztin kontrolliert alles penibel. Noch etwa fünf Minuten, dann kann die Chemotherapie beginnen. Es werden eine Kochsalzlösung zum vorspülen, Chemobeutel und Kevatril gegen die aufkommende Übelkeit gebracht. „Brauchen Sie noch etwas, Frau Sembacher?“, fragt die Schwester mit einer piepsigen Stimme. „Alles klero, danke.“, entgegnet Daniela geistesabwesend. Sie legt den Kopf auf die Kopfstütze.[/font]

[font=&amp]Der Sport, im speziellen Leichtathletik, nahm bei Daniela bereits als Jugendliche und junge Erwachsene einen besonderen Stellenwert ein. Sie war eine gute Stabhochspringerin, eine begnadete Sperrwerferin. Doch das Laufen bereitete ihr am meisten Freude. Sie nahm an mehreren Wettbewerben teil. Als sie zu arbeiten begann und später ihre Kinder bekam, verlor sie das Laufen aus den Augen. Gedanklich hatte sie jedoch nie aufgehört.[/font]
[font=&amp]Nach der Leukämie-Diagnose fiel sie in ein tiefes Loch. Sie nahm über fünf Kilo ab. Ihre Arbeitsstelle als Lehrerin musste sie aufgeben und ihr Verhältnis zu Freunden und Familie wirkte angespannter. „Alles war so sinnlos.“, meint Daniela, „Ich war so wütend auf alles und jeden.“ In dieser Phase konnte man sie für nichts motivieren. Sie sah die Freunde mit ihren fragenden Augen und ihrer Scheu, ihr näherzukommen. Die Hemmschwelle war deutlich zu spüren. Die Familie unterstützte sie in allen Bereichen und sprach ihr Mut zu. Damit einher ging aber auch das Gefühl von Mitleid, welches sie von allen Seiten erfuhr. Es wurden Ablenkungen und positive Anreize gesucht. Doch keine war auf längere Sicht zufriedenstellend. [/font] [font=&amp]
Die Ärzte und Ärztinnen empfehlten ihr Sport zu betreiben, um die Nebenwirkungen der Chemo zu verringern. So entschloss sie sich einige Wochen nach der Leukämie-Diagnose dazu sich wieder dem Laufen zuzuwenden. „Ich sitz sicher nicht zuhaus und wart bis ich drauf geh. Ich will leben!“ Ihr Mann, breites Kreuz, starkes Gesicht mit einem irrsinnig guten Lächeln darin, sowie ihre damals 13-jährige Tochter waren anfangs gegen den Sport. Aber Daniela wollte sich selbst von der Krankheit nicht einschränken lassen. Sie spürte sowohl Wut und Trotz sowie Neugier, ob sie es schaffen könnte. Nur mehr der Blick nach vorne spielte eine Rolle. [/font] [font=&amp]
Jeden zweiten Tag ging sie laufen. Anfangs war es neben der Chemo besonders anstrengend, da sie müde war. Sie musste sich oft übergeben - einfach so. Aber die selbstbewusste und starke Frau freute sich auf jeden Lauf, da dieser Unabhängigkeit und Freiheit bedeutete. Beim Laufen konnte sie abschalten und versuchen jemand ganz anderes zu sein, ohne jegliche Krankheit oder Sorgen.[/font] [font=&amp]Sie tut etwas für ihre Gesundheit und für den Körper, den sie noch gut in Schuss halten möchte. „Ich bin dankbar für meine Diagnose. Ich bin dankbar dafür, dass ich jetzt einfach so viele Dinge anders sehe als vorher. Die Krankheit hat einfach die Kraft einem einmal an beiden Füßen zu packen und auf den Boden der Realität zu ziehen. Man fängt an sich mit Dingen zu beschäftigen die wesentlicher sind für mich in meiner Situation. Man lernt das Leben zu schätzen. Man lernt Kleinigkeiten zu schätzen. Man lernt seine Freunde und vor allem seine Familie zu schätzen.“ Alles, was für Daniela zählte, war den Krebs zu besiegen, ihre sportliche Leidenschaft fortzuführen und [/font][font=&amp]ihre innere Stärke und Mut an andere weiterzugeben.[/font]

[font=&amp]Die junge Ärztin mit den vielen Sommersprossen betritt erneut das Chemotherapiezimmer. Sie kontrolliert Daniela, der immer wieder die Augen zufallen. Alles läuft gut. Später, öffnet Daniela mit kraftlosen Händen die massive Eingangstür des Krankenhauses. Vor dem Krankenhaus blickt sie sich um. Mit langsamen Schritten macht sie sich auf den Weg zu ihrem Abendprogramm – dem heutigen Lauftraining. Nach einigen Minuten betritt sie den üblich vereinbarten Treffpunkt im Park. Frauen machen in ihren bunten Sportschuhen Aufwärmübungen. Noch ein paar Schritte und sie steht vor ihrer so bekannten 13-köpfigen Frauengruppe. Ein warmes, freundliches und emotionales Gefühl macht sich breit. Die Laufgruppe, die sich vor einem Jahr zusammenschloss, läuft heute eine Runde mit 5 Kilometern. Die Stimmung untereinander ist ausgelassen. Alle freuen sich Daniela zu sehen. Sie beginnen ein Gespräch. Doch eine Frau mit Afro Frisur stoppt die Euphorie: „Los geht’s, Mädls! Wir sind hier zum Sportln, nicht zum Quatschen.“ Langsam setzt sich auch die letzte in Bewegung. Alle laufen in dieselbe Richtung davon. Es wird spät. Zuhause, im Schlafzimmer nimmt sie ihre Perücke ab und streichelt über ihren beinahe kahlen Kopf. Michael, ihr Mann beobachtet sie vom Türbogen aus und fragt „Wie war dein Tag, Liebling?“ Daniela wirft ihm einen kurzen Blick zu und entgegnet „War okay. Nach dem vielen sitzen im Krankenhaus, war der Lauf am Abend wichtig. Jetzt fühle ich mich strak! Nächsten Monat findet ein Wettbewerb statt. Da werde ich alles geben. Bis dorthin wird weiter trainiert.“,[/font][font=&amp] berichtet Daniela freudestrahlend.[/font]

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AnnaHelena hat geschrieben:[font=&amp]„Wir sind da.“, verkündet der korpulente Taxifahrer genervt.[/font]
Eigenartiger Zeitgenosse da, dieser Taxifahrer.

Knippi
Die Stones sind wir selber.
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