Axel_rennt hat geschrieben: 06.11.2025, 14:31Unglaublich...373 Marathon
Hallo Axel,
vielen Dank für deine Verneigung vor der Anzahl gelaufener Marathons und Ultras, vielen Dank für die Würdigung überhaupt. Das mit dem "Marathonsammeln" ist eine Sache, der ich mich immer wieder selbst mit fragendem Nachdenken widme. Wie kam's dazu? Und wann wurde es zum Ziel? Was bedeutete mir die Zahl als sie für mehr als ein Jahr zum Stillstand kam? Und, was, da sie nun wieder wächst?
Marathons wie einzigartige Sammlerobjekte in einen "Schauraum" zu stellen, sie überdies für andere und mich selbst als Gedächtnisstütze zu beschreiben, war ehedem ein Kollateralgewinn. Und das kam so:
Nach dem 10. auf persönliche Bestzeit gelaufenen Marathon verlor ich die Geduld mit dem Läuferschicksal, weil es mir trotz gewaltiger Anstrengungen in Prag wieder nicht gelungen war unter 3 Stunden zu finishen (3:01:50). Das hatte mit zuviel Wärme an dem Tag zu tun, mit begrenzten Möglichkeiten, da ich mich selbst trainierte und natürlich mit dem Lebensalter, das unterdessen deutlich jenseits der 50er-Marke lag. Also mussten neue Ziele her und die erspähte ich in der längeren Distanz ... Stundenläufe, 100 km, längere Dinger offroad, schließlich eine Teilnahme an der DM im 24-Stundenlauf, usw. Meine sportliche Zielrichtung war von jeher dem Zufall unterworfen. Jedenfalls empfinde ich das so. Der erste Marathon mit 48 Lebensjahren hätte genauso gut nie stattfinden können, wenn mich nicht ein paar Weichenstellungen im privaten Umfeld in diese Richtung geschubst hätten. Zwangs-läufig war da eigentlich nie etwas. Man kann das zum Beispiel auch an jenem Lauf festmachen, den ich als meinen läuferischen Höhepunkt bezeichne, obwohl er sportlich wahrscheinlich weniger Gewicht hat als andere Ultras, in denen ich (im Vergleich) erfolgreicher abschnitt. Letztere sind etwa die beiden Deutschen Seniorentitel im 24Stundenlauf und mein physisch bester Lauf jemals, die 100 Meilen Berlin 2014. Höhepunkt ist jedoch (und wird immer bleiben) der Sparthatlon, der mich wie keine andere Strecke mit grandiosem Erleben vollstopfte und zugleich an den Rand des mir Möglichen brachte. Dass ich den laufen durfte ist absolut dem Zufall geschuldet: Erst zwei Jahre zuvor erfuhr ich aus einer Tageszeitung davon, dass es diesen "Spartathlon" überhaupt gibt. Da wurde von einem Tschechen berichtet, der hier in einem Nachbardorf lebte und arbeitete und das "Ding" gefinisht hatte. Kann ich auch - so meine Reaktion, ohne zu wissen, auf was ich mich da einlasse. Hätte ich nicht zufällig an dem Tag eine Zeitung gekauft, sie nicht bis zum Ende durchgeblättert - der Bericht stand im Lokalteil, der mich normalerweise nicht so wahnsinnig interessiert -, dann hätte ich vermutlich erst viel später vom Spartathlon erfahren, wenn es zu spät gewesen wäre. Zu spät aus Altersgründen, denn 2016 war ich mit 62 Jahren der älteste Finisher. So wie ich nach der Pandemie - die vieles unmöglich machte - zu alt war, um noch Gewaltiges in Angriff zu nehmen. Etwa einen Deutschlandlauf, zu dem ich mich vor Covid wahrscheinlich noch hätte "auftrainieren" können.
Also vieles war zufällig. Natürlich war kein Zufall, sondern Voraussetzung, dass man um 100 km oder 100 Meilen oder noch weiter zu laufen fleißig trainieren muss. In meinem Fall ging das nur über immens viele Kilometer, die ich, um nicht die Lust zu verlieren, in Vorbereitungswettkämpfen sammelte. In denen ging es nie um Zeit und Platzierung, sondern allein ums "Ankommen und dabei möglichst jeden Meter gelaufen zu sein". Zeit und Platzierung waren schon deshalb kein Thema, weil ich oft trainingsmüde in einen Lauf ging. So sammelte sich nach relativ kurzer Zeit eine erkleckliche Zahl von M's und U's an. 2012 Anfang November sollte in New York mein 100. über die Bühne gehen. Bekanntlich musste ich den der Not gehorchend - N.Y. wurde von einer Naturkatastrophe heimgesucht - eine Woche später in Santa Barbara in Kalifornien mit meiner Frau zusammen laufen. Die Trainingsform meiner Frau, die einen M nicht mal so eben aus dem Ärmel schüttelte wie ich damals, war auch der eigentliche Grund den 100. nicht generell auf die Zeit nach der USA-Reise zu verschieben. Dann hätte meine Frau Ines nach 3 Wochen Traininigsausfall und Fast Food nicht mehr die Reichweite für M besessen ...
Die Jahre 2011 und 2012 sind als Zeitraum maßgebend für mich, das Sammeln von Marathons als "Ziel" zu verstehen. Allerdings damals nicht als vordringliches Ziel, sondern als Nebenziel, als eins von mehreren. Aber eben immerhin als konkretes Motiv. Hauptziel blieben längste Ultras, bei denen ich meine läuferische Erfüllung fand. Das Marathonsammeln blieb lange Zeit in diesem Status der "Nebenrolle". Etwa 2018, 19 änderte sich das. So lief ich 2018 in der Steiermark in Bad Blumau die "10 Marathons in 10 Tagen". Eine Herausforderung war das - wie sich herausstellte - nur mental: Und ewig grüßt das Murmeltier - 10 Tage lang jeden Tag früh am Start stehen, also 10 Tage lang nur fürs Laufen und Ankommen leben. Das war eine ganz spezielle Erfahrung, nebenbei bemerkt. Im Nachhinein ließ sie die Frage entstehen: Wie wäre es mit einem Etappenlauf?, zu dem es dann wegen Covid/Lebensalter/schwindenden Fähigkeiten nicht mehr kam. Vor allem aber freute ich mich darüber neben dem Erfolg der "10in10" mein Sammlerkonto binnen so kurzer Zeit um satte 10 Marathons erhöht zu haben (während der Veranstaltung auf über 200). Ich merkte, dass mir die Zahl inzwischen mehr bedeutete als früher.
Dann kam die Pandemie und eine Zeit lang ging nichts mehr. Was aber recht bald wieder ging, waren Läufe, die vom 100 Marathon Club ausgerichtet wurden. Diese Läufe gingen jeher lokal und mit kleinem bis winzigem Läuferfeld über die Bühne. Als man sich nicht mehr versammeln durfte, sannen die Mannen des 100 MC auf Abhilfe. Also richteten sie ein Startzeitfenster ein und nahmen die Zeit individuell. Oder verzichteten gänzlich auf offizielle Zeitnahme und Startfenster: Jeder durfte starten wann er wollte und musste die Leistung über die Aufzeichnung seiner GPS-Uhr nachweisen. Auf diese Weise begegnete man sich allenfalls noch auf der Strecke, sofern sich diese aus Runden (wie meistens) zusammensetzt oder als Pendelstrecke ausgelegt ist. Damit war ich wieder im Geschäft und sammelte weiter ...
In den Folgejahren der Pandemie verlor ich mehr und mehr die Fähigkeit längste Ultras durchzustehen. Den Abschluss bildete 2023 eine Teilnahme an den 100 Meilen Berlin. Dieses Erlebnis, das ich trotzdem nicht missen möchte, zeigte mir glasklar auf, dass mit dem Kilometer"wahnsinn" Schluss sein muss. Ich schaffte das zwar noch, aber nur mit wirklich unsäglichen Mühen und dem Verlust von Laufspaß viel, viel, viel zu früh im Wettkampf. Meine Orientierung fand ich davor, dabei und danach zunehmend im Sammeln. Ersetzte also Qualität (Zeit und Streckenlänge) endgültig durch Quantität. Ohne allerdings eine Qualität preiszugeben: Ich will jeden Meter eines Laufes auch tatsächlich laufen - was mir bis heute zumeist gelingt. An dieser Prämisse werde ich auch nicht rütteln. Sollte ich mit dem mir möglichen Trainingsaufwand einen M nicht mehr komplett laufend absolvieren können, dann ist eben Schluss mit M. Akzeptieren kann ich gehen auf langen, steilen Stücken oder grob schlechter Wegstrecke. Doch das war früher auch schon so. Nur, dass es eben jetzt mangels Kraft und Ausdauer schon mal eher dazu kommen kann/könnte. Einen flachen M komplett durchzulaufen werde ich aber immer von mir verlangen. Sammlerstücke, die nach prozentweisem Gehen, zustande kommen, will ich nicht im Laufbuch haben. Es heißt eben Laufbuch, weil ich Läufer bin.
Nach der Knieverletzung (März 2024) mit OP (Mai 2024) geht nun viel weniger als davor. Das liegt nicht am Knie, sondern an der langen Laufpause, die von der laufspezifischen Muskulatur und Robustheit nicht mehr viel übrig ließ. Ich arbeitete hart daran diese Fähigkeiten wieder zu erwerben. Dem sind aber Grenzen gesetzt, die im Lebensalter liegen. Ü70 hat zur Folge, dass die Trainierbarkeit aller konditionellen Parameter dramatisch nachlässt. Immerhin war ich noch in der Lage nach dem Marathon-Restart im August bis heute fünf Marathons und einen (kurzen) Ultra zu laufen. Allerdings nur - das ist der Wermutstropfen -, weil ich mich jeweils in die totale Erschöpfung lief.
Läuferische Ziele im Bereich M/U gibt es jetzt nur noch zwei. 1) Überhaupt finishen können, nachdem ich jeden Meter gelaufen bin. Und 2) Die Zahl meiner M's und U's weiter erhöhen. Schön wäre im - wenn es gelingt wahrscheinlich - übernächsten Jahr die Zahl von 400 Marathons und Ultras zu erreichen. Weiter denke ich einstweilen nicht. Von mehr zu träumen ergibt keinen Sinn, wenn - ganz anders als noch vor 2, 3 Jahren - schon der jeweils nächste Start nicht mehr sicher ist.
So viel - eigentlich ganz schön viel, wenn ich hoch-scrolle - zur Zahl von 373. Marathons und weiter.
Dir und allen anderen: Schöne Läufe! Und einen Rat auf der Basis eines Läuferlebens, das jetzt ins Finale geht: Niemals ein Laufvorhaben, das euch wichtig erscheint und möglich ist aufschieben. Ihr wisst nie, wie lange ihr die Fähigkeit behalten werdet es zu realisieren.
Gruß Udo