Ich drehe mich wieder nach vorne und sehe wie meine Freundin Janna mich mit bösen Blicken straft.
„Du wirst jawohl wenigsten EIN Brötchen essen! Jetzt stell’ dich mal nicht so an!“
Sie weiß wovon sie spricht, und da ich voll auf ihre Unterstützung hoffe wenn es ans Laufen geht bin ich brav und würge auch den Rest von meinem Pre-Marathon-Frühstück runter. Augen zu und durch, mein neues Motto welches ich jetzt schon nicht mehr hören kann.
Der Knubbel da wo mal mein Magen war löst sich spätestens als der bestimmt 5km lange Fußmarsch von der U-Bahn zum Treffpunkt mit den anderen Foris geschafft ist.
Die Sonne scheint, die Luft ist wunderbar, ich habe gute Laune und bin kaum noch aufgeregt! Jetzt schön einen Espresso bei Starbucks holen und ein bisschen mit netten Leuten in der Sonne sitzen...
Aber ich muss ja laufen.
Da habe ich ja jetzt schon keine Lust mehr zu. Obwohl, wenn man das Brandenburger Tor da hinten so sieht, so weit weg ist das ja gar nicht! Sollte ich doch wohl schaffen hier später noch mal vorbei zu kommen, oder?
Aber bevor ich da groß drüber nachdenken kann gehen wir auch schon los zum Startbereich, weitere gefühlte 4km.
Komischerweise kann ich mich noch genau erinnern welche Nummer mein Kleiderbeutel LKW hat, dabei bin ich so überrascht das ich ohne anzustehen mal etwas erledigen kann das ich meinen Kleiderbeutel beinahe mit meinem Wasser und Schwamm und den Gels und sowieso allem was man so braucht um die nächsten Stunden zu überleben abgegeben hätte.
Zum Glück ist Falk noch bei mir und aus lauter Dankbarkeit dass er mich daran erinnert begleite ich ihn noch zu seinem LKW auf der anderen Seite des 10km langen Startbereichs.
Allmählich entwickelt sich auch ein unwiderstehlicher Sog in Richtung der Startblöcke. Der Geruch verschärft sich auch mehr und mehr in Richtung Branntweinessig mit altem Turnbeutel, nach den Mengen an Dixies die man zwischendurch passiert hat bei denen die Türen immer dann aufgehen wenn man gerade dran vorbei kommt fällt das aber schon kaum noch auf.
Startblock H, die Masse an Spaßläufern bei denen es nicht so auf die Zeit ankommt. Von hier bis zum Horizont.
Der Ansager berichtet gerade davon dass 8000 Frauen teilnehmen. Die stehen auch alle an den letzten Dixies im Startbereich an. Die 31000 und noch was Männer dagegen tummeln sich im Wald wohin Falk jetzt auch noch mal verschwindet.
Na gut, ab jetzt muss ich mich wohl anderweitig ablenken von dieser doofen Aufregung die schon wieder von links auf die Schulter tippt.
Während ich bim 2351-mal Schuhe zubinden noch über die Häufigkeit von Asics vs. andere Marken nachdenke wird zum ersten Startschuss runtergezählt.
Tausende von Luftballons fliegen in den knallblauen Himmel, 5 Helikopter schwirren genau über uns Spaßläufern, die können hoffentlich mit so beengten Umständen umgehen.
Die Menge tobt, ich werde immer kribbeliger und muss doch noch 15 Minuten warten bis wir zumindest bis an die Startlinie gehen können.
Dann unser Startschuss, ab jetzt geht es relativ flott.
Ich laufe! Ich! Und es fühlt sich genauso anstrengend an wie sonst auch, gar nicht toll und fliegend.
Dafür sind die Läufer um mich herum umso amüsanter, bei manchen kann man sich einfach nicht vorstellen wie man so überhaupt vom Fleck kommt. Aber bei Paula sieht das ja auch nicht hübsch aus.
Um die Siegessäule rum, der Wahnsinn. Die ersten 8km bekomme ich nicht viel mit, irgendwann nach 2 oder 3 km vermute ich Meike und Jörn vor mir, fange an etwas schneller zu laufen um aufzuschließen. Aber wenn sie es doch nicht sind?
Also weiter in meinem Tempo, nach 4 km schaffe ich es dann auch mal relativ flüssig in meinem geplanten Schnitt zwischen 6:30 und 6:45 zu bleiben.
Die Kurve bei km 8 ist der helle Wahnsinn, hier wollte Janna das erste Mal stehen und auf mich warten. Aber der Menge ist es sogar für mich aussichtslos irgendwas zu erkennen, plötzlich bin ich schon bei km 9 und habe sie immer noch nicht gesehen.
Manche versuchen jetzt auch öfter in den Kurven außerhalb der Absperrung auf dem Fußweg zu laufen, wohl um schneller voranzukommen. Sehr produktiv scheint das nicht zu sein, der Slalom geht da schließlich weiter, nur eben um Zuschauer statt um Läufer. Einer stolpert dabei und knallt volle Kanone hin. Aua.
Schon ist km 10 vorbei.
Irgendwie merke ich gerade das meine Beine doch recht schwer sind heute, aber darüber nachdenken hilft ja auch nichts. Also einfach weiter, bei jedem Wasserstand zumindest ein paar Schlucke genommen.
Ab km15 wird es auf einmal anstrengend.
Lauter fremde Menschen um mich herum, am Rand, vor mir, hinter mir.
Ich mag nicht mehr so richtig. Langsamer werden ist auch keine Option, durch das Gedränge an den Wasserständen und das Gehen um wenigsten ein bisschen was zu trinken bin ich insgesamt schon langsam genug geworden. Der Magen knurrt jetzt auch schon, das bisschen Brötchen war dann wohl doch schnell verdaut.
Also nehme ich bei km 18 das erste Gel. Schmeckt so scheiße wie erwartet aber vielleicht bringt es ja was.
Bei km 20 wollte Janna wieder stehen. Kurz hinter der Brücke sehe ich sie dann auch, sie läuft einen km mit mir mit, das muntert auf.
Das nächste Mal wird sie erst wieder bei km 32 stehen. Schluck.
Aber schließlich laufe ich ja hier einen Marathon und bin nicht auf Vergnügungstour.
Halbmarathonmarke, ächz. So schwer wie im Ziel bei einem Halbmarathon ist es zwar nicht aber schwer genug.
Was soll’s, Augen zu und – ja genau.
Da werde ich auch schon von der Seite angebrüllt, Mandy und Janina die mich gerade noch rechtzeitig gesehen haben! Wie schön!
Bei km 25 ist es dann soweit, ich kann zwar noch habe aber echt keinen Bock mehr. Marathon laufen? Wozu eigentlich? Wer kam denn auf die blöde Idee?
Gibt es nicht irgendein geheimes Transportmittel von dem ich nichts weiß das zulässig ist und mich mal eben ins Ziel bringt?
Ach Menno, jetzt einfach stehen bleiben, hinsetzen, was trinken, hinlegen.
Doofe Kinder strecken die Hände aus um abgeklatscht zu werden nur um sie in letzter Sekunde wieder hämisch lachend zurückzuziehen. Das passt rein von der Stimmung her genau zu dem Gefühl welches ich jetzt gerade habe.
Ich werde auch noch wieder langsamer und trotzdem fühlt es sich anstrengend an.
Um mich rum wieder nur fremde Menschen, keiner sieht so aus als wenn er Lust hätte sich mein Gemecker und Genöle anzuhören.
Nächster Verpflegungsstand. Diesmal nehme ich zum Gel noch 2 Bissen Banane, ein Alibi-Schluck von der Gatorade-Plörre muss auch sein. Hauptsache ich komm irgendwie bis km 32, da kann ich Janna dann davon überzeugen das ich tatsächlich ein Weichei bin und nicht zwingend einen Marathon laufen muss. Vielleicht gibt es ja was Nettes im Kino.
Aber plötzlich werden es wieder mehr Zuschauer, der Wilde Eber kommt, die Musik bringt Spaß und allmählich finde ich mich ziemlich albern. Schließlich geht es mir gut, ich habe einfach nur keine Lust mehr. Dass der Punkt kommt wusste ich vorher, aber so früh?

Wenn ich aufhöre kann ich das Finisher T-Shirt nicht anziehen. Ob man dafür bei e-bay was bekommt?
Und was soll ich meinen Eltern nachher am Telefon sage, sorry, aber ich hatte keine Lust mehr! Neeee. Geht ja gar nicht.
Mein Knie tut jetzt auch noch weh. Aber immer wenn ich genau hinfühlen will nicht mehr. Es könnte ja so schlimm sein das ich abbrechen muss, aber nein, es muckt nur so rum. Auch so ein Feigling, genau wie ich.
Also mal eben an einem Baum gehalten und das Knie ausgedehnt.
Geht wieder. Genau wie ich gerade, der Hohenzollerndamm will einfach nicht aufhören und ich beginne ihn inständig zu hassen. Langsam weitergetrabt und immer noch unschlüssig wie ich weitermachen soll.
Da vorne, km 30. Ich gucke auf die Uhr und stelle fest dass es wohl nichts wird mit unter 5 Stunden. Außer wenn ich durch einen dummen Zufall mal eben die restlichen 12 km extrem schneller werde.
An der Kurve vor km 31 komme ich an einer Bühne vorbei auf der gerade die Stones laufen. Also, die Musik, die Stones selber laufen dieses Jahr nicht in Berlin mit, schon gar nicht auf irgendwelchen Bühnen bei km 31.
If you start me up I'll never stop
Hmm, so im Zusammenhang mit weiterlaufen habe ich das bisher zwar nicht verstanden aber whatever helps.
Also laufe ich weiter. Und beschließe dass es total egal ist ob es unter 5 Stunden wird. Hauptsache es wird.
Und schon bin ich bei km 32, Janna läuft wieder ein bisschen mit mir mit und ich freue mich dass ich heute einen Marathon laufe! Ja! Wahnsinn! Und ich schaffe das!
Zum ersten Mal seitdem ich dran gedacht habe mal einen Marathon zu laufen weiß ich dass ich es schaffe. Besser spät als nie. Und es fühlt sich unglaublich toll an. Ich muss immer wieder Grinsen und finde sogar die Kinder wieder niedlich die abgeklatscht werden wollen.
Ab jetzt gehe ich einfach nach jeder Getränkestation ein bisschen länger, bis die Beine wieder laufen wollen und dann läuft es auch wieder.
Und ich überhole nur noch, lauter Menschen die mich vorher überholt haben.
Und das absurdeste: es fängt an mir Spaß zu machen! Wer sagt dann das Marathon laufen keinen Spaß bringt.
Ich lache den Bands am Rand zu, ich versuche andere zum Weiterlaufen zu motivieren die nur noch gehen.
Plötzlich bin ich schon am Potsdamer Platz, durch die Massen durch, da kann man nicht langsamer werden.
Auf den nächsten 2 Straßen und Kilometern wird es wieder ruhiger, viele hoppeln hier mit Krämpfen in den Beinen gen Ziel.
Kurz vor der letzten Kurve noch ein gestürzter Läufer, 10 andere kümmern sich um ihn. Lieber nicht genauer gucken, hilft ja nix.
Unter den Linden. Was ne lange Straße. Und so ein roter Bogen am Horizont. Das muss der letzte Kilometer sein.
Ich bin so schnell wie noch nie. Naja, wie noch nie bei km 41.
Ich fliege durch den roten Bogen und sehe jetzt endlich das Brandenburger Tor.
Ein dickes fettes Grinsen setzt sich auf meinem Gesicht fest und ich sehe nur noch die Menschen an der Seite, die Sonne am Himmel und der Kloß in meinem Hals der immer wieder während des Tages mal zu spüren war wird wieder größer.
Noch einmal Gas geben auf den letzten 200 Metern, ich hab’s geschafft!
Ehrlich, ich hab es tatsächlich geschafft!
Und die Tränen kann ich mir nicht verkneifen, wische sie mir aber heimlich ab bevor ich meine Medaille umgehängt bekomme.
Während ich so immer noch völlig ungläubig über das Geschaffte durch den Zielbereich wackel sehe ich an den Seiten Leute mit verkniffenen Gesichtern im Schatten liegen, kotzen oder schmerzverzerrt in Richtung Sanitäter humpeln.
Bis auf die leicht steifen Beine fühle ich mich großartig, besser als nach meinem letzten Halbmarathon. Da scheint es doch Sinn gemacht zu haben es lieber langsam anzugehen anstatt auf Zwang eine bestimmte Zeit erreichen zu wollen.
Nachdem ich weitere 6 km durch die Auslaufzone latschen muss werden auch meine Beine etwas steifer und ich entscheide mich dafür Janna noch etwas warten zu lassen und mich bei den Massagen anzustellen.
Herrlich. Erst 10 Minuten lang in der Sonne liegend mit dem Kerl vor mir gequasselt und dann die beste Massage meines Lebens bekommen. Die beiden Mädels bieten mir an das ich noch länger liegen bleiben soll, die Männerbeine wären immer so breit und behaart, das scheint bei mir leichter zu gehen.
Aber der Typ hinter mir schöpft Verdacht und wird ungeduldig.
Als ich endlich aus dem abgesperrten Bereich raus- und auf Janna (und Falk! Der tatsächlich noch Stunden auf mich gewartet hat!) zukomme fange ich erst richtig an mich zu freuen. Ich habe es geschafft.
Und ich glaube besser hätte es für mich nicht laufen können. Am Anfang war es geplant dass ich den Marathon mit meinem Freund laufe. Als sich dann aber rausstellte das er nicht nur zum trainieren aus beruflichen Gründen keine Zeit hat sondern auch nicht dabei sein wird wurde es eben zu meinem Marathon. Und genau das war es auch.
Ich habe es geschafft etwas durchzuziehen ohne dass ich eine Abkürzung nehmen konnte und ich habe die Zähne zusammengebissen obwohl es nicht einfach war.
Trotzdem tat es gut jemandem am Rand zu haben der an mich glaubt und es mir damit einfacher gemacht hat an mich selber zu glauben.
Das Finisher T-Shirt ist mir zwar ein bisschen zu groß aber hey, besser als es bei e-bay zu verkaufen.
