Noch 2 Wochen vor dem Marathon ist Steffen, Mr. Motivator, wieder einmal voll gut gemeinter Ratschläge. Schon bei meinem ersten Marathon im Herbst hat er mich fast in den Wahnsinn getrieben mit seinen Tips wann ich wie viel vorm Start trinken soll.
„Trink nicht mehr soviel, Ann-Kathrin!“ dringt es auch jetzt wieder an mein Ohr. Um 7.45h steht ein Pulk Von Foris vor den Messehallen und erörtert die letztmögliche Zeit sich aus den wärmenden Klamotten zu pellen versus die letztmögliche Zeit noch pünktlich in den Startblock zu kommen. Aus Trotz nehme ich noch einen richtig großen Schluck aus meiner Wasserflasche.
Bis um 8.30h verharre ich noch in dem Bereich vor den Messehallen, meine persönlichen Groupies wollten hierher kommen und ich ihnen meine Kamera mitgeben.
Um 8.35h tauchen sie dann auch auf – leicht schwankend und mit Sonnenbrille. Dabei ist es total grau und verhangen, aber die beiden hatten gestern eine Grillparty und genau 3 Stunden geschlafen. Uiuiui, denke ich mir, mit dem Restalkohol die ganze Strecke auf der Vespa fahren? Naja, ich habe sie mit ausgedruckten Excel-Listen und vorhergesagten Ankunftszeiten bestens ausgerüstet, wenn man vorm Marathon unbedingt feiern muss, bitte.
Jetzt habe ich es recht eilig in den Startblock zu kommen, vielleicht treffe ich Meike, Tessa und Birgit noch, stattdessen sticht natürlich nur Martins Kopf aus der Menge.
Flugs dran vorbei (bloß keinen Vorsprung geben!), Sumowalker noch viel Glück gewünscht und dann endlos lange im halbleeren Startblock die Füße plattgestanden.
Noch mal raus und durch das Getümmel vor dem Startblock lohnt sich ja auch nicht. Der total unverständliche Moderater wechselt sich mit noch schlechterer 90er Musik ab. ‚Rythm is a Dancer’ wird jetzt also mein Ohrwurm für die ersten km sein, kann ja nur besser werden.
Dann geht es endlich los, die ersten km relativ unspektakulär. Die erste km Markierung verpasse ich, da ich an Berlin gewöhnt bin und nach blindengerechten km-Schildern Ausschau halte. Meine Polar zeigt mir wieder mal eine recht abenteuerliche Pace an, aber noch geht alles gut und ich fühle mich weder zu schnell noch ausgebremst.
Auf der Reeperbahn erspähe ich zum ersten Mal die LA-Groupies, die aber fixieren einen Punkt hinter mir und schreien: „Martin!“ Ein kurzer Blick über die Schulter bestätigt das, bevor er mich auch noch sieht lieber kurz ein bisschen das Tempo anziehen und Distanz erzeugen.
Ich fühle mich gut, die Beine sind locker, das Wetter wird besser und die Sonne kommt raus. In Altona dann zum ersten Mal meine beiden alkohol-geschwächten Betreuer, die sehen aber schon etwas besser aus.
Bei der ersten Wasserstelle will ich gerade wieder anlaufen nachdem ich zum trinken kurz abgebremst hatte, da grätscht ein mir bekanntes hellblaues Shirt in meinen Weg – Tessa, die ihren Becher ordnungsgemäß am Rand entsorgt. Die Wiedersehensfreude ist groß, unser Tempo passt, wir laufen ja öfter zusammen also bleiben wir das auch. Wir schnacken ein bisschen und amüsieren uns über Feuerwehrianer mit ‚der größten Ratsche, die ich je gesehen habe!’
Äußerst dekadent gedeckte Frühstückstische der Elbchausseeanwohner säumen unseren Weg, es werden Lachs und Kaviar zu Schampus vertilgt, ist klar. Was in Berlin die Samba-Bands sind, sind in Hamburg Spielmannszüge und in Altona sogar eine Kuh. Zumindest akustisch, aber dank AnjaRennt's Prophezeiung wohl ein gutes Omen. Vor dem Fischmarkt noch Otto Erich mit Frau erblickt, meine persönlichen Groupies schon zum zweiten Mal und mit rechtzeitig gezückter Kamera.
Die Kurve zum Fischmarkt runter ist der helle Wahnsinn, man hat ein irres Tempo drauf, die Menge tobt, die Sonne scheint und lässt das Wasser im Hafen funkeln – herrlich! Bis zur Außenalster verläuft alles unspektakulär, viele Leute, viel los, viel laufen. Fidi erstattet uns auf der Kennedybrücke mitlaufend Report wer so alles vorne wie läuft, wie gut oder schlecht derjenige aussah und was sonst so passiert ist. Das nenne ich mal Service.
Beim nächsten Getränkestand entwischt mir Tessa kurzzeitig, mir ganz recht, das Wasser ist arschkalt und ich brauche ein bisschen um es vernünftig runterzukriegen.
Kurz vor km 19 dröhnt eine Stimme in meinem Ohr. Hinter mir, aber irgendwie anstrengend. Ich höre genauer hin: „Mir wurde schon gesagt dass noch 2 Walker vor mir seien, jetzt wohl nicht mehr, hähä!“
Niederträchtig? Ganz klar Martin. Der Blick zurück bestätigt es, er hat nicht nur aufgeholt sondern jetzt auf mieseste Art eine hilflose Walking-Lady besten Alters überholt. Also schnell wieder ein, zwei Mitläufer als Sichtschutz zwischen uns bringen. Doch beim Wasserfassen an km 20 passiert es: Martin läuft von links heran, packt Tessa am Nacken und lässt auch hier eine Gemeinheit los.
Ich warte also lieber ab bis er das Weite sucht bevor ich zu Tessa aufschließe, gemeinsam beruhigen wir uns dass der Letzte immer noch am Besten lacht.
Bei der HM-Marke stellt Tessa fest das wir gut in der Zeit liegen, genau 200 Meter später fragt sie mich wann denn eigentlich der HM kommt. Mir kam es eh schon schleierhaft vor wie sie jetzt noch in der Lage sein konnte unsere Zwischenzeit als gut oder schlecht zu bewerten ohne eine Liste zu Rate zu ziehen. Also doch alles normal, Kurzzeitgedächtnis adieu.
Mittlerweile haben wir uns an einen Läufer herangearbeitet der nur mit einem Höschen aus Efeu, einer Brustmaske (ja, genau das, was man sich so darunter vorstellt), einer Perücke und einer Monstergesichtsmaske bekleidet ist. In seinem Jubel lässt es sich eine Weile hervorragend laufen, man könnte meinen er gilt uns.
Jetzt geht es langsam los bei mir, allgemeine Unlust macht sich breit. Ich fühle mich matt, mein Magen protestiert wegen des kalten Wassers und krampft sich zusammen. Auch die beiden bereits vertilgten Squeezies scheinen heute nicht meine besten Freunde zu sein.
Dazu kommt auch noch ein unangenehmer, krampfartiger Schmerz außen in der rechten Wade, nach 3 km geht es zum Glück wenigstens hier wieder besser.
Kurz vor City Nord lasse ich Tessa ziehen, entweder wir sehen uns noch mal oder eben im Ziel. Ich bin ganz froh ein bisschen alleine zu sein, mit meinem Genöle, was zu diesem Zeitpunkt unweigerlich folgen wird möchte ich Tessa nun nicht wirklich noch belasten.
City Nord tobt, mein Magen krampft.
Meine Groupies, die mich aufgrund meiner atemberaubenden Geschwindigkeit in Winterhude verpassten, haben auch wieder aufgeschlossen. Gerne nehme ich etwas von der (im vornherein mitgegebenen) illegal angebotenen Apfelschorle mit Salz entgegen, das tut jetzt gut.
Dazu ein paar dumme Sprüche, das baut auf!
Die Strecke führt nun am Alsterlauf entlang, hier laufe ich auch sonst immer, das demotiviert noch mehr. Ich male mir kurz aus wie wunderbar gemütlich es jetzt auf meiner Couch wäre. Und von hier brauche ich auch nur 20 Minuten bis nach Hause, das weiß ich ja.
Aber bis Ohlsdorf wollte ich auf jeden Fall alles geben, das hatte ich mir vorher vorgenommen. Außerdem half es ein wenig, erstmal nur bis km 30 zu denken, von da ist es ja nur noch ein Katzensprung bis ins Ziel.

Jetzt werde ich aber auch mit Namen angefeuert, vor allem eine Gruppe von Jungs im geschätzten Alter von 10 bringen mich zum lachen als sie bestimmt 20 Sekunden auf meine Startnummer glotzen, dann ewig drüber nachdenken und als ich schon fast vorbei bin meinen Namen rufen. So ein Doppelname ist ja auch lang, ne.
Ich bin unglaublich froh an der Ecke zur Alsterkrugchaussee angelangt zu sein. Meine Groupies reichen mir nun das nach Herbys Rezept angemixte Cola-Gebräu. Dazu der gut gemeinte Hinweis: „Nur noch durch die Talsohle, kurz ein klitzekleines Stückchen hoch und du bist schon da! Ist ja im Prinzip schon die Zielgerade hier!“
Das Cola Gesöff gekoppelt mit den nun stetig mehr werdenden Menschenmassen tut seine Arbeit, es geht mir wieder besser. Selbst die Musik, die aus den Fenstern dringt passt mir wieder besser, ACDC bringen mir einfach mehr Spaß als Snap.
Die Rothenbaumchaussee wird zu einer Allee aus gehenden Läufern, es kostet noch mehr Kraft allen auszuweichen. Aber ich sauge mich an dem Gedanken, dass es ja nur bis zum NDR so ansteigt, hoch.
Und dann läuft es quasi wie von selbst. Der Magen hat sich wieder beruhigt, es geht leicht bergab, gleich bin ich bei km 40! Mir tut zwar alles weh und am liebsten möchte ich mich kurz ein wenig hinlegen und weinen aber laufen ist jetzt auch okay. Also laufe ich.
Flott um die Ecke gebogen lauern mir auch die LA Groupies schon wieder auf.
Rochus wirft sich noch einmal todesmutig auf die Strecke um ein Actionbild zu bekommen, Hut ab! Fidi will mich motivieren und schreit: „ Martin ist nur 20 vor dir! Den kriegst du noch! Los, SubMartin!“
Meine Reaktion dürfte etwas unenthusiastischer ausgefallen sein, keiner glaubt mehr dass ich es noch schaffen kann. Aber wirklich, wie kann Fidi glauben dass ich Martin, der 20 Minuten vor mir ist, jetzt noch einhole! Es geht eben nicht mehr schneller.
Dass ich nur noch 2195 Meter zu laufen habe, 20 Minuten von daher schon mal nicht stimmen und Martin wohl kaum mit einer Zielzeit von unter 4:30 ankommt entgeht mir in diesem Moment völlig.
Aber wen sehen meine geröteten Augen in deutlich geringerer Distanz als erwartet? Martin!
Kurz überlegt ob es das wert ist, aber wer nicht wagt der nicht gewinnt! Mein Kampfgeist ist geweckt, ich lege einen Zahn zu. War ich die ganze Strecke über in einem 6:45 Schnitt unterwegs, lege ich jetzt die restlichen 2 km in einem 6er Schnitt zurück. Ungefähr 1 km vor dem Ziel überhole ich ihn, dabei versuche ich mich noch klein zu machen damit er mich nicht sieht, aber nichts da. Er erspäht mich und schreit wieder etwas Niederträchtiges.
Jetzt nur nicht nachlassen! Um die Kurve in die Karolinenstraße geiert, mein Magen teilt mir kurz mit dass er das wenig lustig findet und demnächst beabsichtigt zu streiken. Aber nicht mit mir! Weiter, weiter, mir kommen kurz eine Nettozeit und die Tatsache dass Martin nach mir los ist in den Sinn, also wird weiter gerannt. Verdammt, Photografen! Kurz Gesicht verzerren, dabei das „Nicht kotzen! Laufen!“ - Mantra weiterdenken und ab.
Ins Ziel.
Vor lauter Schlussspurt vergesse ich total dass ich ja gerade meinen zweiten Marathon in einer super Zeit gefinished habe und komme gar nicht zum heulen.
Als ich damit mal anfangen will stehen da schon Tessa, Steffen, Oli, Marc und ich reiße mich zusammen.
So können Tessa und ich noch den letzten, wichtigen Teil des Marathons zusammen erledigen, eine erstklassige Massage und dann duschen in der zugigsten Halle die man sich vorstellen kann. Toll wars.
Im Nachhinein bin ich einfach nur froh und glücklich dass es so toll lief, ich eine Traumzeit (4:47) hingelegt habe und mich damit um immerhin 30 Minuten verbessert hab. Und das nach diesem elendigen Winter der nicht mein bester Freund war.
Und noch viel schöner fand ich dass so viele Menschen dabei waren die ich kannte. Sie es beim laufen oder groupen.
Die paar Kilometer die schlecht liefen bekomme ich auch noch in den Griff.
Die Meute vor dem Start, einmal ohne...
...und einmal mit mir.
Km 33: Ich habe echt keine Lust mehr!
Rothenbaumchaussee
Mit meinen mittlerweile ausgenüchterten Groupies im Ziel. (Das ist nämlich mein Erdinger alkoholfrei.)
Wer das Gruppenfoto in groß haben will bitte PM mit email Adresse an mich.