Wir sind nicht Samstag nachmittag um 17:45 auf dem Straßenfest im Meisenweg, sondern es ist Sonntag morgen 8:57 "In den Kirchhöfen" und ich will mich nicht mit Hilfe von Dj Ötzi und der Hermes House Band animieren lassen, sondern einen Marathon laufen. Zwar sind wir keine Julios im Block H und I, aber auch kein Deppen und haben uns den langen Winter über mit regelmäßigem Training und langen Läufen gequält. Und jetzt soll das einfach nur "Hey Baby" sein? Spontan fällt mir als Alternative "Hells Bells" ein, ist zwar auch nicht richtig originell, aber vom Titel und dem "Glockengeläut-Intro" passender zur Einstimmung auf die Aufgabe zum ersten Mal 42,195 km zu laufen.
So versuchte ich mich trotz "Country Roads"-Beschallung zu konzentrieren und mir meine beiden Mantras einzubläuen "Laufe nicht zu schnell los" und "ab 30km geht der Marathon erst richtig los".
Los geht es, endlich Ruhe, ich versuche mich an einem der Ballonläufer zu orientieren, um nicht zu schnell loszulaufen. Aber es gibt es zum einen mehrere davon und zum anderen laufen die alle unterschiedlich schnell, ich orientiere mich am schnellsten und bin nach 27:30 bei km 5. Hmm, also zu langsam ist das nicht für 4 h. Mein Puls warnt mich, dass ich zu schnell bin, ich bin verwirrt, ich bemerke jedoch dass auch weitere Läufer um mich herum anfangen auf Ihre Uhren zu schauen und die Geschwindigkeit zu diskutieren. Wir einigen uns, dass der Ballonläufer zu schnell ist, und folglich nehme ich etwas Tempo raus. Und Ballonläufer ignoriere ich ab sofort.
Offensichtlich war ich jedoch ziemlich verwirrt worden, durch diese Ballon-Läufer-Aktion, dass ich fortan vergass sinnvolle Zwsichenzeiten zu nehmen, ich lief über die km 10-Marke und drückte meine eigene Uhr erst 300 m später. Das lief dann noch den ganzen Lauf lang so. So hatte ich immer was zu grübeln, wie wohl ungefähr meine Zwischenzeit war. Ich einigte mich auf "ziemlich gut bei 56 min", was genau in meinem Plan lag.
Die Landungsbrücken hatte ich als erstes "Goodie" verbucht, dort hatte ich zweimal meine Frau "begroupt", ist nicht schlecht so als Breitensportler von Menschenmengen bejubelt zu werden, leider neige ich dazu durch diese Droge schneller zu laufen, also wiedermal Geschwindkeit drosseln.
Ein ungeplantes Highlight war der Wallringtunnel, der geneigte Sportreporter würde sagen, "und immer wieder starteten die Läufer die La Ola-Welle", ich sage mit Dittsche "Das perlte".
Das Zuschauen beim Marathon hat sich für die Eltern eines Jungen im Vorschulalter besonders gelohnt: an der Aussenalster (km 19) rief er vom Balkon mal so unschuldig "Hallloooo!", das Echo kam prompt aus einigen dutzend Läuferkehlen. Der kleine Kerl war begeistert und wiederholte das Spielchen wohl noch bis er nicht mehr sprechen konnte. Die Eltern düften für den Rest des Tages ein müdes, stilles Kind gehabt haben, und den entstehenden Freiraum hoffentlich sinnvoll genutzt haben.
Zum Halbmarathon war ich immer noch auf sub 4 Kurs, ich hatte jedoch das Gefühl, dass ich ständig Tempro rausnehmen musste. Warum ich meine mitgeführte Stoppuhr nicht benutzt habe, um mal km-Splits zu nehmen, kann ich auch nicht sagen....
Obwohl ich als Groupie schon mal extrem S-Bahn-Hopping beim HH-M gemacht hatte und somit selbst Zuschauernester mitgebildet hatte, war ich beeindruckt, jede Bahn-Station bedeutete Massen an Zuschauern, "Alte Wöhr" war ich solches Highlight für mich, da es unerwartet kam.
Meine ersten Groupies sollten bei km 27 stehen, und ich Depp erkenne sie nicht, obwohl ich wie blöd geguckt und gesucht habe. Ich denke, das wäre als Scheidungsrund durchgegangen, "Mann erkennt nach 4 Jahren Ehe Frau und Tocher nicht mehr", aber da meine Frau die andere Perspektive als Läuferin kennt, bin ich noch mal davongekommen.
Ich hielt mich jedoch nicht lange auf, wo denn nun meine Groupies geblieben waren, denn ab km 30 hatte ich mich auf meine persönlichen "Hells Bells" eingestellt.
Und was kam, eine Menschmenge am S-Bahnhof Ohlsdorf, die eine 3 m breite Gasse bildeten! Dagegen empfand ich den Eppendorfer Baum als mau!
Kurz dahinter riefen dann noch zwei etwa 10-15 Jahre jüngere Frauen meinen Namen, die mich wohl sonst höchstens dabei gesietzt hätten, wenn Sie mir einen Platz im Bus angeboten hätten.
Mein zweites Mantra bewahreitete sich, ab km 30 wird es interessant. Kopf und Lunge waren klar, nur die Beine wurden doch ziemlich schwer, da musste ich doch das eine oder andere gegensteurn, damit ich nicht ins lustlose Trotten verfiel. Bei km 32 war ich in ziemlich genau 3 Stunden, das hiess "einfach" im 6er Schnitt "nach Hause" laufen und sub 4 sind geschafft.
An den Wasser und Verpflegungstellen wurde mir immer ganz mulmig, auf einmal gingen alle (ok, nicht alle aber fast alle, insbesondere hinten raus), die Strasse war nass, wo es Mix-Getränke gab auch schon mal klebrig und überall lag Müll. Ich sah immer zu schnell da weg zu kommen, das gefiel mir nicht, leider plümperte ich folglich beim "lauftrinken" mein T-Shirt samt Startnr. voll, so dass diese dem Belastungstest nicht standhielt und mehrfach riss. Aber man kann ein Sicherheitsnadel auch im Laufen unfallfrei bedienen (und nicht wie am Vorabend eine halbe Stunde rumeiern, bis man den perfekten Sitz der Nummer auf dem Shirt gefunden hat).
Die km zogen sich nun doch etwas, die harte Arbeit hatte längste begonnen, ich hatte das Gefühl doch deutlich langsamer zu werden, aber sub4 schien immer noch drin. Ich war für jede Ablenkung dankbar, jedes Kind wurde abgeklatscht und jedes Transparent gelesen. Meine Groupies berichteten mir von diesem
"Ursula geniess den Schmerz, Du hast ihn Dir verdient".
Wäre meine Nr.1 aus dem HH-M.
Aber so lange ich noch Transpis lesen konnte, dachte ich der Hammermann kann noch nicht da sein.
Am Klosternstern erkannte ich dann auch Frau und Kind wieder und auf den letzten 4 km hatte ich (ungeplant) 1 Groupie/km. das war perfekt, denn wer auf der Rothenbaumchaussee den Hammer spürt, der muss stark sein, man kommt aus dem Gewühl auf dem Eppendorfer Baum, und landet mit weniger Zuschauern auf einer breiten, leicht anteigenden Strasse, die auch noch 2,5 km schnurgerade aus läuft. Sowas von kein "Hey Baby", aber noch ne Stell für "Hells Bells".
Ehrlich, das Runners High spürte ich nicht, ich wusste, ich würde es schaffen, aber auf den letzten km empfand ich den Marathon eher als Kraftakt, Kopf und Lunge waren immer noch klar, aber die Beine sowas von schwer.
Und dann gab es dann ja noch den Läufer der bei km 40 noch während des Laufens telefonierte und seine Groupies suchte, wer sonst keine Probleme hat...überhaupt was einige Leute so mit sich führen beim Laufen, saharataugliche Trinksysteme, Rucksäcke... jeder Jeck ist eben anders.
Die sub4 waren so gut wie im Sack, ich bog auf die Zielgerade ein, Endspurt ging nicht mehr richtig. Ich ballte die Fäuste, lief ins Ziel, wo ich dann doch noch mal die Stoppuhr betätige. Viel mehr wäre nicht gegangen, aber es hätte auch viel weniger sein können. Ich war schlicht und einfach völlig im Eimer.
Wie viel weniger, wurde mir durch den Läufer vor Augen geführt, der kurz vor dem Ziel reanimiert werden musste. Ich habe mich beim vorbeilaufen beklommen gefühlt. Auf meinen Finisherbildern sieht man die Szene im Hintergrund, ich weiss noch nicht ob ich mir diese Bild bestellen werde.
Die Fa. Mika war dann doch so freundlich mir Nachhilfe beim Zwischenzeiten nehmen zu geben:
Halb1 01:58:05 Halb2 02:00:15, 1. 10km 56:04, 2. 10km- 55:13, 3. 10km - 56:21, 4. 10km - 57:58.
Siehe da, ich war doch recht ausgeglichen unterwegs...
Bis auf die Animation beim Start hat mir die Marathon-Orga gut gefallen, trotz der Menge an Läufern habe ich alles recht zügig erledigen können und hatte wenig Wartezeiten.
Wann ich mich wieder für einen Marathon anmelde weiss ich nicht. Dieses Positive Erlebnis habe ich mir durch Training und hohen zeitlichen Aufwand ermöglicht, nicht zuletzt auch durch das Verständnis der Familie. Und meine Frau muss nun auch wieder ran, schliesslich habe ich Ihr die Familienbestzeit abgeknöpft

Viele Grüße Hugo