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Von Sonne, fehlenden Kilometerschildern und Goldhemdchen...

Von Sonne, fehlenden Kilometerschildern und Goldhemdchen...

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So, jetzt wage ich mich auch mal an einen Laufbericht. Ich lese sie hier im Forum immer mit großem Genuss und Gewinn, vielleicht gelingt mir ja auch so einer...

Zur Vorgeschichte: Nach einigen Laufanfängen ab November 2004 (aus denen auch 2 gefinishte Marathons resultierten) erlebte ich 2007 den Tiefpunkt meiner kurzen Läufer“karriere“: Hals-OP mit etlichen Komplikationen, langer Laufstopp, Wiederbeginn im November.

Und – siehe da: zum ersten Mal laufe ich jetzt seit mehreren Monaten kontinuierlich durch. Am 27. April will ich den Marathon in Würzburg laufen, lange habe ich mit mir gerungen, auf welches Ziel ich trainieren soll, Zahlen gewälzt, hier im Forum nachgefragt, Testläufe gemacht – um dann zu beschließen, dass ich erst mal auf das für mich sehr hoch gesteckte Ziel „sub 3:30“ trainieren werde – und wenn die Testrennen über 10 Kilometer und die Halbdistanz das bestätigen, werde ich den Marathon so anlaufen.
Heute also war es so weit: Der BSV AOK Leipzig lud zu seinem 6. Frühjahrslauf ein – und ich war dabei. Hier wollte ich meine Form unter Beweis stellen und schauen, ob ich die geforderten 45 Minuten laufen kann. Ich hatte keine Ahnung was möglich sein würde.

Nach einer sehr harten Trainingswoche letzte Woche ließ ich es etwas langsamer angehen die letzten Tage, ging also gut erholt in diesen Wettkampf – zumindest was die Beine betraf. Denn mein Gesicht war mit schweren Augenringen gezeichnet. Mein Sohn hatte es Anfang der Woche mit den Windpocken erwischt so dass da der Schlaf in drei aufeinanderfolgenden Nächten einfach mal ersatzlos gestrichen wurde. Und dann war da noch diese Jungscharübernachtung: Ich habe die Nacht vor dem Wettkampf mit 10 Kindern im Alter von 8.12 Jahren im Gemeindehaus verbracht, mit allem was dazu gehört: Nachtwanderung, albernes Gekicher und wenig Schlaf auf der Isomatte.

Aber auch das war überstanden und nach einigen Irritationen („Wo ist denn diese *** Straße, laut Karte muss die doch hier sein...“) kam ich mehr oder weniger pünktlich und eher weniger ausgeschlafen am Ort des Geschehens an. Schnell die Startnummer abgeholt, umgezogen (Anmerkung: Umkleideräume und Duschen, die mit provisorischen Stützpfeilern gehalten werde tragen nicht zur Beruhigung der sich darin umziehenden Sportler bei...), ein paar Minuten eingelaufen und dann an den Start. Die Wahl der Kleidung fiel leicht: bei 15 Grad und strahlendem Sonnenschein konnte es nur das Trägershirt und die kurze Hose sein – dachte ich. Als einziger, na ja, beinahe zumindest. Entweder der Großteil der Teilnehmer ist in ei8ner anderen Klimazone / Dimension mit anderem Wetter gelaufen, oder aber ich habe ein total verschrobenes Empfinden für Temperatur: Fast niemand im kurzärmeligen Shirt, die meisten auch in langen Tights, ich habe sogar vereinzelt Läufer in Handschuhen und Mütze gesehen. Naja, wer meint... Ich jedenfalls war schon nach dem Einlaufen davon überzeugt, dass meine Wahl für mich genau richtig war – im Schlussspurt hätte ich mir auch noch kürzere Hosen gewünscht...(nein, nicht um noch schneller zu werden, sondern weil mir sooooo warm war!!!)

Neben der Kleiderfrage bewegte mich ein weiterer Fakt: Ich hatte beim Einlaufen keinerlei Kilometerschilder entdeckt. Einige Fragen an Mitläufer und Offizielle brachten schreckliche Gewissheit: Es gab wirklich keine! So ein Müll! Da ich nur im Besitz einer normalen Stoppuhr bin, habe ich auch kein Satellitensignalempfangsgerät am Arm kleben, das mir genau anzeigt, wann der nächste Kilometer zu Ende ist – wie soll ich jetzt meine Geschwindigkeit überprüfen? Dafür sorgen, dass ich am Anfang nicht überziehe (immer meine Große Angst, obwohl mir das noch nie passiert ist)? Das Rennen überhaupt schaffen? Meine Stimmung war im Keller. Doch dann kam mir die glorreiche Idee: Ich werde mich einfach an einen Läufer ranhängen, der in etwa meine Geschwindigkeit läuft und so eine Kaffeemaschine am Arm trägt. So habe ich dann mein persönliches Kilometerschild bei mir –klasse, das könnte gehen. Und außerdem sollen 2 Runden gelaufen werden, d.h. nach 5 Kilometern habe ich zumindest eine verlässliche Zeit dafür, wie schnell ich unterwegs bin.

Nachdem sich meine Stimmung ein wenig gebessert hatte, ertönte auch schon der Startschuss und das Feld setze sich in Bewegung – so ein Mist, schon wieder zu weit hinten einsortiert, ich überhole erst einmal 500 Meter nur, dann kann ich frei laufen.
*Abschweifmodus AN: Ich bewundere es in den Berichten hier immer, wie detaillierte Berichte und Beschreibungen der Laufstrecken gegeben werden können. Ich bin dazu nicht in der Lage. Es ging eben 5 Kilometer kreuz und quer durch den schönen Clara-Zetkin-Park in Leipzig – und das 2 Mal. Ende der Streckenbeschreibung. Abschweifmodus AUS*)

Während der ersten Kilometer sortiert sich das Feld so langsam, ich werde überholt und überhole ein wenig – und habe keine, nicht die geringste Ahnung ob mein Tempo stimmt. Ach ja, ich wollte mich doch an einen dieser Laufbonzen (*Anmerkung: hier spricht nur der Neid des Autors... :D*) ranhängen, die sich bei der NASA eingekauft haben. Und so schiele ich um mich herum den Läufern ganz unauffällig auf das Handgelenk. Und hier sehe ich ihn zum ersten Mal: Goldhemdchen. Goldhemdchen ist ein Mann Mitte 40, Oberlippenbart, große Brille, nicht sonderlich groß. Und eben mit einem neongelben Longsleeve bekleidet („Lange Ärmel??? *kopfschüttel*“). dieses Hemd sollte mir den ganzen Lauf nicht aus dem Kopf gehen. Und Goldhemdchen war mit einer GPS-Uhr an der Hand angetan. Ich laufe zu ihm auf, grüße freundlich und frage nach seiner Zielzeit. „Deutlich unter 45“ kommt die Antwort. Ich frage zaghaft, ob ich mich vielleicht dranhängen dürfe, man könne sich ja gegenseitig ziehen, und vielleicht könne er ja auch mal verkünden, wann denn ein Kilometer rum wäre. Er schaut mich entrüstet an, murmelt etwas von „so geht’s ja nicht“ und zieht mich einem Zwischenspurt ab. Ich lasse ihn ziehen und ärgere mich in Grund und Boden. So eine Unverschämtheit, so eine Unhöflichkeit! Dazu sein Laufstil (*Selbstanalyse: Die folgende Beobachtung hätte ich sicher nicht gemacht, wenn mir Goldhemdchen nicht negativ aufgefallen wäre*): Er lässt die Arme am Körper herabbaumeln und tänzelt mehr als das er läuft. Nie läuft er in der Gruppe, immer auf der anderen Straßenseite als alle anderen Läufer. Und er läuft die ganze Zeit 50-200 Meter vor mir, ich komme nicht mehr an ihn heran, will die Kraft nicht verpulvern, weiß, dass meine Stärke die letzten Meter sind (alle Wettkämpfe bisher mit negativen Splits). Und so muss ich es ertragen, dass dieses quietschgelbe Hemd und sein Träger fast 40 Minuten vor mir herhampeln und in meinen Augen schmerzen.

Während ich mich noch über Goldhemdchen ärgere hat sich das Feld endgültig sortiert. Ich laufe in einer Gruppe mit 4 anderen Läufern: einem Herrn in Grau (sowohl Haare, Bart, als auch Hose und Hemd), mit Uwe (von ihm später mehr) und zwei anderen Läufern, die mir nicht weiter aufgefallen sind.
Zusammen überqueren wir die Ziellinie, 5 Kilometer sind geschafft. Ich drücke meine Stoppuhr: 22:18! Super! Ich jubiliere innerlich! Das bedeutet einen Schnitt von 4:28 pro Kilometer, ich wollte 4:30 laufen, besser geht es fast nicht. Bin ein wenig stolz auf mich! Ich horche in mich hinein, wie geht es, kann ich das Tempo halten? Ich hätte nichts dagegen wenn jetzt Schluss wäre. Die Beine sind schon etwas schwer, aber Atmung und Puls ist noch ok. Also weiter so. Ich bin noch nie eingebrochen, habe auch nicht vor damit heute anzufangen.

Etwa einen Kilometer weiter müssen 2 Läufer aus unserer Gruppe abreißen lassen (darunter der Mann in Grau, garantiert M 65, meinen größten Respekt vor dieser Leistung!!!), wir sind noch zu dritt. einen weiteren Kilometer verlieren wir wieder einen Läufer, wir sind nur noch zu Zweit. Immer noch überholen wir nicht und werden auch nicht überholt. Auf einmal zieht der letzte mir verbliebene Mitläufer das Tempo an. Ich keuche und rufe ihm zu „Wirst du schneller oder breche ich ein?“ Er lächelt mich an und meint: „Ich wollte dich nur ein wenig mitziehen!“ Also kneife ich den Hintern zusammen und gehe mit. Wir plauschen kurz und stellen uns vor, machen uns Mut. Uwe (so sein Name) meint, er müsse am Schluss bestimmt abreißen lassen. Ich versuche jetzt meinerseits ihn zu motivieren und mache klar, dass wir das gemeinsam durchziehen. Aber er fällt immer wieder ein paar Meter zurück, kämpft sich aber immer wieder ran.

Ich schaue auf die Uhr: Von hier müssten es noch knapp weniger als zwei Kilometer sein. Jetzt schon der Schlussspurt? Geht das? Ich frage meinen Körper. Beine: müde, aber ok. Allgemeine Kraft: noch Reserven vorhanden. Atmung: aus der anfänglichen 3,5 –Schritt-Atmung ist schon lange eine Zweischrittatmung geworden und diese droht zu einem Keuchen zu werden. Also doch kein Schlussspurt zumindest jetzt noch ni... was ist das? Goldhemdchen ist so nah dran bei mir wie schon lange nicht mehr – 50 Meter. Den packe ich noch. Also los, reiß dich zusammen und ab!

Ich ziehe das Tempo an. Kaum merklich für einen Außenstehenden, zu deutlich merkbar für meine Lunge und meine Beine – und auch deutlich sichtbar für meine Mitläufer. Auf diesen letzten Metern überhole ich noch gut 10-15 Läufer. Und kämpfe mich immer näher an meinen neuen, privaten Holger Meier heran. Und tatsächlich: 500 Meter vor dem Ziel habe ich ihn. Auch wenn mein Gesicht bereits vor Anstrengung verzerrt ist, hier gönne ich mir das gehässige Lächeln. Zügig ziehe ich an Goldhemdchen vorbei.
Nach Hundert Metern beginne ich zu zweifeln: Es ist nicht mehr weit, aber riechen die Kräfte? Ich drehe noch mal auf, die Blöße, jetzt noch eingefangen zu werden will ich mir nicht geben. Ich schaue auf die Uhr: Kann ich’s wagen, das Unerhörte zu denken? Ist da vielleicht ne 43 vor dem Komma drin? Ich gebe noch mal alles, spurte. 100 Meter vor dem Ziel schaue ich noch mal auf die Uhr: 43:55. Das gibt mir den Rest: Ich habe nicht die Motivation jetzt noch alles zu geben. Zügig renne ich ins Ziel, Goldhemdchen weit hinter mir, die Zeit wird später mit 44:16 angegeben – meine persönliche Bestzeit um mehr al 4 Minuten verbessert!

Fazit: Ich werde weiter auf die sub 3:30 trainieren. Mal sehen, was der HM in Dresden in 2 Wochen bringt – da wird es hoffentlich Kilometerschilder geben!
Und für die 10 Kilometer: Es wird nie meine Lieblingsstrecke. Aber ich denke, auch heute, ohne wettkampfspezifisches Training, nur aus dem Marathontraining heraus, wären noch ein paar Sekunden mehr drin gewesen – vielleicht sogar eine Minute. Und mal sehen wo ich auf dieser Distanz noch landen kann.
Und Goldhemdchen bin ich dankbar – denn ohne ihn wäre der Schlussspurt nicht möglich gewesen. Jeder sollte ein Goldhemdchen haben, oder?

Danke fürs Durchhalten,
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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Danke!

Sehr amüsanter Laufbericht.

Herzlichen Glückwunsch zur PB!
Viele Grüße Dennis

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... Auch wenn mein Gesicht bereits vor Anstrengung verzerrt ist, hier gönne ich mir das gehässige Lächeln. Zügig ziehe ich an Goldhemdchen vorbei....
:daumen: nicht ganz pc - aber saubere Leistung. Man soll ja nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, aber irgendwie freut es mich schon, dass du ihn stehen gelassen hast.

Gruß von Kurzhose zu Kurzhose - ottoerich, der ab 7,9 Grad Celsius auch die Hotpants rauskramt
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Hey Nachtzeche,

schöner Bericht - und das mit dem Goldhemdchen kommt mir aus eigener Erfahrung bekannt vor. Ja, so ein Holger Meier kann bei der Zielerreichung schon gut helfen.

Wünsche weiterhin gutes Training.

Anja :hallo:

PS: Schön, dass die Zeit der Laufberichte wieder beginnt.
He says things that annoy me. He gives me good advice. (Oscar Wilde)
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Sehr unterhaltsam und witzig geschrieben :hihi: Herzlichen Glückwunsch zur neuen PB!
Mik

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Schöner Bericht. So ein Garmin Forerunner ist übrigens wirklich praktisch.
Run As Thou Wilt.

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toller Bericht, was Du da so alles in Erinnerung hast. Ich hab da immer Probeleme mit.
Übrigens beim HM, da geht noch was :teufel:

bei mir ging heute ne überraschende PB 1:43:20 und 2.M60

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nachtzeche hat geschrieben:So, jetzt wage ich mich auch mal an einen Laufbericht. Ich lese sie hier im Forum immer mit großem Genuss und Gewinn, vielleicht gelingt mir ja auch so einer...
Ja, eindeutig sehr gut gelungen! :daumen:
nachtzeche hat geschrieben:Zusammen überqueren wir die Ziellinie, 5 Kilometer sind geschafft. Ich drücke meine Stoppuhr: 22:18! Super! Ich jubiliere innerlich! Das bedeutet einen Schnitt von 4:28 pro Kilometer, ich wollte 4:30 laufen, besser geht es fast nicht.
Kompliment - traumhaftes Tempogefühl (möchte nicht wissen, was ich ohne km-Schilder und Garmin anfangen würde)
nachtzeche hat geschrieben:Es ist nicht mehr weit, aber riechen die Kräfte?
Nein, die Kräfte sind es nicht, eher der Läufer selbst :hihi: (Sorry, konnte bei der Vorlage nicht widerstehen)
nachtzeche hat geschrieben:die Zeit wird später mit 44:16 angegeben – meine persönliche Bestzeit um mehr al 4 Minuten verbessert!
Glückwunsch - tolles Ergebnis. Viel Erfolg beim Projekt sub 3:30!
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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