Sagenumwogen und geheimnissvoll, mit einem schlafendem Kaiser im Bauch – das ist das Kyffhäusergebirge, das kleinste Mittelgebirge Deutschlands zwischen Harz und Thüringer Wald. Und eines Tages, wenn der ausgesandte Zwerg dem Kaiser Babarossa meldet, daß keine Raben mehr über der Burg kreisen, erst dann wird er aufwachen...
Ob heute so ein Tag ist? Regen prasselte die ganze Nacht auf das Turnhallendach, ich aber habe es warm und trocken in meinem Schlafsack. Und doch ahne ich, was dieser Regen zusammen mit dem Schnee der letzten Woche wohl aus der Laufstrecke machen wird.
Aber vielleicht freu ich mich gerade deshalb so sehr auf den Lauf, weil er vielleicht etwas anders wird, als alle Läufe, die ich bisher gemacht habe.
Die Sonne gibt sich alle Mühe, die Morgenkühle zu vertreiben. Freudige Begrüßungen gibt es den ganzen Morgen schon, mittlerweile kennt man sich unter den Berg- und Landschaftsläufern. Es herrscht eine gemütliche, stimmungsvolle Atmosphäre, die damit beginnt, daß morgens in der Turnhalle die von Sinchen beschriebene M70 auf der Mundharmonika Volkslieder spielt. Es ist schön in Bad Frankenhausen. Und irgendwie ist die ganze kleine Stadt heute Marathon. Freundliche Gesicher bei Läufern und Helfern gleichermaßen. Ich freue mich, hier zu sein. Und ich freue mich auf meinen Marathon Nummer 15 der mit 700 Höhenmetern dem Rennsteig gleicht, und der völlig unspektakulär mit einem Schuß gestartet wird. Letzte Woche hatte ich mir auf der Marathonmesse Ärmlinge gekauft. Das war wohl eines der interessantesten Erfahrungen an diesem Tag. Die schreckliche Grundsatzfrage „Jacke oder Weste – lang oder kurz“ wird nun endgültig der Vergangenheit angehören.
Wir laufen durch die kleine Stadt, es geht seicht bergauf, dann wieder lange Zeit bergab und als wir den Ort verlassen, grüßen die Berge des Kyffhäusergebirges rechts neben uns. Wie einfach da hingestellt, fügen sie sich überhaupt nicht recht in die auf der linken Seite flache Landschaft. Ein faszinierender Anblick. Wir strahlen beim Laufen mit der Sonne um die Wette. Die ersten Kilometer plaudern wir fröhlich mit Sinchen, Acki, Andreas und Bettina, wir laufen ein lockeres Tempo, das richtig Spaß macht. Völlig überrascht begegnen wir dem ersten Kilometerschild „NOCH 37 KM“ Was? Haben wir denn fünfe schon im Sack? Jetzt geht es ein wenig hinauf, rechts und links Obstbäume, die ihre zarten Blüten noch verstecken. Ein wenig mehr Wärme in den letzten Tagen hätte uns sicher einen noch schöneren Anblick beschehrt. Aber auch so genieße ich die erwachende Natur und den Einklang mit ihr. Ich fühle mich gut, saugut. Sauge diesen Lauf in mir auf. Es ist schön hier. Wir kommen an die Barbarossahöhle, hier gibt es neben der ersten Verpflegung auch Barbarossa persönlich, der uns einen guten Weg wünscht. Babarossa? Moment mal, heißt es nicht, er schläft, bis die Raben.... Dann ist heute wohl doch so ein verzauberter Tag?
Weiter geht es durch die reizvolle Landschaft, ich laufe heute ohne Garmin, ich will ja genießen und nicht auf die Kilometer und die Pace schielen. Die Sonne strahlt immer noch und die Armlinge werden nach unten geschoben. Tolle Teile. Nach 11 recht seichten, wenn auch ständig steigenden Kilometern geht es mit einer Spitzkehre in Richtung Wald. Hier gibt’s die ersten Pfützen, wir springen darüber, laufen drum herum und philosophieren, ob wir das auf den letzen Kilometern auch noch tun werden.
Als uns der Wald verschlingt, wird es kühler, was aber dank meiner neuen Errungenschaften kein Problem ist. Es wird nun zum ersten mal richtig steil, dieses kleine Gebirge hat eine Menge zu bieten. Herrliche Aussichten, Täler, kleine Bächlein (nein, ich meine jetzt nicht die auf dem Weg), Schutzhütten, Burgen, einen Fernsehturm (der passt trotz der Gegensätze irgendwie trotzdem dahin), es ist ein wunderbar kurzweiliges Laufen, die Kilometer fliegen, ich fliege vor Leichtigkeit, auch wenn die Wege zunehmend matschiger werden. Etwa bei Kilometer 15 ging es dann nicht mehr trockenen Fußes, hier versenke ich ungewollt zum ersten mal meinen rechten Fuß bis zum Knöchel im Wasser-Schlamm-Loch. Während ich mich noch auf den ersten Metern „Sch***e, jetzt doch noch nicht“ fluchen höre, denke ich mir kurze Zeit später: nun ist es auch egal und ich weiche nicht mehr aus. Manchmal ist es so glatt, daß man an den schrägen Wegen, die nach links ins tiefe Tal abfallen, Mühe hat, nicht hinabzugleiten. Bevor die Stecke wieder auf einen halbwegs laufbaren Weg führt, muß ich mich an Zweigen festhaltend den Abhang hinunterseilen. Geschafft. Jetzt ist schon das Kyffhäuserdenkmal in Sicht, der Weg ist befestigt, irgendwie fliege ich da hinauf, lasse mich von einer anderen Läuferin fotografieren, ich habe alle Zeit der Welt, bediene mich am reichlichen Buffet, genieße kurz die Aussicht, 23 Kilometer sind geschafft, ich fühle mich gut, saugut und habe einen Rießenspaß an dem Lauf, breite die Arme aus und so geht es wieder hinunter vom Kyffhäuser, wieder hinein in den Modderwald, an der alten Burg vorbei. Hier stelle ich mir vor, wie es vor hunderten von Jahren hier wohl ausgesehen hat. Unglaublich irgendwie, das das hier damals alles schon war. Beim Bergablaufen muß man mit äußerster Vorsicht vorgehen, um nicht der Länge nach im Schlamm zu landen, beim Bergauflaufen rutscht man bei jedem Schritt, den man vorwärts nimmt, etwa 30 cm zurück. Die Pampe ist nämlich nicht nur nass, sondern auch glatt und lehmig. Gerade weil es was besonderes ist, macht es eine Menge Spaß, kostet aber, und das ist nicht zu verachten, auch eine Menge Kraft. Fatsch, Fatsch, Schlurps, Schlurps.... um mal so ein bischen Akkustik in den Bericht zu bringen.
Als die Kilometerschilder uns ein „NOCH 10 km“ präsentiert, geht es durch traumhafte Obstplantagen (hier bedauere ich wieder, daß die Bäume noch nicht blühen), seicht bergab und die relativ trockenen Wege sind Balsam nach den Anstengungen im Wald. Auch wenn wir jetzt wohl alle ein halbes Kilo Lehm an den Beinen mit uns herumtragen, dieser Abstieg ist Genuss, der aber nicht lange währt. Nun geht es wieder bergan, seicht zwar, aber lang, sehr lang, an einem Segelflugplatz vorbei und hier ist es windig. Nun ist mir nicht mehr nach fliegen, nun wird es schwer und ich spüre die harte Anstrengung der Pampe in den Beinen. Die nächsten 3 km muß ich mich etwas quälen, aber als es dann wieder in Wald und Pampe geht, fühl ich mich wieder wohl. Am letzten Verpflegungsstand trau ich mich an ein Köstritzer. Der Mann am Verpflegungspunkt ist völlig außer sich, als ich nach dem Bier greife. „D-d-d-das is aber Bier!!!!“ „Weiß ich, sage ich“ Traut der mir das nicht mehr zu? Schließlich trainiere ich für den Rennsteig. Und da gehört das Köstritzer nun mal dazu. Prost. Ob es das Köstritzer war, oder die Tatsache, daß es nun nur noch bergab geht, es fliegt. Es ist toll, wir laufen in Bad Frankenhausen durch ein kleines Wohngebiet, alles blüht und grünt, es ist toll, die Seele öffnet sich, ich bleib noch einmal stehen und mache Fotos, dann um einen Springbrunnen herum laufen, noch ein Kilometer, schade eigentlich, aber auch schön, eine Runde um den Festplatz und nach genussvollen 4:23:28 bin ich im Ziel.
Die Medaille um den Hals, die Laufschuhe mit ihrer dicken Kruste im Schuhbeutel als Beweis, bin ich eine Dusche und einen Kaffee später schon wieder auf der Autobahn. Aus der Ferne grüßt der Kyffhäuser herüber, und mir scheint, als sehe ich zwei Raben darüber kreisen. Babarossa wird wohl zurück sein, in seiner Höhle. Aber für diesen einen Tag haben wir die Raben verscheucht. Eine schöne Vorstellung, daß das wohl jedes Jahr einmal passiert. Und das seit 30 Jahren. Die Sage ist nicht auf dem neusten Stand.
Danke Bad Frankenhausen, es war ein sagenhaft schöner Marathon. Einer der schönsten, die ich je gelaufen bin.
Mein Fünfzehnter.
Anm. d. Red.:
Ich habe bis auf zwei Fotos versehentlich alle Bilder des Laufes gelöscht. Es ist möglich, daß ich dank TomRun noch was retten kann. Die restlichen Fotos sind von meinen Lauffreunden Bettina und Andreas, herzlichen Dank Euch beiden. Ihre Bilder vom Lauf sind hier zu finden,http://bettinaundandreas-pinwand.fotoalbum-medion.de/ die Matsche kommt da ganz gut rüber.
Ich werde einen kurzen Bildbericht in Kürze unter www.sonntagskind-kathrin.blogspot.com einstellen.
Ich danke auch Sinchen und Acki, ohne Euch wär ich dort nie gelaufen! Es war einfach wunderschön!
Sagenumwogen und geheimnisvoll - Mein Kyffhäuser-Marathon
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