Ich stehe im kurzärmeligen Laufshirt und in kurzer Hose hinter einem Kleider-LKW im Startbereich des Rennsteig-Marathon in Neuhaus und friere mir gerade mal kräftig den Arsch ab. Pünktlich zu Kleiderabgabe schickt der Wettergott nämlich einen kräftigen Regenschauer und ein paar Windböen, die nichts Gutes verheißen.
Zwei Läuferinnen bemitleiden mich, weil ich gar nicht so schnell zittern kann, wie mir kalt ist.
Ich grummle innerlich

Platzsprecher Hans tut jedenfalls sein Bestes um die Läufermasse aufzumuntern. Er verspricht sogar Sonnenschein ab dem Masserberg und bei Nichteintreffen seiner Prognose allen LäuferInnen ein Freibier. Ich fürchte schon, dass sich der Ärmste damit gerade selbst in den finanziellen Ruin gestürzt hat, als das Rennsteiglied und der Schneewalzer erklingen. Beim Schunkeln und Mitgröhlen in der Masse wird es mir etwas wärmer und ich bin froh, als endlich der Startschuss ertönt.
Raus geht es, aus dem Startbereich und die Straße hinauf. Es ist natürlich ziemlich eng zu Beginn, aber ich komme ohne größeren Stress voran. Oben auf der Bundesstraße ist mehr als genug Platz für die Tausenden Läuferbeine, die in Richtung Schmiedefeld streben und ich lasse den Freitag kurz Revue passieren, während ich kräftig Gas gebe.
03.00 in der Früh war es, als ich am Freitag in Wien aus den Federn kroch. Ich war trotz der durchaus unchristlichen Uhrzeit rasch munter und stand exakt eine Stunde später bei Johannes auf der Matte. Er hatte mich ein paar Tage zuvor kontaktiert, da ihm kurzfristig sein Laufkollege und damit auch seine Fahrgelegenheit nach Eisenach abhanden gekommen war. Johannes, den ich vorher nicht kannte, entpuppte sich als äußerst angenehmer Mensch und Reisebegleiter und die Fahrt nach Eisenach verging wie im Flug. Punkt 11.00 Uhr trudelten wir am Hauptplatz ein. Wir tranken noch einen Kaffe und nachdem ich Johannes zu seinem Quartier gebracht hate, rauschte ich ab nach Erfurt, um Jörg abzuholen.
Den Nachmittag verbrachte ich bei Heike und Jörg, bei denen ich auch heuer wieder Gast sein durfte. Um 17.00 Uhr waren wir im Restaurant Gastinger in Schmiedefeld, wo wir uns zum Vorwettkampf-Essen mit einigen lieben Foris trafen.
Nach kurzer Nachruhe hatte mich Markus am Samstag frühmorgens in Arnstadt abgeholt und von vielen guten Wünschen von Heike und Jörg begleitet, waren wir nach Neuhaus gerollt.
Schon unterwegs hatte es dauernd leicht geregnet. Die wettertechnisch unfreundliche Begrüßung in Neuhaus war zumindest also keine Überraschung.
Startnummernabholung und Dixitest liefen fabelhaft - und nach einem kurzen Gedankenaustausch mit Kathleen (Cabo), Bianca (Pitti), Walter (Viermaerker), Laufmauselke - irgendjemand habe ich jetzt sicher wieder vergessen - ging es in den Startbereich.
Da war ich also wieder, in den Wäldern von Thüringen. Nicht besonders gut trainiert, da ich seit dem Wien-Marathon vor drei Wochen nur drei Mal laufen war. Dafür hatte ich was-weiß-ich-wie-viele Stunden mit Begeisterung Tennis gespielt. Meine Form war also sicher nicht besonders gut, aber auch nicht im Keller.
Aber genug des Rückblicks. Ich tauche in den ersten Waldweg ein. Das 5k-Schild habe ich hinter mir gelassen und ich genieße die nächsten Kilometer, die mich über den wunderbaren Waldboden führen. Ich laufe noch viel zu schnell, da ich eigentlich nur hoffe, in 4.20 ins Ziel zu kommen. Aber hier geht es immer flach dahin, oder moderat bergab - und das muss ich ausnützen.
Die ersten Steigungen gehen locker dahin und ich passiere den Dreistromstein und die Friedrichshöhe. Schon bald nähere ich mich dem Masserberg bei Kilometer 18,8.
Platzsprecher Hans ist ein echter Hans im Glück: Mittlerweile haben sich die Wolken verzogen und die Sonne lacht über dem Rennsteig. Nix ist also mit Freibier ... aber ich freu mich trotzdem.
Am Masserberg fällt mir mein Vorjahresstopp auf dem Dixiklo ein, der mich dreieinhalb Minuten gekostet hat. Heuer gibt es keine Spur von Verdauungsterror oder überhöhtem Leitungsdruck - man sieht, auch derartige Kleinigkeiten können einem Rennsteigläufer schon echte Freude bereiten

Ich bin gerade auf dem Weg hinauf zur Schwalbenhauptwiese als mein Handy leutet. Ich hatte es nur mitgenommen um ein paar Fotos zu machen (war dafür aber dann ohnehin zu faul


Runter geht es, durch den berühmt-berüchtigten Hohlweg. Ich kontrolliere auf meiner Beurer PM80 die Länge der hohlen Gasse: Sie misst beinah einen Kilometer und fordert mit ihren Treppen, Stufen, Wurzeln und Steinen die ganze Aufmerksamkeit der LäuferInnen. Die Läuferschlange stockt ein paar mal kurz, aber ich komme gut hinunter und denke an Kathrin, mit der ich Vorjahr hier so locker und in äußerst flottem Tempo hinuntergesaust bin. Wie es ihr auf ihrer SM-Premiere von Eisenach nach Schmiedefeld wohl geht?
Auf der Straße in Richtung Neustadt merke ich, dass mein rechter Wadenmuskel hart wird. So ein Mist. Ich reduziere mein Tempo etwas und versuche möglichst locker zu laufen. Leichter gesagt, als getan. Gott sei Dank neige ich nicht zu Krämpfen, aber ich will nichts riskieren.
"Na - wie geht´s, junger Mann?", höre ich plötzlich eine mir bekannte Stimme sagen. Es ist Stefanie, die mich schon seit geraumer Zeit im Blickfeld hatte und nun zu mir aufgeschlossen hat. Ich jammere ihr ein bißchen was vor, dass es mir gerade nicht sooo grandios geht und wir laufen eine Weile zusammen. Kurz vor Neustadt setzt sich Stefanie dann von mir ab (sie kommt übrigens mit tollen 4.09.xx in Ziel

Ich schnappe ein paar Gesprächsfetzen aus meiner Umgebung auf. Irgendeiner erzählt irgendwem voller Stolz, dass er im Vorjahr im Sudan im "Kampfeinsatz" war und dass es dort viiiieeel heißer war, als hier am Rennsteig

Irgendwie heitern mich die kuriosen Gedanken der anderen wieder etwas auf und als ich in Neustadt meinen Becher Haferschleim leere und einen Tee trinke, bin ich wild entschlossen, meine 4.20 zu realisieren.
Bis zum Dreiherrenstein mühe ich mich noch ziemlich ab. Bei der K35-Tafel glaube ich schon meine Speedbox spinnt, da sie plötzlich 500 Meter zu viel anzeigt - stelle aber kurz darauf erleichtert fest, dass die Tafel wohl falsch aufgestellt war - und als ich den Hinweis für die Verpflegungsstelle in Frauenwald sehe, denke ich: "Hey, das sind ja nicht einmal mehr sechs Kilometer. Die schaffe ich mit links."
Ich hau mir ein Köstritzer Schwarzbier in die Kiemen und laufe plötzlich ganz befreit dahin. Ich bin jetzt vollkommen sicher, dass ich mein Zeitziel erreichen werde.
Schon bei Kilometer 39 höre ich die Stimme der Platzsprecherin in Schmiedefeld. Auch die dunklen Wolken, die den Himmel wieder bedecken, erschrecken mich jetzt nicht mehr.
Ich biege auf die Straße nach Schmiedefeld ein und nehme innerlich einen kräftigen Anlauf für die letzte Steigung, hinauf zum Sportplatz. Ich habe sogar noch Kraft für einen passablen Endspurt und passiere mit 4.20.40 die Ziellinie

Nach dieser Punktlandung bin ich dann doch geschafft. Ich bekomme meine Medaille und schlendere zu dem Platz mit den Kleidersäcken und mache mich davon, um rasch unter die Dusche zu kommen.
Etwas steif in den Beinen aber ansonsten frisch wie der Morgentau am Rennsteig

Für mich geht es noch bis 21.00 Uhr rund. Ich plaudere mit Kraxi (5.50.xx und 14. Rang für den SM - eine Wahnsinnszeit des Steirerbuam


Es wird getanzt, gelacht und geschunkelt und ich verabschiede mich schweren Herzens um zurück nach Arnstadt zu fahren.
Auf der Rückfahrt mit Johannes, dem erfahrenen Ultraläufer, lassen wir am Sonntag die Läufe noch einmal Revue passieren.
Eines steht fest: Im kommenden Jahr mache ich gemeinsam mit Jörg den Ultra. Das wird ein hartes Stück Arbeit, aber am Rennsteig macht auch harte (Lauf)arbeit Spaß.
Liebe Grüße
Wolfgang