Man trifft sich immer zweimal im Leben. Oder dreimal. Darum soll man beim ersten Treffen auch immer nett sein, weil man ja nicht weiß, wie und wo man sich wiedersieht.
Ob die Bieler Lauftage das damals schon wussten? Zumindest waren sie einst höchst freundlich, ja gar charmant zu mir als ich
·im Juni 2006 im Rahmen der Tussi-Staffel ISNICHMEHRWEIT (erinnert sich noch jemand?

·im Juni 2007 mit den Hundertern startete, um meinen allerersten Ultra überhaupt (56 Kilometer, mit einem geplanten Ausstieg bei der Wechselzone Kirchberg) zu absolvieren.
Eigentlich war ich schon beim ersten Besuch angefixt gewesen, dank der Tussi-Staffel. „Einmal in Biel den Hunderter laufen!“. Im Grunde bereitete ich mich seit 12 Monaten drauf vor: Laufveranstaltungen über 50 km, 56 km, 63 km, 75 km, darunter diverse Marathons und viele Trainingskilometer.
Vor dem Lauf
Ich reise mit Lachmöwen-Conni, Heiko (wowbagger) und Sven aus Hamburg Freitag mittags an. Schlafsack-Mummeln nachmittags in der Curlinghalle, Hauptsache von den Beinen runter. Den durchdringenden „Carmol“-Lotion-Geruch von den Massageliegen direkt neben unserem Rastplatz habe ich noch Stunden später in den Nasenschleimhäuten.
Habe Lampenfieber. In den Wochen vor Biel hatte ich mit einem blockierten ISG und Oberschenkelschmerzen zu kämpfen, was mir große Sorgen machte. Arrrgh, wenn mich das nun unterwegs lahmlegt? (In Wirklichkeit ist alles prima während des Hunderters. Großen Dank an den Körper.)
Der Lauf
Ich laufe mit Heiko zusammen. Wir sind ultra-erprobt und haben in etwa das gleiche Tempo. Es ist sehr voll im ersten Drittel – hoffentlich wird sich das bis zum schmalen Emmendamm verziehen.
Ich muss aufpassen, dass die tanzenden Schatten beim engen Gruppenlaufen, durch die Stirnlampen hervorgerufen, mich nicht schwindelig machen. Ein bisschen fühle ich mich wie auf einem Schiff bei Seegang.

Wir erreichen das Ortseingangsschild von Grossaffoltern (KM 28). Spruch von Heiko: „Wohl die Schweizer Version von Guantanamo, was.“

Strategie 1 und 2
Bei Kilometer 30plus fällt mir auf, wie gut sich die Beine anfühlen - wer hätte das gedacht. Im Training hatte ich bei dieser Distanz schon oft das Ziel herbeigesehnt. Den Gedanken daran, dass ich noch fast 70 Kilometer vor mir habe (ob es da auch noch so gut laufen würde?) verdränge ich sofort und vehement.
·Meine Strategie 1: Nur in Teilabschnitten denken!
·Meine Strategie 2: Besser im ersten Teil ruhig angehen und dafür hinten noch Luft haben! Auch wenn der Möwen-Coach hinterher wieder schimpft.

Kirchberg km 56: Ab hier betrete ich Neuland – endlich werde ich einen neuen Teil der Strecke kennenlernen! Gutes Gefühl. Von den frischen Klamotten, die ich hierhin hatte bringen lassen, mache ich keinen Gebrauch. Zu gut geht es mir in denen, die ich am Körper habe.
Endlich auf dem Emmendamm/Ho Chi Minh Pfad: Darauf hatte ich mich gefreut! Leider bekomme ich nicht viel mit vom Damm selbst, denn wegen des schwierigen Bodenbelags muss man immer höchst konzentriert und mit dem Blick auf den Boden geheftet laufen.
Bekanntes Phänomen: Die Beine sind müde und alles tut ein bisschen weh, aber die Erfahrung zeigt, dass es auf diesem Niveau nun stagnieren wird. Damit kann ich gut leben.
Meine Strategie 1 (in Teilabschnitten denken) zahlt sich aus: Kilometer 75 ist erreicht. Von nun an nur noch ein Halbmarathon und der Schlussspurt – „und ein Halbmarathon geht immer!“. Ein schönes Hochgefühl – ich weiß, ich werde ins Ziel kommen, ich werde meine Medaille und mein Finisher-T-Shirt bekommen! Juchhu!
[Und damit es nicht zuuuu einfach klingt, in der Retrospektive: Klar, die Nacht hatte auch einige Längen und es war sicherlich auch anstrengend, aber nie gab es einen mentalen Durchhänger. - Anm. d. Verfasserin]
Bei Kilometer 78 gehen Heiko und ich den letzten echten Berg hoch. Und danach geht es steil und lang anhaltend eben jenen Berg wieder runter – huui, das macht Laune, endlich mal wieder Tempo (5:30er-Schnitt sagt die Uhr) machen zu können!

Es geht am Fluss Aare lang. Malerisch und schön anzusehen. Allerdings brennt mir nun die Sonne ganz schön aufs Haupt. Gefühlte 20 Grad und kein Schatten. Langsam darf es auch mal vorbei sein. Ich schwitze noch mehr als ohnehin schon (ja, ich kann auch nachts bei kühlen 6 Grad schwitzen

Das Laufen macht zum Glück keine wirklichen Probleme. Strategie 2 (ruhig angehen lassen) zahlt sich auch hier aus.

(Okay, einige sagen jetzt „getrödelt“, aber damit kann ich gut leben.

Sub 14h sollte drin sein.
Zieleinlauf
Verdammt. Das Schild mit der 99-Kilometer-Markierung übersehe ich glatt. Kommt das noch?? Ich gucke und gucke. Zirka 500 Meter vorm Ziel sehe ich ein, dass die Chance wohl vorbei ist. Und Zurücklaufen ist auch blöd.

Fahnen. Zielgasse.
Conni im apfelgrünen Finisher-T-Shirt winkt.
Wildfremde Leute rufen einem nette Sachen zu. Nanu, da ist Michel, der reisende Marathon-Franzose, er rennt ein Stück mit. Ein Endspurt geht auch noch!
Im Ziel bei 13 Stunden 41 Minuten.
Ich bin ein Hundert-Kilometer-Läufer.
Die Bieler Lauftage waren auch dieses Jahr wieder superfreundlich zu mir. Wir könnten glatt Freunde werden.
Wer hätte das gedacht.

Tessa