Die Vorbereitung
Meinen ersten 100er wollte ich eigentlich erst dann angehen, wenn ich mir sicher bin, die Distanz auf Ankommen in den Beinen zu haben. Frühestens nächstes Jahr. Aber auch spätestens, die Faszination 100km machte mich schon lange positiv nervös. Dann kam ich beim Stöbern im Laufkalender auf den 16.8. in Leipzig. Zufällig stand an diesem Samstag keine berufliche Verpflichtung in meinem Kalender. Das war ein Zeichen! Ein freier Samstag ist nur ganz selten der Fall. Außerdem hörten sich die Streckenbedingungen perfekt an: flache 10km Runde, durch den Wald und um einen See. Ab diesem Moment nahm die Idee, die 100km früher als geplant anzugehen, immer mehr Gestalt an. Nur die Tatsache, dass ich mich nicht im Geringsten für 100km gerüstet sah, bereitete mir Kopfschmerzen. Wie sollte ich nun vorgehen. Es waren noch 5 Wochen Zeit, mich vorzubereiten. Lange Läufe bis 35km hatte ich im letzten viertel Jahr fast jede Woche, ca. 80km Wochenschnitt. Der letzte richtig Lange war der 6h Lauf in Fellbach am 7.6. Das waren 60,5 km, nach denen ich völlig erschöpft war. Allerdings war das auch der 4. Marathon in 3 Wochen. Wenn ich also ganz normal weiterlaufe wie immer und ca. 14 Tage vor Leipzig noch einen etwa 75km langen Lauf machen würde, würde ich wohl durchkommen.
Der 75er, quasi meine komplette Leipzigvorbereitung, ging dann schief. Ich musste bei km 51 Pause machen, weil ich keine Lust mehr hatte. Außerdem hatte ich Hunger. Stundenlang bin ich an Fressbuden aller Art vorbeigelaufen, die sehr verlockend rochen. Ich war an der Ostseeküste zwischen Timmendorfer Strand und Fehmarn unterwegs, quer durchs Urlaubsgebiet. Ständig hatte ich die reichhaltige Touristenverpflegung im Auge und in der Nase. Bei der Dönerbude war dann Schluss mit Laufen. Nach einer Stunde in der Sonne liegen und Verdauen war ich mental wieder aufgeladen. Das Anlaufen fiel mir schwer, das Tempo war nun deutlich langsamer als vor der Pause. Nach 16km war wieder Schluss. Wieder keine Lust mehr. Ich wollte lieber in der Hafenkneipe sitzen und kühle Getränke zu mir nehmen. Gedacht Getan, eine weitere Stunde Pause. Das Anlaufen danach war heftig. Krämpfe in beiden Oberschenkeln machten es mir schwer, an das Gute im Laufen zu denken. Sehr schwerfällig aber trotzdem motiviert lief ich dann noch mal 14km. Die Generalprobe also vergeigt. Es waren zwar 81km, aber in drei Etappen und die letzte war körperlich richtig anstrengend, so, wie ich es nicht spüren möchte. Vor allem nicht beim ersten 100er.
Mit großem Zweifel am 100km Finish machte ich mich auf den Weg nach Leipzig. Ich musste es versuchen, da ich mich sonst selbst nicht ertragen hätte. “Du hättest es versuchen sollen“ ist viel schlimmer als “es hat nicht geklappt“, weil es nicht aufhört. Mein Schlachtplan war sehr defensiv: Ankommen. Aber nicht um jeden Preis. Erhobenen Hauptes und mit einem Lachen im Gesicht. Gehpausen sind sicher nötig und jederzeit in Ordnung. Aufgeben ist besser als Kaputtmachen. Mit dieser Einstellung sollte es doch möglich sein, vernünftig zu finishen. Mir kam nach der verpatzen Generalprobe immer häufiger der Gedanke, vielleicht war ich ja sogar zu langsam. Könnte doch sein, dass Geschwindigkeiten unterhalb des gewohnten langsamen Laufens etwas andere Muskelpartien beanspruchen und man so schneller ermüdet. Also nicht zu schnell aber auch nicht zu langsam Loslaufen.
Der Lauf
Die entspannte und familiäre Stimmung vor Beginn im Start- und Zielbereich trug dazu bei, gelassen an die 100km ranzugehen. Es gab keine dieser typischen Marathongroßmäuler, die vor dem Start, vermutlich aus eigener Nervosität, ungefragt Tipps geben und/ oder lautstark Uninteressantes von sich geben. Ultras scheinen dieses Getue nicht nötig zu haben. Das ist sehr angenehm und motivierend. Anders als bei normalen Marathonveranstaltungen waren alle Läufer sehr entspannt. Auch die Gesprächsfetzen, die ich hier und dort mitbekam hatten meist die Botschaft “mal schauen wie es läuft“. Klar, auf 100km kann man vieles nicht planen, die abwartendere Grundhaltung als beim Marathon ist zwangsläufig, aber es ist unglaublich angenehm, diese ruhige und gleichzeitig kraftvolle Stimmung kurz vor dem Start zu erleben und mitzunehmen.
Nach den ersten drei bis vier Kilometern pendelte ich mich von 6:00/km auf 6:18/km ein. Der erste km im 6er Schnitt war so langsam, dass ich das Gefühl hatte, ewig so weiterlaufen zu können. Aber ich sollte ja 100km laufen. Irgendwie klingt das länger. Also runter mit der Geschwindigkeit. Hat doch der Moderator noch kurz vorm Start Steffny zitiert: “Es ist nie die Distanz, die zur Aufgabe führt, sondern das Tempo“. 6:18/km, das soll meine Geschwindigkeit sein, sagte mein Gefühl. Automatisch begann die Hochrechnung. Das wären exakt 10:30h auf 100km. Was für ein Zufall, ist nicht die Qualifikationszeit für den Spartathlon exakt 10:30? Nur mühsam konnte ich mich von diesem Virus befreien. Nein, keine Spekulation auf irgendeine Zeit, keine Pläne. Locker Laufen und bis auf Weiteres die 6:18 nicht stark nach oben oder unten abweichen lassen.
Die Strecke ist eine 10 mal zu durchlaufene 10km Runde. Diese Runde ist fast eine Wendepunktstrecke. Im Start- und Zielbereich wird gewendet und am anderen Ende der Strecke wird auf 2km der Auensee umrundet. Nur auf diesen 2km kommen sich die Läufer nicht entgegen. Die Läufer waren als 50km Läufer durch ihre 500er Nummern zu erkennen, die 100km Läufer durch die 1- und 200er Nummern.
Die ersten 40 km passierte der völlig normale Marathonwahnsinn. Nur hatten die typischen völlig abgehobenen Be- und Hochrechnungen aller Art nun Gesichter und Körper. An der Stelle, an der ich einen Läufer traf, ist die Differenz zur nächsten 5er km Marke verdoppelt logischerweise der Vorsprung des betreffenden Läufers. Nach hinten war diese Berechnung uninteressant, da dort so gut wie niemand war. So rechnete ich hoch, wann mich wer überrunden wird. Ich suchte mir ein paar markante Läufer aus und stellte nach ein paar Runden fest, dass sie sich alle kontinuierlich von mir wegbewegten. Die einen mehr, die anderen weniger, aber alle entfernten sich immer weiter. So nach 40km gab ich dieses Spiel genauso schnell auf, wie es gekommen war. Die Gesichter verrieten irgendwann auch nichts neues mehr und so passierte ich die Marathonmarke bei 4:26. Exakt die 6:18 gehalten und das Gefühl war super.
Jetzt kannte ich das Teilnehmerfeld. Bzw. das, was davon übriggeblieben war. Die 50er Läufer wurden immer weniger und irgendwie kannte man sich jetzt beim aneinander Vorbeilaufen auf eine bestimmte Weise. Manchmal hat man sich gegrüßt, manchmal ein paar Worte gewechselt. Weiterführende Gespräche habe ich aber konsequent relativ schnell abgebrochen. Ich hoffe, ich habe niemanden verärgert, aber ich hatte Angst, den Lauf unkontrolliert werden zu lassen. Ich war immer noch äußerst skeptisch, was meinen Zustand ab km 70 angehen würde. Es lief bisher zwar alles gut, aber ich wollte voll auf mich konzentriert bleiben.
Mein Zustand zwischen km40 und km60 war euphorisch. Jetzt ging es endlich richtig los. Ich spürte endlich den Lauf, so wie es brauchte. Kräftige Schritte, unbesiegbar. Von einer anderen Welt. Ultra. Endlich richtig, nicht dieses 50 und 60km Gelaufe, das ich kannte, sondern ich werde heute einen richtigen Ultra laufen. Die Lauf- und Bewusstseinserfahrung schlechthin. Zum ersten Mal las ich kurz vorm Start beim Ausfüllen des Infobogens für den Moderator die Bezeichnung “Kurzultra“. Damit waren Läufe bis 60km gemeint. Wenn ich es also nicht verpatze, bin ich heute noch ein richtiger Ultra.
Meine Euphorie fand ein jähes Ende in Form der Realität. Meine km Splits Anfang der 50er waren jetzt auf einmal nicht mehr um 6:18 sonder bei gleicher Anstrengung bei 6:30 und höher. Oha. So früh. Scheiße. Bis km60 hatte ich mit überhaupt keiner Verlangsamung gerechnet. Auf Grund meiner Euphorie war mein Problembewusstsein erst für ca. km70 vorprogrammiert. Ich malte mir ständig aus, wie sich der Lauf wohl bei km70 anfühlt. Vorfreude und Respekt auf diesen Bereich des Laufes ließen mich vergessen, dass ich da ja erst mal hinkommen muss. Jetzt also langsames Eingehen bereits ab km 50? Das durfte nicht sein. Ignorieren und 6:18 halten? Möglich. Sollte ich? Nein, nicht so früh schon kämpfen, das geht sicher schief. Wenn ich jetzt schon kämpfen muss, halte ich das doch nie im Leben noch über einen Marathon aus. Also, cool bleiben, so laufen wie es läuft. Nichts anderes. So langsam es der Körper signalisiert. Das Spiel ging bis km57 und dann war der Akku auf einmal leer. Nichts dramatisches, keine Schmerzen, keine Abbruchgedanken, nur der Wunsch, zu Gehen. Intuitiv gestand ich mir eine kurze Gehpause ein und schöpfte aus diesem Moment eine große Energie. Nicht eingreifen, sondern den Körper machen lassen.
Auf den letzten drei km dieser 6. Runde bin ich jeweils kurz gegangen und entwickelte eine gute Idee. Ich werde eine Pause machen. Im Stadion hatte ich meinen Rucksack mit frischen Kleidern und Notverpflegung. 3 Liter eiskalte Apfelschorle 48 weiche sehr süße Datteln und 1,5 kg Frikadellen. Ich fieberte immer mehr auf den Moment, die deftigen Frikadellen zu essen und das tropfnasse Hemd zu wechseln. Das wäre eine nötige technische Pause und würde mir als Pause vom Laufen auch gut tun. Nicht viel länger als nötig, in maximal 10 Minuten wollte ich wieder unterwegs sein. Hinsetzten hatte ich mir verboten. Wahrscheinlich, weil ich merkte, dass ich mich nicht zwingend hinsetzten musste.
Ich aß 4 Frikadellen, trank 0,8 Liter Apfelschorle, die noch etwas angefroren war, etwa so wie “slush“, wechselte mein Hemd und steckte die Startnummer mit den Sicherheitsnadeln um. Außerdem war mir in den Waldabschnitten so kalt geworden, dass ich zusätzlich zum trockenen Hemd auch noch eine Jacke anziehen musste. Ich hatte auf einmal panische Angst, mit Schüttelfrost, total entkräftet und ausgekühlt aufgeben zu müssen. Also Jacke an und alle zu recht verwunderten Blicke ignorieren. Das Alles machte ich sehr gemütlich, um die technische Pause auch zur Regeneration zu nutzen. Ich habe währenddessen extra nicht auf die Uhr geschaut, um mich nicht unter Druck zu setzen. Ich schätzte die vergangene Zeit auf ca. 15 Minuten. Später sah ich, das ich für km61 15 Minuten brauchte. Also die Pause plus den ersten km danach! Trotzdem ich in den vergangen 6 ½ Stunden die Uhrzeit in ca. 6:18min Schritten ohne Uhr hätte sagen können, habe ich mich bei der Pauseneinschätzung um ca. 100% vertan. Seltsames Phänomen.
Es lief wieder gut nach dem Boxenstop. Bis km67 hatte ich wieder ein sehr gutes Laufgefühl. Zwar war mein Schnitt in dieser Phase schon 6:45, es war aber ok, ich empfand die km Splits den Umständen entsprechend und hatte nicht das Gefühl, das Ende würde sich andeuten. Mental war in dieser Phase entscheidend, das langsamer werden als normal hinzunehmen und mich daran zu erfreuen, dass ich keine Schmerzen oder sonstigen Probleme habe. Km 68 forderte einen etwa 2 ½ minütigen Gehabschnitt. Völlig emotionslos ging ich diese kurze Zeitspanne bis zu dem Punkt, als es wieder ok war, anzulaufen. Das klingt banal, ist aber nicht selbstverständlich. Wie oft machte ich schon den Fehler, mich zu überlasten. Die 7. 10er Runde dauerte, wenn man die Anfangspause nicht dazuzählt, 68 min. Gar nicht schlecht und so fühlte ich mich auch.
Die 8. Runde begann mit einer kurzen technischen Pause. Ein Päckchen mit Datteln in die Hand, Salzkristalle in die Hosentasche noch mal 0,7 Liter fast gefrorene Apfelschorle getrunken und weiter ging es. Ich war jetzt heiß auf die, wie ich mir so vorstellte, schwierigste Runde. Ich war jetzt 70km unterwegs, habe dafür 7:43h gebraucht. Ich begann aus dieser Vorstellung Kraft zu schöpfen. Mentale Kraft, denn die körperliche war nun verbraucht. Ich musste mich trotzdem nicht zwingen weiterzulaufen, die Motivation, das Finish locker zu erleben entfachte eine unglaubliche Zielstrebigkeit in mir. Ich erlebte das Laufen nicht neu aber von einer sehr intensiven und angenehmen Seite. Das Laufen als Abbild des Lebens. Alle Facetten der Launen, Euphorie, Illusion, Ernüchterung, Erleuchtung, Wahn, Einsichten, Dankbarkeit etc. erlebte ich in dieser Phase des Laufs. Es war endlich einmal genug Zeit, alles zu durchdenken. Und der Lauf spiegelte alle Zustände wieder. Der Lauf wurde vorübergehend zu meinem zweiten ich, mit dem ich mich unterhielt, ich glaube manchmal auch laut, es beobachtete und von ihm lernte. Ich fragte mich, was es wohl machen wird, wenn ich aufhöre.
Bis km 75 war nur eine weitere kurze Gehpause von ca. 1 Minute nötig. Nicht schlimm, aber meine km Splits wurden immer langsamer. Es war mir nicht mehr möglich, unter 7:00/km zu Laufen. Km 75 beim 100er ist wohl so etwas wie km 35 beim Marathon. Ich blieb mental aber stark und registrierte die Splits zwar mit vollem Bewusstsein, wertete sie aber nicht. Ich war voll darauf konzentriert, so zu Laufen, wie es geht und auf keinen Fall wollte ich gegen irgendetwas kämpfen. Der Lauf fand in dieser Phase nur im Kopf statt. Dranbleiben, dranbleiben und noch mal dranbleiben versicherte ich mir immer wieder und meinte nicht die Bewegung, sondern den Willen zu finishen. Ich spürte, wenn die Willenskraft jetzt nachlassen würde, würde der Lauf sterben. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Ich weiß nicht, woher ich diese mentale Kraft genommen habe, vielleicht ist sie erst während dieses Laufes entstanden. Etwas erschrocken registrierte ich allerdings meinen körperlichen Zustand beim Pinkelstopp bei km 74. Man denkt normalerweise nicht darüber nach, dass man sein Urin in einem Strahl aus dem Körper drückt. Erst, wenn das im Unterleib stattfindende Drücken nicht mehr funktioniert. Obwohl ich mir Mühe gab und es sich auch so anfühlte, produzierte ich alles andere als einen Strahl. Ein jämmerliches Rinnsal, das natürlich ein vielfaches der normalen Zeit benötigte, die Blase zu entleeren. Ich war erstaunt aber nicht beunruhigt.
Im Verlauf der zweiten Hälfte der 8. Runde wurde mir klar: Du kannst es schaffen! Mental auf jeden Fall, wenn nur der Körper mitspielt. Jetzt bloß keine Krämpfe kriegen. Vorsorglich lutschte ich einige Salzkristalle, getrunken hatte ich auf jeden Fall genug. Die Splits rutschten immer mehr Richtung 7:30/km und bis km80 waren noch 2 etwa 2 minütige Gehpausen fällig. Dass ich einen Lauf mit 10 10er Runden ausgesucht hatte, empfand ich in dieser Phase als einen genialen Schachzug. Wenn die Runde nun zu Ende ist, würde ich eine kurze Pause machen und dann sind es nur noch 2 Runden. Lächerliche 20km in 2 Häppchen. Ich werde es schaffen!
Zum Anfang der 9. Runde noch mal Boxenstopp. Die Siegerin, die mich 2 Mal überrundet hat, saß zufällig genau neben meinen Kleider- und Verpflegungstaschen. Zum erstenmal fühlte ich einen Anflug von der Behaglichkeit, jetzt nicht mehr laufen zu müssen. Sie hat es hinter sich. Beneidenswert. Aber sofort funktionierte mein Kopf wieder. Nur noch 20km, einfach locker das Ding nach Hause laufen und Dein Traum ist wahr. Kein Zeitdruck, Zeitlimit für 90km ist 11:30. Für den Zieleinlauf 13h. Also noch je 90min für die letzten zwei 10er. Das dürfte wirklich kein Problem mehr sein. Vielleicht klappt ja sogar noch ein 7:00/km Schnitt, also Endzeit unter 11:40h. Das wären je 70min für die letzten zwei Runden. Eigentlich utopisch, eben hatte ich mich mühsam noch auf 7:30/km halten können.
Nach 5 Minuten Pause laufe ich los. Zum erstenmal mit dem Gefühl Angriff ist die beste Verteidigung. Für die nächsten 7km, bis zum dortigen Verpflegungsstand, drehte sich auf einmal das Verhältnis Körper und Geist. Während der Kopf die ersten Ermüdungserscheinungen zeigte, in dem er mir nicht mehr Motivation vermitteln konnte als plumpes “Durchhalten, Du musst nur durchhalten!“ zeigte der Körper auf einmal, losgelöst vom sich gerade selbst im Weg stehenden Kopf, ungeahnte Kräfte. Diese 7km lief ich im Schnitt wieder in 6:47/km. Das klingt nicht schnell, kam mir aber ultraschallmäßig vor. Ich hatte auf einmal die Befürchtung, wenn ich diesen Schub jetzt an der Verpflegungsstelle abbreche um zu trinken, würden mich die dort arbeitenden Damen bestimmt lange aufhalten um mich zu bremsen. Es ist doch bestimmt ihre Pflicht, zu schnell laufende Personen auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen und sie ggf. aus dem Rennen zu nehmen. Das konnte ich mir kurz vor dem Finish nicht leisten. Also schnell vorbei, am besten in der Deckung eines anderen Läufers, so war der Plan. Ich hatte einen Moment richtig Angst vor der Verpflegungsstelle und zog sogar in Erwägung, mein zu hohes Tempo kurz vor der Stelle so abzubremsen, dass kein Verdacht auf mich fällt, zu schnell zu sein. Danach würde ich wieder schnell laufen können.
Irrsinn. So fühlt sich also Irrsinn an. Mein Gott, vielleicht habe ich einen Hitzschlag. Keiner läuft sonst mit Jacke, aber ausziehen, nie im Leben. Essen und Trinken an der super betreuten Verpflegungsstation bei km3/7 brachte mich langsam von diesem seltsamen Trip runter. Eine weitere kurze Gehpause bei km 89 und dann waren die 90 geschafft. Das Finish war nun klar, einfach noch den 10er ablutschen. Das geht zur Not sogar walkend. Aber das war überhaupt nicht nötig. Die letzte Runde hatte etwas von einer Ehrenrunde. Die 5 Kontroll- und Verpflegungspunkte waren von top motivierten und motivierenden Menschen besetzt, die unermüdlich anfeuerten, Mut zusprachen und klatschten und sich nach der eigenen Befindlichkeit erkundigten. Alle hatten eine Starterliste mit den Namen und so wurde man ständig auch namentlich begrüßt. Das habe ich so noch nie erlebt. Das nenne ich familiäre Atmosphäre. Auf dem Hinweg der letzten Runde fand also schon der langsame Abschied von der Strecke statt. Bzw. von den netten Menschen, die sie geprägt haben. Abklatschen, Glückwünsche, Witzeleien und gute Stimmung zwischen Läufern und Helfern prägten die letzte Runde, das es ein einziger Genuss war. Läuferisch war es wohl eher ein steifes Schlappen so in der Richtung 7:00 bis 7:30/km aber das war mir völlig egal. Ich hätte die Welt umarmen können. Das Ziel war erreicht, der letzte Kilometer noch mal in 6:21min (Endzeit 11:41h) und dann das nicht enden wollende zufriedene Grinsen mit feuchten Augen beim Zieleinlauf... einfach nur geil!
Mein 100er Debüt in Leipzig
109.03.08 Kandel 3:48
06.04.08 Deutsche Weinstrasse (500HM) 3:48
26.04.08 Harzquerung (51km/1400HM) 4:57
24.05.08 Mannheim 3:28
25.05.08 Heilbronn (350HM) 3:58
01.06.08 Potsdam 3:38
07.06.08 6h Fellbach 60,508km
16.08.08 100km Leipzig 11:41
21.09.08 Karlsruhe 3:29
25.10.08 Schwäbische Alb (50km/1000HM) 5:21
26.10.08 Frankfurt 4:04