Ganz tief, ganz dunkel
Ein Laufbericht. Ganz bewusst in diesem Unterforum abgelegt und gewidmet allen mit läuferischem Missgeschick nicht so vertrauten, infolgedessen immer wieder von bohrenden Selbstzweifeln heimgesuchten Läuferinnen und Läufern.
Mittwoch, der 1. Oktober 2008: Eine harte Trainingssequenz liegt hinter, ein Marathon drei Tage vor mir. Seit letzter Woche schraube ich den Trainingsumfang Schritt um Schritt zurück. Gestern Ruhetag, morgen und übermorgen noch zwei. Dann werde ich zwei Alternativen haben: Entweder bersten die Energiespeicher, oder ich renne sie mir auf 42,195 Kilometern mutwillig leer. Schon jetzt MUSS ich vor Kraft nur so strotzen und freue mich nicht zuletzt deshalb auf die heutige, eher kurze Trainingseinheit: Zwei Kilometer aufwärmen, dann acht Kilometer Marathonrenntempo testen, zuletzt zwei Kilometer austrudeln …
Die ersten Schritte. Wie immer „bockt“ der Apparat, wehrt gegen abgeforderte Leistung. Alles noch kalt, alles „schläft“ noch. Kenn ich, ist immer so, außer zu Beginn eines Wettkampfes. Kein Anlass zum Nachdenken. Dann schon. Zehn Minuten später hat sich nichts geändert. Zum Ende des Einlaufens spüre ich keinen Rhythmus, stattdessen bleiern „dicke“ Beine. Das kann nicht sein! Nicht nach einem Ruhetag, der auf das kaum fordernde Läufchen vom Montag folgte. DAS KANN NICHT SEIN!
Ich zwinge Hax’n, die wohl meine sind, sich aber nicht wie meine anfühlen, auf Geschwindigkeit. Ungefähr Marathontempo. Das kann nicht sein! Als hätte ein böser Laufgeist die Luft verdickt. Aber der Widerstand ist innen. Theoretisch müsste ich ziemlich ausgeruht sein und leichten Fußes nur so schweben. Theoretisch. Grübeln hebt an. Was ist da los? - Gut gegessen gestern, beim Italiener. Zu gut? - Zwei und ein halbes Glas vom Vino Rosso de la Casa, wo ich doch sonst nur eines trinke. Zu viel? - Zu spät ins Bett, wurde nicht müde gestern Abend, hab wenig geschlafen. Zu wenig? - Der Berglauf am Samstag, drei Tage Muskelkater vom Runterlaufen. Zu lange? Zu hoch? - Es windet heftig, drum bin ich gut verpackt, fühle mich ein wenig behindert. Abgeschottet also. Zu dicht?
So denkt es eine Weile weiter, einzig unterbrochen vom Blick zum Pulsmesser, um die gewünschte Intensität nicht zu unterschreiten. Heute traue ich meinem Laufgefühl nicht, hab nämlich keins. Blick zu Boden: Diese Laufschuhe habe ich letztes Jahr in Biel 100 km weit laufen sehen. Das sollen meine sein? Bin ich überhaupt schon mal gelaufen vor diesem Tag? Gut, dass mich heute niemand fragt, weshalb ich laufe.
Wieder das Gehirn zermartern, wieder Gründe suchen und einmal mehr konsterniert feststellen: Das kann nicht sein! - Und doch ist es so. Und keiner der spukenden Gedanken vermag meine Schwäche zu erklären. Nicht mal die Summe aller möglichen misslichen Einflüsse kann das. Wieder mal so ein Tag. Biorhythmus im Keller. Ach was red’ ich: Im Bergwerk - unterste Sohle, ganz tief, ganz dunkel! - Nichts bessert sich. Ich kämpfe und meine Beine wehren sich. Der Stimmung ist das nicht förderlich. Klar. Aber sie fährt auch nicht in den Schacht, um sich drunten mit dem Biorhythmus zu treffen. Auch kein Anflug von Panik, obwohl ich in drei Tagen Marathon laufen will.
Zweifel sind schon da und ich gucke sie mir an. Was sie letztlich neutralisiert ist Erfahrung. Immer wieder einmal erlebe ich so einen Tag, der mir läuferisch die Karten legt. Da geht eben nix. Nicht erklärbar und schon gar nicht zu ändern. Es wird schon seinen Grund haben, wenn mein „stoffliches Selbst“ sich vehement gegen Leistung wehrt. Akzeptieren und reagieren. Ich kürze den Tempoteil auf sechs Kilometer, trabe den Rest zu Ende, fühle mich danach reichlich ausgelaugt. Verrückt. Ist so. Egal. Ich weiß: Nächstes Mal wird es wieder anders sein.
Gruß Udo
Ganz tief, ganz dunkel
1"Faszination Marathon", die Laufseite von Ines und Udo auch für Einsteiger.
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe
PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe
PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h