Es ist noch etwas kühl, aber die Sonne lacht vom Himmel und ich bin voller Erwartung, was mein achter Start beim Vienna City Marathon bringen wird.
Ich schlendere an der Kolonne der LKWs entlang, finde "meinen" Wagen, gebe meinen Wäschesack ab und beobachte danach entspannt das bunte Treiben vor dem Start.
Ach ja: Heuer mache ich den Lauf als Training für den Rennsteig SM ("Sado-Maso"-Lauf, wie Udo zu sagen pflegt

Irgendwie habe ich heute auch nicht das Gefühl, noch einmal für kleine Jungs zu müssen, stelle mich dann aber doch an die üppig grünende Buschreihe an der Esso-Tankstelle und begieße - selbst etwas erstaunt - dann doch die Botanik. Ja ich weiß: So was macht man(n) eigentlich nicht. Aber ich habe die unschlagbare Ausrede, dass die Mädels dafür an den Toiletten nicht so lange anstehen müssen, weil wir Männer ihnen nicht in die Quere kommen

Aber genug der Betrachtung menschlicher Entleerungspraktiken und -örtlichkeiten.
Ich marschiere vorwärts, entere den gelben Startblock und treffe unverhofft auf Lisa (im Forum als "Nugget" vertreten) und ihre Eltern Monika und Helmut, die beide auch den Marathon laufen, während Lisa quasi als Coach dabei ist.
Mit ihnen haben wir am Samstag beim Italiener gemütlich gegessen und getratscht. Das hat großen Spaß gemacht und daher haben wir beschlossen, uns nach dem Rennen unter der imposanten Statue der Maria Theresia wieder zu treffen. Dass wir hier einander unter Tausenden anderen LäuferInnen über den Weg laufen, ist schon ein lustiger Zufall.
Wir unterhalten uns noch ein bisschen und dann geht es auch schon los: Helmut und Monika wollen schneller laufen als mein Trainingstempo es zulässt. Wir wünschen einander noch viel Glück und schon geht es über die Reichsbrücke in Richtung Praterstern und dann in den Prater.
Die Marathonstrecke hat sich in den letzten Jahren nicht verändert (ist daher so manchem aus meinen Berichten bekannt). Wer schon mal in Wien gelaufen ist, kennt außerdem die Mischung aus grünem Prater und imperialen Prachtbauten, aus Donau und Walzer, Donaukanal und Innenstadtflair.
Die ersten zwei Kilometer gehe ich mit Absicht etwas forscher an, da ich im Gewühl nicht steckenbleiben will. Das geht gut und als ich knapp vor km 3 bei Gudrun und meiner Tochter Sarah und ihrem Markus vorbeilaufe, bin ich eigentlich viel zu schnell unterwegs. Ich latsche daher auf die Bremse und pendle mich kurzfristig auf 11 km/h ein. Aber bald ertappe ich mich wieder dabei, schneller zu laufen.
Mein Ziel ist es allerdings, einfach nur unter vier Stunden zu bleiben. Denn am 1. Mai wartet der nächste HM und am 2. Mai der nächste Marathon auf mich (noch dazu einer mit 1.440 Höhenmetern). Da heißt es, nicht zu euphorisch zu agieren.
Auf der Wienzeile ist es heuer wieder heiß (wenn es einmal nicht heiß ist, dann ist es dort windig oder arschkalt; manchmal auch beides zugleich.) Also lieber heiß. Bei km 15 habe ich meinen ersten Marshmallow verdrückt und gieße bei der Versorgung den ersten Becher Wasser nach.
Dann geht es zackig in die so genannte Äußere und danach in die Innere Mariahilferstraße. Bei km 19 warten wieder meine drei Coaches auf mich. Gudrun reicht mir ein Gel, das ich aber erst bei km 21 esse. Bei km 22 gibt es dann wieder Wasser und etwas Powerade.
Meine Kilometerzeiten haben sich knapp über 11 km/h eingependelt und ich lasse es einfach laufen - weils am Ende sowieso immer hart wird.
Irgendwann überholt mich ein Spanier. Er führt eine große Fahne von Alicante mit. Die Fahnenstange hat er irgendwie am Rücken unter seinem Laufshirt befestigt

Ich überhole Italiener, Franzosen, Deutsche, Belgier, Slowenen und jede Menge ÖsterreicherInnen und werde meinerseits von Italienern, Franzosen, Deutschen, Belgiern, Slowenen und ÖsterreicherInnen überholt.
In Wien sollte das aber nicht allzusehr irritieren: Über 1.800 Staffeln sind auch am Start. Da zischen manche nach dem Wechsel los, als wäre der

Ein paar Franzosen laufen mit sonderbar hohen Hüten in der Farben der Tricolore, ein paar Damen und Herren eines deutschen Triathlon-Clubs sind immer in meiner Nähe - sie laufen lustigerweise vom Start weg bis ins Ziel beinah das gleiche Tempo wie ich.
Die zweite Hälfte auf der Prater Hauptallee wird zwischendurch begleitet von AC/DC und "Highway to hell". Ich weiß: Der

Aber wie so manche ohnehin schon wissen, bin ich ein bekennender Schönwetterläufer, also beklage ich mich nicht. Ganz abgesehen davon stimmt heute mein Timing mit der Verpflegung (Gels und Marshmallows) und den Getränken.
Km 36 - 37: Ich hab, wie jedes Jahr an dieser Stelle so eine Art Sinnkrise, überlege kurz, ob Billy Joel mit seinem "Vienna waits for you" auch an den Wien Marathon oder doch eher an Schloss Schönbrunn und die Sachertorte gedacht hat - aber mir fällt der Text nicht ein.
Auf der Gegengeraden (km-Schild 29) kommen immer noch LäuferInnen entgegen. Der Gedanke muntert mich auch nicht auf und so ein (Kriech)-Tempo wäre mir dann ohnehin zu blöd.
Aber egal: Ich will nur noch nach Hause, sprich ins Ziel

Anscheinend habe ich schon etwas den Tunnelblick, denn ich entdecke zwar Gudrun kurz nach km 41, aber Sarah und Markus seh ich nicht - obwohl sie auch da sind. Gudrun rennt ein Stück mit mir, kriegt den üblichen Spruch zu hören "mir geht's nur mehr auf den Geist" und dann lässt sie mich weitertraben.
Ich hab einfach keine Lust mehr. Erst als der Lärm auf der Ringstraße kurz nach dem Schwarzenbergplatz wieder anschwillt erwacht auch mein Kampfgeist, der faule Sack. Hat sich wohl verdrückt gehabt für eine Weile. Ich nehme wieder Tenpo auf, ziehe an einigen LäuferInnen vorbei und schwupp, biege ich auf den Heldenplatz ein.
Der Zieleinlauf macht wie immer echt Spaß. Der kräftig-blaue Teppich ist angenehm zu laufen und bei exakt 3:51:31 drücke ich die Stopptaste meiner Beurer PM80.
Dann beginnt mein übliches Nach-Marathon-Ritual, das sich in einer Art "Schleichen" ausdrückt: Ich lasse mir die Medaille umhängen und schleiche danach durch den Zielraum in Richtung Getränke, lasse mir ein Mineralwasser schmecken, hole (ebenfalls im Schleichgang) den Verpflegungssack mit Apfel, Banane, Müsliriegel, Keks und noch zwei Getränkeflaschen als Inhalt ab. Ach ja: Eine schöne große Tube Sommer-Feuchtigkeitscreme gab's auch.
Kurz darauf habe ich meine Kleider geholt und stehe unter der angenehm temperierten Dusche, die von ein paar kräftigen Aggregaten des österreichischen Bundesheeres angetrieben werden.
Man sollte Kriege in Zukunft in Form von einer Art "Leistungsduschen" abhalten - da würden wir, glaube ich, ziemlich oft gewinnen

Um 14:00 Uhr sind wir alle (Gudrun, Sarah, Markus, Lisa, Monika und Helmut) unter dem Denkmal der Maria Theresia versammelt.
Helmut ist eine 3:34:50 gelaufen und Monika, obwohl erst kürzlich krank gewesen, beachtliche 3:48:xx.
Nach einem gemütlichen Umtrunk mit obligater Manöverkritik


Billy Joels Lied gilt - zumindest für mich - auch für's nächste Jahr. Die neunte Auflage dient mir dann allerdings wieder der Jagd nach einer neuen PB.
Liebe Grüße
Wolfgang