Hallo Mirakel,
bevor ich auf deine Fragen eingehe, kann ich mir eine Bemerkung zu deiner vormaligen Laufverhinderung nicht verkneifen. Sie richtet sich weniger an dich, denn du bist über die Phase des Nichtlaufens längst hinaus. Allerdings lesen hier viele in vergleichbarer Situation mit, denen deine Begründung nicht zu laufen vielleicht gerade noch fehlt, um auf der Couch sitzen zu bleiben ... Ich verstehe, dass es Lebenssituationen gibt, in denen man zurückstecken und die eigenen (Lauf-) Wünsche unterordnen muss. Das wird aber in den seltensten Fällen heißen, dass gar nichts mehr geht. Mag ja sein, dass du nicht dreimal pro Woche hättest laufen können. Und sicher war deine Frau dankbar für die ihr zuteil gewordene Hilfe. Aber dass es dir nicht möglich gewesen sein soll, wenigsten ein-, zweimal pro Woche eine halbe Stunde zu traben, willst du sicher niemandem weißmachen. Schon deswegen nicht, weil du zuletzt den allseits bekannten Schweini (=Summe aller mentalen und körperlichen Blockaden, vor allem Bequemlichkeit und Faulheit) verantwortlich machst. Aus meiner - natürlich nur teileingeweihten Sicht - sieht es so aus, als wäre dir die familiäre Verhinderung ganz recht gewesen. Ich vermute mal, dass du mit deiner Frau über das Thema "Was hältst du davon, wenn ich zweimal pro Woche laufe, um nicht noch weiter zuzunehmen?" nicht geredet hast. Und wäre sie noch so getresst gewesen von eurem Nachwuchs - was jeder verstehen wird, der je Kinder groß gezogen hat - sie hätte sicher gewollt, dass du auch 2 Stunden pro Woche - mehr braucht man dafür nicht - das Nötigste körperlich für dich selbst unternimmst. Oder nicht?
Wie eingangs gesagt: Das richtet sich weniger an dich, denn du bist darüber hinaus. Das ist auch keine Kritik an dir. Das stünde mir nicht zu, den ich sitze im Glashaus und werfe nicht mit Steinen. Allerdings sollten sich Menschen mit ähnlichen Rahmenbedingungen nicht von deinen - pardon - "Ausreden" davon abhalten lassen, die Couch zu verlassen ...
Zu deinen Fragen: Zunächst die mir bedeutsam erscheinenden Fakten
- Laufabstinenz 4 Jahre ( du drückst dich nicht ganz klar aus, aber du scheinst so gut wie nicht gelaufen zu sein oder was bedeutet "nicht richtig gelaufen"?)
- 39 Jahre alt, Übergewicht ca. 30 kg
- Beginn systematischen Laufens vor 4 Wochen
- 1 x Teilnahme am Lauftreff, dort mit 30 min begonnen, pro Woche 5 min zugelegt, also jetzt bereits min. 45 min
- 2 x läufst du für dich pro Woche zusätzlich
Vorab dies: Wer mit einem Übergewicht von 30 kg zu laufen beginnt, trägt einen gewaltigen Risikofaktor mit sich herum. Das meine ich nicht organisch, denn ich gehe davon aus, dass du vor Beginn deines jetzt forcierten Trainings dich ärztlicherseits hast testen lassen. Das wird JEDEM empfohlen, der neu zu laufen beginnt und das 30. Lebensjahr überschritten hat. Umso mehr gilt es bei deinem Übergewicht. Das mit dem Risikofaktor meine ich dennoch in anderem Zusammenhang: Jede Form des Laufens, auch noch das allerallerlangsamste Tempo, stellt für den Bewegungsapparat eines Menschen eine ungleich größere Belastung dar, als zb. schnelles Gehen. Das hat jeder Läufer schon erfahren, der ein lästiges Zipperlein mit sich rumschleppt, das einfach nicht voll ausheilen will. So lange man geht, auch schnell, schweigt es still. Doch sobald man in einen leichten Trab fällt, kommt auf die Kraftübertragung - Muskeln, Sehnen, Bänder, Gelenke - eine Mehrbelastung zu, die den Schmerz auslöst. Leichtes Traben ist schon eine Belastung für einen gesunden Körper ohne Handicap. Umso mehr gilt das für einen Bewegungsapparat, der etwa 40% Übergewicht zusätzlich zu tragen, zu beschleunigen, zu bremsen hat. Du solltest also deine Laufaktivität mit Vorsicht handhaben.
Da du dich auf 3x pro Woche laufen beschränkst (und sicher dazwischen immer einen Ruhetag einhältst??) brauchst du den Fokus nur auf Tempo und Zuwachs des Laufumfangs pro Woche zu richten.
Umfang: Aus deinen Ausführungen geht nicht hervor, wie du deine zusätzlichen 2 Läufe unabhängig von der Laufgruppe gestaltest. Also kann ich dir nur schreiben, was du nicht tun solltest. Dazu eine Rechnung. Mal angenommen du hast in der ersten Woche im Lauftreff 30 min und bei deinen weiteren Läufen auch 30 min absolviert. Dann waren das zusammen 90 Minuten. Wenn das so weiter ging, dann wärst du jetzt bei 3 x 45 Minuten oder schon 3 x 50 Min. Diese Steigerungsrate halte ich bei deinen Voraussetzungen für zu gewagt. Nimm bitte nicht für dich als Argument, dass dir dabei ja nichts weh tut. Überlastungen können sich zunächst beschwerdefrei summieren, um dann plötzlich, scheinbar ohne äußeren Anlass, Schmerzen zu verursachen. Niemand weiß von sich, wie resistent der eigene Körper gegen Belastungssteigerungen ist. Manche verkraften mehr, andere weniger. Zu hoffen, dass du zur ersten Gruppe gehörst ist ein Glücksspiel mit ungewissem Ausgang. Es kann dich früher wieder auf die Couch verbannen, als du glaubst.
Du solltest also keinesfalls die Steigerungen in diesem Umfang fortsetzen. Und vor allem auch nach spätestens 3 Wochen mit Steigerung eine Woche zu Regeneration einlegen, in der du den Umfang (nur für diese Woche) um 50% reduzierst. Dazu brauchst du beim Lauftreff nicht zurück stecken, solltest aber deine eigenen Läufe entsprechend kürzen.
Tempo: Bei deinen Rahmenbedingungen (4. Laufwoche, Übergewicht) solltest du an Temposteigerungen erst einmal nicht denken. Tempo steigert die Belastungen auf die Orthopädie noch einmal gewaltig. Du kannst nicht im Ernst glauben, dass du 112 kg mit einem Bewegungsapparat, der gerade erst begonnen hat sich an die neue Belastung anzupassen, ungestraft mit schnellerem Tempo durch die Gegend wuchten kannst. Die Reihenfolge muss sein: Gewicht runter, dabei Umfänge langsam, vorsichtig steigern. Und wenn du bei einer Trabdauer von 60 bis 90 Min angekommen bist, zugleich einen großen Teil deines Zusatzgewichtes los geworden bist, dann ist der Moment für Temposteigerungen gekommen.
Dass du Gewicht nicht nur allein durch Laufen verlieren kannst, wird dir klar sein. Du hast sicher nicht (nur) deshalb zugenommen, weil du dich zu wenig bewegt hast. Erfolg wirst du also nur haben, wenn du zugleich deine Ernährungsgewohnheiten veränderst.
Nachdem bis auf weiteres nur langsames Laufen sinnvoll ist, besteht zur Nutzung eines Pulsmessers keine Veranlassung. Der Pulsmesser soll dem Läufer helfen in verschiedenen Intensitätsbereichen (Tempobereichen) trainieren zu können. Langsames Laufen lässt sich jedoch ausgezeichnet über die Reaktionen des eigenen Körpers bestimmen: Die Lunge sollte nicht so gefordert werden, dass du im Lauftreff bei Unterhaltungen außer Atem gerätst. Dann läufst du zu schnell. Überhaupt kann Lauftreff nicht heißen, dass du angestrengt hinter den anderen her hechelst. Sie müssen sich auf die Schwächsten in der Gruppe einstellen. Aber dein erfahrener Trainer wird das sicher berücksichtigen.
Normalerweise senkt systematisches Training die Pulsfrequenz für ein bestimmtes Tempo innerhalb von 4 - 6 Wochen deutlich. Das gilt aber nicht unbedingt für Einsteiger, die immer im gleichen Tempo laufen. Im übrigen unterliegt der Puls beim und kurz nach dem Laufeinstieg auch noch anderen Gesetzmäßigkeiten (z.B. das Überschießen). Aber noch einmal: Der Pulsmesser sollte in deiner gegenwärtigen Trainingsphase wirklich nur eines tun: Zeit messen. Die Pulswerte kannst du vergessen. Orientiere dich lieber an dem, was dein Körper dir sagt. Überhöre keines seiner Zeichen. Vor allem sind das eben die Atemfrequenz, die verschiedenen Formen von Müdigkeit, Zwicken im Bewegungsapparat oder sonstige unklare, unbekannte Körperäußerungen (Unwohlsein, Schwindelgefühl oder anderes).
Ausdauerzuwachs ist etwas, das ein normal begabter Organismus sehr schnell bereitstellen kann. Wie oben geschrieben binnen weniger Wochen. Dummerweise dauern andere, mindestens genauso wichtige Anpassungsvorgänge deutlich länger: Bis deine Sehnen, Bänder und Gelenke jene Festigkeit erreicht haben, die sie benötigen um die Leistung auf Dauer zu verkraften, vergehen zusätzliche Wochen. Deshalb keine unbedenkliche Umfangssteigerung und auch keine Tempoexperimente.
Zuletzt noch ein Wort zu deiner Pulsberechnung für spätere, schnellere Trainingseinheiten. Mit der Formel zu rechnen ist alles andere als ideal, weil sie nur die durchschnittlliche, maximale Herzfrequenz der Männer eines Jahrgangs berechnet. Bei dir also 181 bpm. Extreme Abweichungen mit bis zu 15, 20 bpm kommen vor, kleinere bis zu 10 bpm plus-minus häufiger. Nicht ideal heißt jedoch nicht, dass man damit gar nicht trainieren könnte. Nur solltest du, wenn du Pulsbereiche bestimmst, immer am unteren Ende des Bereiches trainieren. Dann wärst du auch dann noch im sicheren Bereich, wenn deine Hfmax niedriger liegt, als du es mit der Formel bestimmt hast.
Ich wünsche dir, dass deine Familie gut gedeiht, deine Gewichtskurve abstürzt wie die DAX-Kurve an einem schwarzen Freitag und deine Laufaktivitäten dich zunehmend lange mit Freude durch die Gegend bewegen.
Gruß Udo