Für meinen ersten Halbmarathon habe ich mir bereits im Dezember 2014 die 30. Auflage des München Marathon 2015 ausgesucht. Motiviert von meinen ersten Erfahrungen auf kürzeren Distanzen, bin ich in die Vorbereitung gestartet. Leider wurde ich durch die zu schnell gesteigerten Umfänge recht schnell von Shin Spints ausgebremst. Das ganze Frühjahr über konnte ich daher nur sehr eingeschränkt bis gar nicht Laufen. Mit manueller Therapie, regelmäßigen Kühlen, Dehn- und Kräftigungsübungen und einem sehr moderaten Wiedereinstieg, habe ich das Problem so langsam in den Griff bekommen und konnte von Juni bis September mein Training nach Plan fortsetzen. In dieser Zeit hatte ich Umfänge von 25-35 km in der Woche. Für den Halbmarathon fühlte ich mich dann gut gerüstet, auch wenn ich mir unsicher war, ob ich mein selbstgestecktes Ziel Sub 02:00 h erreichen könnte, da ich die langen Läufe im Training deutlich langsamer als die nötigen 5:40 min/km gelaufen bin und meist sehr erschöpft war.
Für den Wettkampf bin ich bereits am Samstag nach München gereist und habe mir meine Startunterlagen in der Olympiahalle abgeholt. Am Olympiagelände angekommen, strömten mir hunderte Läufer mit rosafarbenen Starterbeutel entgegen. Spätestens jetzt stieg die innere Unruhe und ich konnte den nächsten Tag kaum noch erwarten.
Für die Startnummernausgabe musste über einige Treppen ins Innere der Halle hinabgestiegen werden. Da es zwar Aufzüge gab, diese aber in für Besucher gesperrten Bereichen lagen, mussten meine Frau und ich Kind und Kinderwagen hinabtragen. Auf Nachfrage, wie denn Rollstuhlfahrer die untere Ebene mit Nudelparty und Ständen erreichen sollten, bekam ich die Antwort: „Gar nicht!“. Unten lief gerade eine Pressekonferenz zum Projekt „laufend integrieren“. Dieses Bemühen gilt aber anscheinend nicht für Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinder. Dies bleibt aber meine einzige Kritik an der sonst einwandfreien Organisation dieses Großereignisses.
Die Startnummernausgabe klappte trotz des großen Andrangs unkompliziert und einigermaßen zügig. Noch schnell meinen vorab bestellten Gutschein für die Nudelparty eingelöst und ab nach Hause.
Am Sonntag bin ich mit S- und U-Bahn zum Start des Halbmarathons in der Denninger Straße gefahren. Die Öffentlichen waren erwartungsgemäß überfüllt, die Anreise aber trotz Kinderwagen unproblematisch. Ich war etwa 45 min vor Startschuss vor Ort, was absolut ausreichend war, um mich einzulaufen und in meinem Startblock Stellung zu beziehen. Mit einer Zielzeit von Sub 02:00 h stand ich im zweiten Block, welcher 10 min nach Block A startete. Nachdem Block A mit lauten Böllerschüssen auf die Strecke geschickt worden war, schlossen wir gemächlich zur Startlinie auf. Pünktlich um 13:40 fiel dann auch für uns der Startschuss und mit Richard Wagners Ritt der Walküren, durchlief ich das Starttor. Die eigentliche Zeitnahme findet erst ca. 50 m später statt. Diesen fliegenden Start empfand ich als sehr angenehm, da man mit Beginn der Zeitnahme bereits einigermaßen im Tritt war.
Für mein angestrebtes Ziel hatte ich mir folgende Strategie zurechtgelegt: Ich wollte etwas nach den 02:00 h Pacemakern starten, diese dann überholen und einen kleinen Vorsprung herauslaufen und mich, falls ich im Laufe des Rennens langsamer werden sollte, auf keinen Fall wieder überholen lassen. Die erste Hälfte wollte ich in 5:35 min/km laufen, um etwas Puffer an den Verpflegungsstationen zu haben, die zweite Hälfte nach Möglichkeit etwas schneller in 5:30 min/km.
Im Gedränge des ersten Kilometers hatte ich recht bald einen Läufer mit etwa vergleichbarer Statur ausgemacht, der sich souverän seinen Weg durch das Feld bahnte und in dessen Kielwasser ich mich hielt. Mit 5:25 war der erste Kilometer zwar bereits etwas schneller als geplant, der Bahn meines Zugläufers im dichten Feld zu folgen, war jedoch so angenehm, dass ich beschloss dranzubleiben. Bereits auf dem zweiten Kilometer begegnete ich dem ersten Geher. Ein kurzer Blick zur Seite bestätigte mir meine Vermutung, dass es sich um einen Marathonläufer handelte. Ich nehme an, dass dieser, ebenso wie einige andere, an denen ich noch verbeilaufen würde, sein Rennen im Besenwagen zu Ende brachte.
Ich selbst fühlte mich die ersten 5 Kilometer fit und ausgeruht, auch wenn sich das Laufen bis dahin noch nicht ganz rund anfühlte. Mit Erreichen der 5 Kilometermarkierung lief mein Zugläufer plötzlich zur Seite. Ich dachte er will das Tempo forcieren und ich muss ihn nun ziehen lassen, aber er hatte wohl ein anderes Bedürfnis und verschwand in den Büschen. Ich rief ihm noch „Hey, Du bist doch mein Zugläufer“ hinterher, was für Gelächter unter den Läufern sorgte. Für die ersten 5 Kilometer hatte ich 26:46 min benötigt und war damit unter Plan. Sollte ich nun Tempo herausnehmen? Mit jeden Vibrieren der Uhr, dachte ich: „Du bist zu schnell! Wenn Du so weitermachst brichst Du dafür später ein.“, aber Puls, Beine und Befinden sagten: „Weiter so!“.
Die nächsten Kilometer versuchte ich also mein Tempo hochzuhalten und einen neuen Zugläufer zu finden. In diesem Abschnitt verlief das Rennen sehr zäh. Noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter sich, zog sich Kilometer um Kilometer. Die wenigen Zuschauer verfolgten das Rennen in der Regel schweigend und auch die Läufer tippelten schweigsam vor sich her. Mit Erreichen der Altstadt, nahmen zwar die Zuschauerzahlen zu, für Stimmung sorgten aber fast nur Bands und Trommelgruppen. Man darf nicht vergessen, dass die ersten Marathonläufer hier bereits vor Stunden vorbeigelaufen sind und das Wetter mit 10° und bedecktem Himmel zwar optimal zum Laufen, aber wenig einladend zum Verweilen an der Strecke war. Den zweiten Abschnitt von Kilometer 5 bis 10 lief ich mit 26:38 min annähernd genauso schnell, wie den vorherigen.
Bei Kilometer 11,5 ergibt es sich, dass einem für einige hundert Meter die schnelleren Läufer entgegen kommen. Das empfand ich als demotivierend. Auch wenn so etwas für mich nie in Frage kommen würde, hing ich, als mir der 01:45 h Pacemaker entgegen kam, Gedankenspielen nach, in denen ich einfach die Straßenseite wechselte und mir damit gut 4 Kilometer Strecke ersparte. Habe ich natürlich nicht! Am nächsten Verpflegungsstand nahm ich das mitgeführte Gel zu mir und spülte es mit Iso hinunter. Ich weiß nicht, ob es am Gel lag, oder einfach nur weil ich bereits mehr als die Hälfte hinter mir hatte, aber ich fühlte kurz darauf energiegeladen und zuversichtlich, das Rennen gut abzuschließen. Für die dritten 5 Kilometer benötigte ich mit 26:46 min exakt so lange, wie für die ersten.
Die nächste Zeit lief es beinahe wie von selbst. Ich zog das Tempo an und überholte Läufer um Läufer. Auch wenn ich pro Kilometer nur etwa 10 s schneller lief als bisher, hatte ich das Gefühl nur so am Feld vorbeizufliegen. Die lange Gerade auf der Leopoldstraße am Siegestor vorbei war im Nu passe. Kilometer 18 lief ich hinter einem Pärchen, das sich darüber unterhielt, ob sie nun, wenige Kilometer vor dem Ziel, das Tempo anziehen sollten oder nicht. Ich sagte zu Ihnen, dass wenn sie noch die Luft haben ausführlich darüber zu diskutieren, sie das Tempo definitiv noch anziehen können und zog mit dem Erreichen des Kilometer 19 Schilds an ihnen vorbei. Nach einem kurzen Sprint realisierte ich, dass es ja immer noch über 2 Kilometer bis zum Ziel waren, und musste wieder etwas an Tempo herausnehmen. Die Blöße, nach meinem leichtfertigen Kommentar, mich von den beiden wieder überholen zu lassen, wollte ich mir aber nicht geben und lief die letzten zwei Kilometer daher mit gerade noch so vertretbaren 4:45 min/km. Das Herz pumpte nun auf Anschlag und als endlich der Tunnel ins Olympiastadion kam, dachte ich nur noch: „Durchhalten!“
Die letzte 300 Meter durch das Stadion bei lauter Beschallung konnte ich tatsächlich noch genießen und ich versuchte die Stimmung aufzunehmen. Mit einem breiten Grinsen, dass sich unwillkürlich über mein Gesicht legte, lief ich durchs Ziel. Am Ende standen 1:51:39 auf der Uhr! Ich war äußerst zufrieden und sehr glücklich.
Im Zielbereich, nach Erhalt der Medaille, gab es wirklich eine außerordentlich umfangreiche Verpflegung. Neben dem alkoholfreien Bier und der Brezel, die ich mir genehmigte, gab es unter anderem Kuchen, Obst, diverse Getränke und sogar Smoothies. Auch wenn der Zielbereich zum Verweilen einlädt, so zog es mich doch gleich zu meinen Liebsten, welche im Stadion auf mich warteten. Auf dem Weg die lange Treppe hinauf lies sich bereits erahnen, welcher Muskelkater mir in den darauffolgenden Tagen blühen würde. Das Gefühl nach mehrmonatiger Vorbereitung sein Ziel erreicht zu haben, lässt solcherlei Zipperlein jedoch weit in den Hintergrund wandern. Heute, zwei Tage nach dem Halbmarathon, bin ich mir sicher, dass es nicht mein Einziger bleibt. Auch ein Marathon scheint nun nicht mehr so weit weg. Vielleicht im nächsten Jahr. Dann mit Ziel Sub 04:00 h. ;-)
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Danke für den Bericht! Gratuliere zur Bestzeit, gut eingeteilt!
"Only that day dawns to which we are awake." - H.D.Thoreau
Meine Wettkämpfe in der km-Spiel Tabelle
Meine Lauf-Fotoalben (mit vielen Tiroler Laufstrecken)
Meine Wettkämpfe in der km-Spiel Tabelle
Meine Lauf-Fotoalben (mit vielen Tiroler Laufstrecken)
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Super Rennen und toller Bericht!
Zu Anfang deines Berichtes hatte ich erhebliche Bedenken, ob du das Rennen nicht zu schnell angegangen bist. Umso mehr hat es mich gefreut dann zu lesen wie du zum Schluss hin sogar das Tempo noch anziehen konntest. Ein solcher Rennverlauf baut einen unheimlich auf und macht einfach nur Spaß. Weiter so!
Schöne Grüße vom Laufopa
Zu Anfang deines Berichtes hatte ich erhebliche Bedenken, ob du das Rennen nicht zu schnell angegangen bist. Umso mehr hat es mich gefreut dann zu lesen wie du zum Schluss hin sogar das Tempo noch anziehen konntest. Ein solcher Rennverlauf baut einen unheimlich auf und macht einfach nur Spaß. Weiter so!
Schöne Grüße vom Laufopa
Aus gesundheitlichen Gründen (Hüft-OP, Leistenbruch-OP) seit 2018 leider keine längeren Läufe mehr.
2022: München Marathon: 4:08:58, 3. in M70
2022: München Marathon: 4:08:58, 3. in M70
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Und das zurechtA_to_the_X hat geschrieben:Ich war äußerst zufrieden und sehr glücklich.

Da hast du ja dein Zeitziel weit unterboten und konntest noch Zielsprinten. Alles richtig gemacht und Spaß dabei gehabt. Glückwunsch zum Ersten!

Gruss Tommi


Mein Tagebuch: forum/threads/96079-Die-dicken-Waden-der-dicken-Wade
"Unser Denken bestimmt unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Wenn wir uns nur auf das konzentrieren, was uns missfällt, werden wir auch viel Schlechtes sehen, dementsprechend über die Welt denken und unser Verhalten danach ausrichten. Menschen, die sich auf das Schöne konzentrieren, sind folglich zweifelsfrei glücklicher."
Thorsten Havener