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Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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100 Meilen sind ein hartes Stück "Arbeit". Den Lauf in einem Laufbericht für mich zufriedenstellend zusammenzufassen ist auch eine harte Nuss. Diesmal brauchte ich vier Wochen dazu und hatte mehr als einmal das Gefühl dem Erlebnis "Mauerweglauf" in allen Facetten und seiner gesamten Dimension für mich nicht gerecht werden zu können. Mehrfach überarbeitete ich Passagen, doch einmal muss Schluss sein und das "Werk" online gehen ... Nun denn:

12./13. August - Zum vierten Mal rund ums ehemalige West-Berlin - aus mehrerlei Gründen nicht irgendein Wettkampf für mich, in diesem Jahr sogar richtungsweisend. Darum trete ich trotz missratener Vorbereitung an. Zweifle aber: Kann das gutgehen? Die lange Antwort führt durch Höhen und Tiefen und steht wie immer hier.

Grüße an alle :hallo:

Udo

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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Hallo siebenstein,

herzlichen Dank für deine Rückmeldung!

Es geht schon noch was, auch heftige Belastungen, wenn man bereits auf nicht wenige Lebens- und Laufjahre zurückschauen kann. Das Maß dafür sehe ich einmal in der objektiven Robustheit des eigenen Körpers und dem Spaßfaktor. "Objektive Robustheit" ist etwas, das sich zwar nicht messen lässt, das ein erfahrener Läufer jedoch sensorisch und über "Zwicken und Zwacken" seines Bewegungsapparats beurteilen kann. Bei entsprechender Achtsamkeit sollte es nicht dazu kommen, dass man die Robustheitsgrenze relevant verletzt und damit Schäden davonträgt, die einem mittel- oder langfristig das Laufen unmöglich machen. Der Spaßfaktor ist bedeutsam und wirklich nichts, mit dem man spaßen sollte. Wir laufen doch nicht, um Fakten in Form von Zeiten, Wiederholungszahlen oder ähnlich Belanglosem zu erreichen. Wir alle (!), selbst professionelle Sportler, üben doch unseren Sport vordringlich deshalb aus, weil er uns Freude bereitet. In meinem Fall "musste" ich mehrfach vor den 100 Meilen den Spaßfaktor mit Füßen treten. Mich knechten, um überhaupt eine Chance auf das Finish in Berlin zu haben. Das habe ich ausnahmsweise zugelassen, um diesen Abschluss auf hyperlangen Strecken feiern zu können. Und ich werde es nicht mehr zulassen, weil es in generelle Laufunlust umschlagen würde. Das spüre ich überdeutlich.

Ich wünsche dir alles Gute, auch beim Älterwerden und weiterhin laufen. :daumen:

Gruß Udo :hallo:

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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siebenstein77 hat geschrieben: 11.09.2023, 11:34Mauerweglauf und M70 .. auch wenn Du schreibst in Zukunft 'kleinere Brötchen' zu backen bist Du für mich absolut Motivation was noch jenseits der M55 geht.
Hallo siebenstein und alle die, die "50" vielleicht schon überschritten haben oder bald überschreiten,

was ich zu erwähnen vergaß: Meine Laufgeschichte ist davon geprägt, dass ich zwar schon recht lange dem Ausdauersport Laufen fröne, mit gewisser Regelmäßigkeit etwa ab Ende der 1980er-Jahre, meinen ersten Marathon jedoch erst mit 48 Jahren 2002 bestritt. Ich betrachtete mich selbst und meine Leistung naturgemäß unter dem Blickwinkel der danach realisierten Leistungssteigerung. Meinen schnellsten Marathon lief ich 2006 mit 3 Stunden, da war ich schon über 50. Danach kamen die großen Erfolge im Ultrasport. Weder zu Zeiten steter Verkürzung meiner Marathonlaufzeit, noch beim scheinbaren Durchbrechen aller "Ultra-Sperren"; die sich mir in den Weg stellten, kam ich je auf die Idee zu altern oder etwa zu alt wofür auch immer zu sein. Da methodisches Training meine Grenzen stets weiter hinausschob, bemerkte ich nicht, was natürlich schon Tatsache war: Dass meine absolute Leistungsfähigkeit im Schwinden begriffen war. Vielleicht dachte ich gelegentlich mit halbem Gedanken daran, es war aber unwichtig. Anders kann einer nicht empfinden, der dann mit 63 seine persönliche Höchstleistung erbringt und den Spartathlon, finished.

Läufer, die auch in jüngeren Jahren schon auf langen Ausdauerstrecken unterwegs sind, betrachten ihre Senioren-Leistung naturgemäß mit anderen Augen. Für sie ist das Glas bestenfalls noch halbvoll, für Pessimisten eher halbleer - vor allem wenn's zwickt. Für mich war im Seniorenalter das Glas immer voll. Es lief sogar manchmal über. Erst etwa ab dem 65sten Lebensjahr begann ich das Altern in Form starker Leistungseinbußen binnen weniger Monate tatsächlich zu spüren.

Hinzu kam und kommt auch - ich bin mir gegenüber stets ehrlich -, dass mit wachsendem Lebensalter meine Bequemlichkeit, die Unlust bestimmte Härten oder Unannehmlichkeiten hinzunehmen, wuchs und noch immer wächst. Das mindert die Motivation und bremst damit die Leistung zusätzlich zu den körperlichen Altersfaktoren.

Dennoch: Weder 50, noch 60 oder noch mehr Lenze sind ein Grund die langen Strecken aufzugeben - so man orthopädisch dazu noch risikofrei in der Lage ist. Durch noch ältere Vorbilder (die hab sogar ich) und eigene Erfahrungen gehe ich davon aus, noch einige Jahre zumindest Marathon laufen zu können. Wobei das bei mir, meinem Selbstverständnis als Läufer folgend, immer bedeutet "alles komplett laufen, nicht gehen". Wie lange? lautet die Frage. Das weiß niemand, selbst wenn er seinen Körper gut kennt. Die Wahrscheinlichkeit laufverhindernd zu erkranken wächst natürlich mit dem Lebensalter. Andererseits ist kontinuierlich weiter zu trainieren (auch Kraft!) ein probates Mittel um das Krankheits- und Verletzungsrisiko zu senken. Wenn es mich dereinst "erwischen" sollte, in welcher hässlichen Form auch immer, brauche ich mir keine Vorwürfe zu machen, ich hätte es etwa an "Bewegung" fehlen lassen.

In diesem Sinne euch allen: viel Spaß beim Laufen bis Ultimo.

Gruß Udo

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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Hallo Udo,

Vielen Dank für den tollen Laufbericht.
Ein wenig "Wehmut" kam beim Lesen jedoch auf, auch wenn ich absolut verstehen kann, das irgendwann mal schluss sein muss mit den "Extrem-Langen-Kanten".
Deine Läufe/Laufberichte haben mich jedenfalls, seit dem ich zum ersten Mal auf das Forum hier gestoßen bin, inspiriert und ich glaube nicht, dass ich, ohne sie, irgendwann mal selbst auch nur ansatzweise in solche Dimensionen vorgestoßen wäre (Bis nach Sparta hat es nicht gereicht, aber die 215km Hexenstieg waren auch nicht ganz einfach :wink: )
Naja auf jeden Fall möchte ich das zum Anlass nehmen um einfach mal "Danke!" für diese Inspiration zu sagen und ich wünsche dir noch viele Jahre Lauffreude.

Grüße,

Martin

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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Phenix hat geschrieben: 30.09.2023, 19:31 Hallo Udo,

Vielen Dank für den tollen Laufbericht.
Ein wenig "Wehmut" kam beim Lesen jedoch auf, auch wenn ich absolut verstehen kann, das irgendwann mal schluss sein muss mit den "Extrem-Langen-Kanten".
Deine Läufe/Laufberichte haben mich jedenfalls, seit dem ich zum ersten Mal auf das Forum hier gestoßen bin, inspiriert und ich glaube nicht, dass ich, ohne sie, irgendwann mal selbst auch nur ansatzweise in solche Dimensionen vorgestoßen wäre (Bis nach Sparta hat es nicht gereicht, aber die 215km Hexenstieg waren auch nicht ganz einfach :wink: )
Naja auf jeden Fall möchte ich das zum Anlass nehmen um einfach mal "Danke!" für diese Inspiration zu sagen und ich wünsche dir noch viele Jahre Lauffreude.

Grüße,

Martin
Hallo Martin,

Laufberichte schrieb ich in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen. Da ich sie öffentlich machte, sicher auch, damit sie von anderen (Läufern) gelesen werden. Ich gab mir stets Mühe authentisch, ehrlich, detailliert darzustellen, was ich erlebte und mich bewegte. Über diesen Aufsätzen und den vielen Läufen setzte das Altern ein. Somit entstand in seiner Gesamtheit ein "Werk", über dessen Kapitel man mir auch noch dabei "zuschauen" kann wie ein läuferischer Alterungsprozess sich vollziehen kann. Ich sage bewusst "kann", weil wir Läufer nur im Grundsätzlichen auf dieselbe Weise altern: Die Leistung lässt nach. Im Detail gibt es individuelle Unterschiede. Große Unterschiede. Ich verstand mich selbst nie und nun auch nicht beim Älterwerden als "exemplarisch". Doch immerhin kann, wer meine Berichte liest, sich vorstellen, was da später in seinem Leben auf ihn zukommen könnte.

Ich war nie darauf aus andere Menschen/Läufer zu einem bestimmten läuferischen Verhalten oder einer Verhaltensänderung zu bewegen; schrieb lediglich, was ich für geboten, sinnvoll, hilfreich hielt. Auch jemanden auf die Ultraschiene zu stellen und gaaanz weit rollen zu lassen, lag nicht in meiner Absicht. Dass dann doch der eine oder andere, anscheinend auch du, sich durch mich zu superlangen Kanten veranlasst sah und - wichtig! - dabei Spaß hatte, freut mich natürlich.

Vom Hexenstieg habe ich natürlich schon gehört, mich aber nie ernsthaft damit befasst. Mir blieb einfach nicht genügend Zeit, in der ich läuferisch stark genug war, um alles zu laufen, was man so laufen kann. Zu vorderst wollte ich mir meine Laufträume erfüllen, an der Spitze der Spartathlon und auch der Comrades in Südafrika. Beides international besetzte Spektakel, die mich nicht nur beeindruckt, sondern auch verändert haben. Solche Veränderungen bleiben nicht aufs Laufen allein beschränkt. Ich fühle mich durch diese Läufe (und einige andere) bereichert. Danach kam Corona. Und als Corona vorbei war, war ich zu alt, um mich solchen Herausforderungen weiterhin stellen zu können. Oder eben noch härtere Projekte in Angriff zu nehmen. Wie etwa einen Deutschland- oder Europa-Etappenlauf. Es wäre für mich die logische Fortsetzung gewesen, um meinem Ehrgeiz weiter Nahrung zu verschaffen. Dass das nicht mehr möglich war, weil ich zu spät (erst im 48. Lebensjahr) mit Marathonläufen begann, ist natürlich schade aber nicht zu ändern. Was ich läuferisch erreicht habe, stellt mich auch so zufrieden.

Es wäre vermessen nun weiterhin die ganz langen "Sachen" jenseits der 100 km laufen zu wollen. Das wäre zu Bedingungen, die mich zufriedenstellen können, nicht mehr möglich. Versuchte ich es, verdürbe es mir letztlich die Freude am Laufen. Schon jetzt gehen mir 10 km Training in mittlerem bis zügigem Tempo nicht mehr ohne merkliche Anstrengung vom Fuß.

Zuletzt: Vielen Dank, dass du dich gemeldet hast. Und: Der Spartathlon wird weiterhin stattfinden. Wie einige andere und ich bewiesen, kann man den Spartathlon auch noch mit 60+ laufen. Wenn man will. Ob eine/-r will, muss sie/er selbst entscheiden.

Ich wünsche dir weiterhin Freude am Laufen - egal wie weit.

Gruß Udo

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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Hallo Udo,

Vielen Dank für deine Antwort.
Ja, deine Entwicklung konnte man gut mitverfolgen, was ich auch getan habe. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie sich die Formkurve entwickelt, zu Beginn einer Aufbausaison bis schließlich zum gesetzten Ziel.
Nimm mir das jetzt bitte nicht übel, aber am deutlichsten gemerkt, wieviel Zeit inzwischen verstrichen ist, habe ich an Roxy: Gerade sieht man sie (gedanklich) die Sommeralm hochflitzen und nun hat sie ihr verdientes Rentenalter erreicht.
Bei dir war es bislang eher: Die Zeiten sind etwas langsamer geworden, aber im Kern ist es wie früher: Langer, oft schinderhafte, Aufbau, der mit einem, zwar nie leichtem, aber zuverlässigen Erfolg am Ende der Saison belohnt wird.

Für mich stand (bzw. steht) beim Laufen immer das Naturerlebnis aber halt auch die Eigenwahrnehmung im Vordergrund: Ich komme dabei zur Ruhe bin gedanklich ganz bei mir und der Aufgabe von A nach B zu kommen, das klappt auf den kleinen Ultras, mit einer Handvoll Startern immer am besten. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass ich irgendwann in der Dämmerung oder Nacht einen anderen Läufer sehe und denke "Mensch da rennt ja auch einer um die Uhrzeit rum" bis man merkt, "Oh der hat ja ne Startnummer" und man feststellt das man sich in einem Wettkampf befindet, was das vernebelte Hirn komplett verdrängt hat.

Die Laufberichte (nicht nur deine, aber du bist eine sehr zuverlässige Quelle für Nachschub) dienen mir dabei als Inspiration / Anregung, gerade dann wenn die Lust auf ein Training gerade nicht greifbar ist - wie ein Versprechen wie eine mögliche Belohnung aussehen könnte.

Mein großes läuferisches Ziel war immer das "Yukon Arctic Ultra" - einmal auf den Spuren der Schlittenhunde laufen, über die ich überhaupt erst zum Laufen gekommen bin. Bis zur Anmeldung bin ich tatsächlich gekommen, dann kam Corona, mit Corona die Absage für diverse Aufbau Veranstaltungen und für mich eine berufliche Neuorientierung, was dann erstmal mit einer längeren Laufpause und der Aufgabe dieses Ziels einher ging.
Mit Sparta hatte ich durchaus geliebäugelt, halt zur Hexenstieg Zeit, wo ich mich, für meine Verhältnisse, in der Form meines Lebens befunden habe. Aber mit der Hitze wäre ich nicht klar gekommen, im Herzen fühle ich mich auf Schotter, Waldwegen und (gemäßigten) Trails einfach am wohlsten, am liebsten mit viel auf und ab, das man nie weit voraus schauen kann - vor allem aber mit dem Blätterdach über dem Kopf. (Aber wie du schreibst: Wer weiß was noch alles so im Leben passiert)
Die ganzen Ultras sind aktuell aber, im wahrsten Sinne, Meilenweit entfernt, nur eine Erinnerung an vergangene Zeiten. Mein letzter richtiger Marathon liegt über ein Jahr zurück, müsste letztes Jahr der Seenlandmarathon gewesen sein. (Dieses Jahr bin ich als Abschied vom 24H Lauf in Reichenbach das einzige mal Marathon oder weiter gelaufen) In diesem Jahr stehen noch keine 1000 Kilometer im Logbuch. Nach ein paar Monaten kompletter Pause habe ich in den letzten Wochen langsam wieder angefangen und möchte den Winter über nochmal einen Neustart wagen (ruhigere Phase in meinem neuem Beruf als Hundetrainer und damit Verbunden die Hoffnung genug Zeit für das Training zusammengekratzt zu bekommen).
Ende November stehe ich am Hockenheimring an der Startlinie (Marathon) - ziemlicher Hohn bei der vorherigen Beschreibung meiner favorisierten Strecke - aber eine einfache, Anatomie schonende, Strecke und zumindest mal wieder ein Ziel. Wenn der Wiederaufbau gelingt, soll es im April über den Fränkische Schweiz Ultra Trail gehen.

Viele Grüße,

Martin

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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Hallo Martin,

Hundemenschen wie du legen ihr Augenmerk natürlich auch auf die Entwicklung des Vierbeiners in einem sechsbeinigen Laufteam. Leider altern unsere Begleiter auf vier Pfoten im Zeitraffertempo, verglichen mit uns. So musste ich irgendwann einsehen, dass Roxi - auch wenn ich sie noch so sehr als Begleiterin auf Laufstrecken vermisse - nicht nur keine Freude mehr vom ausdauernden Laufen empfängt. Dass sie sich mir mehr und mehr nur noch widerwillig anschloss. Widerwille, der aus wachsender körperlicher Einschränkung entstand. Ich räumte ihren Belangen beim gemeinsamen Lauf immer Vorrang ein und deshalb musste ich ihrer erkennbaren Abneigung entsprechen und sie letztlich zu Hause lassen. Das galt rasch auch für superkurze Joggs, die ich zum Einlaufen für mich nutzte und sie dann beim eigentlichen Training im Auto oder zu Hause zurückließ. Es ist, wie es ist. Es bleibt die Hoffnung, dass sie uns noch lange erhalten bleibt. Wir genießen ihre Gegenwart, die sich meistenteils schlafend vollzieht, auch so noch sehr. Sie ist jetzt am Anfang ihres 17. Lebensjahres und gesund. Mental ein bisschen verpeilt zuweilen, schwerhörig aber gesund. Und wie der Alltag zeigt hat sie noch Spaß an ihrem jetzt eingeschränkten Hundeleben. Das ist entscheidend.

Inzwischen haben wir zeitweise einen Pflegehund bei uns, demnächst vielleicht über längere Zeit. Der letzte, der leider nur ein paar Tage hier war, wäre ideal zum langen Laufen. Definitiv so unkaputtbar wie einst Roxi. Mal sehen, unsere Hundezukunft wird spannend werden.

Sie weit mal zum hündischen Inhalt deiner Nachricht.

Gruß Udo

Re: Weil ich nicht schlafen kann - 100 Meilen Berlin / Der Mauerweglauf

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Phenix hat geschrieben: 09.10.2023, 10:49Nimm mir das jetzt bitte nicht übel, aber am deutlichsten gemerkt, wieviel Zeit inzwischen verstrichen ist, habe ich an Roxy: Gerade sieht man sie (gedanklich) die Sommeralm hochflitzen und nun hat sie ihr verdientes Rentenalter erreicht.
Bei dir war es bislang eher: Die Zeiten sind etwas langsamer geworden, aber im Kern ist es wie früher: Langer, oft schinderhafte, Aufbau, der mit einem, zwar nie leichtem, aber zuverlässigen Erfolg am Ende der Saison belohnt wird.
Hallo Martin, ich bin dir da noch die eine oder andere Entgegnung schuldig geblieben,

es geht mir nur zum Teil so wie dir: Auch ich merke besonders an Roxi wie die Jahre ins Land gehen. Sie fehlt mir. Ihre Quirligkeit, ihre allzeit unbeeinträchtigte Unternehmungslust, das lose Miteinander unterwegs, kurzum: ihre Begleitung. Sie ist jetzt ein anderer Hund als früher. Noch rüstig, aber eben nicht mehr leistungsfähig. Sie schläft viel. Manchmal wird sie von Unruhe geplagt, geht in der Wohnung auf und ab. Wie wenn sie sich daran erinnern würde, dass sie vormals unendlich viel und ausdauernd gelaufen ist. Dem läuferischen Miteinander wären aber auch wegen ihrer Schwerhörigkeit (man muss auf 5 m schreien, damit sie z.B. das Kommando "Halt" noch hört) Grenzen gesetzt. Ich müsste sie viel an die Leine nehmen. Das wäre ein anderes Miteinander als früher. Geistig ist sie gelegentlich ein bisschen durch den Wind. Steht, schaut, wie wenn sie überlegte: Was wollte ich eigentlich hier? Da war doch was ... Aber Roxi ist gesund und auch ihre Freude am Leben blitzt bisweilen auf. Und das reicht mir. Ansonsten verstehe ich mich nun weniger als Hundeführer, so wie früher, sehe meine Aufgabe viel mehr darin sie zu verwöhnen und meine Dankbarkeit dafür auszudrücken, dass sie da ist.

Dein Blick auf mich ist unscharf und vermutlich deshalb nicht korrekt. Laufen ist für mich eine andere Disziplin als früher. Jeder - und ich meine jeder - Schritt ist anstrengend. Von der ersten bis zur letzten Sekunde eines Laufes. Und ich schaffe es auch nicht mehr mich adäquat für Ultras vorzubereiten. Ich wäre früher nie an den Start gegangen, wenn ich Zweifel gehabt hätte den kompletten Kurs durchlaufen zu können. Ein Saisonaufbau wie ich ihn früher tatsächlich bis zum finalen Erfolg planen konnte funktioniert nicht mehr. Der Zuwachs an Ausdauer und Robustheit von Lauf zu Lauf ist leider nur noch marginal. Das Ansteigen der Formkurve - der Zuwachs an Reichweite - verläuft leider extrem flach. Hat auch damit zu tun, dass ich nicht mehr wie früher über Nacht hochprozentual zu regenerieren vermag. Zum ersten Mal sehe ich in diesem Jahr das Ende meiner läuferischen Aktivitäten vor mir. Das kann natürlich blitzartig geschehen - wie bei jedem Läufer - wenn ich erkranke oder mich entscheidend verletze. Das meine ich nicht: Ich meine das läuferische "Fading away". Ich muss unendlichen Aufwand betreiben, um immer wieder leistungsfähig an einer Startlinie zu stehen. Und ich spüre auch die Grenzen meiner Leistungsbereitschaft. Was will ich mir noch zumuten? Das hat mit Altersbequemlichkeit zu tun. Eine Eigenschaft, die man wie ein jahrzehntelang schlafendes Virus mit sich rumträgt, das sich dann irgendwann, spät im Leben, schlagartig im Körper auszubreiten beginnt und vor allem auch den Geist befällt. Auch dagegen kämpfe ich an. Dabei kann ich nur hinhaltenden Widerstand leisten, schlussendlich aber werde ich verlieren. Ich wünsche mir nur, dass diese finale Niederlage noch lange ausbleibt.

Alles Gute für dich

Gruß Udo
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