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6h Lauf Troisdorf – und noch´n Bericht

6h Lauf Troisdorf – und noch´n Bericht

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Hallo,

nach längerer Berichteabstinenz hier im Forum doch auch ein Beitrag von mir zu Troisdorf. Wer sich an meine Marathonberichte erinnert, der weiß ja, was ihn erwartet; die anderen seien gewarnt, dass das vollständige Lesen meines Geschreibsels etwas zeitaufwendig ist.

Vorab:
Ich laufe gern und auch gerne lang. Im Gegensatz zu dem Horror vieler anderer Marathonis freue ich mich auf die langen Läufe in der Vorbereitung. In diesem Jahr habe ich dann auch hin und wieder einen Marathon als langen Lauf „missbraucht“. Was liegt also näher, sich nach 14 Marathons seit Mitte 2004, davon 5 in diesem Jahr, am ersten Ultralauf zu versuchen. Empfehlungen anderer Ultras lauteten: ein 6h-Lauf ist der optimale Einstieg, da man nicht irgendwo ankommen muss, sondern alle die gleiche Zeit haben. Es besteht nicht die Gefahr, dass man irgendwo in der Pampa aufgeben muss, kilometerweit vom Ziel entfernt. Es besteht auch keine Druck, in irgendeiner Zeit ankommen zu müssen. Da Troisdorf direkt um die Ecke ist, drängte sich dieser Termin quasi auf, zumal er ein tolles Treffen mit vielen bekannten und unbekannten Foris versprach.

Laufvorbereitung:
Eine konkrete Vorbereitung hatte ich eigentlich nicht, drei Wochen vor Troisdorf war ich im Westerwald (Löwenlauf Hachenburg) noch einen Marathon mit ordentlichem Profil recht zügig gelaufen, danach eine Woche Regeneration und zwei Wochen tapern, fertig. Ich hatte auch kein konkretes Ziel, zumindest kein besonders ehrgeiziges. Meinen ersten Ultra wollte ich vor allem überstehen, keine Ahnung, ob und wenn ja in welcher Geschwindigkeit ich 6 Stunden am Stück laufen kann. Ein 6er Schnitt wären 60km, aber das erschien mir zu schnell, mit Gehpausen und ggf. Einbrechen am Ende etwa 55km (ca. 6:30min/km) erschien mir aber als Mindestmarke realistisch.

Mentale Vorbereitung (Ultras werden ja mit dem Kopf gelaufen):
1) Running Through the Wall (Personal Encounters in Ultramarathon Running): Eine Menge AmerikanerInnen beschreiben ihre 100 Meilen (!) Läufe, die meist über Trails gespickt mit heftigen Höhenmetern gehen. Fazit: die haben alle eine echte Macke. :tocktock:

2) Ultra Marathon Man von Dean Karnazes: Schon besser, teilweise auch sehr motivierend, nur die masochistische Todessehnsucht ist mir etwas zu heftig. Fazit: der hat echt eine Macke. :tocktock:

3) Ishimoris Berichte über seine beiden 6h-Läufe: Hier erfährt man alles wirklich wichtige, z.B. wie man Marathonbestzeit während eines 6h-Laufs rennt, wie man standesgemäß eingeht und trotzdem noch sensationelle Kilometerleistungen läuft, wie man im November in T-Shirt und kurzer Hose friert, kurz: alles, was man selbst besser nicht macht, wenn auch mit dem klaren Wissen, dass man Ishis Leistungen nicht auch nur ansatzweise erreichen wird. Fazit: auch Stefan hat eine Macke. :wink:

Der Lauftag:
Nachdem ich Jo´s Kettle-Chips eingepackt und unterwegs Micha eingesammelt hatte, kamen wir rechtzeitig in Troisdorf an. Dort wurden wir auf einen direkt am Stadion gelegenen Parkplatz gelassen, als wir die Frage des Parkplatzeinweisers „Staffel- oder Einzelläufer?“ mit „Ja, beides“ beantworten konnten.
Schon beim Abholen der Startnummern trafen wir viele Bekannte, zuerst Anja, dann Susi und Oli, dann übersah ich Wettergott Jo, der immer noch etwas von trockenem Wetter erzählte, dass er für den Lauf bestellt habe. :haeh:
Spätestens im Stadion war dann auf der überdachten Tribüne bald die ganze LA-Gemeinde versammelt. Zeit, um auch neue oder nur von Fotos bekannte Gesichter kennen zu lernen und Fotos zu machen, zumal sich der für 10:00 Uhr geplante Start wegen der Verspätung von Mika-Timing um knapp 20min verschob. Einige nutzten die Zeit auch zum langsamen Warmlaufen auf der Bahn, was mir angesichts eines bevorstehenden 6h-Laufes nicht so ganz erschloß.

Dann sollte es aber doch losgehen. Da es gerade wie aus Kübeln goß, beeilte sich niemand so richtig, in den Startbereich zu kommen. Dann zockelten wir los.
Also ich zockelte los, die meisten anderen liefen los, einige sogar ganz schön schnell. Aber ich wollte ganz konservativ anlaufen, eher wie bei einem langen Lauf, ich hatte ja Zeit genug, 6 Stunden um genau zu sein. Und so war ich drin, in einem Lauf, der mein erster Ultra werden sollte.

Die Strecke führt zuerst aus dem Stadion heraus und nach knapp 500m Asphaltstrecke erreicht man die sogenannte Deichkrone, einen leicht erhöhten Feldweg, der sich aufgrund des Wetters aus zwei Bestandteilen zusammensetzte: Matsch und Pfützen. Alle 250m ist ein „Viertelkilometer-Schild“ aufgestellt, die Orientierung auf der Strecke ist also prima. Nach einem knappen Kilometer geht es dann wieder auf der Strasse weiter an einem Feld entlang, dann ein Stück durchs Wohngebiet, schwupp wieder auf das Stadiongelände, durchs Schlaraffenlandzelt (Bananen, Äpfel, Salzstangen, Müsliriegelstücke, Waffeln, warmer Tee, warmes Iso, warmes Wasser, Cola) auf die Wendestrecke zur Zeitmessmatte, artig den Staffelläufern und später auch den Nicht-Staffelläufern auf der Tribüne winken, Zwischenzeit stoppen und ab auf die nächsten 2,5km. Bereits kurz nach der ersten Runde überholt, nein überrennt mich ein Läufer in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Später werde ich wissen, dass die Jungs aus Brühl im grünen Trikot den Staffelwettbewerb gewinnen werden.

Die ersten drei Runden laufe ich mich im gemütlichen Tempo ein, etwas über einem 6:20er Schnitt. Dass es die langsamsten Runden in den gesamten 6 h werden sollen, ist mir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht klar. Auch bei meinen Marathonläufen sind die ersten Kilometer immer meine langsamsten, alles normal also. Bereits in der dritten Runde werde ich von Sylvie überholt. Vom überraschten Stadionsprecher, den man inklusive der Musik auf fast der Hälfte der Strecke hören kann, weiß ich, dass sie die derzeit führende Frau ist. Ein paar Worte und schon ist sie weg. Wow. :daumen: Ein paar Sekunden später kommen zwei weitere Frauen, die an Sylvie dranhängen.

Mit Beginn der dritten Runde passiert das, was auch bei meinen langen Läufen meistens nach 45-60min passiert: Es läuft rund. Der Puls bleibt stabil, aber ich bin jetzt fast mühelos in einem 6:05er bis 6:10er Schnitt unterwegs, und das wird jetzt auch recht konstant bis fast Kilometer 30 so bleiben. Irgendwann überholt mich Oli, später dann auch Jo. Immer ist Zeit für ein paar Worte, das ist toll. Es macht richtig Spaß. Zwischendurch hört es auf zu regnen, dann fängt es wieder an, dann scheint die Sonne, dann hagelt es, dann gibt es einen Regenbogen. Der Sprecher im Stadion plaudert unermüdlich sowohl von Bestenlisten als auch von den „kleinen“ Läufern, eine irre Kondition hat der Mann. Das gilt auch für die Helfer, die im kalten Regen und Wind stehen und stets gut gelaunt die Läufer motivieren. Es findet sich sogar jemand, der in einer längeren Regenpause den kompletten Weg auf der Deichkrone mit einem Besen von den Pfützen befreit du wieder gut laufbar macht (leider nur bis zum nächsten Platzregen). Ein Riesendank an Euch alle, eine Riesenleistung. :daumen:

Ein Stück begleite mich Martin, der tatsächlich auch laufen kann. Dann überholt mich wieder Sylvie, dicht verfolgt von zwei Läuferinnen. Die Verwunderung des Stadionsprechers steigt. :P Im Gegensatz zu uns kennt er Sylvie nicht und ist fast sprachlos, als die Verfolgerinnen, immerhin mehrfache dt. Meisterinnen im Ultralauf, Sylvie nicht mehr folgen können. Denn als sie mich zum dritten mal überholt, ist die Lücke bis zur nächsten Frau doch schon recht groß.

Ich laufe so vor mich hin und die Zeit vergeht trotz Rundendreherei schneller als vorher gedacht. Nach 30km wird es dann doch ein wenig anstrengender. Ich versuche den Puls im Wohlfühlbereich zu halten, dadurch werde ich etwas langsamer und pendele mich so im 6:15er Schnitt ein. Das ist ok, denn noch weiß ich nicht, was auf mich zukommen wird. Nach 3,5h wird es dann etwas hart. Ich habe noch 2,5 Stunden vor mir und meine Beine sagen mir, dass ich schon ganz schön weit gelaufen bin. Egal, weiter geht es, nächster Punkt ist Marathon.

Nach der 15. Runde gehe ich also auf meine Marathonrunde. Der Schnitt ist nur noch bei 6:20min/km und es ist schwer. Kurz vor dem Stadion die 2.250m-Marke. Ein Blick auf die Uhr zeigt 4:23h. Das ist also die Zeit für meinen 6. Marathon in diesem Jahr und für ein neues Kapitel in meinem Läuferleben: Ich laufe länger als je zuvor, mit jedem Schritt, den ich jetzt noch mache ein Stückchen länger. Und es sind noch fast 1,5 h zu laufen, notfalls zu gehen.

Ein Transparent, dass schon seit der ersten Runde am Ausgang der Bahn steht prägt sich mir in dieser Phase besonders ein:
„Laufen, bis es nicht mehr geht und dann gehen, bis es wieder läuft.“
Genau so machen wir das.
Das erscheint mir auch deutlich optimistischer als Deans „Wenn Du nicht mehr laufen kannst, dann gehe. Wenn Du nicht mehr gehen kannst, dann krieche, aber gib´ niemals auf.“

Weiter geht es im 6:20er Schlappschritt. Eine schnelle Läuferin überholt mich. Upps, wo ist denn Sylvie? Darüber wundert sich auch der Stadionsprecher. Sie kommt erst später. „Du hast Dich überholen lassen.“ „ Ja, aber erst einmal“.

Plötzlich sind über 5h vorbei, die Ansage des Stadionsprechers lautet jetzt nur noch in Minuten. Wow, und ich laufe immer noch. Und ich habe noch Kraft. Mein tief von vor 1,5h ist wie weggeblasen. Nur noch 50min, schneller werden. Kilometer 50 ist in 5:11h abgehakt und ich werde schneller, immer schneller. Zumindest fühlt es sich so an. Und tatsächlich ist die nächste Runde im 6:15er Schnitt absolviert und es läuft richtig gut, nach knapp 5,5h und 52,5 km, faszinierend.

Jetzt beginnt dann bei mir doch die Rechnerei:
Ich habe noch etwas über 30min, das sind zwei Runden und noch ein Stück. Also 57,5 km und noch ein Stück, schaffe ich die 58km? Leider nur noch 30min denke ich. Ich muß verrückt sein.
Der nächste Kilometer im 6er-Schnitt fühlt sich an wie ein 5er Schnitt. Kurz vor der Wende durchs Zelt, dort werden für die letzte Runde Umhänge verteilt, damit man bis zur abschließenden Messung nicht zu sehr auskühlt. Ein Blick auf die Uhr: noch 18min, eine Runde schaffe ich noch leicht bis hierhin, also winke ich dankend ab.

Jetzt nichts mehr trinken, Wendestrecke, auf die Tribüne winken, Zeitmessmatte, Uhr abdrücken, 15:10 min, die schnellste Runde des ganzen Laufs (6:04min/km). Ziemlich genau 17min sind übrig. Nur mit einer superschnellen letzten Runde könnte ich tatsächlich 58km schaffen. So richtig rechnen kann ich jetzt nicht mehr, aber ich ziehe noch einmal an. Am Kilometerschild auf der Deichkrone habe ich eine 5:50 auf der Uhr, gefühlt renne ich im 5er Schnitt, mein Puls geht ordentlich hoch und mehr geben meine Beine jetzt einfach nicht mehr her.

Aber wie gut fühlt sich das an. Ich versuche, mich auf dieser allerletzten Runde japsend bei allen Helfern, an denen ich vorbeikomme, zumindest mit einem Winken zu bedanken, für mehr fehlt mir jetzt doch die Luft. Am 2.000m Schild habe ich die 57km im Sack, sehe auf die Uhr, noch 4min, da schaffe ich keinen ganzen Kilometer mehr, okay. Zwei vom Orga-Team kommen uns mit ihren Messrädern entgegen und machen uns Mut. „Nur noch 180 Sekunden“. Was? Meine Uhr sagt noch 4min! Ich laufe weiter auf das Stadion zu, diesmal nehme ich im Zelt dankend einen Umhang, noch drei Minuten.

Auf die Tribüne winken, Zeitmessmatte, Uhr abdrücken, 14:39 min, die schnellste Runde des ganzen Laufs (5:52min/km), angefühlt hat es sich schneller, viel schneller.

Rechtskurve, raus aus dem Stadion, ein paar Meter krieg ich noch dazu. Das 250m Schild, schwupps vorbei. Der Stadionsprecher zählt mittlerweile die Sekunden herunter, da vorne ist die Deichkrone, das 500m Schild, meine 58km. 10-9-8-7-6-5-4-3-2-1-Peng.

Ich bleibe stehen, ein paar Meter vom Anfang der Deichkrone entfernt.

Ich brauche etwas, bis ich den Umhang übergestreift habe. Ein Läufer, der ein paar Meter weiter zum Stehen gekommen ist, lässt seinen Umhang als Markierung direkt am Anfang des Deichkronenwegs liegen, kommt zu mir und wir unterhalten uns.
Über den Lauf, das Wetter, über Biel, ja, hauptsächlich über Biel.
Es dauert eine Weile, bis zwei Helfer mit ihrem Messrad bei uns sind: 425m.
Das macht insgesamt 57,925 Kilometer.
Ich blicke zum 500m-Schild.
Lächle.
Gehe langsam zurück zum Stadion.
Gruß
Peter

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Miatara,
ein Bericht.

Ich weiß gar nicht recht, irgendwie klingt alles ganz gelassen, es war mal leicht, mal schwer und es war eben...weit, auf jeden Fall wohl schön!
Ich finde das alles klasse und bedanke mich für so viele Worte!

mandy
mein Blog: AmandaJanus

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Noch ein wunderschöner Bericht und keiner ist zuviel! :daumen: Respekt!

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Der erste Ultra - und dann mit Endspurt :geil: ! Herzlichen Glückwunsch!

Dein Bericht war absolut nicht zu lang, vielen Dank!

Gruß
Ralph

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Grüß Dich Peter,

endlich ist er da, Dein Bericht! Ich hab schon so darauf gewartet. Und schön ist er geworden, und spannend, und klasse biste gelaufen. :daumen: Ach ja, 6-Stunden-Lauf ist einfach schön. :nick: Freut mich, daß es Dir so gut gefallen hat!

Liebe Grüße von Christine

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Auch ich habe deinen schönen Bericht sehr gerne gelesen.
Die Endbeschleunigung, die du da hingelegt hast, wow.
Stark, ich bin echt beeindruckt.
Ich wage mir nicht wirklich vorzustellen, wie sehr einem nach so einem Lauf alles wehtun muss :haeh:

Herzlichen Glückwunsch ! :daumen:
:winken: Hase


I am vegan because I feel that other sentient beings are not mine to use.

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miatara hat geschrieben:Mit Beginn der dritten Runde passiert das, was auch bei meinen langen Läufen meistens nach 45-60min passiert: Es läuft rund.
...
Leider nur noch 30min denke ich. Ich muß verrückt sein.
...
Das macht insgesamt 57,925 Kilometer.

Die Geburt eines Ultramarathonis. :daumen:

"Gar nicht verrueckt ist auch nicht normal"
Herzlichen Glueckwunsch und Danke fuer die schoene Berichterstattung. Das hat mich ausserordentlich gut gefallen.
:prost: Jede Freude ohne Allohol ist Kuenstlich.

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Mir hat besonders gut gefallen, wie lässig und leicht das bei Dir die ganze Zeit aussah! Deine Puls-Strategie fand ich gut. Danke für den Bericht und bis zum nächsten...

Anja

PS: Und sorry an Jo, dass er die Chips nicht für sich allein hatte.
He says things that annoy me. He gives me good advice. (Oscar Wilde)
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