Hallo Chris,
als ich anfing mich mit dem Laufen jenseits/abseits von Trainingsplänen und rein physiologischen Gegebenheiten zu beschäftigen, erkannte ich nach und nach, dass ich lange von einer falschen Vorstellung ausgegangen war. Ich hielt uns Läufer für Menschen, die man mental mehr oder weniger alle über den gleichen Kamm scheren könne. Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Weder haben wir die dieselben Beweggründe, noch gefallen uns dieselben Strecken oder Veranstaltungen und vieles andere differiert auch von Läufer zu Läufer. Die Individualität wird umso gravierender, je länger einer seiner Laufleidenschaft schon frönt und – davon bin ich inzwischen durch Bekanntschaft mit vielen Ultras überzeugt – je weitere Strecken er läuft. So wäre es mir, als ich die ersten Marathons lief, nie in den Sinn gekommen nach Ultras „in ein paar Jahren“ zu schielen. Bei mir entwickelte sich eins aus dem anderen, ich war immer bestrebt meine Ziele mit gewisser Vorsicht höher bzw. weiter zu setzen. Mir einen Spartathlon auf viele Jahre hinaus als Ziel zu setzen, selbst als ich erstmalig 100 km geschafft hatte, hätte nicht meiner Natur entsprochen. Auch wenn das, so wie du es anpackst, einen gewissen „Charme“ versprüht. Du natürlich auch mit gewissen Hintergedanken in Sachen „Motivation“ und Wegbereitung an diese „Fernplanung“ herangehst. Mein sportliches Hauptmotiv war eigentlich immer die Suche nach den eigenen Grenzen. Erst beim Marathon was die Zielzeit angeht, später auf Ultrawegen, wie weit oder lange ich tatsächlich in der Lage wäre zu laufen (laufen, nicht gehen).
In gewissem Gegensatz zu dem von mir praktizierten schrittweisen Vorgehen stand meine Spontanität, was konkrete Veranstaltungen angeht. Ich erfuhr häufig durch Zufall von „Klassikern“ oder Austragungsmodi und wollte dann oft ausprobieren, wie gut ich mich dabei anstelle. Ähnlich ging es mir mit dem Spartathlon. Ich las in unserer Lokalzeitung von einem Tschechen, der im Nachbarort wohnte und arbeitete, der die 246 km mit Ach und Krach (so nahm sich das für mich als Unbedarften lesend aus) unter 36 Stunden geschafft hatte. Die Veranstaltung erregte mein Interesse, ohne dass ich Näheres gewusst hätte. Das kann ich besser, dachte ich und beschloss diesen Spartathlon alsbald zu laufen. Das war wohl Anfang 2014 und 2016 lief ich dann in Sparta tatsächlich durchs Ziel. Im Vorfeld tat ich nicht das, was wohl die meisten anderen Sparta-Aspiranten tun: Mit Gott und der Teilnehmer-Welt reden und alles Erdenkliche zum Thema Spartathlon lesen. Ich las so gut wie gar nichts. In den Monaten vorher erfuhr ich dann natürlich dies und das, was hauptsächlich der Bekanntschaft mit anderen Ultras geschuldet war, gleich, ob sie schon dort waren oder es eben wie ich ins Auge gefasst hatten.
Klar war mir von vorneherein, dass ich in meinem vorgerückten Alter (damals 63) mein Ziel nur erreichen würde, wenn ich das brutalste Aufbauprogramm abspulte, das ich mir bis dahin zugemutet hatte. Ich bin ein Typ, der über viele Trainingskilometer reüssiert, bei anderen ist das anders, zumindest teilweise. Und dann ließ ich es im Vorfeld wirklich krachen, baute mich mit mehr als 1.500 Wettkampfkilometern für den SP auf. Noch drei Wochen vor dem SP ein 24h-Lauf von mehr als 160 km. Für mich war das wichtig, weil ich nach Griechenland flog und sicher war – so sicher wie man sein kann -, dass ich Erfolg haben werde. Weil da genug Power in meinen Beinen ist, um zu finishen. Ähnlich wie du schreibst, war ich davon überzeugt, dass mich nur ein unvorhersehbares Malheur davon abhalten konnte das Ziel zu erreichen. Und genau diese Selbstsicherheit ist mental ungemein wichtig. Wer hinfährt und an sich zweifelt oder – was ich auch erlebt habe – mit einem „schaun mer mal, dann seng ma scho“, der wird scheitern. Was ich zu der Zeit noch nicht klar erkannt hatte: Auf einer Punkt-zu-Punkt-Strecke von über 200 km kann dir vieles zustoßen, wogegen du trotz bester Vorbereitung machtlos bist. Und von dem, was dir zustoßen kann, WIRD dir dies und das zustoßen. Deshalb war ich doppelt froh genügend Power-Redundanz auf meinem Weg nach Sparta dabei zu haben.
Was mir zu jener Zeit natürlich auch nicht bewusst war, ist dies: Ob einer das Ziel in Sparta erreicht ist nur zu einem geringeren Teil davon abhängig, ob er daheim supergute Zeiten läuft oder eher mittelklassig unterwegs ist. Unterklassig scheidet aus, weil die Quali verhindert, dass jener Teil der Ultras, die sonst im letzten Drittel der Rangliste finishen, überhaupt einen Startplatz bekommt. Ob einer finished ist davon abhängig wie er mit den Bedingungen des SP klarkommt und vor allem, wie er mental drauf ist (siehe unter anderem auch oben). Durch die Ultrahölle sollte man zuvor durchaus ein paarmal gelaufen sein, denn die tut sich auf dem Weg von Athen nach Sparta ganz sicher für jeden irgendwo auf …
Mit den Bedingungen des SP zurechtkommen meint übrigens nicht nur die geläufigen Parameter wie mögliche Hitze, Kälte am Pass, Kälte generell wenn’s regnet oder gar Sturm (Ende September ist in GR jedes (!) Wetter möglich, von Schnee mal abgesehen). Das meint z.B. auch die notwendig frühe Anreise und das mehrfache Zusammensitzen mit den anderen Läufern, deren Weltuntergangsgerede einen nervös und unsicher machen kann. Es meint z.B. weiterhin die notwendigerweise aufwendige materielle Vorbereitung. Überlegungen zu Ausrüstung, Dropbags (für dich zentral wichtig, wenn du alleine dort sein wirst) und der Renntaktik. Gerade die Wettkampftaktik spielt beim SP mit seinen wirklich bizarren Cut-offs der diversen Checkpoints eine zentrale Rolle. Dazu später mehr.
Mein Finish beim Spartathlon hatte weniger mit Glück (das man auch immer haben muss) zu tun, als mit dem befriedigenden Umstand richtig und ausreichend konditioniert – physisch vor allem aber mental – dort angetreten zu sein. Deshalb kam ich ins Ziel und manche anderen, auch weitaus leistungsfähigere Läufer, schafften es nicht. Der für mich entscheidende Gesichtspunkt ist: Die physische Fähigkeit so weit und lange zu laufen ist nicht mehr als die Voraussetzung fürs Ankommen. Ob es gelingt entscheidet der Kopf, entscheiden Willen und Leidensfähigkeit.
Doch nun zu deinen Pros und Kontras und meiner Einschätzung dazu.
-Der Lauf ist Kult. Das ist wie der NY-Marathon, wie Biel, nur noch geiler. Ich kenne, niemanden, der nicht schwärmt.
Der Lauf ist tatsächlich Kult. Aber er ist mit nichts anderem in der Laufwelt vergleichbar. Wie mich dieses Erlebnis mitreißen würde, am Ende sogar „umhauen“, damit habe ich nicht gerechnet, ich lasse mich im Vorfeld von Zahlen und Aussagen eher weniger beeindrucken. Letztlich hatte das Ganze etwas Rauschhaftes, im Grunde ein Rausch, der mich bis heute nicht freigibt. Ich will damit nicht sagen, dass andere Laufziele weniger erstrebenswert wären. Ich bin auch den Comrades in Südafrika gelaufen. Völliger Wahnsinn, was dort abgeht, wenn 20.000 Ultras 90 Kilometer weit laufen. Auch dieses Erlebnis ist mir sehr, sehr wichtig in meiner Ultra-Vita. Und viele andere sind es auch. Vergleichen kann und sollte man sie nicht, weil jedes dieser Erlebnisse einzigartig ist. Was den Spartathlon ausmacht sind natürlich zunächst die knallharten Bedingungen: Strecke, Höhenmeter, Cut-off, mögliche Witterung und anderthalb Tage nichts anderes zu tun als zu laufen. Aber der Spartathlon ist noch weit mehr: Er ist Griechenland mit Griechen als Läufer und Helfer, ein über die Maßen laufverrücktes Volk. Er ist Geschichte. Der geschichtliche Hintergrund des Laufes und des Landes, tatsächlich an der Strecke zu sehen (wenn man will) ist beeindruckend. Und natürlich haut einen das internationale Flair weg: Allein 60 Japaner, Menschen aus jedem Kontinent, von der Antarktis mal abgesehen. Davon „lauffähiger“ Teil zu sein hat mich in Hochstimmung versetzt (die allerdings vom Schiss, den ich hatte, überlagert wurde).
Ich kenne durchaus Leute, die dort waren und nicht schwärmen. Was aber stimmt: Die Augen der meisten Spartathlon-Finisher überziehen sich mit einem irren Glanz, wann immer der Begriff SP fällt. Manche werden auch süchtig. Es gibt Triebtäter, die das jedes Jahr brauchen. Und ehrlich: Ich verstehe die Leute. Ich habe für mich unterwegs entschieden: Einmal hin, beim ersten Mal finishen, dann war’s das für mich. Aber nur, weil die Anforderungen für mich grenzwertig waren und ich zu alt bin, um es zu wiederholen. Nicht in dem Sinne zu alt, dass ich es danach nicht mehr hätte schaffen können; aber es gibt zu viele andere Ziele, wie z.B. den Comrades, den ich seinerzeit noch nicht auf dem Kerbholz hatte, die ich nicht ansteuern könnte, würde ich mich jedes Jahr oder mehrfach auf den SP fokussieren.
Was ich als Regel glaube in die Welt setzen zu dürfen: Wer gerne ultra-ultra-ultra-weit läuft, die Möglichkeit irgendwann hat (also Zeit und Geld), der wäre töricht sich das Giga-Erlebnis Spartathlon entgehen zu lassen.
- hervorragende Organisation. Das ist kein Wald- und Wiesenlauf, sondern eine hochprofessionelle Veranstaltung, bei der alles zu passen scheint.
Dem ist nichts hinzuzufügen, das ist schlicht so.
- Die Parameter passen. "Nur" eine Nach zu laufen, kein alpines Gelände, eine Strecke/Zeit, die ich durchlaufen kann und nicht mehr wandern muss und/oder schlafen muss.
Diese Behauptung muss ich etwas relativieren. Du hast durchaus „alpines Gelände“ zu bewältigen und das zur übelsten Nachtstunde, irgendwann zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang: Der Weg hoch zum Sangaspass ist alpin, also trailig, steil, fordernd und nicht ganz ungefährlich. Eine reine Gehpassage, nicht nur weil er einen nach dann schon 160 Kilometern Straße auch kräftemäßig überfordert. Wer da hoch zu laufen versucht, wird hinfallen. Die Passage dauert zwar gehend „nur“ etwa 30-45 min (genau weiß ich das nicht mehr) ist aber auch mental eine der forderndsten. Auf der anderen Passseite geht es zwar über planierte Wege abwärts, die weisen aber einen grobschlächtigen Zustand auf und sind, weil man unwillkürlich versucht ist Zeit gutzumachen, noch viel gefährlicher.
Was das Schlafen angeht: Musst du nicht, will auch niemand, blieb mir zum Glück erspart. Ich hab aber vor Ort erlebt, dass eine deutsche Spitzenläuferin genau darin ihr Heil suchen musste, weil sie (unerwartet) einen miserablen Tag hatte. Wie schon gesagt: Vieles kann einem auf 246 km zustoßen und einiges davon WIRD einem zustoßen.
- könnte läuferischer Lebenshöhepunkt werden - vielmehr geht dann nicht mehr an Wettkämpfen, die meinen Kriterien entsprechen (siehe oben). Da wäre dann wirklich die Grenze erreicht.
Auch dieser Aussage gibt es wenig entgegen zu setzen, wenn du tatsächlich „nur“ eine Nacht in Kauf nehmen willst. Ansonsten gäbe es gerade in Griechenland noch andere wunderbare Wettkämpfe, die am Stück gelaufen werden. Zum Beispiel eben auch der „authentische Spartathlon“ (heißt glaube ich so), der den Läufern das abverlangt, was auch dem Ur-Spartathleten Pheidippides abverlangt wurde: Der kam aus Athen und musste auch wieder dorthin zurück. Dieser Lauf wird auf einer teilweise abweichenden Strecke ausgetragen, fordert aber hin und zurück über 490 Kilometer. Um es offen zu sagen: Wäre ich für solchen Wahnsinn nicht zu alt und/oder zu sehr davon überzeugt, dass ich mich bei diesem Versuch für den Rest meiner Lauf-Tage abschießen würde, nichts könnte mich davon abhalten es zu versuchen. 490 Kilometer am Stück … wie geil ist das denn?
Das mit dem läuferischen Lebenshöhepunkt möchte ich unbedingt unterstreichen. Ich hatte ihn nicht im Sinn als ich nach Athen reiste, aber es kam so: Der Spartathlon war zwar sportlich nicht mein bester Wettkampf, doch dafür der mir von allen wichtigste, genialste, größte – mein läuferischer Lebenshöhepunkt eben.
- Hervorragendes Preis/Leistungsverhältnis!
Das ist so. Der SP beginnt donnerstags mit dem Einchecken im Hotel in Athen und endet am darauffolgenden Dienstag mit dem Auschecken. Dazwischen ist für alles gesorgt, gute Zimmer in einem guten Hotel und Vollpension. Darüber hinaus für 75 Verpflegungsstellen, jedwede Betreuung und den ganz großen Bahnhof. Eine Feier in Sparta am Sonntag und eine Abschlussfeier montags in Athen. Feierlich, festlich, wunderbar. Transport, wenn du alleine unterwegs bist und zig andere Sachen auch. Das haben die Griechen drauf wie vielleicht niemand sonst auf der Welt. Und wenn du dir anschaust, was du dafür bezahlst, dann wirst du staunen (auch wenn es jedes Jahr teurer wird).
- Eine große Runde. Ich will auch mal nen guten 24-h-Lauf hinlegen, gerne auf einer kleinen Runde. Aber Freude macht mir mehr die eine große Runde.
Der „gute“ 24h-Lauf ist nach meinem Dafürhalten Pflicht vorm Spartathlon. Man kann natürlich die Quali auch über 100 Meilen (ist auch noch okay) oder eine gute 100er-Zeit ableisten. Davon rate ich allerdings ab. 24h-Läufe bieten die Gewähr sich auch mal eine ganze Nacht um die Ohren zu schlagen, zudem bringen sich dich auf mindestens 180 km-Quali (dich persönlich im Jahr vorm SP bestimmt eindeutig über die 200km-Marke). Das sind Parameter, die einen bestmöglich – vor allem psychisch – auf den SP vorbereiten. Selbstverständlich ist eine Runde oder – wie im Fall SP – eine Punkt-zu-Punkt-Strecke bedeutend reizvoller. Auch ich würde die „freie“ Strecke in jedem Fall der viel besseren Infrastruktur von Stundenläufen vorziehen.
- Ich muss ihn alleine laufen. Der Termin Ende September bedeutet, dass meine Frau mich als Lehrerin auf keinen Fall wird begleiten können. Und das wäre schon sehr, sehr schön gewesen, dieses Projekt als Team angehen zu können...
Ich stimme dir „vollinhaltlich“ zu und ergänze auch noch mit Kontraproduktivem: Es wäre für mich nicht das ganz große Erlebnis geworden, das es war, ist und bleiben wird, wenn meine Frau mich nicht tagsüber supportet hätte, wenn ich diesen Überirrsinn der läuferischen Art, diesen Triumph, dieses olympische Erlebnis nicht hätte mit ihr gemeinsam erleben und teilen dürfen. Es gibt andere Augenblicke im Leben, in denen man sich dem Partner sehr nahe fühlen kann, aber keinen wie den, wenn dich deine Frau zu Füßen von Leonidas in die Arme schließt. Das ist mit Worten nicht zu beschreiben.
Hinzu kommt: Der Support an der Strecke enthebt dich teilweise der Sorge der Planung: Was packe ich in wie viele Dropbags und wo deponiere ich sie? Eine Aufgabe, die ich teilweise auch erledigen musste, weil ich nicht wollte, dass meine Frau in der Nacht durch die griechische Pampa fährt. Es erschwert die Sache und macht ein Finish stückweit „weniger wahrscheinlich“, wenn du volle 246 km auf dich alleine gestellt bist. Wie gewichtig der Einfluss einer Bezugsperson ist, hängt auch davon ab, wie sehr du sonst von der Anwesenheit deiner Frau (oder einem Helfer) bei Läufen profitierst oder gar davon abhängst. Ich kenne Läufer, die brauchen jemanden am Rand einer solchen Strecke.
- hässliche Strecke. Viel Landstraße, Industrieparks, schnurgerade, langweilige Pisten... ist es das wert?
Widerspruch: Die Strecke ist alles andere als hässlich und langweilig. Dafür sorgen teilweise die Zuschauer, aber auch Landschaften. Es ist richtig, dass man auf den ersten 70 Kilometern an zwei stinkenden Raffinerien vorbeiläuft, dazwischen aber auch am Meer, teils erhöht mit Weitblick. Bei mir schien die Sonne und die Aussichten aufs Meer waren atemberaubend. Dann kommt das Highlight Kanal von Korinth und der Peloponnes. Du läufst durch Weingärten, passierst die Ausgrabungen in Alt-Korinth, schließlich die Hügel der Gegend, blickst hoch zu Bergspitzen mit Festungsanlagen. Dann wird es dunkel. Wenn du das Glück von Mondschein haben solltest, dann wirst du durch eine wunderbare Landschaft laufen bis zum Sangas. Das blieb mir verwehrt, weil es wirklich stockdunkel war. Okay, dann sehe ich ohnehin nichts, und die Umgebung ist piepegal. Am nächsten Morgen, gleich zu Tagesanbruch, läufst wieder durch eine schöne Landschaft, beobachtest Bauern, die die Ernte einbringen, ringsum Berge. Natürlich immer auf Straßen, mit Ausnahme hoch zum und runter vom Sangas. Und Gott sei Dank auf Straßen, weil alles andere deine Füße schreddern würde. So wie ich das beim Olympian Race erlebt habe, der „nur“ mit 180 km fordert, aber davon ziemlich viele auf Feldwegen.
Tatsächlich übel sind die Kilometer vor Sparta (Km 200 bis etwa 230), die man auf einer Fernstraße in stetem auf und ab zurücklegt. Doch zu diesem Zeitpunkt ist dir das längst absolut gleichgültig. Da willst du nur noch ankommen, willst dass es endet. Und dafür eignet sich eine gut gepflegte, wenn auch vielbefahrene Straße am besten.
Ich habe mehrere sagen hören, die Strecke des SP sei „hässlich“. Ich habe das ganz anders erlebt und in Erinnerung. Sie ist nicht hässlich und schon gar nicht langweilig. So lange man „wach genug“ ist, um seine Umgebung im Detail wahrzunehmen, gibt es unendlich viel zu sehen. Und selbst das Stück am Rand der Autobahn hinter Athen möchte ich nicht missen. Das fand ich witzig, höchst kurios. Stellte mir vor ich liefe irgendwo in Deutschland am Rand einer Autobahn - ich wäre alsbald Objekt einer Meldung im Verkehrsfunk … Es gibt ein Foto* von mir, das mich in einem Läuferpulk neben der Autobahn zeigt. Es gehört auf Grund der Originalität und Kuriosität der Aufnahme zu meinen Lieblingsfotos und bedeutet mir mehr als das eine oder andere Finisherporträt anderer Läufe.
*) Es gibt den „Sparta Fotography Club“, eine Vereinigung von etlichen Hobbyfotografen, die super Bilder schießen. Ich weiß nichts von diesen Leuten. Vermutlich werden sie von der Spartathlon-Orga entlohnt, zumindest aber verköstigt. Jedenfalls verhält es sich so, dass du als Teilnehmer eine CD bekommst mit allen Aufnahmen (tausende!), die diese Leute während des SP schießen. Sie stehen an zahlreichen Punkten der Strecke und es ist unmöglich nicht auf einigen dieser Aufnahmen abgebildet zu sein. Dieser Gratis-Fotoservice gehört zu den vielen Annehmlichkeiten des SP. Und ich hätte tatsächlich auch viel Geld ausgegeben, um mir diese Bilder zu sichern.
- Hunde. Klingt lächerlich, aber ich mag es schon nicht, wenn mir hier Hunde MIT ihren Haltern begegnen. An der Leine. Unangeleint ist es gleich noch viel schlimmer. Die Vorstellung, in Griechenland auf Straßenhunde zu treffen, da wird mir heute schon... blümerant.
Dazu kann ich nur sagen: Du wirst Hunden begegnen. Und es wird deiner Phobie auch nicht abhelfen, wenn ich dir versichere, dass sie definitiv keine Gefahr darstellen. Du begegnest ihnen, weil sie sich von dir – wie von jedem Menschen – Futter erhoffen. Mich hat die Begegnung mit diesen Tieren auch beschwert. Nur aus anderen Gründen. Ich bin Hundehalter und Hundeliebhaber und bedauerte sehr nicht mehr für die Tiere tun zu können als ihnen ein paar Brocken vom Verpflegungstisch zu gönnen, die ich verstohlen fallenließ. Wären diese Tiere eine Gefahr für irgendwen, du kannst sicher sein, man hätte sie längst erschlagen.
Vielleicht ändert sich bis zu deinem Trip nach GR aber in dieser Hinsicht Entscheidendes. Diverse Organisationen, auch aus dem Ausland, sind bemüht Straßenhunde einzufangen und zu kastrieren, auf dass sie sich nicht fortpflanzen und langsam „aussterben“. Zudem hat die griechische Regierung jüngst – ist erst ein paar Wochen her – das europaweit härteste Tierschutzgesetz in Kraft gesetzt, dass man sich vorstellen kann. Das sorgt nicht direkt für weniger Straßenhunde, ist aber Ausdruck der gewandelten Einstellung der Griechen gegenüber Haustieren. Langfristig wird es die Spezies „Straßenhund“, also den frei und unabhängig in der Pampa lebenden Hund in Griechenland nicht mehr geben. Schon beim Dromos Athanaton letztes Jahr Ende Oktober auf dem Peloponnes (140 km) begegneten mir nur noch zwei Hunde und das waren keine Straßenhunde. Der erste gehörte zu einem Anwesen, an dem ich vorbeilief (erkenntlich am Halsband). Der zweite hatte ebenfalls ein Halsband und begleitete die Läufer über wohl mehr als 100 Kilometer (!)*. Mir schloss er sich aus freien Stücken 5 km vorm Ziel an, als ich einen Vorausläufer, den er zu dem Zeitpunkt begleitete, überholte. Und damit hatte ich einen Laufpartner bis zum Finish. Danach trollte er sich wieder, lief vermutlich die ganze Strecke zurück, bis er dort ankam, wo er hingehört. Solche Geschichten sollten dich ermutigen, auch wenn sie deine Hundephobie nicht heilen können. Bestimmt hast du meinen SP-Bericht gelesen und dort auch von meinen friedfertigen Hundebegegnungen. Vielleicht beruhigt dich auch der Bericht vom Dromos Athanaton (da reicht es in Sachen „Hund“, wenn du die letzten Abschnitte vorm Zieleinlauf liest).
- harte CutOffs. An sich sollte das kein Problem sein, da ich eher zur schnellen Sorte gehöre. Und trotzdem ist da ein kleiner Zweifel, was das mit meiner Psyche macht, wenn ich mal ne größer Krise habe. Könnte das ein KO-Kriterium sein?
Die Cut-Offs sind hart und wie oben erläutert nützt es dir u.U. gar nichts „zur schnellen Sorte“ zu gehören. Es ist ungemein wichtig auf den ersten 80, speziell den ersten 40 Kilometern nicht zu schnell zu laufen, obwohl die Cut-Offs der VP auf diesem Abschnitt überzogen eng sind. Mehr als einen kleinen Sicherheitsabstand, vielleicht 5 min auf den ersten 20 Kilometern, vielleicht 10 auf den weiteren (später wächst er automatisch), sollte man sich nicht erlauben, weil schon das dafür nötige Durchschnittstempo sehr hoch ist. Wer da übertreibt, wird es im Schlussdrittel bitter, bitter bereuen. Ich hatte mir im Vorfeld auch eine bessere Zeit ausgerechnet, musste mich allerdings von der Strecke und gewissen Vorfällen eines Besseren belehren lassen. Der längste Vorsprung, den ich unterwegs mal auf einen Cut-Off verbuchen konnte waren ca. 1:45 Stunden. Auf Biegen und Brechen hätte ich davon sicher 1:30 ins Ziel retten können. Nur war es mir in dem Moment, als feststand, dass ich finishen werde, schnurzegal mit welcher Zeit ich ins Ziel komme. Also ließ ich mir Zeit und mich umsorgen, setzte mich sogar hin, was ich im Grunde verabscheue (weil ich ja wieder aufstehen muss …).
Im Nachhinein weiß ich, dass ich die Cut-offs nur als übergeordnete Drohung empfand, dass sie mir unterwegs jedoch keine mentalen Probleme bereiteten. Nicht mal Bedenken, dafür war ich immer weit genug von der „Closing Time“ des Checkpoints entfernt, als mir u.a.. „Menschliches“ zustieß und mich viel Zeit kostete. Das wäre vermutlich anders gewesen, wenn ich, wie viele andere, nur Minuten vorm Cut-off hergerannt wäre. Auch dafür war mir bestmöglich trainiert zu sein wichtig. So konnte ich das Abenteuer SP ohne stete Angst vorm DNF erleben.
- klimatische Bedingungen. Den Sturm 2018 (oder war es 2019?) mal außen vor ist es immer knallheiß. Das ist wahrlich nicht mehr Wetter. Ich bin deutlich besser geworden, was meine Hitzeempfindlichkeit angeht, aber Temperaturen über 25 Grad sind immer noch nicht mehr Freunde. Ist es da sinnvoll, einen Lauf anzugehen, wo es nicht nur heiß sein KANN, sondern heiß sein WIRD?
Auch in dieser Hinsicht liegst du nicht ganz richtig. Es kann heiß sein, wird vermutlich lauftäglich auch über 20°C bis an 30°C warm/heiß sein, muss aber nicht. 2017 (oder 2018?) war der SP verregnet und für die meisten Läufer war die Kälte – insbesondere nachts – ein Problem. Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten sich gegen die knallende Sonne zu schützen. Wenn du meinen Bericht anschaust, wirst du mich in der Grundfarbe „weiß“ laufen sehen. Ich habe mir sogar extra für den SP weiße, kurze Lauftights zugelegt. Zusätzlich lief ich mit weißer Kappe und darunter einer Stoffbabywindel, die ich an jedem Checkpoint mit Wasser tränkte. Das hat enorm geholfen, weil von diesem nassen Stoff um Kopf und Nacken bis auf die Schultern Kühle ausging. Wie schon erwähnt musst du im Jahrhundert der fortgeschrittenen Klimakatastrophe mit Wetterungereimtheiten auch auf griechischer Erde Anfang Oktober rechnen. Hitze ist nur eine, wenn auch wahrscheinliche Variante.
So weit meine Gedanken/Einschätzungen zu deinen Spartathlon-Erwartungen.
Und nun träum’ schön weiter vom Spartathlon 203x …
Alles Gute, bleib gesund.
Gruß Udo
