Die.Nicci hat geschrieben:Wenn ich das Lauf-ABC richtig verstanden habe, dann eigent man sich doch durch regelmäßige Ausführung der Übungen automatisch (?) den für sich "richtigen" Laufstil an, oder?
Als Kind hattest du den perfekten Laufstil mal ganz spielerisch erlernt. Da warst du auch noch, ganz ohne künstliche Trainingsprogramme, beweglich genug, um diesen für dich optimalen Laufstil völlig ungehindert auszuleben. Wenn du Lauf-ABC, Rundum-Kräftigungsübungen und Mobilisierungstraining (z.B. Dehnen) betreibst, versetzt du deinen Körper wieder in die Lage, das im Unterbewusstsein gespeicherte, verstaubte Programm "effizientes Laufen" möglichst ungehindert umzusetzen. Wenn du hingegen - wie ich mit heute 67 J. - dein gesamtes Erwachsenenleben sitzend verbracht und über 30 J. Laufen falsch aber überehrgeizig praktiziert hast, dann
könnten diese "Zusatz"übungen allein unzureichend sein. Aber da du noch nicht so verknöchert bist wie ich, wäre es unbedingt sinnvoll, zunächst mal diesen "indirekten" Maßnahmen allein eine Chance zu geben. Bei den meisten Läufern reicht das aus, um sich beträchtlich zu verbessern. Zumindest für ein Leistungsniveau, von dem du noch lange nicht zu träumen wagst.
Wenn du aber statt dessen anfängst, als allererstes an einzelnen Details deines Laufstils rumdoktern zu wollen, dann wird es schwierig. Einzelmaßnahmen (bei dir: größere Schritte machen; bei mir war es: schnellere, d.h. kleinere Schritte machen) bringen in der Regel nicht nur nichts, sondern können mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar gefährlich werden (so war's eindeutig bei mir), wenn nicht - rein zufällig ! - alles perfekt zusammen passt. Wenn du deinen Laufstil allein vom Kopf her verändern willst, dann muss aber alles zusammenpassen - von der Neigung der Körperachse, über den aufrechten Oberkörper und eine korrekte Armarbeit bis hin zu perfekter Hüftstreckung beim Abdruck, ausreichendem Kniehub und korrekter Führung des Unterschenkels und vor allem einer Landung auf dem Mittel- bis Vorfuß direkt unter bzw. nur knapp vor dem Körperschwerpunkt. Deine gewünschte größere Schrittlänge darfst du dann nicht dadurch erzielen, dass dein Fuß weiter vorne landet, sondern du must hinten raus länger werden (Hüftstreckung) und kräftiger abdrücken (Fuß- und Beinkraft). Marquardt ("Die Laufbibel") hat dafür den eigentlich als lächerliche Männerfrisur geläufigen Begriff "Vokuhila" (vorne kurz, hinten lang) zweckentfremdet. Die genannte Verbindung zu Hüftstreckung und kräftigem Fußabdruck zeigt aber, dass du hier wollen kannst, was du willst - wenn dein Hüftbeuger durch jahrelanges Sitzen verkürzt ist,
kannst du die Hüfte gar nicht richtig strecken. Wenn deine Beinmuskulatur (Oberschenkel, Waden, Füße) durch mangelnde Bewegung und Zivilisationsschuhwerk verkümmert ist, dann
kannst du gar nicht kräftig abdrücken.
Ich hoffe, du (oder Titania !) verstehst meine vorstehenden Ausführungen nun nicht als Anweisung, an welchen Stellschrauben des Laufstils du ab sofort parallel drehen sollst. Ich habe erstens nur einen Bruchteil dessen erwähnt, worauf es ankommt (über die immense Bedeutung eines stabil gehaltenen Rumpfes wäre auch noch zu reden) und dies auch nur zur Abschreckung - ohne fachkundige Anleitung bist du nämlich hoffnungslos verloren. Ich wage zu behaupten, dass du nicht mal weißt, wie dein Laufstil tatsächlich aussieht - oder machst du regelmäßig Videoaufnahmen in Zeitlupe von dir selbst ? Ich jedenfalls, der normalerweise auf den Feldern ohne jedes optische Feedback laufe, bin jedesmal entsetzt, wenn mir ganz selten mal ein Schaufenster o.ä. den Spiegel vorhält und aufzeigt wie sehr sich mein Gefühl des eigenen Laufstils von der Wirklichkeit unterscheidet.
Ich hoffe aber, ich konnte klarmachen, dass Mobilität der Gelenke (vor allem der Hüfte) und genügend Kraft in Beinen und Rumpfmuskulatur unabdingbare
Voraussetzungen für einen effizienten Laufstil sind. Die Erfahrung der überwiegenden Mehrzahl der Läufer scheint zu sein, dass allein das (Wieder-)Herstellen dieser Voraussetzungen durch regelmäßiges Trainieren von Rumpf- und Beinkraft, Dehnen sowie Lauf-ABC ausreicht, um dem in der Kindheit mal erlernten perfekten Laufstil wieder zum Durchbruch zu verhelfen. Bewusstes Arbeiten direkt am Laufstil ist erst dann erforderlich, wenn man (wie ich) sich einen falschen Laufstil mühsam antrainiert hat oder wenn man das Allerletzte aus sich rausquetschen will, etwa um Weltrekorde aufzustellen.
Die.Nicci hat geschrieben:Insofern ist es doch zunächst einmal zumindest nicht schädlich, es mal eine Weile mit Lauf-ABC zu versuchen?
Kurze Antwort nach langer Vorrede: Ja, unbedingt - mach es. Und parallel dazu wie gesagt Rumpfstabilität, Beinkraft und Mobilität (Dehnen).